Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.
Der Pfänderleiher.


Der Obrist hatte einen alten Civiloberock angelegt, einen Hut von unscheinbarem Aeußern aufgesetzt, und glaubte hiermit Alles für sein Incognito gethan zu haben, als er sich in ein entferntes kleines Gäßchen begab, wo Herr Michelson, ein Wucherer, der hauptsächlich mit dem Militär Geschäfte machte, seinen Tabacksladen hatte, in welchem nur zum Schein Waare auslag, der eigentliche Handel, der sich vortrefflich rentirte, wurde in dem kleinen Stübchen abgemacht, das nach dem Hofe zu lag und das durch einen dichtlaubigen Kastanienbaum in eine stete grüne Dämmerung gehüllt war. In dieses Stübchen konnte das Auge des Beobachters manche strahlende Größe verschwinden sehen, die für diesen Moment die äußerlichen Abzeichen vorsichtig abgelegt hatte. Hierher kam der junge Fähnrich wie der alte General, [24] und alle Besucher dieses Orts hatten es in ihrer Art, daß sie von einer plötzlichen Heiserkeit befallen wurden, und das, was sie Herrn Michelson zu sagen hatten, nur flüsternd hervorbringen konnten. Aus Artigkeit und Rücksicht dämpfte dann Herr Michelson ebenfalls sein Stimmorgan, und so konnte der, der sich in diese Gegend verirrte und im Laden nach Taback fragte, in der That nicht wissen, wenn die Thür zum Cabinet sich öffnete, ob der Baum vor dem Fenster, oder ob menschliche Stimmen drin flüsterten.

Hier in dieses Heiligthum trat nun der Obrist ein und nahm einen abgegriffenen alten Lederstuhl in Besitz, der zur Seite eines kleinen defecten Pults von Nußbaumholz stand. Herr Michelson stand vor ihm und präsentirte ihm eine Prise Taback.

»Hm, ein kleines Geschäft« –

»Ei – Herr Obrist« –

»Was Obrist! Sie sollen mich nicht kennen! Niemand kennt mich!«

Der Wucherer schmunzelte und dachte bei sich selbst: »Jedermann kennt Dich, alter Bursche. Giebts denn solcher weißer Augenbrauen noch ein zweites Exemplar hier am Ort, ja, sogar in Berlin? Trägt noch Jemand anders einen Stock mit einer Sirene von Elfenbein?«

[25] Der Obrist brachte ein Säckchen aus der Tasche. Um es kurz zu machen rief er in fast polterndem und zänkischem Tone: »Hier sind einige Kleinigkeiten von Werth.« –

Der Wucherer nahm einen Ring, ein Medaillon und einen silbernen Schlüsselhaken in die Hand. Mit einer Miene zutraulicher Höflichkeit sagte er: »Kleinigkeiten? – ja – von Werth? Muß sehr bedauern: nein!«

»Schurke!« murmelte der Obrist.

»Was belieben zu sagen?« fragte Herr Michelson ungemein freundlich.

Der Obrist zeigte mit der Sirene auf das Medaillon: »Da sind echte Steine« –

»Sagen Sie lieber, da waren echte Steine,« sagte der Händler. »Von den Diamanten, die einst diesen Rahmen schmückten, ist nur ein einziger, ganz kleiner, übriggeblieben. Er ist so klein – so klein – so unbeschreiblich klein – so unsäglich klein« –

»Wie Deine Ehrlichkeit.«

»Was belieben zu sagen?«

»Daß Sie ein Zauderer und Plauderer sind,« polterte der Obrist. »Geben Sie so viel oder so wenig als Ihnen gut dünkt, aber geben Sie's gleich, ich habe nicht Zeit lange zu feilschen.«

[26] »Nun, ich werde mit einem Louisdor aufwarten.«

»Tausend Teufel! wenigstens zehn.«

Herrn Michelson's kleiner Kopf mit der spitzigen rothen Nase verschwand in dem hochstehenden Kragen seines caffeebraunen Oberrocks, dann kam aber dieser Kopf wieder hervor, und in einem ärgerlichen Tone sagte er: »Ich pflege immer zu meinen geehrten Herren Geschäftskunden zu sagen: wir verstehen uns nicht. So verstehen wir uns auch nicht, Herr Obrist. Wenn ich Ihnen sage, daß wir jetzt schlechte Zeiten haben, seit den Märztagen erbärmliche Zeiten, Zeiten, wie sie noch nie da gewesen sind, wo jeder Tag zum Mühlstein wird, der sich einem ehrlichen Manne an den Hals hängt, und ihn in die Tiefe des Bankerotts zieht; wenn ich Ihnen sage, daß an unserer Calamität einzig und allein gewisse Leute Schuld sind – ich wiederhole gewisse Leute« –

Der Obrist hatte den winzig kleinen Diamanten betrachtet und legte das Medaillon jetzt wieder auf den Tisch. Er erhob sich aus dem Lederstuhl und rief: »Das gehört nicht zum Geschäft. Ich will nichts hören, schweigen Sie, wenn ich bitten darf.«

»Aber es gehört wohl zum Geschäft,« kreischte in heisern Tönen der Wucherer. »Ich würde Ihnen die zehn Louisdor geben, Herr Obrist, mit Freuden [27] geben, Sie würden mir ein Zettelchen ausstellen und wir schieden als Freunde, allein ich kann es nicht; ich bin ein ruinirter Mann. Handel und Wandel sind gelähmt und wissen Sie warum? Weil Ihr König uns verlassen hat in der Stunde der Gefahr – weil« –

»Herr!« donnerte hier der Obrist mit einer Löwenstimme wie sie nie in diesem Cabinet gehört worden war; »wie unterstehen Sie sich den Namen meines Königs in Ihren ungewaschenen Mund zu nehmen! Teufel! der König ist der König, und Sie – sind zum Galgen reif, wohin ich Sie auch mit Gottes Hülfe befördern will!«

Mit diesen Worten scharrte der Obrist die drei Kostbarkeiten vom Tische zusammen, riß die Ladenthür auf, um sich auf die trotzigste und wildeste Weise zu entfernen, die er anzunehmen im Stande war. Der Krämer hatte sich verblüfft in eine Ecke zurückgezogen und wagte nicht in den Bereich des geschwungenen Stockes zu kommen. Der kleine triefäugige Ladendiener draußen hatte alles gehört, und Herr Michelson entschloß sich schnell die Sache wieder ins rechte Gleis zu bringen. Der Obrist durfte in dieser Laune den Laden nicht verlassen, es konnte dem Geschäft Schaden zufügen. Die Ersparnisse, [28] die die Minister für nöthig erklärten, brachten zuwege, daß den höhern Militärchargen, so wie den Pensionirten ihre Gehalte und ihre Pensionen bedeutend verkürzt wurden. Herr Michelson sah also voraus, daß, fühlten diese Herren früher, wo sie noch gut bedacht waren, das Bedürfniß mit ihm Geschäfte abzuschließen, so würden sie nothwendig dies Bedürfniß in ihrem jetzigen Verhältniß noch lebhafter empfinden, und er wollte nicht, daß durch die bösen Schilderungen des alten, überall bekannten Obrist Ade seine Kundschaft litte. Er gab daher, mit Rücksicht auf den triefäugigen Ladendiener den lauten Aeußerungen des Obrist den Charakter eines Scherzes, und ehe der Zürnende noch die Thür nach der Straße erreicht hatte, war er ihm hinterher und rief lachend: »O so muß man sich denn immer und immer den gestrengen Herren fügen! Wir wollen dem Scherz ein Ende machen, Herr Obrist, treten Sie wieder herein, wir wollen das Geschäft abschließen. Ei ei, das ist zum Todtlachen, wie spaßhaft diese Herren sein können. Friedrich! stehen Sie nicht da und mausen mir die Fliegen vom Fenster! Haben Sie nichts zu thun, träger junger Mensch? Blicken Sie auf das Oelfaß dort im Winkel.«

Der kranke, bleiche Knabe stürzte sich mit einer [29] wahren Wuth auf das alte Oelfaß, riß den Deckel ab und starrte in die schwarze, schmierige Masse, als sei es der wundervollste, klarste Brunnen, und als sei ihm nichts wonnevoller als in diese Tiefe zu blicken. Unterdessen zog Herr Michelson den Obrist in das Cabinet zurück, und hier zählte er ihm, nach langem Hin- und Herstreiten fünf Louisdor auf den Tisch, mit denen der Obrist sich zufrieden erklärte, und die Pfänder und zugleich ein Papier zurückließ, in welchem er nach Ablauf eines Vierteljahrs sieben Louisdor zurückzuzahlen versprach. Herr Michelson verschloß die Sachen in das verschwiegene kleine wurmstichige Pult von Nußbaumholz und setzte sich zu seinen Contobüchern nieder, in deren Spalten er eine mystische Rechnung führte. Er strich seufzend den Namen eines Fähnrichs aus, der seinen Eltern entlaufen und nach Amerika gegangen war, und machte ein Kreuz vor dem Namen eines Ulanen-Lieutenants, der auf den Barrikaden den Tod gefunden.

Der Obrist verfolgte seinen Weg mit einiger Eile. Zwei Officiere des zweiten Garderegiments erkannten ihn und grüßten ihn ehrerbietig. »Ein seltsamer Kauz, das!« sagte der Major zum ältesten Lieutenant, indem er mit dem Daumen rückwärts [30] auf den Enteilenden zeigte, »wollen Sie mir glauben, daß er auf seine Pension verzichtet hat?«

»Was Sie sagen, Herr Major! Weshalb?«

»Einzig darum, weil die Sachen nicht so gegangen sind, wie er meint daß sie hätten gehen sollen.«

»Hm!«

»Ist übrigens ein Ehrenmann. War früher beim Regiment Helberg und hat die Campagne von 1812 bis 1815 mitgemacht. Aeußerst tapfer. Für seinen Hauptmann hatte er gutgesagt; der starb, und nun zahlt der Alte noch an den Schulden. Man sagt die Gläubiger verlieren keinen Pfennig, und die Witwe braucht ihre Pension nicht anzurühren; den Kindern wird nichts entzogen. Er zahlt. Und wovon? Er hat selbst nichts als seinen Gnadengehalt und hat dabei eine Tochter, die er anständig erzieht.«

»Hm!«

»Ein Ehrenmann das! Aber glauben Sie, daß er zu bewegen war, in unsre Ressource zu kommen, als wir noch in Berlin standen?«

»Was Sie sagen, Herr Major! Weshalb nicht?«

»Weil er einmal gehört haben wollte – ich sage, gehört haben wollte, denn wir Andern wissen nichts davon, daß man sich nicht ganz ehrerbietig über [31]Se. Maj. den König geäußert haben solle. Es war zu der Zeit als die Armee die Waffenröcke, die Helme und das mittelalterliche Wesen annahm.«

»Hm! der Mann sollte mit uns den 19. März ausgerückt sein!«

»Still, ich bitte: da kommt der Unteroffizier mit dem Rapport. – Herr Lieutenant, ich habe die Ehre Sie heute im Casino« –

»Werde nicht verfehlen, Herr Major.«

Beide Offiziere trennten sich unter militärischen Grüßen.


[32]


 << zurück weiter >>