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7.
Das Haus des Geheimen Finanzraths.


Wir kehren nach Berlin zurück und sehen, wie der Obrist Ade eben die Klingel erfaßt und auf den Ruf derselben ein reichbetreßter Diener erscheint, der den Obrist und seine Tochter meldet. Der Obrist hatte seinen Besuch schon vor ein paar Tagen abgestattet und war jetzt zum Mittagessen eingeladen worden. Er erschien in seinem Militäroberrock ohne Epauletts und sagte gleich beim Eintritt: »Mir altem Manne wird man vergeben, wenn ich nicht in dem mir widrigen Civil-Frack erscheine, und auch nicht dem Zwang des Uniform-Leibrocks mich unterwerfe.« Worauf der Geheimerath geantwortet hatte: »Einem Krieger von 1812 kommt es zu, uns Gesetze vorzuschreiben, nicht von uns welche zu empfangen.« Worauf der Obrist gelächelt und nichts [71] geantwortet hatte. Louise sah sehr blühend und hübsch aus in einem duftigen, schneeweißen Musselinkleide, mit einem blauen Gürtel.

»Obrist von Rechow, Fräulein von Rechow!« – so ging die Vorstellungsformel im Kreise umher, der schon in einer Ecke des Zimmers um einen Tisch mit einer silbernen Vase versammelt war. Diese Vase war ein Geschenk, das Herr Laubmann einem ehemaligen Associé, der jetzt die Fabrik führte, bestimmt. »Was soll man heutzutage schenken?« sagte der Geheimerath; »man ist wirklich in Verlegenheit. Immer Pokale? Das sieht so aus, als hätte man nur determinirte Trinker zu seinen Freunden. Einen Ehrensäbel konnte ich ihm nicht geben, da er nie den Säbel geführt und nie eine Flinte losgeschossen hat, also hab' ich ihm eine Blumenvase gegeben. Die Industrie sammelt ja Blumen heutzutage.«

»Und druckt sie gelegentlich auf Kattun,« sagte leise ein alter Herr zu seiner Nachbarin.

»Aber auch Früchte sammelt die Industrie,« bemerkte ein Fräulein, in einen rauschenden Seidenstoff gekleidet, »und ich hoffe, Herr Geheimerath, daß Sie ein Paar von diesen Früchten in meinen Schooß werden fallen lassen, als Beitrag für meine Sammlung zur deutschen Flotte.«

[72] »Ha! da sind wir!« seufzte der ältliche Herr. »Wieder bei der Flotte!«

»Ich werde, meine Gnädigste, ich werde mich pflichtschuldigst betheiligen« – sagte höflich der Banquier. »Wir wollen nur abwarten, was in Hamburg geschieht.«

»Meine Damen!« rief die Flottendame – »ich sammle auch alte silberne Stricknadelhalter, abgebrochene Henkel von Theekörben, selbst Fingerhüte verschmähe ich nicht.«

Man lachte, die Dame lachte äußerst graziös mit.

Der alte Herr seufzte so laut, daß man sich ziemlich allgemein nach der Ecke am Thürpfeiler umsah, wo er saß.

Der Gesprächsfaden wurde jetzt so dünn, daß er abriß. Zum Glück trat der Diener ein, öffnete die Thüren und ließ die gedeckte Tafel sehen.

»Herr Obrist! darf ich mir Ihren Arm ausbitten?« sagte die Geheimeräthin, auf den Gerufenen zurauschend. Der Geheime Finanz-Rath schritt seiner Frau voran mit der Witwe eines Ministers, die den Siegelring ihres Mannes als Brosche vor der Brust trug. Diese alte Dame sah nicht mehr gut und hatte schon längst aufgehört zu hören. Sie war ein Eßautomat in einen vergelbten Seidenstoff ge [73]hüllt, und mit zwei Büschel Perrückenlocken unter der Haube. Aber der Geheimerath war als junger Mann im Hause der Ministerin ein- und ausgegangen. Er war dankbar, er führte sie jetzt zur Tafel, da die ganze übrige Welt sie vergessen hatte. Er schrie das Wort »Excellenz« so furchtbar laut, als wenn er der Engel des jüngsten Gerichts wäre und durchaus gehört werden müsse. Fräulein Charlotte Laubmann folgte mit einem Offiziere, der in Civilkleidung war; Louise hatte einen nicht ganz jungen Herrn zum Führer, dessen Name ihr zu undeutlich genannt worden, um ihn zu verstehen. Eine Dame von unscheinbarem Ansehen hatte einen eben solchen unscheinbaren Herrn gefunden, und Beide sprachen von dem ersten Löffel Suppe bis zum Aufbruch der Tafel unbeschreiblich angelegentlich von Kindermädchen, unheizbaren Stuben, zugigen Vorsälen und Wollenfußdecken. Der seufzende alte Herr wandelte allein, zum großen Verdruß einer Dame, die sitzen blieb, und die da erwartet hatte, daß er ihr den Arm geben werde. Sie faßte sich ein Herz, und ging auch allein. Als die Gesellschaft schon saß, trat ein junger hübscher Mann in der neuen Bürgerwehr-Uniform ein. Er gab ein zierliches Gewehr dem Diener, machte eine flüchtige Entschul [74]digung, halb zu der Mutter, halb zu der Gesellschaft gewendet, und setzte sich neben Louise, nachdem er sich dieser hatte vorstellen lassen, denn am Tage vorher war er auf Wache gewesen, und seine Eltern hatten seine Entschuldigung gemacht. Wir müssen noch nachholen, daß die Flottendame einen Herrn zum Führer erhalten hatte, der einen rothen langen Bart trug und eine Brille vor den Augen. Die Flottendame hatte gehört, daß er ein Schriftsteller sei und ein Blatt herausgebe. Dies genügte, um ihn zum Nachbar zu wählen, denn sie hoffte von ihm, wenn nicht einen Beitrag für die deutsche Flotte, denn er schien nicht über große Summen gebieten zu können, so doch ein Albumsblatt für einen wohlthätigen Zweck, und wenn auch dies nicht, doch eine günstige Recension in seinem Blatte über drei bereits erschienene Albums zu erhalten. Von allen diesen Hoffnungen traf keine ein.

Zu dem politischen Gesprächkampf, der jetzt bald begann, lieferte der Banquier ein kleines Vorpostengefecht, indem er mit huldvollem Lächeln erzählte, wie er sich in die Politik (die sonst gar nicht seine Sache sei – mit einem Ausdruck, als wolle er eigentlich sagen: wenn ich nur wollte, so wäre sie gerade recht meine Sache) gemischt. »Es war damals, als die [75] Wahlbezirke zusammentraten und meine Straße wählte. Meine Frau hatte die Eitelkeit, mich zum Deputirten gewählt sehen zu wollen. Ich sagte gleich: Mein Kind, es ist verlorene Mühe. Unsere Zustände sind noch nicht reif. Und wer hat Recht? – Haha, es ist komisch – aber in der That – ich! Denn hat sich's nicht jetzt herausgestellt, daß wir wirklich noch nicht reif sind. Ich sagte damals lächelnd zu meiner Frau: Siehst Du? ein blindes Huhn findet auch sein Korn.«

»Oh – ah!« rief die Flottendame. »Nicht so gesprochen! Wenn irgend Jemand unsere Zustände zu beurtheilen und richtig zu würdigen weiß, so sind Sie es. Darüber wollen wir nicht streiten.«

»Ich hielt auch eine Rede« – sagte der Banquier wieder lächelnd, indem er seinen Teller über die Schulter dem Diener reichte.

»Eine Rede!« rief eine Dame, »zum Besten des constitutionellen Königthums?«

»Halb.«

»Zum Besten der Republik?« rief der Herr mit dem röthlichen Bart.

»Halb.«

Der Geheime Finanzrath freute sich ungemein über dieses zweifache »Halb.« Er lächelte vor sich [76] hin, als wollte er sagen: »Das ist so recht fein, recht diplomatisch. Nun weiß Keiner, woran er ist. Für einen gescheuten, verdammt schlauen Mann müssen sie mich halten, das ist gewiß, aber zugleich für Einen, dem es – Gott! so gleichgültig ist – so gleichgültig! – was in dieser Welt um mich her vorgeht! – so über alle Maaßen gleichgültig.« –

Die Ministerwitwe gab etwas zu verstehen, man wußte nicht was.

»Excellenz!« brüllte der Geheimerath – »ein Gläschen Muskat-Lünel?« Die alte Dame bekam Muskat-Lünel, behauptete aber fortwährend, ein Glas Madera verlangt zu haben. Da Niemand darauf Acht gab und sie ihre Wünsche lediglich dem Siegelring mit dem Wappen vortrug, trank sie endlich ihren Muskat-Lünel für Madera.

Jetzt begann das politische Gefecht.

Es betraf die »Einigung« Deutschlands.

»Eine wunderschöne Idee!« rief die Flottendame.

»Was sind Ihre Gedanken hierüber, Herr Doctor Weld?« fragte der Geheime Finanzrath.

»O! ich applaudire den Herren in Frankfurt, daß sie es so weit gebracht haben; allein nun ist's an den Völkern, die Arbeit zu vollenden.«

[77] »Sagen Sie an den Fürsten,« bemerkte die Flottendame.

Der Doctor sagte halb laut für sich: »Die werden nicht viel gefragt werden.«

»Wenn die Völker nun aber nicht wollten?« fuhr der Finanzrath fort; »wenn zum Beispiel Preußen nicht wollte? Wie denn! Herr Agitator?« Dies war ein politischer Schmeichelname, mit dem der Doctor und Journalist sich hie und da necken ließ, das heißt aber nur in sehr bekannten Häusern, und in sehr vertrauter Gesellschaft Gleichgesinnter. Hier kam ihm diese Neckerei, die ihn an einige unangenehme Vorfälle und an den Sturz seiner liebsten Hoffnungen erinnerte, nicht gelegen, und er antwortete in einem düstern Tone: »Ich verstehe Sie nicht. Kann an Preußens Mitwirkung zu zweifeln sein? War es nicht unser König, ich sage mit Stolz, mein König, der zuerst die Ueberzeugung, die alle deutsche Herzen fühlten, aussprach, der da verkündete, daß Preußen in Deutschland aufgehen solle?«

»In der That,« sagte der Banquier, »dies hat er ausgesprochen.«

»Aber nicht so gemeint, wie es jetzt gedeutet wird,« nahm der junge Offizier das Wort, der die Tochter vom Hause zu Tische geführt.

[78] »So?« rief der Agitator mit langgezogenem Tone und einem Mienenspiel des Hohn's um die Lippe. »Ist Ihnen hierüber etwas Näheres bekannt?«

»Allerdings!« entgegnete der Offizier in sehr bestimmtem Tone, »ist mir bekannt, daß Preußens König zu den Charlatanerieen der Frankfurter Versammlung, die zu einem Drittel aus gutmeinenden aber kenntnißlosen Patrioten, zu Zweidrittel aber aus geheimen Republikanern und böswilligen, gegen Preußen intriguirenden Feinden aller Einheit zusammengesetzt ist – nicht Ja und Amen sagen wird. Dies ist mir bekannt.«

»Ah« – sagte der Banquier –»sollte dies nicht zu weit gehen heißen?« Er neigte sein Haupt zur Seite, und mit dem selben sanften Lächeln, das er schon früher einmal angenommen, drückte er wieder recht sichtbar die Behauptung aus: »Aber – mein Himmel! mir ist es ja so sehr gleichgültig – so über alle Maaßen gleichgültig! Kann es wohl einen Mann geben, der höher über all' diesem Treiben steht, als ich stehe?« –

»Das wird Ihnen schwer fallen, mit Beweisgründen zu belegen, mein Herr« – hob der nicht mehr ganz junge Mann zur rechten Seite Louisens an. »Aus unpraktischen, doch wohlmeinenden Pa [79]trioten? Wohl, das will ich zugeben, wenn ich an ein Paar berühmte Gelehrte denke, die dort unausführbare Rathschläge geben – allein die böswilligen, intriguirenden Feinde Preußens? Wo wären die?«

»Es gehört das Fernglas eines preußischen Offiziers dazu,« bemerkte der Agitator, »um von hier aus den Frankfurter Versammelten genau in's Gesicht sehen zu können.«

»Es gehört das Auge eines redlichen Mannes dazu, der sich nicht will düpiren lassen,« sagte der Offizier.

Der Obrist Ade trank ein sehr gutes Glas Bordeaux, und von diesem erwärmt und von der Antwort des jungen Offiziers nicht wenig erfreut, fing er an, seine Augenbrauen etwas mehr in die Höhe zu ziehen, gleichsam um sich die Welt umher mit einigem Wohlgefallen zu betrachten. Sein erster Blick traf das Auge seines Kindes, und dieses Auge hing an ihm mit dem Ausdruck zärtlicher Freude. Von dem Vater glitt das Auge auf den jungen Offizier, und es lag ein Ausdruck von Dankbarkeit darin, als wollte es sagen: »Wie hübsch ist es von Dir, daß Du dem armen alten Vater eine angenehme Stunde bereitest!«

»Die Gründe, die ich anführen könnte,« nahm [80] der Offizier wieder das Wort, »liegen zu offen zu Tage, als daß sie nicht Jeder in diesem Kreise schon entdeckt hätte. Wir Alle haben mit tiefer Entrüstung die Schmähungen gelesen, die die süddeutschen Blätter über Preußen und unsern König ausgossen; wir kennen die schmachvollen Auftritte, die in München stattfanden. Rechnen wir zu diesen neuesten Demonstrationen noch den alten Haß Oestreichs gegen Preußen, den es vom siebenjährigen Krieg an nährt, so ist das Resultat bald gefunden, daß die Deputirten, die unter dem Einfluß dieser Stimmungen gewählt wurden, ihre geheime Mission erhielten, die wir jetzt offenbar werden sehen, nachdem ein östreichischer Fürst als zeitweiliges Oberhaupt gewählt worden. Diesem Fürsten unterlegt man, was man gegen Preußen ausgerichtet sehen will. Er muß einen Reichskriegsminister ernennen, und dieser schreibt preußischen Heeren einen Huldigungsact vor, während preußische Truppen andrerseits sich aufopfern müssen, um dänische Provinzen, die sehr zweifelhaft deutsch gesinnt sind, der deutschen Einheit einzuverleiben. Hier höre ich die Republikaner Frankfurts ausrufen: Was Einheit! Was geht uns die Einheit Deutschlands an! Nieder mit Preußen! mit diesem hochmüthigen Preußen, dessen wohldisciplinirtes Heer uns ein Dorn [81] im Auge ist! Das ist die Hauptsache. Ist Preußen gedemüthigt, stecken wir mit Hülfe Frankreichs und Polens das übrige Deutschland in unsere Tasche!«

Der Obrist sah immer leuchtender aus, und immer zärtlicher blickte seines Kindes Auge auf ihn, und immer dankbarer dann auf den jungen Offizier.

»Wenn Preußen so denken will,« nahm der Herr an Louisens Seite das Wort, »so kann freilich aus der Einigung Deutschlands nichts werden!«

»Wir sind keineswegs gegen diese Einigung,« rief der Offizier lebhaft, »wir wollen sie nur nicht herbeigeführt sehen auf Kosten unserer wohlbegründeten Selbständigkeit.«

Eine laute und dabei tiefe, dröhnende Stimme erhob sich – es war die des Obristen, und er sagte: »Die Nation erhebt sich wie ein Mann. Sie will diese Frankfurter Beschlüsse nicht annehmen, sie will nicht!« –

»Ah! das ist etwas Anderes!« bemerkte der Agitator mit seinem boshaftesten und schleichendsten Lächeln, das seinen Bart in unendlich viele kleine kräuselnde Bewegungen brachte – »alsdann hat der König etwas ausgesprochen, was er nicht durchführen kann, und wobei er bei seinem eigenen Volke auf Widerspruch stößt.«

[82] Der Obrist befand sich in einer grenzenlosen Aufregung. Er setzte ein paar Mal an, um das Wort zu nehmen, aber er brachte nichts hervor, als nur den stammelnden Ausruf – »der König« –

Louise war bleich wie der Tod geworden. »Um Gotteswillen, lieber Vater!« – stammelte sie, und zu der Gesellschaft gewendet, bat sie mit einem rührenden Ausdruck: »Sollte es nicht den Herren genehm sein, einen andern Gegenstand des Gesprächs aufzunehmen? O, wenn ich bitten dürfte!«

Der Agitator lächelte jetzt mit der größten Befriedigung.

»Nicht doch! Keinen Zwang, meine Herren, eines alten Mannes wegen, der in dieser modernen Zeit noch die alberne Marotte hegt, seinen König nicht schmähen hören zu können« – sagte der Obrist. »Ich bitte, keinen Zwang. Ich werde mich bessern; ich werde die Versammlungen unter den Zelten besuchen: dort, wo man von preußischen Lippen alles schmähen und mit den niedrigsten Lästerungen belegen hört, was Preußens Ruhm und Preußens Königshaus betrifft, dort werde ich lernen, etwas kaltes Blut mir anzueignen.«

Dies sollte im leichten Scherze hingesagt sein, [83] allein es mißglückte; dem alten Manne traten die Thränen in die Augen.

Der Agitator konnte sich nicht lassen vor innerer Fröhlichkeit.

Der Herr an Louisens Seite sah, was die Tochter litt, und versuchte mit jener Menschlichkeit, die selbst in der civilisirten Barbarei unsrer Gesellschaft sich manchmal Bahn bricht, dem Gespräch eine andre Wendung zu geben. Er richtete seine Frage an den Offizier: »Und was verlangt der Verfassungs-Ausschuß der Centralgewalt von Preußen?«

»Diese Forderungen,« entgegnete der Gefragte, »sind es eben, die alle Welt staunen machen. Die Männer vom Fach wissen nicht, ob sie in diesen, mit der grenzenlosesten Keckheit von einer Macht, die keine Macht ist, aufgestellten Begehren mehr Ignoranz oder mehr Perfidie sehen sollen. So sei mir nur erlaubt Einiges anzuführen, wo besonders die praktische Ausführbarkeit als ein Ding der Unmöglichkeit sich herausstellt. Die sämmtliche bewaffnete Macht, heißt es, zu Wasser und zu Lande, gehört der Reichsgewalt an, das Reichsheer wird gebildet aus der gesammten Kriegsmacht, die Nummern der Regimenter laufen durch das ganze Kriegsheer; das Reichsheer schwört Treue dem Reichsoberhaupte, jede andere Verpflich [84]tung des Militärs steht dieser nach. Was den ersten Punkt betrifft, so werden wir also erleben, daß der Reichsverweser, der heute noch ein östreichischer Fürst, morgen schon irgend ein aus der Versammlung hervorgegangenes republikanisches Oberhaupt sein kann, über die preußischen Heere verfügt, der bestimmt, ob Berlin eine Garnison haben soll oder nicht, der unsre Truppen an die italienische Grenze senden, oder preußische Festungen mit badischem Militär besetzen kann. Was den zweiten Punkt betrifft, so soll Preußen, das anerkannt die geregeltste und auf der volksthümlichsten Basis ruhende Bewaffnung hat, einer neuen Regelung sich unterwerfen, und wenn ein östreichischer Prinz Reichsoberhaupt ist, wahrscheinlich den östreichischen Armeeeinrichtungen nach sich neu gestalten. Wird das Preußen jemals thun? Werden die Regimenter, die geschichtliche Namen haben, die den Waffenruhm der Vorfahren in ihren Fahnen tragen, wie zum Beispiel das Regiment Colberg, die Blücherschen Husaren, das Regiment Königin Cürassiere, das bei Hohenfriedberg 20 Bataillone niederritt und 67 Fahnen nebst 4 Kanonen eroberte, wird es seinen alten ruhmwerthen Namen gegen eine Reichsnummer hingeben? Heißt das nicht alle Sympathieen verkennen? alle nationale [85] Besonderheiten der Nationen mit Füßen treten? Wird Preußens stolzes Heer jemals darein willigen, auf diese Weise in Deutschland aufzugehen? Und nun der letzte Punkt: Preußens Heer soll einem fremden Fürsten, neben oder über seinem eigenen Könige, Treue schwören. Ein Schrei des Unwillens tönt von 360 000 Mann siegreicher Truppen bei dieser empörenden Forderung. Der Preuße soll – der das Huldigen wahrhaftig seit den Tagen des siebenjährigen Krieges gründlich verlernt hat – er soll jetzt, in der Fülle seiner Macht und Kraft – einem fremden Fürsten huldigen? Welch ein Wahnsinn, hier auch nur von Fern an ein Gelangen zum Ziel glauben zu wollen!«

Des Obristen Augen funkelten wieder.

»Nun wohl!« rief der Agitator! »So gestehe Preußen, daß es nicht will, nie gewollt hat mit Deutschland einen Weg gehen.«

»Preußen,« entgegnete der junge Offizier, »hat für Deutschlands wahre Interessen mehr gethan, als irgend ein anderer Bestandtheil unseres Gesammtvaterlandes. Preußen hat vor allen Deutschen allein den Ruhm, Napoleon besiegt und den Todesstoß gegeben zu haben; der erste Schuß im Jahre 1815 fiel aus einem preußischen Gewehr, und der letzte hinter Paris [86] aus einer preußischen Kanone, und dazwischen liegen die Tage von Ligny und Belle-Alliance. Ein preußischer General entwarf den Plan für den Feldzug von 1812, an dem Napoleon verblutete, preußische Generale führten Heere, lieferten Schlachten in jenen unvergeßlichen Zeiten, und Namen wie Seidlitz und Ziethen, wie York und Bülow, wie Blücher und Friedrich der Große, hat die Kriegsgeschichte keines deutschen Landes weiter aufzuweisen. Die deutsche Centralgewalt und die preußische Armee.« Berlin 1848.«

Des Obristen Augen waren jetzt lebhafter wie je.

»Preußen,« fuhr der Offizier fort, »will auch jetzt das Seinige redlich zu Deutschlands Einigung beitragen. Preußens König hat schon vor Jahren die feste Zusicherung gegeben, daß sein ganzes Heer zum Schutz des Bundes diene, zu einer Zeit, wo Oestreich Schwierigkeiten machte, ob es sein bundesmäßiges Contingent zum Schutz deutscher Lande bis an den Rhein oder nur bis Ulm vorrücken lassen könne, oder dasselbe in Italien brauchen müsse, zu einer Zeit, wo man nicht recht wußte, ob Bayern eine Armee hätte oder nicht. Jetzt legt Preußen eine mobile Masse von 360 000 Mann mit 1000 Geschützen [87] in die Wagschale, basirt auf 200 000 Mann Besatzungstruppen in 28 völlig ausgerüsteten Festungen, und versehen mit einem Kriegsmaterial, dessen Werth 100 Millionen weit übersteigt. Was noch mehr sagen will, Preußen legt zunächst in die Wagschale die vortreffliche Organisation seines Heers, welches das Schwert von Deutschland bildet. Dieses Schwert ist geschmiedet in dem Feuer der Jahre 1813-1815; es hat sich damals siegreich bewährt, aber was noch mehr sagen will, es hat dem Rost eines dreiunddreißigjährigen Friedens widerstanden, und hat sich jetzt in Schleswig und in Posen haarscharf und fleckenrein gezeigt.«

Der Obrist gab seine dürre, fleischlose Hand weit über den Tisch herüber dem jungen Manne, der sich halb erhebend, mit einer Miene der Ehrfurcht sie drückte.

Man schwieg einige Zeit.

Der Herr an Louisens Seite sah den Offizier an und dann den Agitator. Er schien eine Gegenrede von dem Letztern zu erwarten, und machte eine Miene der Unzufriedenheit, als der Doctor nach einigem Zögern mit seinem gewohnten höhnischen Lachen erwiderte: »Das Heer ist nicht das Volk, das Volk ist nicht das Heer. Wir wollen sehen, wer die [88] Oberhand erhält. Das Heer ist eingeübt, um im blinden Gehorsam der Tyrannei und dem alten Lügensystem zu huldigen. Es sind allesammt feile Knechte.«

Der Obrist erhob sich groß und gewaltig. Es lag eine Welt von Zorn in seinen Blicken. »Mein Herr!« rief er dem Agitator zu, »Sie, der Sie es wagen, dergleichen Schmähungen in einem ehrenhaften Hause auszustoßen, Sie haben sich hiermit selbst von der Liste der Ehrenmänner ausgestrichen. Hinweg von diesem Tische, wo Sie nicht hingehören!«

Alles war entsetzt über diese Rede. Kein Versuch, – wie er zahllos in den Salons geübt wird – auszugleichen, zu vertuschen, zu überglätten, wurde unternommen.

»Hinweg!« donnerte der Obrist.

Der Doctor erhob sich achselzuckend, nachdem er einen fragenden Blick auf alle Augen um die Tafel her geworfen, und keinem einzigen Blick begegnet war. Die übrige Gesellschaft stand zugleich auf: ein Theil des Desserts blieb ungenossen.

Der Obrist trat auf den Geheimerath zu und sagte indem er eine höfliche Verbeugung machte: »Verzeihung, mein Herr; ein preußischer Soldat darf dergleichen nie, und unter keiner Be [89]dingung anhören. Ich habe mich gegen Sie zu entschuldigen.«

»Oh – oh!« sagte der Banquier. »Bitte, Herr Obrist – bitte! in einer so bewegten Zeit ist es erklärlich, daß man sich gegenseitig ausspricht.« Dabei neigte er wieder sein Haupt und wieder stand auf der lächelnden Unterlippe geschrieben: Aber du lieber Gott – man weiß nicht – wie gleichgültig mir dies Alles ist – wie gleichgültig!

Der Obrist entfernte sich, seine Tochter blieb. Vor ihm hatte der Agitator mit seinem Freunde, dem Herrn an Louisens Seite, die Gesellschaft verlassen. Die Ministerwitwe, die nicht wußte, warum man eine Hälfte des Desserts ungenossen gelassen, gab sich dem beunruhigenden Gedanken hin, daß jetzt die gute Gesellschaft in ihren Formen sich zu vernachlässigen anfange. Ein Beweis hiervon war schon, daß man ihr Muskat-Lünel statt Madera angeboten hatte.


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