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1.
Der Obrist Ade.


Ist der Herr Obrist Ade nicht zu Hause?« fragte eine derbe rauhe Stimme den Hausflur entlang. Die Thür des Putzmacherladens öffnete sich und auf der Schwelle erschien Mademoiselle Rosa Scholz, eine korpulente Vierzigerin mit einem frischen Gesicht und lebhaften Mienenspiel. Sie hielt ein Häubchen von Tüll, mit einer Guirlande von Jasminblüthen garnirt in der Hand, und indem sie eine Stecknadel aus den Lippen nahm, zwischen welchen sie sie eingeklemmt hatte, sagte sie zu dem Manne in Bauerkleidung, der jene Frage gethan: »Mein Freund, der Herr Obrist ist ausgegangen, doch wird er sogleich zurückkommen. Die Stunde hat schon geschlagen wo er einzutreffen pflegt.«

»So werde ick warten, Madamken,« sagte der Bauer und setzte sich nieder.

[2] »Wollt Ihr einen Mann des Volkes sehen?« sagte die Prinzipalin, sich zu den hinter ihr lauschenden Mädchen wendend; »hier ist einer. Betrachtet ihn mit Ehrfurcht.«

»Oh« – rief Betty, eine kleine, stumpfnasige Brünette, mit großen, rothen Händen und einer Warze auf der Unterlippe – »wie wohlthuend ist ein solcher Anblick! Wenn man sich müde gesehen hat an dem leeren, eitlen, prunkenden Glanz einer verderbten Aristokratie.«

Die übrigen Mädchen kicherten.

»Was giebt's hier zu lachen?« fragte Fräulein Rosa Scholz. »Fräulein Angelika, worüber spotteten Sie, wenn ich fragen darf?«

»O nichts, gar nichts! Ich meine nur weil Betty Schlampamper« –

Ein neues, unauslöschliches Gelächter.

»Keine Spitznamen, meine Damen, wenn ich bitten darf. Diese Sitte hat in diesen Räumen nie herrschen dürfen. Nun, was ist's mit Betty?«

Keine wollte antworten; die Prinzipalin hatte ihr »violettes« Gesicht gemacht, es war dies ein Ausdruck von Gereiztheit und Strenge, den die erste Ladenmamsell mit diesem Namen zu bezeichnen geruhte, und der von allen Andern im Atelier adoptirt [3] worden war, als besonders bezeichnend und äußerst spaßhaft. »Nun?« fragte Fräulein Scholz abermals, »werde ich endlich erfahren, weshalb man über die arme Betty spottet?« Betty selbst stand da mit einer Zornröthe im Gesicht, die noch die Farbe ihrer Hände überbot.

»Nun,« hob endlich Fräulein Constanze an, eine blasse, kränkliche Person – im ganzen Atelier und sogar in einigen Häusern der nächsten Nachbarschaft als ein äußerst boshaftes Wesen bekannt – »man hat noch gestern einen Brief erhalten, von einem der vertriebenen Lieutenants« –

»Wie!« schrie Rosa Scholz – »von diesen Tyrannendienern, von diesen in Blut und Mord Schwelgenden? von diesen Feinden unsres Volks? Betty, wenn es wahr wäre!« –

»Es ist aber nicht wahr!« – rief die Angeklagte und stampfte mit dem Fuß.

Constanze brachte den Haubenstock hervor, öffnete die kleine Klappe, die in dem Hinterkopfe dieses blassen, geduldigen, ewig lächelnden Gesichts angebracht war, und zog mit einem weithin schallenden, siegreichen Lächeln, ein kleines zusammengefaltetes Zettelchen hervor, dessen erste Zeilen sie ablas: »Schleswig, den 20. Juli –: Mein liebes [4]Struvelpeterchen! Wie geht es Dir mein Affe in dem kuriosen Städtchen, wo man so hübsch Barrikaden« –

Betty sprang hinzu und entriß der Spottenden das Papier. Fräulein Scholz wandte sich ab mit dem beleidigten und entrüsteten Ausdruck einer Königin. Die Mädchen lachten wie Kobolde.

»Madamken – ick höre noch Niemand kommen!« hob der Bauer wieder an, der auf den Lärm um ihn her keine Achtung gegeben.

»Theurer Mann des Volkes!« hob Rosa an, »es gebührt Ihnen eine Genugthuung! Sie sind verrathen worden. Fräulein Betty, wenn Sie mich irgend lieb haben und Vertrauen zu meinen Gesinnungen und Grundsätzen hegen, so gehen Sie hin und geben Sie diesem Manne, den Sie durch Ihr Betragen gekränkt haben, diesen halben Groschen. Aber geben Sie das Geld mit jener Grazie, mit jenem je ne sais quoi – womit man, selbst edel, edeln Personen etwas zukommen läßt. Sie verstehen mich. Wir können uns in diesen Zeiten nur dadurch achten, indem wir das Volk achten, oder wie mein Vetter so schön sagt, uns vor der Souveränetät des Volks beugen. Gehen Sie, ehe er aufsteht und fortgeht.«

Mit von Thränen und Zorn gerötheten Augen, [5] und den halben Groschen in zwei großen Kupferstücken in der Hand, näherte sich Betty dem Bauer. Dieser brachte seine haarige Faust aus der Tasche hervor und rief: »He! zehn Schritt vom Leibe! Sie hat ja da ok den verfluchtigen bunten Lappen, Mamsellken!«

»Es sind die deutschen Farben, guter, edler Mann!« erklärte Rosa.

»Ick bin ein pommerscher Landmann!« sagte der Bauer drohend – »ein guter Preuße! versteht Sie mich?«

»Oho!« rief Rosa schleppend – indem sie einen verstohlenen, lächelnden Blick auf ihre Umgebung warf.

»Auch bin ick kein Bettler« – brummte der Bauer weiter. »Ick hab' Speck und Brod hier im Sack, die bring ick für den Wilm, der hier bei den Vierundzwanzigern steht.«

»Euer Sohn?«

»Ja, mein Bub.«

»Die Soldaten hungern hier nicht« – sagte die Putzmacherin. »Wir ernähren sie.«

Der Bauer warf einen Blick voll unbeschreiblicher Verachtung auf seine Umgebung. Er brummte etwas in seinen Bart, der wie eine gewaltig harte, [6] grau und schwarz gemischte Bürste an dem Kinn und den Lippen emporstand, und über die schmalen, welken Lippen spie er herüber auf das reingehaltene Estrich. Endlich sagte er, aber wie zu sich selbst sprechend: »Mein Bub soll keinen Bissen von den Hunden annehmen, die unsern König belogen und überrumpelt, und unsre braven Soldaten hinausgetrieben haben. Keinen Bissen soll er annehmen, so lange in Pommern noch Brod auf unsern Feldern wächst, und Speck an den Rippen unsrer Säue sich ansetzt. Ick komme selbst herüber, und wenn ick nich kann, so ist meine Olle da.«

Der Putzmacherin war diese Wendung des Gesprächs eine zu triviale, als daß sie hätte sich entschließen mögen, länger ihre kostbare Zeit diesem Gegenstande zu widmen. Sie gab also nochmals die Versicherung, daß der Obrist bald kommen werde und verschwand hinter die rothseidenen Vorhänge der Glasthür des Ladenzimmers.

Der Bauer saß da, unwillig den Mädchen nachsehend, die er noch in der Stube kichern hörte. In diesem Augenblick hörte man einen schweren, aber noch raschen Tritt die äußere Stiege hinauf tönen, und in die geöffnete Thür trat ein langer, hagerer Mann mit starren, gebräunten Zügen und einem [7] blendend weißen Bart, der weit über den eingesunkenen Mund sich hinüber wölbte; ebenso hüllten die silberglänzenden, langen Augenbrauen die Augen fast ein, und nur der Schädel hatte zum größeren Theil seinen Haarschmuck verloren. Die wenigen weißen Locken am Hinterhaupte kamen unter einem schwarzsammetnen Käppchen hervor, und lagen auf dem rothen Kragen des abgetragenen, aber sauber gehaltenen Uniform-Oberrocks. Einen Stock hielt die magere Rechte, doch schien der schwanke, nur wenig gebeugte Körper dieser Stütze nicht geradezu sehr bedürftig, wenigstens spielte der Obrist öfters mit dem Stock in der Luft herum, und machte damit Zeichen und gab Winke, die derjenige, der gewohnt war mit diesem seltsamen Manne zu verkehren, wohl verstand. Auch jetzt, als der Obrist außer Dienst (a. D., mit dem gewöhnlichen Berliner Witz Obrist Ade genannt) den Bauer ansichtig wurde, machte er mit dem Stock eine Bewegung nach der Glasthür der Putzmacherin.

»Ja, Herr Obrist – ist zu Hause! sprach so eben mit dem Weibsken,« sagte der Bauer. Der Obrist zwinkerte mit den Augenbrauen, und wies mit dem Stocke die kleine schmale Treppe hinauf, nach dem Stübchen, das er unter dem Dache be [8]wohnte. Der Bauer schritt gehorsam voran, indem er seine weiten Rockschöße zusammenfaßte, damit sie dem ihm dicht auf den Fersen folgenden Obristen nicht auf der Nase tanzten. So gelangten denn Beide in ein ganz kleines enges Stübchen, das nur ein einziges, aber helles Fenster hatte, eine schiefe Decke, vier unregelmäßige Wände, an deren einer das Bett des Obristen, und an der andern ein Schreibpult stand. Unter dem Fenster befand sich ein Tisch mit einer kleinen Hobelbank und einem Drechsler-Apparate, denn der Obrist schnitzte aus Holz und fertigte kleine Drechslerarbeiten. Auf das eine Ende des Tisches war ein blaugewürfeltes Tuch hingebreitet und darauf eine kleine Bunzlauer Caffeekanne hingestellt mit einer schadhaft gewordenen Mundtasse, mit Wappen und Namenzug geschmückt. Auf einem Teller lag ein Stück Commisbrod, und eine halbgerauchte Cigarre in einer Spitze von Horn mit einem kleinen silbernen Kettchen. Es wehte eine frische, kühle Luft in dem Zimmerchen, und der Duft eines Nelkenstocks, mit schönen purpurfarbenen Blüthen, füllte lieblich den kleinen Raum. Der Bauer wollte sich an die Thür hinstellen, in militärischer Haltung, allein der Obrist zog ihn, an einen der großen Zinnknöpfe fassend, an den Tisch am [9] Fenster, zeigte auf den zweiten Rohrstuhl und sagte: »Da sitzen – aber nicht spucken. Lieb' das nicht; Du weißt das, Adam!« –

»Ei wo werd' ich!« rief der Gast unbeschreiblich geehrt und gleichsam Stolz und Freude ausstrahlend in dem breiten, freundlichen, bärtigen Gesichte, indem er sich niederließ. – »Werde doch den Respect vor meinem Herrn Obrist« –

Der Obrist legte die Elfenbein-Sirene, die als Knopf seines Stockes paradirte, an die Nasenspitze, zwinkerte mit den Augenbrauen, und sagte: »Adam Braun, giebts nichts Neues!«

»Nichts, Herr Obrist – als daß wir nach Berlin kommen werden, wir Pommern und aus Preußen – wenn dieses Satanskegelspielen hier noch weiter so fort geht.« –

Der Obrist antwortete nicht, sondern blickte auf die Bunzlauer Caffeekanne, und schien zu berechnen, ob ihr Inhalt es wohl vertragen würde, wenn er dem ehemaligen Grenadier im Regiment Colberg die Hälfte eines kleinen Bechers aus Zinn anböte, der oben auf dem Sims stand. Ohne mit diesen Berathungen ganz zu Stande gekommen zu sein, rief er in die Augen des Bauern blickend: »Säufst Du [10] noch so viel Schnaps? Solltest es bleiben lassen; Caffee ist gesünder.«

Der Bauer nickte, und brachte die Kanne hervor, um seinem ehemaligen Befehlshaber einzuschenken.

»Halt!« rief dieser, »das Blut steigt mir so verteufelt nach dem Kopfe seit einiger Zeit. Der Doctor will, daß ich das Caffeetrinken bleiben lasse. Gieß es in Deine Gurgel, Adam, was drin steckt, viel wird's ohnedies nicht sein.«

»Aber, Herr Obrist!« –

»Kerl! nicht räsonnirt! vorwärts!«

Und der Bauer trank. Die Sirene setzte sich in Bewegung, und stattete der Nasenspitze ihres Herrn wiederum einen Besuch ab, während die funkelnden Augen unter dem Silberdache gierig den geliebten Trank zwischen den Lippen des Gastes verschwinden sahen. Der Bauer schlürfte den Caffee lediglich aus Disciplin, denn er war nicht hungrig, er hatte als er um die Ecke bog in einem Frühstückkeller, den ein Landsmann hielt, ein tüchtiges Frühstück mit einer ungeheuren Zugabe an gutem, echtem Patriotismus, in Redensarten und Flüchen, eingenommen. Der Obrist aber war hungrig und blieb hungrig noch lange, lange Stunden; denn auch das Commisbrod wollte er nicht anrühren, und gab sich die Miene, [11] als achtete er dessen gar nicht. Er öffnete ein Schubfach und brachte einige sauber in Papier gewickelte Figürchen heraus, die er auspackte und vor dem Bauer hinstellte.

»Hol's der Guckuck, Herr Obrist! das ist wieder was ganz Perfectes und Exquisites.«

»Nicht?« schmunzelte der Obrist.

»Ich will verdammt sein, wenn wir draus nicht mehr als einen blanken Thaler lösen. Das Männken da ist putzig? Wer ist's?«

»Wie, Du kennst ihn nicht, Adam?«

»Ach, Gottsblitz – es ist unser Hochseeliger« – schrie der Bauer! »Wie er leibt und lebt! Die Uniformmütze, der Ueberrock! Schwere Noth! Was ist das für ein Stück!«

Der Obrist nahm das Püppchen, brachte es an die Lippen, und sagte, ohne daß er sich vor dem Bauer Zwang anthat: »Es ist mein König und Herr – so hab' ich ihn zuletzt noch auf der Terrasse von Sanssouci wandeln sehn. Jetzt ruht er.«

»Ja, er ruht!« wiederholte der Bauer.

Beide beschäftigten sich jetzt, die kleinen Holzfigürchen wieder in ihre Hüllen zu bringen, und Adam öffnete ein Schächtelchen, das er zu diesem Zwecke in seinem groben Zwillich-Reisesack mitgebracht, und [12] ordnete die anvertrauten Schätze. Der Obrist sah scharf hin, daß keiner Figur irgend Leid's geschah, und als alle untergebracht waren, sagte er mit einem Seufzer: »Such mir bald Geld zu bringen, Adam, ich hab's nöthig.«

Nie hatte der Obrist dies so geradezu und so offen gesagt, und der Bauer stutzte sehr, als er es hörte. Er sah nachdenklich und forschend seinen frühern Lieutenant an, und wandte erst dann seinen Blick weg, als er bemerkte, daß es Jenem unangenehm war so angestarrt zu werden. »Ich werde mir Mühe geben, Herr Obrist!« sagte er, und stand auf. »Dank auch für den Caffee!«

»War er gut?«

»Perfect!«

»Ich pflege nie schlechten Caffee zu trinken,« bemerkte der Obrist und seufzte wieder. »Wo gehst Du nun hin?«

»Zu meinem Wilm, in die Caserne. Haben der Herr Obrist etwas dahin zu bestellen?«

Der Obrist schüttelte den Kopf. »Ich kenne dies Regiment nicht, und habe keine Freunde darunter,« sagte er nach einer Pause. »Ich will auch keine Freunde unter ihnen haben – ich will nicht! Seit der Nacht, wo man unser Zeughaus – –« er sprach [13] nicht weiter: seine Lippen zitterten, seine Augenbrauen kamen in einen gewissen wilden Schwung. Die Sirene kam an die Nasenspitze, aber sie zog sich sogleich wieder zurück, gleichsam erschreckt von dem Tumult, der plötzlich in diesen vibrirenden Muskeln an Stirn und Mund aufleuchtete. Die Sirene, obgleich ein Geschöpf, das schon seit dreißig Jahren, und noch länger zu der intimsten Bekanntschaft des Obristen gehörte, fand in ihrem Elfenbeinbusen doch so wenig Sympathieen mit ihrem Herrn und Gebieter, daß sie in diesen leidenschaftlichen Momenten wo er sie an sich heranzog und sie gleichsam zum Mitgefühl zwang, nur eine sehr klägliche Rolle spielte.

Der Bauer hatte die letzten Worte nicht recht gehört, er stand jetzt an der Thür im Begriff herauszuschreiten, da wandte er sich noch einmal um, und brachte mit verlegenem Lächeln ein Päckchen aus der Rocktasche und schob dies Päckchen unter das Bette.

»Halt! was ist das?« rief der Obrist.

»Meine Olle schickts!« entgegnete der Bauer. »Der Herr Obrist soll's nicht für ungnädig nehmen!« Der Obrist hatte das Päckchen geöffnet und fand ein tüchtiges Stück Pökelfleisch. Er nickte [14] dem Bauer zu, und dieser entfernte sich. Als er die Thür geschlossen, öffnete der Obrist sie leise wieder, und trat einen Schritt hinaus auf den kleinen Flur, um zu beobachten, ob der Bauer von der Putzmacherin unten nicht angehalten, und ausgeforscht wurde. Es geschah nicht, und er kehrte in seine Stube zurück vor sich hinmurmelnd: »Diese schwarz-roth-goldenen Weiber bekümmern sich um Alles!« Dann zog er an der Klingel, und als unten an der Stiege eine zerlumpte Magd erschien, fragte er mit sehr sanfter Stimme: »Sollte zufällig noch etwas Caffee übrig sein, Catharine? Ich hab' heut etwas mehr Durst, wie gewöhnlich.«

»Nicht ein Tropfen! Herr Obrist Ade,« tönte die Antwort. »Ich wollt' auch nur sagen, daß ich zu morgen neuen Caffee kaufen muß.«

»Es ist gut,« sagte der Obrist und schloß die Thür leise. Er setzte sich an die Hobelbank, nachdem er vorher seinen Rock ausgezogen, und eine kleine, schon an vielen Stellen geflickte Jacke von Flanell angezogen hatte. Es dauerte nicht lange, so ließ sich ein leichter, flüchtiger Schritt auf der Treppe hören, und ein leises, wohlbekanntes Klopfen an der Thür.


[15]


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