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18.
Der neunzehnte März.


Der Morgen des neunzehnten März war angebrochen, und fand einen der glänzendsten Throne der Welt von dichten Wolken umschleiert, einen der mächtigsten Fürsten ein paar Stufen von seinem Throne niedergestiegen. Und dies hatten wenige Stunden bewirkt. Die glänzende Monarchie, das Erbe des größten der Könige, des unsterblichen Friedrich, war ein Spiel der Laune geworden, während Nacht und Tag mit einander wechselten. Welche Erschütterungen!

Aber wir lassen den Faden unserer Erzählung keinen Augenblick aus der Hand.

Wir gehen zurück zu den letzten Stunden des achtzehnten März, und finden in einem der Keller, unweit dem Gensdarmen-Markte, einen Mann einsam am Tische sitzen, der sich zuvor erkundigt hatte, ob [274] das Gewölbe auch wohl allenfalls bombenfest sei. Dieser furchtsame Mann war Weld. Er ließ die »Seinen« an den Barrikaden dem Tod in die Augen sehen, er selbst hatte sich in einen sichern Hinterhalt geflüchtet, und leerte eine Flasche Wein.

Hier saß er noch als die Schüsse nach und nach aufhörten, und als es gegen Morgen zu ruhig wurde.

Er blieb nicht eine Minute allein. Es kamen und gingen Männer, die ihm Bericht abstatteten, und von ihm Weisungen empfingen. Es war der Keller eine Art Hauptquartier. Ungefähr gegen fünf Uhr Morgens erschien ein Mann in zerrissener Kleidung, mit Blutspuren überdeckt, baarhäuptig und eine Büchse in der Hand. Er legte seine Waffen ab und warf sich auf einen Stuhl, indem er den angebotenen Wein von sich schob und ein Glas Grog verlangte. Es wurde gebracht und der Mann stürzte den heißen Inhalt des Glases mit Gier in die Kehle.

»Eine heiße Nacht, das!« hob er zu Weld an, der ihn aufmerksam betrachtete.

»Von wo kommst Du?«

»Von der Barrikade am Kölnischen Markt,« entgegnete der finstre Gast. »Ich sage Dir, wir [275]

hatten unsere Trümpfe ausgespielt, und es war Zeit, daß man das Spiel endete. Weißt Du schon?«

»Ich weiß Alles. Es geht uns ganz nach Wunsch. Wer hätte hoffen können, daß es so kommen würde. Die Soldaten fort! Alle fort!«

»Alle, so eben ziehen die letzten ab. Die Casernen sind sämmtlich geleert. Die Waffen sind in die Hände der Bürger übergegangen.«

Weld lachte. »Der Bürger! O mit denen wollen wir schon fertig werden. Sage, die Waffen sind in unsere Hände übergegangen, und wir werden sie zu brauchen wissen. Teufel! diese Nacht bringt uns in einem salto mortale in den Himmel unserer kühnsten Hoffnungen.«

»Mortale! Ja!« sagte mit einer schleppenden Stimme der Genosse – »Du hast Recht, diesen Sprung einen Todessprung zu nennen. Es sind Viele der Unsern gefallen.«

»Pah – Gesindel, das ich mir für ein paar Groschen aus der Gosse und vom Kehrichthaufen gekauft!«

»Sprich das öffentlich aus.«

»Ich werd' mich hüten! Oeffentlich sind's Helden! Männer des Volkes, deren Blut Tyrannenhunde vergossen. Hahaha! O, Du sollst sehen, [276] wie ich meine Galgenvögel herausputze! Du selbst sollst in die Kniee vor ihnen fallen.«

»Weld! Das lobe ich nicht an Dir – Du bist perfid. Das soll ein Mann nie sein. Ich sage Dir, ich habe mit eigenen Augen Männer sich an unsere Barrikade stellen sehen, die nicht zu Deinen Lumpen gehörten.«

»Kind, das ist ja eben der Spaß! die ehrlichsten Käuze sind mit uns gelaufen und denken jetzt gewiß Wunder was sie gethan, und wie sie die ›Freiheit‹ gerettet.«

»Gewiß, das werden sie denken.«

»Und wir lachen in's Fäustchen. Uns, uns haben sie gedient, die Narren. Und wenn es darunter und darüber geht, und wir die Güter der Erde vertheilen, da sollst Du sehen, was für lange Nasen sie machen werden, wenn wir ihre Kisten und Kasten ausräumen, ebenso geschwind wie die Kisten und Kasten Anderer, und wenn wir sie zwingen werden, ihre hübschen Frauen mit uns zu theilen. Aber man muß sie jetzt bei ihrer Narrheit lassen; sie können uns noch große Dienste leisten.«

Der düstere Genosse hörte diese Worte mit einer Miene gleichgültiger Apathie an. Er gähnte, trocknete sich mit einem gleichfalls zerrissenen Tuche das [277] schon halb getrocknete Blut von den Aermeln und sagte dann: »Die Eltri und die beiden Mariannen sind Blitzkröten. Willst Du glauben, daß sie – ohne von mir dazu Ordre erhalten zu haben – ihr Kännchen Scheidewasser bereit hielten, um es den Soldaten in die Augen zu spritzen. Die armen kleinen Geschöpfe hatten schon alles Werfbare an Geschirr, was sie im Hause hatten, auf die Straße geschleudert.«

Weld entgegnete: »Sie müssen an dem Volksfeste, das wir veranstalten wollen, weiß gekleidet erscheinen und Blumenkränze tragen. Ich sage Dir, es werden lustige Tage für uns kommen.«

Der Gast seufzte: »Lange genug gewartet haben wir auf sie!« sagte er.

»Und die Studenten!« hob Weld wieder an; »fidele Jungens! Ich höre nichts als Gutes von ihnen. Da blüht unser Weizen. Einige von ihnen schreiben superbe Federn – das schreibt so à la Mirabeau! – tolles, verwirrtes Zeug! aber das haben wir gerade nöthig. Alles muß jetzt in Bewegung gesetzt werden, um die Köpfe und Sinne nur ja nicht zu früh zur Besinnung kommen zu lassen. Immer drauf los! immer zu! Hurrah!« –

»Hast Du noch Geld?«

[278] »Ja –aber altes Haus; Du schluckst fürchterlich. Wo bleibt denn das Maaß, das ich in Deine Kehle schütte? Na, wir wollen jetzt nicht rechnen. Kind, ich hoffe Dir bald eine Anweisung auf eine königliche Casse auszustellen.« Er schob ihm ein Päckchen Banknoten hin, und wendete sich dann der Thüre zu, um den Eintretenden zu begrüßen. Es war ein nicht mehr ganz junger Mann, dessen sorgsam gepflegter schwarzer Bart, gute Kleidung, und die dunkeln feurigen Augen den Ausländer von guter Herkunft bekundeten.

Weld stand auf. »Guten Morgen, Capitain Wilszersky!«

»Polen frei!« entgegnete der Ankommende in gebrochenem Deutsch. »Es lebe der König von Preußen!«

Weld lachte: »Sie irren, mein Herr. Wir haben Sie frei gemacht. Gehen Sie zurück in Ihr Vaterland, und sagen Sie, das tapfre deutsche Volk hat Polen gerettet.«

Der Pole erwiederte hierauf Nichts. Nach einer Pause wiederholte er den kurzen Ausruf: »Polen frei!«

»Stoßen Sie an! Trinken Sie auf Polens Freiheit!« rief Weld und hielt seinem Gaste das Glas [279] hin. Der Pole nahm es, zögerte, richtete einen Blick auf den, der ihm den Trinkspruch vorsprach, und setzte dann das Glas wieder hin, ohne den Wein zu berühren.

»Sie wollen nicht?« fragte Weld gereizt.

»Nein!« sagte der Pole – »nicht mit Ihnen!« Er verließ den Keller, indem er vor sich hin sprach: »Polen frei! Es lebe der König von Preußen.«

Die Zurückbleibenden sahen ihm höhnend nach. »Der Einfältige!« rief Weld. »Der König hätte nicht daran gedacht, diese Vagabunden frei zu geben, ohne unsern Muth.«

»Und ihr Geld,« setzte der Gefährte hinzu. »Wirst Du mir glauben, wenn ich Dir sage, daß diese Polen seltsame Naturen sind? Sie machen die ritterlichen Helden, und lassen uns die schwere, grobe Arbeit. So auch die Franzosen. Spielen sie nicht jetzt schon die großen Herren? Alles sollen wir von ihnen haben – Ideen, Geld, Tapferkeit – was bleibt uns übrig?«

»Die guten Früchte,« ergänzte Weld; – »laß sie prahlen. Sie ziehen fort, wir ernten. Und man muß ihnen die Gerechtigkeit lassen – gute Einfälle haben sie. Gesteh es selbst, wäre wohl Einer von uns auf die Idee der ›zwei zufälligen Schüsse‹ [280] gefallen? Die haben die Entscheidung herbeigeführt. Der König erschien – gewährte Alles, was diese lächerlichen Weißbierphilister und Patrioten, die nicht weiter sehen, als wie ihre Nasenspitze reicht – nur irgend wünschten. Die Sache war demnach abgethan, der Staat gerettet, auf lange Zeiten hin gesichert und wir – konnten mit leeren Händen abziehen. Wo blieben nun unsere hübschen Barrikaden, die wir schon am Morgen zu bauen angefangen? Alles umsonst – die Revolution und der Umsturz wie mit einem Handschlag abgewendet! Die Stadt und der Staat voll Jubel! Der König geliebter und verehrter als je! – Siehst Du, so weit war es schon – da – die Schüsse! und nun das Geschrei: Das Militär hat geschossen! Auf wehrlose Bürger geschossen! Verrath! Der König meint es nicht ehrlich! Er will uns alle morden lassen! Mit diesem Gebrüll zogen nun die Unsern durch die Gassen, und stöberten und rüttelten selbst die schläfrigste Weißbierseele auf. Alles griff zu den Waffen, und Keiner sagte sich in ruhiger Ueberlegung: Aber welcher Unsinn! Wenn der König uns verrathen will, wozu denn vorher das Versprechen geben? Ein Kind hätte die Frage beantworten können, ein Kind hätte sagen können: Bleibt ruhig! Untersucht – wartet ab! hört [281] erst, wer euch in die Unruhe treibt! – Aber nein! mitgerannt, mitgeholfen an unsern Barrikaden – nach Blut gelechzt – und nun mußte Alles so kommen, wie es gekommen ist! – Siehst Du – diese zwei Schüsse – diese verdanken wir unsern Gästen. Es war ein Einfall, der schon in Paris Glück gemacht hatte.«

»Aber wir verbesserten den Einfall,« bemerkte selbstzufrieden der Genosse. »Wir gaben diesen Schüssen ein Ziel.«

Weld neigte zweifelnd den Kopf. »Ich weiß nicht,« sagte er, »ob dies gerade eine Verbesserung war. So wie es gekommen, ist's ohne Zweifel am Besten für uns. Glaub mir – so wie ich die Sache übersehe – wir sind vortrefflich situirt. Wir haben jetzt Niemand als den Bürger vor uns, und mit dem werden wir fertig werden.«

»Er ist jetzt bewaffnet.«

»Freilich – wir werden ihn für uns in's Feuer schicken. Er soll der Affe sein, der uns die Kastanien aus der glühenden Asche holt. Die Nationalgarde in Paris spielt ganz dieselbe Rolle. Dort werden die ›Unsern‹ auch noch mit ihren eigentlichen Absichten hervortreten. Um die Republik ist es den guten Jungen unserer Farbe dort eben so wenig [282] zu thun, als uns hier um die Begründung der constitutionellen Monarchie.«

»Es mag wahr sein!« entgegnete der Gefährte schläfrig. »Doch hab' ich für heute genug Politik getrieben. Ich nehme mein Geld und gehe. Leb' wohl.«

»Schlaf, alte Seele, und träum' vom Brutus und Cäsar.«

»Ich werde von meiner kleinen Sophie träumen, deren Mirabeau ich bin.« Die Genossen trennten sich.

In dieser Nacht war Molé abgereist, nachdem er an Neuwardt einen Brief abgegeben, dessen Inhalt, wie der Franzose dabei bemerkte, auf das Schicksal des jungen Robert Phare bezüglich war. Aber Neuwardt wußte seit einigen Tagen nichts von Robert; er ließ Erkundigungen nach ihm anstellen, allein, begreiflicherweise in einer so unruhigen Zeit fruchteten diese nichts. Das ihm übergebene Schreiben hatte als Einlage einen Brief an einen Hauptmann von Händel, der im Jahre 1820 noch in Berlin gewohnt, sich aber später entfernt, und dessen Wohnort Neuwardt jetzt ebenfalls nicht anzugeben wußte. Im Fall dieser Hauptmann nicht aufzufinden sei, bat das anonyme Schreiben Neuwardt, die [283] Einlage zu erbrechen, und die Angelegenheit als ihn selbst gewendet zu betrachten.

Die Feder widerstrebt unserm Willen, wenn wir daran gehen, die fernern Ereignisse dieses neunzehnten März zu schildern. Es gehört dahin die Schautragung der an den Barrikaden Gefallenen. Nirgends hat die Brutalität einer rohen, entsittlichten Masse sich öffentlicher kund gegeben, als bei dieser ekelhaften und empörenden Demonstration, die sich der Berliner Pöbel zu machen erlaubte. Mit Abscheu wendet sich der Blick von einer so tief gesunkenen, so moralisch gleichsam zernichteten Bevölkerung, aus deren Schooße ein so scheußliches Attentat auf jedes nur irgend menschliche Gefühl, auf jede nur irgend sittliche Regung in der Menschenbrust, hervorgehen konnte. Man packte die Leichen auf sogenannte Möbelwagen, zum Transport der Hausgeräthe beim Umzuge aus einer Wohnung in die andere bestimmt, und führte diesen blutigen Haufen in's Schloß, packte dort die einzelnen Körper ab, streifte die Bekleidung nieder, und ließ dem Blick jede Wunde offen. Der König, der so eben durch einen Act beispielloser Hingebung und unkluger Großmuth, sich jeder Bewachung seines eigenen Hauses begeben hatte, der auch selbst das kleine Corps Sol [284]daten, das flehentlich gebeten, zum unmittelbaren Schutz seiner Person bleiben zu dürfen, hatte wegziehen lassen, der König mußte sich hergeben, eine Rolle in diesem schmutzigen, an die Metzeleien roher Horden, an die Triumphe entmenschter Kannibalen erinnernden Schauspiel zu übernehmen. Es füllt das Herz mit Entsetzen, daß solche Momente überhaupt möglich sind. Man sah den König erscheinen, und während diese Leichengruppen an ihm vorübergetragen wurden, nöthigte ihn ein tausendfacher Pöbelschrei das Haupt zu entblößen. Er that es. Diese scheußliche Masse, nachdem sie so ihr Müthchen gekühlt, zog ab. Mit welchen Gefühlen der König in seine Gemächer zurückkehrte, wie es in der Brust derjenigen kochte und tobte, die ihm treu anhingen und ihm folgten – wer vermöchte das zu schildern! Es war eben geschehen – was nie hätte geschehen sollen. Für die Bürger, die von dem Momente an, wo der letzte Soldat die Stadt verließ, als eine heilige Pflicht übernommen hatten, den König zu schützen, für die Bürger Berlins ist es eine ewige, untilgbare Schmach, daß sie den König mißhandeln ließen, und nicht einen Schritt thaten, den ekelhaften Zug, als er sich dem Schlosse näherte, zurückzuhalten. Allein man muß bedenken, welche Aufregung, [285] welch' ein Tumult in der Stadt herrschte, und dies diente den Bürgern, unter denen der größten Zahl nach der König und das königliche Haus ohne Zweifel sehr treue Anhänger besitzt, zur Entschuldigung.

Der zweite Auftritt dieses unheilvollen Tages war der Ritt des Königs, den er gegen die Mittagsstunde unternahm, und wo er zum erstenmal die Farbenzeichen kund gab, an denen sich später eine unabsehbare Reihenfolge von Ereignissen verwirrtester und unbehaglichster Art knüpfte. Er erschien auf dem Opernhausplatze, wo die eilig zusammengetretene neue Bürgerwache die Besatzung bildete, und hier riefen ihn einige Stimmen – unwürdig und in einem lächerlichen Pathos – zum Kaiser von Deutschland aus. Der König trug eine Binde mit den drei Farben um den Arm. Ihm zur Seite, und wider seinen Willen sich ihm anschließend, ritten in bunter Zahl durch einander eben befreite Gefangene, und rasch sich zu Volksführern emancipirende Leute aus dem niedern Gewerb- und Handwerksstande. Der König sprach an einzelnen Plätzen wenige Worte, die Niemand recht hören konnte. Der Zug war unter unglücklichen Auspicien unternommen, und hatte keine nur irgend günstige Wirkung zur Folge. In [286]dessen erfuhr die Hauptstadt durch ein neues königliches Manifest, von denen an diesem Tage drei, schnell nach einander, erschienen, daß der König beabsichtige, sich an die Spitze der Bewegung in Deutschland zu stellen, und daß unter seiner unmittelbaren Einwirkung ein einiges Deutschland zu Stande kommen werde. Diese Verheißung lenkte den Blick von dem eignen Heerde, den eben Irrthum und Verbrechen vielfach verletzt und verunreinigt hatten, in's Weite und Entfernte. Von neuem nahm der Jubel Platz, und am Abend war die Hauptstadt illuminirt. Ach, für den wahren Vaterlandsfreund gab's keine Freude. Alles, was er liebte und ehrte – war für den Augenblick in den Staub getreten; die frechste Willkür hatte da ihr Reich aufschlagen dürfen, wo der Preuße von echtem Korn gerade die Heiligthümer seiner Kraft und Gesinnung aufbewahrt wußte. Es gab Männer mit grauem Haar, Männer, die in Schlachten nicht gewankt, und die jetzt Thränen, wie ein Kind, vergossen, wenn sie bedachten, welcher Schmach ihr König ausgesetzt gewesen, welcher Schmach er vielleicht noch fürder würde ausgesetzt sein. Sie machten weite Umwege, um an dem königlichen Schlosse nicht vorbeizugehen. Und dazu kam das laute Triumphiren des Pöbels, die Flucht [287] der begüterten und vornehmen Classe, und die schnelle Veränderung, die die Physiognomie der Hauptstadt annahm. Eben noch eine Stadt voll Sicherheit und Glanz, glich sie jetzt an ihren belebtesten Plätzen einer verödeten Stätte, die sich nur gegen die späten Abendstunden belebte, wo ein wilder Haufe Mordbrenner und Diebe, unter Absingung schmutziger Lieder und halb unverständlicher republikanischer Phrasen, sie durchzog. Man mußte zu kleinlichen Mitteln greifen, um die Wohnungen der Prinzen und einiger hohen Beamten zu schützen, und dessen ungeachtet verfielen ein paar der letzteren der Plünderung. Jede Beaufsichtigung, jeder polizeiliche Schutz war aufgehoben.

Welch ein Acker, um für einen Weld und seine Genossen Früchte zu tragen! Berlin, von einem grausamen, unerbittlichen Feinde eingenommen, hätte kein so trostloses, kein so widriges Bild gewährt, als dies Berlin, von der Hefe seiner eigenen Bevölkerung demolirt.

Die wahren Freunde des Vaterlandes, die echten Reformatoren der veralteten Staatsformen, die redlichen Männer, die sehnlichst eine neue Zeit herbeigewünscht hatten, zogen sich mit Scham und Zorn zurück, da man ihnen zumuthete, mit einer solchen [288] Rotte gemeinsames Spiel zu machen. Unter diesen tiefgebeugten und erschütterten Patrioten war auch Neuwardt. Er war unablässig thätig, und seine Freunde unterstützten ihn. So kam denn auch eine Bürgerwehr zu Stande, die dem anarchischen Treiben zuerst bändigend, und diesem teuflischen Pöbel imponirend entgegentrat. Unter Neuwardt's Mitwirkung wurden die ersten Schutzmaßregeln für die gleichsam aufgegebene Stadt getroffen, und er war der Gründer eines Clubs, der sich die Aufgabe setzte, mit den Verbrechern des 18. März laut und öffentlich zu brechen, und die Tugenden des echten Bürgers, in Treue ergeben seinem angestammten Könige, als die Norm aufzustellen, nach der jetzt gehandelt werden müsse, um nicht allein die Stadt, nein die ganze Monarchie zu retten. Um ihn herum schaarten sich in Eile Gleichgesinnte, und aus den Provinzen selbst strömten die Männer herbei, denen Ehre und Muth den Busen hob, echte, wahre Preußen – würdige Nachkommen der Geschlechter, die in Kampf und Noth dem Vaterlande stets redlich beigestanden, und diese Männer hoben das Reichspanier wieder auf, das in Blut und Schmutz gefallen war. Wir würden hier die Namen von ein paar Männern nennen können, die die Ministerwürde annahmen, nicht um [289] in eitlem Glanz sich mit Orden und Auszeichnungen zu schmücken, sondern lediglich, um in der Stunde, wo Schmach und Gefahr ihrer wartete, ihren Mann zu stehen; allein diese Namen kennt die Nation, und wird sie nicht vergessen. Wir schreiben keine Kritik der Politik dieser Tage, wir haben es nur mit einer einfachen Erzählung zu thun, deren Faden wir jetzt wieder in die Hand nehmen.


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