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21.
Der Republikaner.


Leider scheiterten alle Hoffnungen Helenens, die Starrheit und den Trotz ihres Bruders zu besiegen. Er hatte ihr geantwortet, daß er das Geld der Alten von sich weise, wenn mit dessen Annahme ein Zwang, den seine Ansichten und Gesinnungen erdulden sollten, verbunden sei. Er wolle arm bleiben – aber seiner Ueberzeugung getreu.

Den Tag darauf, nachdem er diese Antwort ertheilt, ließ er sich bei Herrn v. Ruborn melden. Er hatte sich, wie wir wissen, vorgenommen, diesem Manne, den er haßte, die Wahrheit zu sagen und ihm dabei zur Pflicht zu machen, die Heirath rückgängig zu machen.

Ruborn war seinerseits begierig geworden, den jungen Mann kennen zu lernen, von dem er so manches, was ihm nicht mißfiel, gehört. Er wußte, [270] daß er den Hauptführer und Hauptsprecher eines Clubs starrköpfiger Republikaner vor sich hatte, aber er wußte auch durch einige Mittheilungen, die ihm gemacht worden, daß gerade diese Vereinigung junger Männer sich immer fern gehalten hatte von den Pöbel-Demokraten und Straßen-Philosophen; daß sie sich bei keiner der lächerlichen und verbrecherischen Demonstrationen, die die Hauptstadt in den Sommer- und Herbstmonaten des vergangenen Jahres beunruhigten, betheiligt hatte. Dagegen aber vermuthete man, daß von ihr die bissigsten und feindseligsten Correspondenzen und Plakate ausgegangen, die das Gift der Umsturzpartei in die entferntesten Provinzen zu tragen beflissen waren. Die Gerichte waren auf diese Männer aufmerksam geworden, und vielfältig verzweigte Verbindungen hatte man bereits ausgeforscht und kam immer neuen auf die Spur.

Herr von Ruborn wußte dies.

Er hatte keine Sympathie für die Richtung dieser Leute; allein als ein Mann von Muth und Energie, gefielen ihm diese Eigenschaften, auch wo er sie bei seinem Feinde fand.

Im Begriff, sich der Unterredung mit dem jungen Manne hinzugeben, ging er durch das Zimmer, in welchem seine Tochter und ihre junge Freundin [271] beisammensaßen, in Gesellschaft des kleinen Kommerzienraths, der ihnen Stadtneuigkeiten mittheilte.

»O, Herr von Ruborn, bitte!« rief Clementine, »eilen Sie doch nicht. Bleiben Sie ein wenig bei uns. Herr Ephraim phantasirt eben wieder so artig. Er hat uns soeben Geschichten aufgebunden – Geschichten, wunderbare!«

»Ich binde Niemandem etwas auf,« entgegnete der scherzhafte kleine Jude. »Die Natur hat mir schon so viel aufgebunden, daß ich aus Mitgefühl meine Mitmenschen verschone.«

»Da thun Sie ganz Recht,« rief das hübsche Mädchen. »Schonung zu üben ist heutzutage Modesache. Wir bitten für unsere Demokraten, die uns die Häuser über dem Kopf angezündet haben. Es läuft ein gewisses Briefmädchen täglich nach Potsdam, wie man mich versichert, um Sr. Majestät, unserem allzuhuldvollen Monarchen, Gesuche um Freigebung irgend eines recht rothhaarigen Vagabunden aufzudrängen. Das ist denn hübsch, das ist rührend! Manche treue Soldaten verspritzen ihr Blut für die Ordnung und für die Gerechtigkeit – wir aber, wir laufen nach Potsdam und bitten diese ›edlen Plünderer‹ los, die sich dann weidlich über uns in's Fäustchen lachen. Ja, Herr Kommerzienrath, Schonung [272] zu üben gehört nicht zum Anzug, so wie violettes Band zu einem Kleide von Rosa-Mousselin.«

»Haltet mich nicht auf,« sagte Herr v. Ruborn lächelnd. »Ich gehe einem Republicaner Rede stehen, dem jungen Hermes.«

»Ah, da möchte ich lauschen!« rief Clementine. »Das ist der Mensch, der das viele Geld ausschlägt, um nur nichts mit uns zu thun zu haben? Das ist interessant.« –

»Gar nicht interessant!« rief der Kommerzienrath. »Er wird nur noch mehr Geld haben wollen, um ein Geschäft zu machen. Daran wird's liegen.«

»Pfui! das war wieder einmal ganz als Mauschel geurtheilt!« rief Clementine. »Kommerzienräthchen – Ihr seid doch immer und bleibt doch immer« –

»Das Volk Gottes!« fiel der Gescholtene rasch der Sprechenden in's Wort.

Im Nebenzimmer wurden Tritte laut, und Ruborn entfernte sich dort hin. Clementine machte den Zurückbleibenden ein Zeichen, und schlich leise heran, um zu lauschen. –

Der junge Kaufmann machte eine kalte Verbeugung, die Herr v. Ruborn ebenso erwiederte. Man setzte sich. Hermes brachte das Gespräch sogleich auf die beabsichtigte Verbindung und fragte, wie Herr [273] v. Ruborn darüber dächte. Dieser erwiederte ihm, daß er anfangs sehr gegen die beabsichtigte Heirath gewesen, daß ihn aber ein sehr ernstliches Gespräch mit dem Sohne, das in den letzten Tagen vorgekommen, anderen Sinnes gemacht.

»Wie – und Sie wollen also, blos weil es Ihnen jetzt so beliebt, eine Familie unglücklich machen, indem Sie ihr einen Genossen aufzwingen, den sie nicht will?« rief Hermes etwas rasch.

»Aufzwingen?« wiederholte Ruborn kalt. »Wer spricht davon. Es ist die freie Wahl der jungen Dame und man hat mir gesagt, daß ihr Vater einwilligt.«

»Ihr Vater? Ja; der willigt ein, auch wohl die Mutter, und meine Brüder haben wenig Urtheil und Stimme in dieser Sache. Aber ich – ich willige nicht ein.«

»Das thut mir leid, allein juristisch genommen, kann der Protest eines Bruders« –

»O, Sie haben Recht,« rief der junge Mann heftig – »juristisch genommen; da gilt ein Protest nicht, soll auch nicht gelten; allein moralisch genommen. Wir bekennen uns zu Gesinnungen, zu Grundsätzen. – Diese Gesinnungen und Grundsätze [274] haben bereits meinen Vater aus dem Lande getrieben und werden auch mich vertreiben.«

»Das ist Ihre Sache.«

»Sehr wohl, allein wenn es meine Sache ist, so soll die Schwester nicht in den Händen unserer Feinde zurückbleiben.«

»In den Händen Ihrer Feinde? Wie versteh' ich das? Sind wir persönliche Feinde? Hab' ich, hat mein Sohn, Sie, Herr Hermes, irgendwie beleidigt? Wir kannten uns ja bis jetzt gar nicht.«

»Es giebt Beleidigungen, die nicht von Personen, sondern von Zuständen ausgehen,« bemerkte der junge Kaufmann scharf.

»Zustände ändern sich,« warf Ruborn hin. »Wir haben ein republicanisches Berlin gesehen, wir werden nächstens ein absolutistisches Berlin sehen.«

»O, was das betrifft, da können Sie Recht haben. Berlin ist nicht mein Maaßstab. Ich weiß, wie man hier wechselt. Wie gesagt, ich wand're aus.«

»Das ist leicht gesagt.«

»Ja, aber auch leicht gethan; wenn man so wie ich mit sich im Klaren ist.«

»Sind Sie mit sich im Klaren? Die Jugend ist das selten.«

[275] »Das Alter, so wie wir es sehen, noch weniger. Das thörichte Alter heutzutage leistet der thörichten Jugend Vorschub. Beide arbeiten sich in die Hand. Kindisches Alter, alte Jugend. Alles faul, alles morsch.«

»Nicht Alles.«

»Und was nicht?«

»Das Herz in der wahren, ächten Männerbrust.«

Der junge Mann blickte auf, und sein großes, dunkles Auge traf mit einiger Befriedigung in das Auge seines Gegenüber. »Da haben Sie Recht,« sagte er leise; »ein solches Herz ist noch nicht morsch.«

»Und solche Herzen haben wir nöthig.«

»Gott gebe, daß wir sie finden.«

»Wir haben sie gefunden. Ich nenne Ihnen die tausend Herzen, die um unseren braven Herrn schlagen, die die Treue und den Gehorsam in einer Zeit aufrecht erhalten, wo alle Welt feig und selbstisch jedes Band der gesellschaftlichen Ordnung zu lösen beabsichtigt.«

»Sie dienen einem falschen Gesetz der Ordnung, einem hohlen Begriff der Treue.«

»Aber sie dienen nicht der Selbstsucht,« rief Ruborn, »und das ist schon viel in unserer Zeit.«

»Ja, das ist schon viel! Sie haben Recht.« –

»Also irgendwo doch Halt und Stand! Mit der [276] Zeit wird an dieser kräftigen Eiche, an der Treue unseres Heeres, sich eine andere Eiche anschließen, und so zuletzt ein fester, gesicherter Baumgang entstehen.«

»Mit diesen Staatsprinzipien unmöglich. Die Völker müssen an die Spitze, die Autokraten müssen verschwinden.«

»Die Autokraten, ja! Allein deren gibt's auch längst nicht mehr. Die Despotie kann nur entstehen, wenn die öffentliche Meinung sie begünstigt. Unsere Fürsten sind durch die öffentliche Meinung mehr in Schranken gehalten, als durch alle Kammern und Institutionen der Welt.«

»Die Kammern und Institutionen sind aber der Ausspruch der öffentlichen Meinung.«

»Allerdings; allein nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, nimmt die öffentliche Meinung diesen ihren Ausspruch zurück.«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Durch die Tagesgeschichte Preußens. Wir sind Schritt für Schritt von einer unmöglichen Freiheit zu einer möglichen übergegangen. Das Land hat schwer darunter leiden müssen; allein bei kostbaren Erfahrungen muß man die Kosten nicht scheuen. Jetzt gehen wir daran das Facit der Rechnung zu ziehen.«

»Wer wird dabei sein?«

[277] »Die redlichen Demokraten ebenso wie die redlichen Royalisten.«

»Die Republikaner gewiß nicht.«

» Die haben wir auch nicht zum Beitritt aufgefordert. Leute, die den Mond hinunterziehen wollen, haben mit denen nichts gemein, die nur das Erreichbare verlangen.«

»Nennen Sie das ›den Mond herabziehen wollen,‹ wenn man für Preußen die Republik beansprucht?«

»Ja, das nenn' ich so.« –

»Ist denn Preußen ewig an eine Fürstendynastie gebunden?

»Ewig? nein; denn wer mag sagen, wie künftige Zeiten sich gestalten; allein für lange, lange Jahre ist Preußen nicht allein an eine, sondern an seine Fürstendynastie gebunden, gebunden durch die heiligsten Bande, welche Völker an Fürsten binden. Diese Bande hat die Geschichte gewebt und die Geschichte hat sie geknüpft. Wehe der Hand, die solche Bande zu lockern strebt, ehe Gottes Hand selbst sie lös't.«

»Aber es könnte ja sein, daß Gottes Hand sie jetzt zu lösen beabsichtigte.«

»Die Zeichen sprechen das Gegentheil. Das monarchische Preußen, das loyale Preußen, das legitimistische Preußen ist siegreich aus dem Kampfe [278] hervorgegangen; obgleich man alles Mögliche angewendet hat, es unterliegen zu machen. Das ist ein Beweis, daß die monarchischen Elemente tief im Volk und in dessen edelsten Institutionen wurzeln. In Frankreich ist's anders. Ein für alle Disciplin, sie mag kommen woher sie will, blasirtes Volk wechselt jährlich, ja stündlich mit seinen Regierungsformen, um zuletzt der krassesten Despotie anheimzufallen. Die Treue und der angestammte Glaube kann allein einer Natur die edle Festigkeit bewahren, die die Völker groß macht. Preußen ist darin noch frisch und unblasirt.«

»Aber Preußen hat doch schon lange nach einer Constitution verlangt!«

»Es verlangte nach einer Constitution, und verstand darunter eigentlich nichts anders, als Abstellung der Mißbräuche.«

»Gut, wenn Sie es so nennen wollen.«

»So nenne ich die Mängel, die sich durch die Zeit in jede Regierungsform, in die monarchische nicht weniger, einschleichen. Aber nie hat das Volk fremde Regierungsformen verlangt, nie eine Verfassung nach diesem oder jenem Zuschnitt.«

»Weil man diese fremden Formen nicht recht aufgefaßt und angewendet hat.«

[279] »Nein, sondern weil es eben fremde Formen sind. Weshalb denn sonst der Widerwille, der sich überall ausspricht neue Kammern zu wählen? Weshalb der Unmuth gegen die aus der National-Versammlung hervorgegangenen Gesetze, namentlich das Jagdgesetz und die Habeas-Corpus-Akte? Alles das ist unvolksthümlich – und darum will es das Volk nicht. Es hat zu den modernen Gesetzgebern, die mit seinem Könige in beständigem Zwist liegen, kein Vertrauen. Auf diesem Wege bringen wir keine Verfassung zu stande.«

»Und auf welchem denn?«

»Auf dem Wege, der jedem Staate, als einem eigenthümlichen und organischen Ganzen, als Entwicklungsweg vorgezeichnet ist. Preußen fußt auf monarchischen Institutionen. Die dürfen auf keine Weise angetastet werden. Der König sei und bleibe unumschränkt, so allein hat und kann er das Heer für sich haben. Jede Brechung oder Biegung der königlichen Gewalt ist auch Brechung und Biegung des Heers, und Preußen ist ein durchaus militärischer Staat, eben weil er ein durchaus monarchischer ist. Durch den König und das Heer muß und kann das Land von Grund aus reorganisirt werden, und ist der Boden mit dem scharfen Pfluge des [280] Schwertes durchpflügt, so kann die edle Saat der sittlichen und staatlichen Entwickelung nach jeder Richtung hin ihre Wurzel fassen.«

»Also der rohen Soldateska geben Sie das Entscheidungsurtheil?«

»Nicht der rohen Soldateska« entgegnete Ruborn ruhig. »Eine solche giebt's in Preußen nicht. Ich verstehe auch unter dem Heer nicht allein die im activen Dienste gerade befindliche, sondern die große Zahl der Bevölkerung, die an den geschichtlichen Institutionen des Staats festhält, die in jeder Beziehung den Glauben und die Treue wahrt. Dies ist das Heer des Königs. Dieser gutgesinnten Bevölkerung gehört die Zukunft. Wir haben gesehen wie der Lehrerstand, wie der Beamtenstand, wie die Juristen wankend gemacht worden sind, aber wir haben nicht gesehen, daß das Heer wankend gemacht worden. An diese feste Masse schließt sich Alles, was auch fest und treu sein will. So ist es denn eben nicht zu viel gesagt, wenn wir es aussprechen, daß Preußens Heer Preußen gerettet hat. Und dieses Heer ist ein Volksheer, ein Volksinstitut, das recht eigentlich im Boden des Volks wurzelt. Somit ist das Volk – das Heer! Das Volk hat Preußen gerettet.«

[281] »Alsdann beschließe der König, und lasse durch sein Heer die Beschlüsse ausführen! Wozu da noch eine Constitution?« rief Hermes.

»Freilich, wozu da noch eine Constitution! Für's Erste sind wir auch so weit gekommen, diese Wahrheit einzusehen. Zuerst Ruhe, Ordnung, Gesetz – dann Weiteraufbau.«

»Aber vielleicht unterbleibt der Weiteraufbau auch ganz?«

»Unmöglich. Eine große und stets auf dem Wege des Fortschritts begriffene Nation unterläßt den Weiterfortbau wahrlich nicht. Hat nicht Preußen unter Friedrich dem Großen fortgebaut, hat's nicht unter Friedrich Wilhelm III. durch Scharnhorst's und Gneisenau's Heerorganisationen fortgebaut? Und das alles ohne Constitution. Ob wir das, was unser jetziger Fortbau heißen wird, Constitution, oder Zweikammersystem, oder Volksvertretung nennen, das kann uns gleich sein, kurz fortbauen werden wir. Es ist schon ein ungeheurer Fortbau der Neuzeit, daß sich die Nation so einstimmig für ihr Königshaus ausgesprochen hat. Tausend und aber tausend Stimmen haben gerufen: Nur auf diesem Wege geht's vorwärts. Ein Staat, der da weiß, was er will, ist stark!« –

[282] »Ich höre diese offene und freie Sprache zum erstenmal,« sagte der junge Mann mit Bewegung. »Man hat mir immer nur von der schwärzesten Seite die bestehenden Verhältnisse gezeigt.«

»Ich will nicht Proselyten machen,« sagte Herr von Ruborn rasch, »bleiben Sie bei Ihrem Glauben. Sie sind nicht ausübender Staatsmann, Ihnen ist nicht das Wohl und Weh von Tausenden vertraut, Sie können in rosenrothen Idealen schwärmen. Wir müssen Brod schaffen. Gesicherten, ehrlichen Erwerb! Wir müssen das Praktische und Wirkliche scharf im Auge behalten. Bleiben Sie bei Ihren Idealen.« –

»Unfruchtbare Ideale sind die Kost des Narren,« sagte Hermes stolz.

»Besser als die Waffe des Schurken,« entgegnete Ruborn.

»Ich habe nie wissentlich Unrecht gesprochen und geübt!«

»Um so weniger passen die Maaßregeln auf Sie, die man anderswo anwendet. Mit den Schurken und Bösewichtern werden wir schon fertig werden. Wir sind die Stärkern. Aber die ehrlichen Schwärmer, die Fanatiker für einen Schatten, die bekämpfe, wer da kann. Man muß sie eben gehen lassen.«

»Ich gehe auch.«

[283] »Das haben Sie nicht nöthig, denn ich werde Sie halten.«

» Sie, Herr v. Ruborn? Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz einfach, junger Mann. Sie sind mir als einer der gefährlichsten Arbeiter der Umsturzpartei bezeichnet, es ist bereits die Beschlagnahme Ihrer Person beantragt worden. Ich habe mich aber eben überzeugt, daß Sie ungefährlich sind.«

»Ungefährlich?«

»Ja, denn ich hab' Sie als offenen, braven, ehrlichen Mann, aber als Schwärmer kennen gelernt, und solche fürchten wir nie, und verfolgen sie nie. Sie haben Ihre Gesinnung oder was Sie Gesinnung nennen, ich die meinige; daß auf Ihre Frage der Staat keine Antwort giebt, ist nicht Ihr Fehler; Sie fragen wenigstens ehrlich. Und dann, offen gestanden, hat's mich gefreut, in einer Zeit, wo sehr Viele käuflich sind, Jemand zu finden, der um eine Summe Geldes nicht von seiner Ueberzeugung weicht. Hier haben Sie meine Hand, wir scheiden als Freunde. Thun Sie nun, was Sie wollen.«

»Da Sie selbst mich für ungefährlich erklärt haben, so bleibe ich.«

»Ja, bleiben Sie, und sehen Sie sich vor, daß [284] Sie nicht noch Einer von den Unsern werden. Nehmen Sie sich in Acht; ich warne Sie. Wir meinen es treu und redlich – Sie meinen es treu und redlich; die redlichen Leute verständigen sich unversehens.«.

»Ich kann wenigstens nicht anders, als mir Glück wünschen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Herr v. Ruborn. Aber ich bleibe doch mit Herz und Sinn Republicaner.«

»Bleiben Sie's. Wenn wir uns um hundert Jahre wieder sprechen könnten, wäre ich's vielleicht auch. Bleiben Sie immerhin Republicaner, allein hüten Sie sich, wie bisher, Propaganda zu machen. Wir werden scharf und schlimm auftreten. Die zügellose Rotte, die wir durch unsere Nachsicht groß gezogen, muß gänzlich niedergeworfen werden. Wir geben kein Pardon, und da würde es mir leid thun, wenn bessere Naturen leiden müßten.«

»Sei'n Sie ohne Furcht. Nach dem, was ich heute gehört habe, mache ich keine Propaganda mehr.«

»Ihr Wort darauf.«

»Hier, meine Hand. Ich sehe ein, daß Sie Recht haben, und daß ich getäuscht, fortgerissen worden bin. So hat man mir die Gegenpartei [285] nicht geschildert. Wie viel kommt auf eine einzige Minute der Verständigung an.«

»Freilich; aber wie sehr vermeiden gerade heutzutage beide Parteien die Verständigung.«


Wenige Tage nach dieser Unterredung erhielt Helene ein Schreiben von ihrem Bruder, welches die wenigen Worte enthielt: »Ich habe nichts gegen Deine Verbindung mit Herrn von Ruborn. Auf das Geld verzichte ich.« –

Die Vermählung wurde bis so weit hinausgeschoben, bis Briefe aus Amerika eintrafen, die die freudige Zustimmung des Vaters, die kalte, unfreundliche der Mutter gaben. Der glückliche Verlobte führte seine Braut in das Haus seiner Eltern ein; hier war es vorzüglich die Schwester, die der neuen Verwandten mit Herzlichkeit entgegen kam, und Clementine, die kleine Absolutistin, schloß sich diesem freundlichen Gruße an. »Es ist nur,« sagte sie, »weil mir der Bruder gut gefallen hat.«

»Aber er ist und bleibt ja Republicaner!« rief die Freundin verwundert.

»Schadet nichts. Die Republikaner kann ich mir noch allenfalls gefallen lassen, aber ganz und für [286] immer verhaßt sind mir die Constitutionellen. Hütet Euch, wenn Euch meine Freundschaft lieb ist, einen solchen je über Eure Schwelle zu lassen.«

»Aber wir sind ja Alle Constitutionelle!« riefen Herr von Ruborn, und sein Sohn und Emanuel lachend. Der Vater Clementinens sprach dasselbe aus.

»O lehrt mich nicht, was Ihr seid,« rief sie lebhaft. »Ich kenne Euch. Wir spielen Alle Maskenball, und die Einzige, die in ihrem gewöhnlichen Kleide unter Euch herumschlüpft, bin ich. Darum fallt Ihr auch Alle über mich her, wenn ich nur den Mund aufthue. Aber, schöne Masken, ich werde doch sprechen, und wer das letzte Wort behält, versteht Ihr mich, der hat gesiegt.«


Helene, in ihren neuen Wirkungskreis eingetreten, versuchte überall versöhnende Worte nicht allein, sondern Werke der Liebe einzuführen. »Ich habe ja so sehr viel gelitten durch den politischen Zwist in der Familie,« sagte sie, »wie sollte ich nicht mit allen Kräften dahin arbeiten, überall anderswo dieses schreckliche Uebel fern zu halten.« Die beiden Geheimeräthinnen zu versöhnen, gelang ihr indeß [287] doch nicht. Bei der Aufhebung des Belagerungszustandes gab Frau Blimke ein Fest, und Frau von Reinicke schloß ihre Fensterläden, und zog für diesen Tag auf's Land. Der Handschuhfabrikant hatte die Erlaubniß, Helenen, und ihren Mann zu besuchen, und setzte für das ganze Ruborn'sche Haus Handschuhe ab. Er kam eines Tages, um anzuzeigen, daß Herr Karcher nunmehr zum zweitenmale ausgezogen sei, und jetzt nicht mehr wiederkommen wolle, und zwar weil die Magd zufällig ein Fäßchen mit Butter, wo denn Herr Karcher steif und fest behauptete, daß es Pulver sei, in die Kammer, neben seinem Bette gestellt hatte. Helene empfing auch bald darauf aus einem entfernten Provinzstädtchen die Nachricht, daß ihr alter furchtsamer Freund sich dort niedergelassen habe, und seine Tage in stillster Zurückgezogenheit beschließen wolle.

Herr Kieselack fehlte natürlich bei der Hochzeit nicht. Er wollte sich als fernerer Hausfreund der Familie einführen, allein Clementine und der Kommerzienrath intriguirten so lebhaft gegen diesen gemüthlichen Plan, daß er aufgegeben werden mußte. Herr Kieselack rächte sich dadurch, daß er verbreitete, Clementine stelle dem jungen Herrn Hermes nach, der sie aber nicht haben wolle. Abwechselnd wurde [288] von den Behörden Herr Kieselack für einen Republicaner, für einen Demokraten, für einen Constitutionellen, für einen Reactionären, und endlich auch für einen guten Royalisten gehalten; das Berliner Kind lachte in's Fäustchen; es war zugleich alles und nichts. –

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