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2.
Der Handschuhfabrikant Piersig.


Wer sich einen Begriff davon machen wollte, in welchen elenden Zustand sehr edle Erzeugnisse des menschlichen Kunstfleißes gerathen können, der brauchte nur in den Laden des Herrn Piersig zu treten. Dort fand er Handschuhe, die einst in dem schönsten Rosenroth geblüht hatten, und die jetzt in ein aschgraues, mit grünen Flecken besprenkeltes Zebrafell umgewandelt worden. Dann fand er Handschuhe, die an unheilbaren Schäden litten, und die dennoch von Herrn Piersig in die Cur genommen und geheilt worden; andre, die den Anschein hatten, als wäre ihr Eigenthümer ein Held aus dem dreißigjährigen Kriege gewesen, so verbrannt und scheinbar von Pulver geschwärzt sahen sie aus, und doch waren sie nur von einem friedlichen Schreiber benutzt worden, und hatten Tintenflecke erhalten. Dann gab es aber Handschuhe, [8] die unverbesserlich waren, die immer gelb wurden, während man erwartete, daß sie weiß werden sollten, und dann weiß, wenn sie gelb sein sollten, und deren Narben durch keine Kunst der Nadel verharrschen wollten, sondern immer offen standen. Mit diesen hatte Herr Piersig seine Rechnung abgeschlossen; es waren verlorene Söhne, die nie wieder zu ihren Vätern zurückkamen, und sich für ihre ganze künftige Lebenszeit die schlechte Gesellschaft auf dem Kehrichthaufen zu ihrem Umgange aussuchten.

Herr Piersig und Madame Piersig waren ein Paar, die sich zärtlich liebten. Herr Piersig konnte in Wahrheit sagen, wie es im Anfange des » Vicar of Wakefield« heißt: ich suchte mir eine Frau aus, wie diese sich ihr Brautkleid aussuchte, nämlich ich sah darauf, daß der Stoff dauerhaft und fest sei.– Nun, dauerhaft und fest war Madame Piersig. Sie hatte zwölf Jahre einer Ehe überstanden, die manche Prüfung ihr gebracht hatte. Eine der schwersten war, daß Herr Piersig die Neigung hatte, seinen Hausthürschlüssel regelmäßig zu verlieren, und dann ohne Hausthürschlüssel, und einmal ohne Uhr sich in irgend eine Gosse zu betten, wo möglich in eine, von seinem Hause recht weit entfernte. Frau Piersig stellte darum manchmal Abendspaziergänge an, wie sie sagte, um [9] frische Luft zu schöpfen, eigentlich aber, um mit Hülfe eines gefälligen Hausfreundes Herrn Piersig aus seiner kühlen, unfreiwillig gewählten Bettstätte zu befreien, und ihn nach Hause zu führen. Dort behandelte sie ihn, wie Herr Piersig seine unheilvollen Handschuhe behandelte, das heißt, sie klopfte, und trocknete, und walkte und glättete an ihm herum, stellte ihn dann an die Luft und machte wieder einen ziemlich anständigen Handschuh aus ihm. Ehe Herr Piersig diese Neigung hatte, seiner Frau Prüfungen zu bereiten, war er ein Mann, der einen hübschen Thaler Geld in der Tasche hatte, und sich einen frommen, ernsthaften und würdevollen Gang angewöhnt hatte; so daß Madame damals zu einer Freundin gesagt hatte: »Wenn es irgend einen Sterblichen giebt, der mich schwach sehen könnte, so wäre es dieser!« – Als die Ehe zu Stande kam, blieb sie lange Zeit ohne Früchte; endlich kam ein Sprosse, den sehr Viele auf der Nachbarschaft gar nicht für ein ordentliches, wirkliches Kind ansehen wollten. Dieses Söhnchen wuchs nicht, blieb dünn und schattenhaft bis auf den Kopf, der für sich allein wuchs und sehr groß wurde; es sprach nicht, schlummerte immerfort, und verbreitete im ganzen Hause einen sonderbaren Geruch, wie ein altes Buch in Lederband. Frau Piersig betrachtete [10] dieses Kind ebenfalls als eine Prüfung, und setzte es häufig an die frische Luft. Wenn der Vater sich über die, an dem vorigen Tage eingelieferten und aufgestapelten Handschuhe hermachte, und die Mutter die Wirtschaft besorgte, so saß »der Kanter« auf dem Tische mit gekreuzten Beinen am offenen Fenster, und drehte ein altes Zeitungsblatt durch die magern Finger, indem er zugleich, wenn eine Art von Bewußtsein in ihm aufdämmerte, die Vorübergehenden mit einem albernen Lächeln beglückte.

Vor langen Jahren hatte Herr Piersig eine große »Fabrik neuer Handschuhe« geführt, und die elegantesten Herren hatten sich ihren Vorrath in dem schönen Laden geholt, aber das war wie gesagt schon geraume Zeit her. Frau Piersig hatte einen Traum gehabt, in welchem ihr ein Genius erschienen war, der aus der Friedrichsstraße kam, und in die Kanonirstraße einbog, und dabei mit dem Lilienstabe, den er in der Hand hielt, auf ein Haus gezeigt hatte; und wie Frau Piersig dieses Haus näher in's Auge gefaßt, hatte sie bemerkt, daß es ein Schild von zwölf Fuß Höhe und sechzehn Fuß Breite an der Stirne trug, und daß auf diesem Schilde stand: »Neueste Pariser Handschuhfabrik von Joseph Piersig«. Und von diesem Schilde war ein Glanz ausgegangen, [11] der, wie das schönste Gaslicht, die ganze Friedrichsstraße und den Genius beleuchtet hatte. Diesen Traum erzählte sie nun Herrn Piersig, und Beide waren der festen Ueberzeugung, daß ihr ehemaliger Wohlstand sich in Kurzem erneuern werde. Um dem prophetischen Traume so viel wie möglich unter die Arme zu greifen, und ihm zu helfen, wahr zu werden, betrieb Frau Piersig noch allerlei kleine Nebengeschäfte. So hatte sie einen geheimnißvollen Verkehr mit vornehmen Damen, die da kamen und gingen, ohne daß Herr Piersig oder Jemand Anders in der Nachbarschaft den eigentlichen Grund erfuhr. Es geschah dies in allem Anstand und in aller Ehrbarkeit. Frau Piersig hätte sich um alle Schätze der Welt nicht zu einem leichtfertigen Handel, er mochte nun Namen führen, welchen er wollte, hergeben mögen. Allein in einer großen Stadt giebt es so mancherlei Dienste, die man seinem Nächsten leisten kann, und wofür dieser Nächste, wenn er nur irgend Gefühl für Dankbarkeit und Anerkennung fremder Mühen hat, sich ohne Zweifel erkenntlich beweisen wird.

So hatte denn die arme Frau, die von einer »Handschuhfabrikantin« zu einer simpeln Handschuhwäscherin, wo von der Fabrik nichts als noch der Titel auf dem kleinen verblaßten Schilde geblieben [12] war, herabgesunken war, auch die Bekanntschaft der beiden Damen unsres Kapitels gemacht. Natürlich, ohne daß die Eine von der Andern wußte; denn Madame Piersig richtete es so schlau ein, daß sie sich nie einander trafen, und wenn die Preußische kam, so war Herr Piersig, Frau Piersig, der Kanter, das ganze Zimmer ganz andre Wesen und Geschöpfe als wenn die Deutsche kam. Auf diese Art von Schmeichelkünsten verstand sich die Frau vortrefflich.

Heute erwartete die Familie die »Preußische,« und Frau Piersig benutzte ihren Sprößling zu einer Art politischen Aushängeschilde, indem sie ihn zum Träger einer großartigen Demonstration machte. Weil dies unglückliche Wesen am Fenster saß, einen ungeheuern Kopf hatte, und eine dem entsprechende Mütze, und schon von fern jedem Vorübergehenden bemerkbar wurde, so erhielt es auf seine Mütze bald eine preußische, bald eine deutsche Kokarde angesteckt. Madame Piersig wußte sehr geschickt die Metamorphose zu veranstalten. Die Geheimeräthin von Reinicke verfehlte nicht, diese Aufmerksamkeit zu vergelten, in dem sie dem Kinde eine Düte mit Zuckerwerk schon durch das Fenster reichte.

»O, meine Gnädigste,« rief Frau Piersig auf [13] der Schwelle ihrer Wohnung, und in einem weißen Kleide, mit einem schwarz und weiß gewürfelten Tüchelchen um den Hals, die Eintretende bewillkommnend, »Sie verwöhnen den Knaben. Ganz sicherlich, Sie verwöhnen ihn. Er fragt die ganze Woche über nach Ihnen.« –

»Es ist schon gut,« sagte Frau von Reinicke, indem sie Platz auf dem Sopha nahm, und einen mißvergnügten Blick auf Herrn Piersig gleiten ließ.

»Mein Lieber,« hub Frau Piersig an, »es wird nun Zeit sein daß Du gehst und Dich nach den neuangekommenen Fellen erkundigst. Grüße den Herrn Kürschner von mir.«

Herr Piersig ließ seine Handschuhe im Stich, und entfernte sich.

Frau Piersig nahm die Neue Preußische Zeitung in die Hand. »Es steht wieder so ein herrliches Gedicht darin,« rief sie, »auf den König und auf die Truppen. Und dann wieder herrliche kleine Geschichten, was die Abgeordneten von der Linken gethan haben. O, ich sage oft zu meinem Mann: diese Zeitung fort, und ich lebe nicht mehr.« –

»Das ist mir lieb zu hören,« sagte die Wittwe. »Ich würde nicht zu Ihnen kommen, wenn ich nicht wüßte, daß Sie diese Zeitung hätten. Aber bei alle [14] dem führt mich ein besonderer Zweck heute hierher.« –

»Ah!« rief die Piersig, wie von Erstaunen und Freude zugleich erfaßt.

»Ja, ein besonderer Zweck,« wiederholte die Dame.

»Vielleicht wollen die Frau Geheimeräthin die neuen Kragen besitzen mit der Stickerei, die den Namenszug des Prinzen und der Prinzessin von Preußen enthält.«

»Nein« – entgegnete die Dame, »es ist etwas Anderes.«

»Oder Sie befehlen die kleinen schwarz und weißen Spitzenhäubchen?«

»Auch das nicht, – es ist etwas weit Wichtigeres.« –

»So weiß ich in der That nicht« –

»Ich will es Ihnen sagen; doch vorher möchte ich erfahren, wer noch in Ihrem Hause wohnt? – Ich meine in der obern Etage, mit den Fenstern nach der Straße? Ich habe, wie ich kam, dort den Kopf eines Herrn herausblicken sehen. Ist dies ein frivoler Mann, ein Mensch ohne Herz und ohne Grundsätze?«

»Ach, meine theure Gnädige, von diesem Herrn läßt sich nicht viel sagen.«

[15] »Ist er ein Wühler?«

»O, er denkt nicht daran.«

»Ein fremder Emissär?«

»Gott, wer ihm das in's Gesicht sagte, brächte ihn um.«

»Nun was ist er denn?«

»Der unschuldigste Mensch von der Welt, Frau Geheimeräthin. Ein wahres Kind, obgleich er nahe an die funfzig, oder vielleicht schon darüber sein muß. Einen so friedfertigen Menschen haben Sie noch gar nicht gesehen. Wir nennen ihn nur den furchtsamen Herrn.«

»Aber die furchtsamen Herren können manchmal auch sehr gefährlich sein.«

»Dieser gewiß nicht, Frau Geheimeräthin. O der ist seelenvergnügt, wenn man ihn in Frieden läßt. Gott, was hat er gelitten in unsern unruhigen Tagen! Meinem bittersten Feinde wünsche ich solche Wochen und Tage nicht. Seine Nächte waren voll Generalmarsch und seine Tage voll Emeute. Dazu hatten sie den Armen gezwungen, bei der Bürgerwehr einzutreten. Er stand bei der einundzwanzigsten Compagnie.«

»Er ist also arm?«

»Nein, Frau Geheimeräthin. Ich nannte ihn [16] nur figürlich so. Er hat als alter Junggeselle sein gutes Auskommen. Aber dennoch – o ich muß lachen.«

»Nun, was denn?«

»Bei dem guten Auskommen fällt es mir ein: Er ist schon in das Schuldgefängniß gebracht worden, und erst seit kurzer Zeit wieder frei.«

»Also ist es wenigstens ein schlechter Witz?«

»Keine ordentlichere Seele giebt es, Frau Geheimeräthin. Aber wissen Sie, wie das Militär wieder einmarschirte, und alle Welt glaubte, nun würde es großartig losgehen, da stieg des armen Wurms Angst auf einen solchen Grad, daß er eines schönen Morgens zu meinem Mann in den Laden trat, und ihn bat – himmelhoch bat – ihn Schulden halber gefangen setzen zu lassen. Er wollte alles selbst besorgen beim Justizkommissar und dem Gerichte, nur sollte es wo möglich noch in der kürzesten Zeit geschehen.«

»War er Ihrem Manne denn große Summen schuldig?«

»Bewahre. Nur für die Wäsche von ein paar Handschuhen, etwa einen halben Thaler. Er ist die Ordnung und Redlichkeit selbst und Niemandem etwas schuldig. Aber mein Mann mußte aussagen, daß [17] er ihm schuldig sei, und mußte geschwind klagen und alles mußte rasch gehen, so daß wirklich unser guter Herr kurze Zeit darauf in das Schuldgefängniß wanderte – seelenvergnügt, sag ich Ihnen – seelenvergnügt. Nun bin ich sicher! rief er mir zu – die Gefangenen befreien werden Sie doch nicht, denn das wäre zu schändlich! – Und gehörig bewacht werde ich auch.«

»Das will ein Mann sein!« rief die Geheimeräthin empört. »Aber freilich zum Bürgerwehrmann war er gut genug.«

»Aus dem Gefängniß schrieb er mir, ich möchte sogleich sein Gewehr, es war nur eine magre, kleine schadhafte Flinte, denn man wußte doch, daß er nicht schießen würde, ausliefern, und zwar gab er mir den Rath, das Gewehr so künstlich in Kleidungsstücke zu hüllen, daß man es, wenn ich es geschickt auf den Arm nehme, für mein Kind hielte. Denn es sei Gefahr mit der Ablieferung verbunden, und die Leute, die dem Befehle nachkämen, würden auf der Straße insultirt. Es war dies allerdings wahr, allein ich hatte doch den Muth, die kleine, krankhafte Flinte ganz offen wegzutragen. Wenn ich daraus ein Kind gemacht, so hätten die Leute gefragt, wo hat die Frau das Kind her, da alle Welt weiß, daß [18] ich nur das eine liebe Söhnchen, meinen Wasserkopf habe. Ich hätte all meinem Rufe geschadet.«

»Sie haben ganz recht gethan,« sagte die Geheimeräthin. »Wenn die Männer feig werden, so müssen die Frauen tapfer sein. Also Sie glauben, daß der Mann kein Mädchen-Jäger ist?«

»Keine Art Jäger, Gnädigste. Er ist froh, wenn er nicht gejagt wird.«

»Und sonst wohnt Niemand im Hause?«

»Die übrigen Zimmer stehen leer.«

»So will ich denn mit meinem Anliegen herausrücken.«


[19]


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