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5.
Das Berliner Kind.


Unter den naturgeschichtlichen Klassen der gebildeten europäischen Raçen nimmt »das Berliner Kind« eine sehr scharf ausgeprägte Stelle ein. In keiner andern großen Stadt kommt grade eine Erscheinung dieser Art zu Stande. Die preußische Monarchie und die Stadt Berlin haben ihre Entwickelungsgeschichte, darum kümmert sich jedoch das Berliner Kind nicht, es geht seinen eignen Weg. Preußen war anfangs klein, dann wuchs es, dann hatte es seine glänzende Periode, auf diese folgte die Zeit der Demüthigung. – Das Berliner Kind weiß von dem allen nichts, es ist immer dasselbe geblieben, niemals gedemüthigt, immer im Glanz. Auch ist es nicht gewachsen, weder an Kräften noch an Ruhm, sondern es ist vom Anbeginn seiner Tage gleich so vollendet dagewesen, und hat später nichts [41] angenommen, was es wieder abzulegen hätte aufgefordert werden können. So emanzipirt von der Geschichte des Landes, findet sich nirgends ein Geschöpf einer großen Hauptstadt. Dabei muß man nicht denken, daß das Berliner Kind sich bei den Geschicken, die das Land und die Stadt treffen, denen es angehört, nicht betheiligt; es steht aber über diesen Geschicken, und leidet niemals durch sie. Es hat alles vorausgesehen, Glück wie Unglück, es hat vor undenklichen Zeiten schon seine Stimme abgegeben, und seinen Rath ertheilt, man hat aber beiden kein Gehör geschenkt.

Man muß nicht glauben, daß das Berliner Kind den niedern Schichten der städtischen Bevölkerung angehört, nein es gehört fast ausschließlich zu den obern. Der Vater ist sicherlich Geheimerath, oder der Chef eines Departements, die Mutter ist die Tochter eines Großhändlers, oder sie ist von Adel, jedenfalls hat sie einen großen, überallhin verbreiteten Anhang, und zwar lebt dieser Anhang schon seit langen, langen Zeiten in Berlin. Damit aber auch kein Kennzeichen des Berliner Ursprungs fehle, so zählt die Familie zwei oder drei Jüdinnen unter ihren weiblichen Vorfahren. Im Ganzen aber ist man christlich. Das Berliner Kind ist [42] aufgewachsen, indem es sogleich ein grenzenloses Uebergewicht über seine Eltern, seine sogenannten Erzieher und seine Verwandten fühlte. Lehren, die man ihm giebt, weis't es mit Hohn zurück. Von seinen Mitschülern duldet es Püffe, denn es fehlt ihm an Muth und Stärke diese zu erwiedern. Schon früh fühlt das Berliner Kind, daß es, wo es mit der Zunge nicht siegen kann, nie siegen werde. Diese Ueberzeugung macht es fügsam gegen physische Kraft. Es setzt ihr einen gewissen Indifferentismus entgegen, eine gewisse gute Laune, die für den Augenblick rettet. So wie sich die Kraft zurückgezogen hat, so geht es ihr kläffend nach, es wirft einen ganzen Strom kleiner boshafter Angriffe, und höhnender Stichelworte ihr nach. Kommt die gereizte physische Kraft wieder hervor, so hat es nichts gesagt.

Das Berliner Kind ist über alle Maaßen neugierig und vergnügungssüchtig. Man sieht es unermüdlich in der Hitze und im Staube irgend einer kleinen Lustbarkeit nachlaufen, um dann, wann es sie gesehen und gehört hat, sagen zu können, daß sie nichts werth sei. Es ist das undankbarste Geschöpf auf der Welt. Stets bereit zu Tadel und Hohn. Innerhalb Berlin mißfällt ihm Alles, aber außerhalb Berlin mißfällt ihm Alles, was nicht aus [43] Berlin kommt. Außerhalb Berlin ist es der Berliner, das heißt die Quintessenz alles Wissens, aller guten Lebensart, alles Glanzes. Wenn es nicht laut und öffentlich räsonniren darf, so räsonnirt es innerlich. Es sieht sich aber alles gewissenhaft an, und versäumt nicht das Kleinste. Denn alles gesehen zu haben ist sein Stolz.

Wenn das Berliner Kind auch beileibe nicht Gefahren aufsucht, so läßt es sich doch nicht von ihnen überwinden, wenn es sich einmal in ihnen befindet. Es hat eine merkwürdige Geschicklichkeit den Kopf immer oben zu halten. Es glaubt selbst fest an seine unverwüstliche Natur. Es hat eine große Abneigung Schmerz und Unbehagen zu empfinden, aber kommen einmal beide, ohne daß es dieselben abhalten kann, über ihn, so weiß auch Keiner sie so gut zu ertragen als das Berliner Kind. Es hilft sich allenfalls durch ein paar gute oder schlechte Witze.

Das Berliner Kind hat keinerlei Pietät in seinem Herzen. Durch Gefühl und Empfindung ist ihm nicht beizukommen, es ist eine durchweg kühle und egoistische Kreatur. Es liebt weder seine Eltern mit jener Liebe, die einen Theil des Herzens in ewigen Liebesopfern wegzehrt, noch liebt es seine Frau und [44] seine Kinder auf diese eben bezeichnete angreifende Weise; aber es ist nie ganz stumpf und gleichgültig gegen sie, und behauptet immer einen gewissen äußern Anstand. Die Pietät für seinen Fürsten kennt es auch nicht, nämlich jenes Gefühl ächter Treue, das so ziemlich ohne Ausnahme die Provinzen beseelt, es ist der Hauptstädter, und muß wissen hierin, wie in allen andern Dingen, wie weit es zu gehen hat. Es ist ihm nichts verhaßter, als sich vor irgend einer Autorität beugen zu müssen; wenn es das thun muß, so verfehlt es nie dem, dem es Angesichts eine Verbeugung macht, hinterrücks den Esel zu bohren. Selbst seinem Vater macht es das nicht anders, wenn dieser ihm imponiren will. Und dennoch sucht es alles Mächtige und Imponirende auf. Es wäre unglücklich, wenn es nichts mehr hätte, was über ihm stände, es wäre in Verzweiflung wenn ihm Niemand mehr zu befehlen hätte. Es würde sich in diesem Falle den niedrigsten Polizeioffizianten aufsuchen, um sich von ihm befehlen zu lassen – nur um das Vergnügen zu haben, dagegen zu knurren. Für öffentliche Auszeichnungen, für Orden und Gnadenbezeugungen der Fürsten ist es unbeschreiblich empfänglich, darum ist Berlin der ungeeignetste Ort, um große, republicanische Charaktere und Tugenden [45] zu erzeugen. Es ist eine Stadt, die wegen ihres Leichtsinnes und ihrer lasciven Frivolität ewig der absolutesten Monarchie anheim fallen wird. So wie das Berliner Kind keinen persönlichen Muth hat, so hat ihn auch die ganze Stadt nicht, aber die Provinzen bergen in ihrem Innern jene nationale Moralität, ohne die kein Staat auf die Länge wachsen und bestehen kann. Darum, obgleich Berlin durch den Mund scheinbar herrscht, herrschen die Provinzen tatsächlich durch das Herz.

Was die Religion betrifft, so hat das Berliner Kind keine. Die großen, heiligen Schrecken der Religion sind für dasselbe nicht da. Es hat Witzspiele, komische Einfälle, im weitesten Falle Maximen und moralische Sprüche, die bei ihm die Stelle jenes mystischen Tiefsinnes ersetzen, dem einige Völker huldigen. Darum hat die Kirche, als äußeres Zwangsmittel auf den Berliner nie eine Macht geübt, und wird nie eine üben. Das Berliner Kind ist Materialist; es glaubt an keine Zukunft, und will leben und genießen. Wenn ganz Europa an einem großen schauerlichen Aschermittwoch aller Völker in Sack und Asche ginge, der Berliner würde sich dem Zuge anschließen, aber seinen Paletot und seine gelben Glacéhandschuhe anbehalten. [46] Diejenigen Philosophen, die eine große Geheimlehre predigten, sind auch nie in Berlin verstanden worden, aber die Apostel der Diderot-Voltaire'schen Schule, die modernen Skeptiker jeder Richtung sind mit Jauchzen aufgenommen worden.

Was das Aeußere betrifft, so vermeidet das Berliner Kind alles Auffällige. Es ist der elegante junge, oder alte Mann der neuen Zeit. Jede geschmacklose Abnormität der Mode verschmäht es. Es überläßt es den Straßenläufern und geringern Stutzern sich auf diese Weise bemerkbar zu machen. Es kleidet sich fein, in dunkle Farben, und sorgt für eine höchst saubre Wäsche. Wenn es einen Wagen hat, so hat es einen guten, bequemen, keinen auffälligen; besitzt es ein Landhaus, so zeigt dieses keine schlechtgearbeitete Statuetten, und verunglückte Versuche zu Springbrunnen, und hängenden Gärten, sondern ist einfach und wohnlich. Den lästigen Schmuck überläßt es den reichen, jüdischen, geadelten Banquiers, die sich lächerlich machen, und noch dafür bezahlen. In der Sprache merkt man ihm nicht den Berliner an, und wenn man das Berliner Kind in dem lächerlichen Berliner Patois, wie er in den Possen im Königstädter Theater gesprochen wird, wollte auftreten lassen, würde man dem Portrait, [47] das man zu malen beabsichtigt, jede Aehnlichkeit nehmen. Die charakteristischen Kennzeichen des Berliner Kindes sind ganz wo anders zu suchen, als in dem Aeußern, obgleich auch das Aeußere für ein sehr scharf blickendes Auge den Mann verräth, wenn man ihn unter einer Masse Ausländer sieht.

Von den königlichen Prinzen bis zu dem letzten Straßenjungen huldigt Berlin dem Witze, den Bonmots. Das Berliner Kind hat also keinen größern Genuß, nächst dem, selbst einen guten Witz gemacht zu haben, einen zu hören. Es versteht den Witz, es kostet ihn, wie der Schmecker die Auster, es wirft ihn auf der geistigen Zunge gleichsam hin und her, um jedem Nervchen der Empfindung sein Theil werden zu lassen, und zuletzt schluckt es den Witz hinunter, und hat noch Tage lang nachher eine angenehme Empfindung. Darum reiset kein Lichtstrahl, kein Schall, so schnell als ein guter Witz durch die Straßen von Berlin reiset. Er ist sogleich und überall da. Ueberall wo man hinkommt, hat man ihn schon gehört. Hat der Staat Kopfweh, oder soll ihm ein Bein amputirt werden, ist irgend ein großes, schreckliches Unglück vorhanden, vor welchem die Provinzen scheu zusammenkriechen, der Berliner lacht und witzelt. Das ist's, wodurch er [48] alles bei den Provinzen wieder verdirbt, was er durch seinen großen Mund gut gemacht. »Es ist eben kein Verlaß auf Berlin« sagen die ehrlichen Provinzen. Das Berliner Kind liebt daher auch ganz außerordentlich den Scandal, gleichviel den Familienscandal oder den Staatsscandal. Es entwickelt bei diesen Gelegenheiten eine Unsumme von schadenfrohen und höhnenden Gefühlen. Da die Witze, die es macht, immer boshaft sind, und nie gutmüthig, so ist ihm der geheimste und gehässigste Scandal am liebsten, weil es dort die meiste Ausbeute für diesen Witz findet, der von der Gemeinheit seine Farbe, und von dem Geiste seine tödtende Schärfe borgt. Der Berliner negirende Witz ist sprüchwörtlich. Jedesmal wenn das Berliner Kind, durch irgend einen Umstand verführt, oder gleichsam übertölpelt, wirklich einmal dem wahrhaft Großen und Schönen Bewunderung und Hingebung gezollt, so straft es sich eine Stunde später, indem es über sich selbst Witze macht. Darum findet die wahre Schönheit, die ächte Größe ihre bleibende Stätte nicht in Berlin, weil das Volk nicht den Muth hat in seiner Anerkennung zu beharren. Der Enthusiasmus dauert eine Minute, der Spott dauert aber ein Jahr. Der eine Kuß ist werthlos, weil auf ihn [49] gleich drei Backenschläge folgen. Dennoch fühlt das Berliner Kind das brennende Bedürfniß immer, daß etwas Großes und Schönes in seine Stadt komme.

Dieser Charakteristik wollen wir noch einige Maximen und Geheimsprüche zufügen, die wir in dem Gedenkbuche des Berliner Kindes finden:

Was Du nicht willst, daß man Dir thu',
Das füge kecklich Andern zu.

Geschmeidigkeit hilft durch das Land;
Ein Tölpel will quer durch die Wand.

Mit Anstand steh von fern,
Wenn zu Dir sprechen große Herr'n.
Hinter ihrem Rücken
Wird sie zu persifliren Dir glücken.

Glaub Niemand, glaub Dir selber nicht:
Der Mensch ist nicht bei sich, wenn er verspricht.

Weich' keinen Fingerbreit von Gottes Wegen ab;
(sondern gleich eine Handbreit, wenn sich's ungestraft thun läßt.)

Stolz mußt Du sein, das ist Dein Beruf;
Denn als sein Meisterstück Gott den Berliner schuf.

Was je die Welt gewußt, und gethan,
Das sieht der Berliner höhnend an.
Hätt' man durch ihn es lassen geschehn,
Da hätt' die Welt erst das Große gesehn.

[50]

Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebest auf Erden! –
(allein wenn Du vorziehst nicht so sehr lang zu leben, was seine Unbequemlichkeiten hat, so kannst Du schon Deinem lieben Erzeuger hier und da einen kleinen Schabernack spielen, oder ihm eine kleine Wermuthpille eingeben.)

Nichts Besseres auf der Welt,
Als Frechheit, die sich stets oben erhält.

Wir schließen dieses Capitel, indem wir bemerken, daß Herr Kieselack ein solches Berliner Kind ist.


[51]


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