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11.
Die Freunde auf der Wanderschaft.


Alle Andern hatten sich entfernt, nur der Bruder und die Schwester waren zurückgeblieben. Der Erstere griff nach seinem Hut. »Wohin?« fragte Therese. »Du wolltest ja den Abend bei uns bleiben.«

»Vergieb, wenn ich mein Versprechen nicht halte. Emanuel erwartet mich in einem bekannten Kaffeehause. Wir sind auf eine neue Spur gerathen, die jetzt endlich auf einmal gewisse Hoffnung giebt.«

Die Schwester neigte mit mißbilligender Miene das Haupt. »Laß es den Vater und die Mutter nicht wissen, daß Du so beharrlich in dem bist, was sie Dir untersagt haben. Ich glaubte gewiß zu sein, daß Du jeden Gedanken an das Mädchen aufgegeben.«

[127] »Wenn Du mich irgend kanntest, so durftest Du das nicht annehmen. Ich habe ihr Wort, sie das meinige. Wir gehören für alle Ewigkeit zu einander. Wie läßt sich nur der ferne Schatten einer Erwartung fassen, daß das je sich anders gestalten werde. Wenn man sie auch in den Schooß der Erde vor mir verberge, ich würde sie doch zu finden wissen.«

»Ich hoffte, die Politik würde Dich ganz beschäftigen.«

»Alles, und so auch die Politik bringt mich auf meine Liebe zurück,« entgegnete der junge Mann schwermüthig. »Hat diese unselige Politik mich nicht von ihr getrennt? Ich soll sie nicht lieben, nicht besitzen, nicht etwa deshalb, weil sie Schwächen und Fehler hat, weil man etwa ihrem Rufe oder ihrem Charakter etwas nachsagen kann, nein man findet sie untadelhaft, wie ich sie finde, aber ich soll sie dennoch nicht haben, lediglich weil ihr Vater, ihre Verwandtschaft und vielleicht sie selbst über die Tagesfragen der Politik anders denken, wie man hier im Hause denkt. Ist eine tollere, verrücktere Zeit jemals gesehen worden?« –

»Romeo und Juliette wurden auch durch die Politik geschieden,« sagte Therese lächelnd.

»O ich bitte Dich, vergleiche doch nicht unsere [128] Zeit mit jener hochpoetischen!« rief Robert zurück. »Aber allerdings – wenn ich's genau betrachte, – einige Aehnlichkeit haben die beiden Zeitzustände doch mit einander. Aber halt mich nun nicht länger auf. Leb wohl, und sag den Eltern mit keiner Sylbe, wohin ich gegangen. Ich bin elend und unglücklich genug, ich will Euch die Macht nehmen, mich beides noch mehr zu machen.«

Er fand den Freund dort, wo er ihn zu finden erwarten konnte. »Meine Nachrichten,« sagte Emanuel, »haben als Quelle die Mittheilungen eines frühern Kolporteurs im Hause des Kaufmann Hermes.« Dies war der Name von Helenens Vater. – »Er ist jetzt Zeitungsherumträger und versichert auf das bestimmteste die Tochter seines früheren Prinzipals in der Wohnung einer Geheimeräthin gesehen zu haben, und dieses Haus hat er mir genau beschrieben, so daß wir nicht fehlen können.«

»Der Name dieser Frau? sagte Robert.

»Den hab' ich vergessen, und sogar das Blättchen aus meinem Taschenbuche verloren, worauf er stand,« entgegnete Emanuel. »Allein gleichviel; es wird in dem Hause doch eben nur eine Geheimeräthin sein, und die ist dann die Gesuchte.«

[129] »Allein unter welchem Vorwand führen wir uns bei ihr ein?«

»Das wird sich alles finden. Komm nur. Es ist jetzt die Zeit, wo die alten Damen Kaffee trinken, und unsere Geheimeräthin wird keine Ausnahme von der Regel machen.«

Die Freunde gingen.

Das Haus war bald gefunden und der Vorplatz erreicht. Hier zeigten sich nun die beiden Thüren, rechts und links.

»Teufel! zwei Geheimeräthinnen!« schrie Emanuel überlaut. » Das stimmt nicht mit meiner Rechnung. Das ist ein Spiel der Hölle! Das ist, wie Wallenstein sagt, gegen alle Ordnung des Himmels und der Erde.«

»An dieser Thür befindet sich der Name, von Reinicke,« sagte Robert. »Sollte die es sein? besinnst Du dich nicht auf den Namen?«

»Reinicke?« wiederholte Emanuel, und legte die Spitze seines Stockes an die Nasenspitze. »Ein ›ke‹ war allerdings am Ende des Namens. Aber hier steht Blimke – es scheint mir noch besser zu passen! Wenn die Weibsbilder nur nicht beide Geheimeräthinnen wären.«

»Die meinige ist Offizierswittwe,« hub Robert [130] kleinlaut an; »wenn Du das vielleicht brauchen kannst?«

»Nein, bleibe mir mit Deiner Wittwe vom Leibe. Ich weiß nichts als den Titel meiner Dame. Allein mir fällt ein Mittel ein. Laß uns eine Art Gottesurtheil zu Rathe ziehen: wir wollen beide Klingelschnüre zugleich in Bewegung setzen. Welche der Damen zuerst erscheint, bei der gehen wir vor.«

Die Klingelschnüre wurden zu gleicher Zeit angezogen.

Die Thüren öffneten sich, und schlossen sich sogleich wieder mit donnerndem Schall. Die beiden Feindinnen hatten sich gegenseitig erblickt.

»Ah – famos!« rief Emanuel. »Sie kamen, sahen und – verschwanden!«

Nochmaliges Klingeln.

Jetzt kamen zwei Kammermädchen, unter dem Kleide der Einen guckte hier die schwarze Nase eines Hundes, dort die grünen Augen einer Katze hervor. Der Hund murrte, die Katze zischte und schrie. –

»Wohnt hier die Frau Geheimeräthin?«

»Ja, sie wohnt hier« – riefen beide Kammerkätzchen, die eine mit einer schwarz-weißen, die andere mit einer schwarz-roth-gelben Schürze.

»Ja, aber welche? Ihr Götter, ihr prüft [131] schwer!« rief der junge Dichter außer sich. »Wo ist die Kaffeegesellschaft?«

»Nun haben auch beide Kaffeegesellschaften, und zwar zu derselben Stunde!« klagte der Fragende. »Was ist zu thun? Wollen wir dem hübschen Kammermädchen folgen.« Sie traten jetzt bei der Frau Geheimeräthin Blimke ein.

Ein Kreis von Damen, um einen runden Tisch herum, verneigte sich zum Gruße. Die Frau des Hauses stand noch, von ihrem ersten Ausfluge heimgekehrt, nahe an der Thür des Vorzimmers. Sie zeigte ein ernstes, strenges Gesicht, denn sie sann nach über das gleichzeitige Inbewegungsetzen der beiden Klingeln. Zum Glück erkannte Emanuel in ihr eine frühere Bekannte und hatte sie und ihren Mann, als dieser einst eine Erholungsreise in's Gebirge machte, bei seinen Eltern bewirthet, aber zerstreut und vergeßlicher Natur, wie er war, hatte er den Namen und die Personen, die ihn trugen, längst vergessen. Jetzt war der Vorwand gefunden; man kam, um eine alte, theure Bekanntschaft zu erneuern. Die Geheimeräthin fand dies von dem jungen Manne sehr artig und nahm auch seinen Freund wohlwollend auf. Die Damen strickten sämmtlich an groben, graufarbigen Strümpfen. Auf dem Tisch lag ein [132] Bogen Papier und neben dem Kaffeegeräth stand ein Tintenfaß und ein Päckchen Zeitungsblätter waren zur Seite desselben angehäuft. Eine große, magre Dame, mit einer gerötheten Nasenspitze saß vor dem Bogen Papier und dem Tintenfasse. Sie war die einzige, die nicht strickte. Es herrschte eben eine lebhafte Debatte, als die neuen Ankömmlinge erschienen. Die Dame legte ihre Feder nieder und durchblickte, unzufrieden über die Störung, einige Zeitungsblätter.

»Da die Herren mich kennen, und meine Richtung,« hub die Wirthin an, »so ist kein Grund vorhanden, weshalb wir uns vor ihnen verschleiern sollten. Liebste Emerentia, fahren Sie nur fort, uns Ihre Ansichten und Entwürfe mitzutheilen.«

»Ich weiß doch nicht« stammelte die Dame, »es betrifft die eigenthümlichsten Verhandlungen des Bundes!«

»Auf meine Verantwortung,« sagte die Wirthin – »auf meine Verantwortung, theure Emerentia.«

»Nun denn! Ich bin mit der Fassung unsers Aufrufs nicht ganz zufrieden. Wir müssen mehr, vielmehr thun als die Württemberg'schen Jungfrauen. Ebendasselbe, oder wenigstens nicht mehr, steht uns nicht an. Einen noch viel gewaltigern Aufschwung muß unser Gefühl nehmen. Ich denke, meine Damen, Sie sind darin mit mir einig. Einen noch viel [133] gewaltigern Aufschwung! Wenn Jene die Höhe des Montblanc erreichen, so müssen wir einen Chimborasso, einen Himalaya überfliegen.«

»Einen Chimborasso! einen Himalaya!« rief der Kreis. »O wie köstlich!« Und die Stricknadeln schwirrten und glitzerten.

»Ich habe gesprochen!« rief Emerentia. »Ist Jemand, der mir eine Gegenrede bietet?«

Allgemeine Stille.

»Dann ist mein schüchterner Antrag zum Beschluß erhoben. Ich sage, mein schüchterner Antrag, denn eine Jungfrau soll immer schüchtern sein. Wenn sie auch Muth wie zwölf Löwinnen hat, sie sei doch immer schüchtern. Ich bin nicht für die Emancipation, meine Damen.«

»Wir sind Alle nicht dafür« – stimmte der Kreis. »Eine celtische Jungfrau ist schüchtern. Sie ist nicht Sarmatin; die Polinnen sind keck, eine Celtinn ist schüchtern. Also, meine Damen, ich bin eine Demokratin, aber zugleich eine Celtinn. Ich bin zugleich schüchtern und muthig; eine Taube nach vom, eine Löwin rückwärts. Blut und Barricaden heute, morgen Milchkaffee und Sahntörtchen! Heute Vitriolspritze und Steinschleuder, morgen gehäkeltes Spitzenhäubchen und Tüllschleier. Ich [134] sage Ihnen das nur, um anzudeuten, wie wunderbar die Weiblichkeit mit der äußersten Männlichkeit in der Seele einer Demokratin von ächtem Wasser abwechselt. Aber nun wieder zu unserem Entwurf. Die Württemberg'schen Jungfrauen haben nämlich publicirt, daß sie alle miteinander nur dem Manne mit Liebe nahen wollten, der die Sache der Volkspartei ergreift, mit andern Worten, der kein Fürstensöldner ist. Das ist erhaben und groß. Mit andern Worten heißt es: Sie wollen ewig sitzen bleiben, wenn kein Demokrat nach ihnen freit. Das ist aber nicht genug für uns. Das Sitzenbleiben kann nicht entscheidend sein. Es bleibt Manche sitzen, und Niemand erfährt, weshalb, und daß sie aus edlem Beweggrund sitzt. Bei uns muß das anders sein. Wir wollen uns den Männern in Liebe nahen, wir wollen selbst den Fürstensöldlingen Liebe zeigen, damit, wenn sie in die Falle gezogen, wir dann eine blutige Rache, – ich sage, eine blutige Rache an ihnen nehmen können.«

Die Vortragende hielt inne und besah sich unwillkürlich die Nägel ihrer langen magern Finger. Ein kleines Frösteln ging durch die Gesellschaft, dann wurden aber desto muthiger und schneller die großen grauen Strümpfe wieder in Arbeit genommen.

[135] »Ja, wir müssen durchaus etwas vor den edlen Württembergerinnen voraushaben. Sie haben schon den glücklichen Gedanken mit dieser prächtigen Veröffentlichung gehabt, wir können nicht ganz dasselbe nachahmen; was würde denn das noch für einen Eindruck machen.«

»Also es soll in die Zeitungen kommen?« fragte eine kleine blondhärige Demokratin.

»Freilich,« entgegnete der »Stolz und die Blume der preußischen Jungfrauen.«

»Alsdann« Hub die kleine blonde Demokratin schüchtern an, »wird sich, fürchte ich, Niemand uns in Liebe nahen, wenn er es schon im Voraus weiß, was wir im Schilde führen« –

»Hm« riefen Einige im Kreise.

Der »Stolz und die Blume« wurde von allen Seiten fragend angesehen.

»Es ist nicht ganz ohne, was unsere kleine Blutrothe,« nahm der »Stolz und die Blume« das Wort – in diesem Augenblick war die kleine schüchterne Demokratin in der That blutroth geworden – »da gesagt hat. Die Männer, diese elenden Fürstenknechte, sie werden sich auch hier, wie überall feige beweisen, und sich lieber gar nicht mit uns einlassen.« –

[136] »Sicher werden sie das nicht thun!« riefen Alle.

»Wir lassen es also lieber nicht in die Zeitungen setzen.«

»Doch! in die Zeitungen muß es kommen! O in die Zeitungen wird es kommen.«

»Theure Emerentia,« hub die Wirthin an. »Könnten wir es nicht in veränderter Fassung zur Oeffentlichkeit bringen, und zwar so, daß die Jungfrauen erklärten, daß sie sich den Männern in Liebe nähern wollten – das heißt allen Männern ohne Unterschied – und dann, das Uebrige, verschweigen wir.«

»Das ginge!« rief die kleine Demokratin.

»Nein, mein kleiner Mirabeau, das geht nicht,« sagte der »Stolz und die Blume« mit einem kleinen wehmüthigen Lächeln. »Wenn wir die Aufforderung so in dieser Fassung publiciren, so lautet sie ja wie eine simple Liebeserklärung, die wir allen Männern machen, und wie würde dadurch unser Ruf leiden. – Nein, theure Geheimeräthin, das können Sie uns, den Jungfrauen durchaus nicht anrathen, viel eher könnten es die Frauen wagen.«

»Wir sehen nicht ein, weshalb wir es wagen sollten,« riefen drei Frauen. »Sollen wir etwa [137] dabei die Katzen sein, die die Kastanien aus dem Feuer holen?«

Die drei Frauen machten empfindliche und entrüstete Mienen, und warfen ihre grauen Strümpfe herum.

Der Club drohte in eine Spaltung zu verfallen. »Niemand soll hier eine Katze sein, und Niemand eine Kastanie« – sagte Emerentia mit Stolz und Sicherheit. Ich wiederholte dabei, daß wir den Aufsatz in seiner ursprünglichen Fassung annehmen. Naht sich uns auch kein Mann in Liebe, was thut's denn weiter? So sind wir die Männer einmal für allemal los. Wir bedürfen ihrer nicht.«

Die kleine blonde Demokratin glühte.

Niemand antwortete. Ein stilles, heimliches Rasseln mit den Stricknadeln.

Robert und Emanuel sahen sich verstohlen an, und unterdrückten ein Lächeln. Der Letztere rief laut: »Meine Damen, lassen Sie nur die Aufforderung ganz so abdrucken, und sein Sie versichert, ein tüchtiger Demokrat von gutem Schrot und Korn wird sich nicht abschrecken lassen. Er weiß ja doch daß für ihn keine Gefahr ist. Ich wenigstens, meinestheils bliebe nicht zurück.«

Eine allgemeine Zustimmung folgte diesen Worten.

[138] Der »Stolz und die Blume« legte den Aufsatz mit großer Siegestrunkenheit bei Seite. Einige andere Gegenstände kamen zur Berathung. Namentlich wurde die Vertheilung von demokratischen Almosen und Ehrengaben berathen.

Emerentia nahm die Liste zur Hand. »Da ist die Wittwe Nickelchen, eine Topfflickerin, sie hat sich als Barricadenkämpferin gemeldet und beansprucht« –

»Das Zuchthaus!« fiel eine kleine, sehr giftig blickende Dame, mit einer großen Hornbrille der Vorleserin in's Wort. »Diese Nickelchen ist eine ausbündige Lügnerin und Täuscherin. Sie hat in meiner Nachbarschaft sechs Kindern die Ohrringe ausgehäkelt, und drei Hunden die Halsbänder abgeschnallt. Ich kenne die Biographie dieses Weibsbildes. Sie hat einen alten Vetter, einen Trunkenbold, der zufällig bei den Barricaden erschossen worden, und deshalb nennt sie sich eine Barricadenkämpferin.«

»So werde ich an ihren Namen ein Kreuz machen,« sagte Emerentia, »und ihr sagen lassen, daß sie uns verdächtig erscheint.«

»Sehr verdächtig!« bemerkte die Dame mit der Hornbrille.

»Dann steht Samuel Piersen da, ein [139] Ehrenmann,« fuhr die Vortragende fort, »der durch die jämmerlichen Ministerien und Belagerungszustände an den Bettelstab gebracht worden.«

»Was ist denn sein eigentliches Geschäft?« fragte die Geheimeräthin.

Die Vortragende konnte das undeutliche Manuscript nicht gut lesen, und sie brachte heraus: »Romanenleser« –

»Was – er liest Romane? und das ist sein Geschäft?« riefen alle Damen, wie mit einer Stimme – »Und dafür beansprucht er Unterstützung?«

»Nein, nein – das ist etwas anders – das Wort ist mit so blasser Tinte geschrieben: ›Kramaufleser!‹ So wird es sein. Das heißt also ›Lumpensammler.‹ Wer kennt denn diesen Mann?«

»Ich,« sagte eine starkleibige Dame. »Es ist ganz richtig, durch den Belagerungszustand ist er heruntergekommen. Im Sommer und Herbst hatte er sein gutes Auskommen. Er klebte demokratische Placate an, und riß Abends dieselben Placate im Auftrage des Preußenverein's wieder ab. So wurde er von beiden Theilen bezahlt, ohne daß Einer von dem Andern wußte. Es ist ein Pfiffikus à la mode. Seine Söhne sind sämmtlich Wühler und eine lahme [140] Schwester hat er, die fliegende Buchhändlerin war. Jetzt ist die Arme freilich wieder zu ihrem frühern Berufe, zu den Zahnstochern zurückgekehrt.« –

»Der Schneider Rodbertus –

»Ja so! Er heißt eigentlich Klimo,« nahm die Wirthin das Wort; »allein er hat den Namen unsers großen Volksmannes angenommen. Ich kann für ihn stehen, er bedarf der Unterstützung. Der Mann hatte das Unglück, lauter reactionäre Kunden zu haben, die zwar reich waren und richtig zahlten, aber deren Geld doch dem ehrlichen Mann in der Tasche brannte. Er hat ihnen allen aufgesagt, und nun wartet er, daß die ›Männer des Volks‹ bei ihm arbeiten lassen. Da das zwar geschieht, aber da Niemand zahlt, sitzt er im Elend, hat seine zwanzig Gesellen wegschicken müssen und verseufzt seine Tage hinter dem öden Arbeitstisch. Er ist gleichsam ein Märtyrer.« –

»Kein Märtyrer, sondern ein Schutzmann,« sagte die kleine giftigblickende Dame. »Ich habe ihn noch gestern an der Ecke einer Straße gesehen.«

»Wenn das ist,« rief der »Stolz und die Blume;« »wenn er zu diesen nichtswürdigen Schergen der Gewalt übergegangen ist – so«

[141] »O, das bedarf noch sehr der Bestätigung,« nahm die Geheimeräthin das Wort.

»Wenn Sie, meine Damen, in meine Worte Zweifel setzen,« sagte die kleine giftige Dame, indem sie wundersam unter und zugleich über ihrer schwarzen Hornbrille hervor sah, »so weiß ich, in wessen Haus ich zum letztenmal gegangen bin.«

Zum zweitenmale drohte dem Club Spaltung.

Die kleine giftige Dame wollte sich erheben, wurde jedoch mit der Anstrengung von sechs Armen auf ihrem Platze zurückgehalten.

Da die Liste einen so aufregenden Inhalt hatte, so wurde sie einstweilen bei Seite gelegt, und man ging auf die eingesendeten Gaben und Geschenke über, die ohne Zweifel erfreulicherer Natur waren.

Vor allen Dingen erhielt die Wirthin ein »wunderschönes kleines Oreillier« mit lauter Barthaaren gepolstert, zu welchem jeder ihrer Lieblinge etwas von seinem Kinnschmuck beigesteuert hatte. Es war dies ein sehr originelles, aber zugleich ungemein gemüthliches Geschenk. Mit Lächeln nahm die Wirthin das kleine feuerfarbene Kissen in Empfang, und versprach, nicht zu dem prosaischen Gebrauch es zu verwenden, zu dem die Bescheidenheit der Geber es bestimmt, sondern es auf ihre Toilette zu legen, um [142] gelegentlich Busennadeln und andere kleine Pretiosen darauf anzuheften.

»Es muß in diesem Jahre die demokratische Wollschur äußerst ergiebig ausgefallen sein,« bemerkte die kleine giftige Dame, »denn ich habe zu meinem Geburtstage ein ähnliches Kissen erhalten.«

Man achtete auf diese Bemerkung nicht.

»In meinem Beutel sind auch von Held Haare darin;« sagte die Sprechende mit Triumph.

Man achtete wiederum nicht darauf. Die Geheimeräthin gab sich innerlich das Wort, die kleine giftige Dame sei eine verkappte Reactionärin, die hieher komme, um den Frieden zu stören. Sie sagte deshalb spitz:

»Dagegen sind in meinem Beutel, wie ich aus dem beigefügten Zettel sehe, Haare von Jung und Vater Karbe, was vielleicht eben so viel sagen will, wenn nicht mehr.«

»Kurz, die Demokratie hat Haare gelassen, und wir sind's, die diese Haare sammeln,« sagte die kleine giftige Dame mit einem Gelächter, das noch viel giftiger klang, als die Dame aussah.

Die Sprechende sank in der Achtung Aller. – Die Dame des Hauses nahm sich vor, von dieser Dame künftig nur zu sprechen, als von einer [143] Person, die sie nur zufällig kennen gelernt, und für die sie sich »keineswegs« verbürge. Die Dame dagegen nahm sich vor, nur »ganz gelegentlich« der Bekanntschaft mit der Geheimeräthin zu erwähnen.

Dem Club drohte zum drittenmal eine Spaltung.

Da kam »der Stolz und die Blume« zu Hülfe. Fräulein Emerentia erklärte, daß sie jetzt auf die, dem Vereine bevorstehenden Festlichkeiten übergehe, und hiermit verkünde, daß, wenn in diesen Tagen der König die Kaiserkrone annehme, wie er ganz ohne Zweifel thun werde, sechs Demokratinnen sich an den Altar begeben würden, um sich mit den Gegenständen ihrer Wahl trauen zu lassen.

Der ganze Kreis wollte die Namen dieser Damen wissen. Mit Lächeln bemerkte Emerentia, sie wüßte sie nicht.

Man warf heimlich die Frage auf, ob wohl Fräulein Emerentia selbst unter der Zahl der sechs demokratischen Bräute sei, und zwei Frauen nickten sich sehr bemerkbar einander zu. »Der Stolz und die Blume« blickte nieder und spielte mit den Zipfeln ihres Halstüchelchens. Eine sehr auffallende Pause entstand.

Niemand sah auf die kleine blonde Demokratin, die mehr als je glühte. Die kleine blonde Demokratin war unter den »sechs.« Es war dies aber [144] ein Geheimniß. Sie hatte sich einen jungen Künstler ausgewählt, der früher Madonnen gemalt hatte, und jetzt Schilder für demokratische Tabackshandlungen malte.

Die kleine blonde Demokratin liebte ihren kleinen blonden Demokraten maaßlos.

»Dann steht uns eine Taufhandlung bevor« – setzte Emerentia ihre Rede fort. »Dem tüchtigen Volksfreunde, dem Käsehändler Katersprung, ist ein Töchterchen geboren, dem er die Namen Uhlicha, Schrammine, Waldeckine, Jungine geben will. Der alte Prediger an der Kirche, bei der er eingepfarrt ist, hat gesagt, er wüßte nicht, was das für confuse Namen wären, und hat sich geweigert, auf diese Namen das Kind zu taufen, allein statt des alten royalistischen Narren hat sich ein junger, volksfreundlicher Prediger gefunden, und die Taufe wird am nächsten Mittwoch vor sich gehen. Sie, meine Damen, sind sämmtlich dazu eingeladen. Wir werden uns im Keller, Jüdenstraße Nro. 74 einfinden.«

»Ich geh' in keinen Keller,« hub die kleine giftige Dame an, »und besonders nicht in diesen. Es duftet häßlich darin nach schlechtem Käse, und man stößt sich den Kopf ein.«

»Aber wir gehen Alle hinein!« riefen [145] sämmtliche Damen. Uns schreckt kein übler Geruch und keine unbequeme Thür. –«

»Darum ist unsere Demokratie, meine Damen, auch frühzeitig in üblen Geruch gekommen,« sagte die kleine giftige Dame mit einer grenzenlosen Unverschämtheit. Bei der Entrüstung, die hierüber entstand, sagte Emerentia mit unbeschreiblicher Hoheit und Milde:

» Wir gehen in den Keller. Die Sache ist abgemacht. Kein Wort weiter.«

Die starkleibige Dame seufzte. Sie hatte es schon einmal versucht, in den Keller hinabzusteigen, um eine volksthümliche Rede darin anzuhören, und war in der engen Thüre stecken geblieben.

Robert gab ungeduldig seinem Freunde ein Zeichen, und dieser wandte sich zu der Geheimeräthin, indem er sie merken ließ, daß er etwas besonders Wichtiges sie zu fragen habe. Die gefällige Dame stand auf, und begab sich mit den beiden jungen Herren an's Fenster.

»Ich brauche Ihnen wohl nur den Namen Helene Hermes zu nennen,« hub Emanuel an, »um Sie sogleich auf den Zweck meines heutigen Besuches zu bringen.«

[146] »Helene Hermes?« wiederholte die Gefragte. »Ich habe wohl flüchtig diesen Namen gehört.«

»Das Mädchen hat bei Ihnen, edle Frau, eine Zufluchtsstätte gefunden.«

»Bei mir? Nein. Wie sollte ich auch – ich kenne sie ja nicht.«

»Sie kennen sie nicht? Sie kennen den Kaufmann Hermes nicht, der ausgewandert ist?«

»Wie gesagt, ich habe von ihm gehört,« sagte die Dame etwas gereizt. »Es ist mir nie in den Sinn gekommen, seine nähere Bekanntschaft zu suchen, und zwar aus dem Grunde, weil er hier mit meiner Nachbarin, der Geheimeräthin von Reinicke verwandt ist.«

»O jetzt besinne ich mich,« rief Emanuel, froh einen Ariadnefaden aus diesem Labyrinthe gefunden zu haben. »Die Geheimeräthin ist ja Ihre Busenfreundin.«

»Meine Busenfreundin!« rief die Dame und riß die Augen weit auf. »Was soll das? – Wohin zielt das? Wie verstehe ich das?«

»Mein Himmel, wie Sie damals meine Eltern besuchten, Gnädigste – sprachen Sie da nicht stets von dieser Dame, und in den wärmsten Ausdrücken?«

» Damals!« sagte Frau Blimke empfindlich. [147] »Sie haben in diesem Worte ›damals‹ Alles ausgesprochen. Seitdem kenne ich diese Frau nicht, und wünschte, ich könnte sagen, ich habe sie nie gekannt.«

Das Gespräch war hiermit zu Ende. Ein Herr war unterdessen eingetreten. Die corpulente Dame näherte sich der Frau vom Hause, und auf den Eintretenden weisend sagte sie:

»Hier, meine Liebe, ist der Herr Kieselack, der schon lange gewünscht hat, hier eingeführt zu werden.«

Die Begrüßungen gingen vor sich. Emanuel und Robert entfernten sich unterdessen, und hatten die Keckheit, grade über den Flur herüber an der feindlichen Klingel zu ziehen. Das Kammermädchen mit der Katze zeigte sich nochmals.


[148]


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