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4.
Die junge Dame zieht ein, und Herr Piersig macht die Honneurs.


Drei Tage, nachdem er angekündigt worden, erschien der neue Gast. Es war ein junges Mädchen, das einen sanften, leidenden Zug im blassen Gesichte hatte, dabei aber, sowohl wegen der Regelmäßigkeit ihrer Züge, als wegen des edlen, feinen Ausdrucks, die Theilnahme rege machte. Sie bezog mit ihren wenigen Habseligkeiten Herrn Piersig's sogenanntes Junggesellenzimmer, ein durch Tabacksrauch verdüstertes Cabinet, in welchem sich Erinnerungen aus dem vorehelichen Zustande des Handschuhfabrikanten befanden; unter andern ein alter Husarensäbel. In der Geschwindigkeit wurde dies Cabinet seines Tabacksdampfes und seiner Erinnerungen entledigt, und in ein jungfräuliches Asyl mit hellen, weißen Vorhängen, mit Blumentöpfen an den Fenstern, und einem kleinen Teppich vor dem [29] Sopha verwandelt. Der Eintritt in dieses Heiligthum wurde jedem Hausgenossen streng untersagt, nur für Frau Piersig öffnete sich die Thür.

Aber Helene, so hieß das junge Mädchen, besaß den richtigen Tact, daß sie sich nicht den Anschein gab, als wollte sie sich von ihren neuen Hausgenossen absondern. Sie erschien vielmehr alle Vormittage in dem »Laden,« der zugleich Arbeitsstube war, und wo sie in der Regel das Ehepaar und auch einen Nachbar und eine Nachbarin beisammen fand.

An einem der ersten Tage war sie in diesem Familienzimmer mit Herrn Piersig und seinem hoffnungsvollen Sohne allein. Der letztere saß, wie immer, mit untergeschlagenen Beinen auf dem Arbeitstische, der dicht an das halbrunde Ladenfenster herangeschoben war. Der Vater bearbeitete seine Handschuhe schweigend, neben dem gleichfalls schweigenden Sohne. Nur das Zwitschern des Hänflings war hörbar, und von Zeit zu Zeit das Pfeifen eines vorüberschlendernden Schusterburschen, oder der Ruf eines Verkäufers auf der Straße.

Als Helene eintrat, sprang Herr Piersig auf, machte ihr eine Verbeugung, und setzte ihr einen [30] Stuhl hin, von dem er ein Bündel alter Rechnungen hinabwarf.

»Ich möchte gern sehen, was Sie hier machen, Herr Piersig,« hub das junge Mädchen freimüthig und sanft an, indem sie sich auf den Stuhl, grade dem Fenster gegenüber, niederließ.

»Ach, mein Fräulein, das ist sehr gütig von Ihnen, das zeigt, daß Sie nicht als eine vornehme Dame bei uns wohnen wollen, sondern daß Sie sich um uns hübsch kümmern wollen.«

»Ich bin auch keine vornehme Dame,« sagte das Mädchen. »Mein Vater war Kaufmann, und zwar eben kein Großhändler.«

»Er war, mein Fräulein, er war? Also lebt der theure Mann nicht mehr, den ich innig verehre, da ich seine so wohlgerathene Tochter vor mir zu sehen die Ehre habe?«

»O, mein Vater lebt, auch meine Mutter lebt!« rief das schöne Mädchen freudig. »Gott wird geben, daß Sie noch recht lange und recht glücklich leben.«

Herr Piersig behandelte mit großer Anstrengung einen widerspenstigen Handschuh. Er sah eben seinen Gast von der Seite an, und wußte nicht, ob er sich die Freiheit nehmen dürfe, noch weiter zu [31] fragen; endlich überwand seine Neugier seine Zaghaftigkeit.

»Also der innigst verehrte Herr Vater, mein Fräulein, wohnt, dermalen auch hier in Berlin?«

»O nein! Wie wäre ich denn hier?«

»Ganz in der Ordnung! Ein Kind lebt bei seinen Eltern. Wie konnte ich auch nur so fragen. Also der innigst verehrte Herr Vater –«

»Meine Eltern sind ausgewandert,« sagte das Mädchen rasch. »Es ist erst zwei Monate, daß sie fort sind; ich habe aber schon Nachrichten, daß sie die Meerreise gut überstanden haben. Drei meiner Schwestern haben die Reise mitgemacht; ein älterer Bruder und ich sind zurückgeblieben.«

»Sind zurückgeblieben,« wiederholte der Meister. «So, so. Ei, seht einmal! Sind zurückgeblieben. Aber dieser Handschuh ist ein Satan von einem Handschuh! Nie hab' ich altes Leder so widerspenstig gesehen. Nun, mein Fräulein, nur munter! Wer da auswandert, trifft nicht immer grade das Beste; die hier bleiben, lachen am Ende Jene aus, die da weggingen, und wer zuletzt lacht, lacht am Besten. Wohin ist denn der innigst verehrte Herr Vater gezogen?«

»Nach Newyork.«

[32] »Auch eine schöne Gegend. Aber man muß Geld haben, um wieder fortzukommen; denn lange hält, was ein gebildeter Berliner ist, es in diesem amerikanischen Hinterpommern nicht aus. Geben Sie Acht, ehe Sie sich's versehen, ist Ihr Herr Papa wieder da.«

»Das würde mir leid thun; denn er wollte dort sein Glück finden.«

»Das heißt Geld?«

»Nicht' allein das,« erwiederte das junge Mädchen seufzend. »Geld allein macht nicht glücklich. Er wollte auch für seine politische Ueberzeugung Boden gewinnen. Er wollte so glücklich sein, wie er glaubte, daß ein freier Bürger in einem freien Staate es sein dürfe und müsse.«

»So! –«

Die Unterhaltung stockte. Herr Piersig hatte es auf der Zunge, zu sagen: Also der innigst verehrte Herr Vater war schlechtweg ein Bummler, was man so sagt; allein er bedachte noch zeitig, daß er durch eine solche Aeußerung der Tochter keine allzu große Freude machen würde. Er gab also dem Gespräche eine andre Wendung.

»Ich habe einen confusen Vetter, der sich hier umhertreibt, und dem wir immer vorschwatzen, ich und meine Frau, er soll nach Amerika gehen, natürlich, [33] um ihn los zu werden; denn es ist wahrlich nichts mit ihm anzufangen: so sinnreich er früher war, so sinnlos ist er jetzt. Das macht, er kam hier an, wie wir grade wieder eine große politische Krisis hatten, wie meine Frau sagt, und verschiedene Dinge ›aufgelös't‹ wurden. So kam er denn auch unvorsichtiger Weise der Nationalversammlung zu nah, als man die eben auflös'te, und wurde mit aufgelös't. Er ist seitdem gleichsam nicht mehr vorhanden, nur theilweise noch. Wenn er seine gesunden Stunden hat, so ist er Mützenmacher, und spricht ganz gescheut; wenn aber die Auflösung über ihn kommt, so schreit er, daß man ihn ungerechter Weise in Belagerungszustand erklärt habe, und daß er in Masse aufstehen und sich erheben werde; und dann wüthet er, und will die Minister und den König aus dem Lande jagen. Ich erzähle Ihnen das nur als Beispiel, mein Fräulein, welche sonderbare Politiker wir jetzt hier in unserer schönen Stadt haben, und daß Ihr innig verehrter Vater auch wohl seinen Grund gehabt hat, auszuwandern.«

Die junge Dame schwieg.

»Sie sehen sich meinen Sohn an,« hub Herr Piersig geschmeichelt an. »Kanter, steh auf, und mach' der Dame eine Verbeugung.«

[34] Das unförmliche Wesen erhob sich auf seinen dünnen schwankenden Beinen, wobei es auf dem Tische stehend, mit seinem großen Kopfe die halbrunde Wölbung der Fenstereinfassung berührte, und brachte eine Verbeugung zu Stande, die in einem Neigen des Kopfes und in der militärischen Hand- und Armbewegung bestand.

»Gut, Kanter! gut, mein kleiner Grenadier!« rief der Vater. »Wenn das Fräulein gute Gesinnungen hat, so wird sie es zu würdigen wissen, daß Du ihr auf ächt soldatische Manier die Ehre giebst. Aber, mein Fräulein, ich weiß freilich nicht, ob Sie nicht vielleicht Demokratin sind?«

»Mein guter Meister,« sagte die Dame sanft, »lassen wir das. Ich bin bereits viel gequält worden damit im Hause meiner Eltern, und auch anderswo.«

»Gut, lassen wir das. Es ist auch meine Meinung. Das Bier hat immer denselben Geschmack, wenn wir es in einer schwarzweißen, oder in einer rothen Kneipe trinken.«

Wiederum trat eine Pause ein.

»Sie werden bei uns ein stilles Leben führen,« nahm der Mann wieder das Wort. »Meine Frau hat ihre Kunden, ich die meinigen. Das geht alles [35] ganz ruhig ab. Oben, der unverheirathete Herr, ist nun vollends die Ruhe selbst. Wenn Sie nicht Krakehl anfangen, mein liebes Fräulein, so wüßte ich nicht, wer sonst Unruhe hier im Hause anfangen wollte. Dabei wohnen wir in einer hübschen Straße, in der Friedrichsstraße, und zwar nahe am Thore. Ist die große, lange Straße, weiter zu den Linden hin, gar unruhig und belebt, hier giebt sie sich schon ruhiger, wie ein Mann, der eine brausende Jugend gehabt hat, aber nun zur Vernunft gekommen ist. Die Straße hat dadurch gleichsam – es ist komisch zu sagen – aber sie hat wirklich einige Aehnlichkeit mit mir. Ich war zu meiner Zeit ein wilder Bursche, und diente bei den Ohlau'schen Husaren. Hast Du nicht gesehen! Die braune Jacke kleidete mich ganz gut, und ich trug einen teuflisch demokratischen Schnurrbart. Freilich dachte damals noch Niemand an Demokratie. Ja, mein Fräulein, Sie sagen mit Recht, daß mir das Niemand mehr ansehe. Ja, das macht die Ehe, der Familienkummer. Ich ging darauf mit meinem Weibe zum Altar. Sie brachte mir ein gutes Stück Geld mit. Anfangs hatten wir keine Kinder, und dann kam, mit Respect zu sagen, dieser Wurm. Es war eine Schande, daß nicht etwas Besseres kam. Ich und [36] meine Frau waren Kernleute, aber es war eben nicht anders. Meine Frau sagt immer, es sei zur Strafe, weil ich einmal die pucklichte Tochter eines Gastwirths in Ohlau verführt; allein Gott soll mich strafen, wenn nicht vielmehr der verliebte Puckel mich verführt hat. Aber das sind alte Geschichten. Gott, liebes Fräulein, straft überhaupt nie so ungerecht. Das ganze Unglück ist vielmehr ein reines Mißverständniß der Natur. Ueberdies kann der Kanter vielleicht doch noch ein ganz proportionirter Mann werden. Er spricht nicht viel, das ist wahr, aber er denkt vielleicht desto mehr, und wenn wir nur geduldig die Periode der Schwachheit abwarten, so wird er uns eines schönen Morgens überraschen mit einem Paar prächtigen, starken Beinen, mit breiten Schultern, und mit einer ganz vortrefflichen Brust, so wie sie unser General in den Marken hat.«

Der Wasserkopf, während man von ihm sprach, beschäftigte sich, sein altes Zeitungsblatt zwischen den Fingern zu drehen, und es von Zeit zu Zeit anzustarren.

»Der Arme!« rief der Vater, »da übt er sich schon eine ganze Woche lang, immer eine und dieselbe Verlobungsanzeige in der Vossen zu studiren. Höre, mein Sohn! Wirst Du denn nicht einmal [37] wissen, daß dies Fräulein Adelaide Pirlicke ist, die sich mit Herrn Kodsack vermählt? Ich denke, das solltest Du doch endlich herausgebracht haben, Schaafskopf! Ach, ich weiß nicht, ob Du je im Stande sein wirst, eine solche Anzeige zu verursachen. Glauben Sie, mein Fräulein, daß sich Jemand finden wird, der den Kanter heirathet?«

»Man muß an Nichts verzweifeln,« sagte die junge Dame mit Lächeln; »auch die häßlichsten Männer bekommen Frauen.«

»Ja, weiß Gott, so ist's. Uebrigens muß ich Ihnen noch erklären, weshalb wir ihn Kanter nennen. Sein eigentlicher Name ist Gottlieb. Aber weil er einem Oheim von meiner Frau, der Kantor in Oranienburg ist, so ähnlich sieht, so nennen wir ihn den Kanter.«

Der Knabe legte das Zeitungsblatt weg, und auf die Straße blickend, streckte er die Junge weit aus, und stieß eine Art Freudengeschrei aus. In dem Augenblicke sah man einen jungen Mann mit einem blonden Lockenkopfe, in einem eleganten Paletot, mit gelben Handschuhen, und einem eingeklemmten Augenglase auf den Laden zukommen. Er gab mit seinem Stöckchen dem Wasserkopf einen Schlag auf die Schulter, und schaute in das offene Fenster [38] hinein. Als er Helenen erblickte, lüftete er etwas seinen Hut.

»Ach, Herr Kieselack!« rief der Handschuhfabrikant. »Ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen.«

»Sind meine Handschuhe noch nicht fertig?« fragte der junge Mann, indem er durchbohrende Blicke auf Helenen richtete.

»Freilich sind sie fertig; schon seit einer Woche. Aber freilich, ein Herr wie Sie, fragt nicht viel nach abgelegten Handschuhen; da heißt es – für jeden Tag ein Paar neue!«

Der Stutzer nickte freudig, und starrte wieder Helenen an.

Diese stand auf, um das Zimmer zu verlassen.

»Ei, mein Fräulein, bleiben Sie. Dies ist Herr Kieselack, ein reicher, junger Herr, und ein unabhängiger Rentier. Ich habe bereits seit zwölf Jahren – wo der junge Mann seine ersten jungfräulichen Glacéhandschuhe anlegte, die Ehre, ihn zu meinen Kunden zu zählen.«

»So ist's, Herr Piersig,« entgegnete der vor dem Fenster Stehende; »nur sind es nicht zwölf Jahre, sondern sechs Jahre. Sie bringen mich in ein schönes Alter, Herr Piersig.«

»O, meinetwegen sollen es drei Jahre sein.«

[39] Der junge Mann starrte fortwährend Helenen an.

Jetzt verließ Helene das Zimmer.

»Teufel! Piersig! Seit wann haben Sie so frische Waare in ihrem Laden?« fragte nun der Stutzer, indem er mit der Zunge schnalzte, und sich weit über von außen hineinlehnte.

»Mein Herr,« entgegnete der Handschuhfabrikant würdevoll, »dies ist ein Handschuh, der nur für die Hand paßt, für die er gemacht ist.«

»Alter Trunkenbold, Ihr lügt! Der Handschuh ist für mich gemacht; das will ich Ihm nötigenfalls beweisen. Jetzt hab' ich keine Zeit, aber ich komme morgen wieder.«

Er entfernte sich, und der Kanter streckte ihm, so lange er sichtbar blieb, die Zunge nach.


[40]


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