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15.
Die Großtante.


Helene war indeß in ein kleines Stübchen getreten, woselbst eine alte Frau in einem Polsterstuhle saß und beim Schein einer dürftigen Lampe ein Kleidungsstück ausbesserte. Als Helene sich zeigte, that die Alte, die bis auf die Knochen ausgedörrt war, und deren Antlitz etwas Steinernes angenommen hatte, einen kleinen Ausruf der Freude. Aber dieser Freudenruf war sehr mäßig, und gleich darauf stickte und stickte die Alte weiter.

»Setz Dich, mein Kind. Also es ist Dir doch möglich gewesen, Deine alte Großtante aufzusuchen. Ist die verrückte Familie doch so weit in Ordnung, daß man die Kinder zu ihren Verwandten gehen läßt?« –

Helene hatte versucht der Alten die Hand zu küssen, allein diese hatte sich fast unwillig [190] abgewendet. »Frau von Reinicke hat sich meiner angenommen« – sagte Helene.

»Das hast Du mir geschrieben. Bei mir hätte ich Dich doch nicht unterbringen können. Das siehst Du wohl. Eine arme, alte Frau, wie ich bin, die kaum über einen Stuhl und ein Bette zu verfügen hat, kann Niemand bei sich aufnehmen. Ich habe Dich zu mir rufen lassen, weil ich fürchte, daß es plötzlich mit mir aus sein kann, und da sollst Du kommen, und meine Sterbe- und Leichenangelegenheit besorgen. Ich will von keinen andern Händen bestattet sein, als den Deinigen. Dafür hinterlasse ich Dir, was ich so an altem Kram und Kleidungsstücken habe. Es ist das Erbe einer Bettlerin, und eine Bettlerin erbt es. Du hast ebensowenig wie ich habe, mein Kind. Möchtest Du nur bei Deiner Armuth so ehrlich durch's Leben kommen, wie ich's habe – Gott den Dank dafür – vollführen können.«

»Ihr werdet noch nicht sterben, Großtante« – sagte Helene.

»Ob ich nicht werde!« höhnte die Alte. »Der Tod ist noch an keiner Creatur vorbeigegangen. Als ich noch in Polen wirthschaftete – es sind jetzt funfzig Jährchen her – und ein ziemlich rüstiges Weibstück war, sagte mir einmal ein Pfaffe, wenn [191] einmal sieben Hunde über Deinen Weg laufen werden, und der Mond in kleinen Stücken auf Deine Schulter niederfällt, dann mache Dich fertig, in die schwarze Kammer einzugehen. Gestern liefen sieben Hunde, von einem Buben gehetzt, mir über den Weg, und als ich mich heute Morgen nach meiner Gewohnheit mit kaltem Wasser übergoß, stand noch der Mond am Himmel, und der Schein fiel wie lauter Mondstücke im glitzernden Wasser über meine Schulter. Da schickte ich denn sogleich zu Dir.« –

Helene hörte mit einem kleinen Frösteln diese Worte.

Ein Diener brachte eine Schaale mit Suppe herein, und setzte zwei Teller, aber nur einen Löffel auf den Tisch. Dieser Diener war ein alter Pole, fast so alt wie seine Gebieterin. Er sah verdrüßlich und grollend aus.

»Geh' in die Kammer, und bringe den Herrn Minister her« – befahl die Alte, und zu Helenen gewendet, sagte sie: »Du weißt, daß ich zwei Neffen habe, Söhne meines lieben Bruders, der Eine ist Dein Vater, und der Andere ist der Thunichtgut, den Du eben wirst hereinkommen sehen. Ich halte ihn hart. Er will durchaus ein Vagabund werden, allein ich stemme mich mit aller Kraft dagegen. [192] Nichts zu biegen und brechen hat er, alles, was ihm einst gehörte, und was ihm nicht gehörte, das heißt gutherziger Freunde Habe, hat er durchgebracht, und nun kam er eines Abends vor meine Hausthür, verfolgt von Gläubigern und von der Polizei, die den heimathslosen Herumtreiber festsetzen wollten. Da leuchtete ich mit dem Leuchter hinaus in die Nacht, und rief, wie ich die Jammergestalt sah: Ich kenne ihn. Andre hätten gesagt: ich kenne ihn nicht. So lebt er denn bei mir, und ich hab' ihn freigemacht; allein er muß mir das Holz hacken, wenn ich mir Morgens meinen Kaffee koche.«

Helene hatte von diesem Oheim gehört, wußte aber nicht, wohin er seit dem Sommer verschwunden. Unter den Volkshaufen und Tumultuanten des Sommers hatte er eine Rolle gespielt, und von sich sprechen machen. Mit der Wiederkehr der geordneten Zustände war er verschwunden. Dieser heruntergekommene Wüstling und jener reich gewordene Geadelte waren gleichsam – nur in sehr verschiedener Weise – ihr die unangenehmsten Familienmitglieder.

Die Alte setzte hinzu: »Seine Freunde im Sommer haben ihm eingeredet, daß man ihn zum Minister machen werde, und wie man mich ernstlich versichert hat, es hat auch wenig gefehlt, daß er es [193] wirklich wurde. Es liefen ja damals die Minister zu Dutzenden auf der Straße herum. Jetzt kann der Narr es nicht vergessen, und wenn ich ihn ärgern will, brauche ich ihn nur Se. Excellenz zu nennen.«

Helene fand diesen Hohn und die Grausamkeit sehr wenig nach ihrem Sinne. Sie wandte sich daher theilnehmend zu dem Gehöhnten, als dieser jetzt eintrat, und seinen Teller mit Suppe empfing. Die Alte, nachdem sie sich des Löffels bedient hatte, zog ihn auf gut polnisch noch einmal scharf durch die Lippen, und gab ihn dann dem Neffen. Dieser Neffe war ein alter Mann, älter wohl aussehend, als er in der That war. Er richtete auf kein Gespräch, auf keinen Gegenstand seine Aufmerksamkeit, rasch seine Mahlzeit beendend, empfahl er sich mit einem trocknen, mürrischen Gruße. Helene eilte ihm nach, und drückte noch seine Hand zum Abschiede. Er sah sie an, verwildert und zerstört, ohne ihre Freundlichkeit irgendwie zu erwiedern.

Die Alte sagte: »Laß ihn gehen. Es ist so seine Weise. Er ist böse, daß ich ihn arbeiten lasse. Allein meine Maxime ist, daß Jeder wenigstens etwas verstehe. Er hat in seinem Leben nie etwas gelernt, nie, auch nicht das Geringste und Kleinste konnte er machen. Jetzt kann er doch wenigstens [194] Holz hacken. Das ist doch etwas, und wenn er's recht macht, kann er doch darauf stolz sein und sagen: › Das kann ich.‹ Aber zum Anspeien ekelhaft ist das Gesindel, das nie Arbeit gekostet hat, das nichts weiß und nichts kann, und davon gerade ist jetzt die Welt voll. Meinethalben, sag' ich, seid Republicaner oder seid Königlichgesinnte – nur zeigt, daß ihr irgend etwas zu schaffen versteht.«

Die Alte ging jetzt auf Helenens Angelegenheiten über. »Kind, wie ist es denn mit Deinem Liebhaber?« fragte sie ziemlich barsch und ohne Umstände. »Ei, was ist denn da zu schämen,« setzte sie hinzu, als sie das niedergesenkte Auge ihres Gastes bemerkte, »ein Weibsbild in seiner Blüthe hat Liebhaber! Das ist so sehr in der Ordnung, als wie der Birnbaum Birnen trägt. Wenn unsre Wangen blaß werden, dann bleibt uns die Lippe des Mannes fern, wie der Pfeil des schlechten Schützen stets vom Ziele fern bleibt. Aber wenn wir grünen, kommt mehr als eine Ziege in unsern Garten. Ein blühend Weib, das in der Fülle ihres Verlangens, wie die Tulpe im Sonnenschein, da sitzt, dem fehlen von fern und nah die Gäste nicht, die da kommen wollen, um zu spüren, wie der diesjährige Wein gerathen. Als ich die schönen Tage meiner Jugend genoß [195] und feurig im Lande umherzog, als mein kleiner Handel blühte, und ich in meinem Herzen guter Dinge war, da war ich auch ein Weibsbild, an dem die Junge meines Mannes manch' süßes Korn entdeckte. Es folgten meinen Tritten und Schritten der rüstigen Jäger viele, vor denen ich als ein lieblich Wild daherzog. Jetzt, da das Alter und die Fäulniß kommt, jetzt freilich ist meine Natur wie Gestank in der Nähe der feinen Herren, und die alte Bathseba mag immerhin sich den krummen Rücken waschen, es guckt kein Aug' zu ihr über den Zaun herüber. Also, mein Kind, nutze Du die Jahre, die süß im Ohre klingen wie Harmonikaton, nutze sie.«

Diese Lehre war Helenen freilich nur in so weit verständlich, als sie sie auf die endliche Lösung ihres kummervollen und bedrückenden Verhältnisses, in Bezug auf die Entfernung von ihrem Geliebten deutete.

»Der Vater bleibt bei seinem Zugeständnisse, der Bruder und die Mutter bei ihrer Weigerung,« sagte sie, »und ihn selbst darf ich nicht sehen. Ach, ich verlebe eine traurige Zeit.«

»Und er macht auch keinen Versuch, Dich aufzufinden?« fragte die Alte.

»Gewiß wird er einen solchen machen,« [196] entgegnete Helene; »allein, wie soll er mich finden. Jede Spur ist mit Absicht verhüllt.«

»Der rechte Jäger findet doch das Wild!« höhnte und lachte die Alte, und goß damit, ohne es zu wollen, Trost in die Brust des Mädchens. »Ich kenne diesen Herrn von Ruborn übrigens; ich habe in diesen Tagen die Entdeckung gemacht; ganz zufällig.«

»Meinen Robert?« sagte Helene rasch und freudig.

»Nicht ihn, den Vater,« entgegnete die Alte mürrisch. »Es war in einem kleinen polnischen Städtchen, Anno – Nun! das gehört nicht hier zur Sache. Alte Zeiten! alte Zeiten!« –

»Aber was ist's damit, Großtante,« fragte Helene immer angelegentlicher.

»Nun, Du weißt,« murmelte die Alte, »ich habe klein angefangen. Ich trieb damals einen Hausirhandel an der Grenze. Nun, Niemand hat sich seiner Thätigkeit zu schämen, wenn er nur irgend etwas kann. Da war denn das zwölfte Infanterieregiment – Aber ich sage Dir, alte Geschichten! ganz alte Geschichten! Und Du mußt nach Hause gehen, Kind. Es hat der Wächter zehn Uhr gepfiffen. Aber versprich mir, den guten Muth nicht zu verlieren, und dann versprich mir, so wie Du meinen alten Primislow siehst, sogleich ihm hierher zu folgen; denn [197] keine Minute Verzug gestatte ich, so wie die Sachen jetzt stehen. Nun, geh' mit Gott.«

Helene mußte fort, so gern sie auch noch geblieben wäre, um die letzten räthselhaften Andeutungen in der Rede der Alten erklärt zu erhalten. Die Thür wurde ihr vor der Nase zugeschlagen. Und draußen – war stockfinstre, nebelschwarze Nacht, und kein Herr Piersig zu erblicken.


[198]


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