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17.
Die Haussuchung.


Diese Nacht hatte ihre Schrecken. Zuerst lagerte sich ein düsteres Gewölke über dem Hausfrieden und dem ehelichen Glücke Herrn Piersig's, dann war Herrn Karcher eine unbeschreiblich empfindliche Prüfung vom Geschick beschieden, und endlich ward Helenen eine kummervolle und mit den bittersten Gefühlen über und über beschattete Morgenstunde zu Theil.

Frau Piersig trat gegen elf Uhr ihre Wanderung in Geleitschaft ihres Nachbars an. Man wandte sich zuerst in jene Stadtgegend, wo Herr Piersig bei einem alten Freund und Gevatter besonders häufig einzusprechen Pflegte. Allein er war nicht dagewesen. Das Paar wanderte weiter und nun begab man sich in eine etwas vornehme Schenke, die den hoffärtigen [209] Namen einer »Halle« führte und wo Kellnerinnen »in Costüm« zu nicht geringem Schrecken und Entrüstung der Frau Piersig den Dienst versahen. Der Nachbar erkundigte sich, während Frau Piersig draußen frische Luft schöpfte. Allein auch hier hatte man den Handschuhfabrikanten nicht erblickt. Dann faßte man eine kleine Schenke in's Auge, allein diese war zu bescheiden, als daß Herrn Piersig's Fuß sie gewürdigt haben sollte ihre Schwelle zu überschreiten. In der Nähe dieser Schenke sah man einen alten Herrn irre gehen, der seinen Hut bereits verloren hatte, und nun, »wie der West unter Blumen gaukelt,« die Straße herab tändelte, so unvorsichtig und so leichtfertig, und so genial mit dem Regenschirm um sich her manövrirend, daß unser Paar geschwind auf den gegenüberliegenden Steg auswich. Am Ende der Straße, und gegenüber einem kleinen leeren Wachthäuschen ließ dieser unvorsichtige alte Herr die Republik leben, welches einen ungemeinen Schrecken in der Nachbarschaft, wo zwei bejahrte Damen eben beschäftigt waren ihr jungfräuliches Lager zu besteigen, erregte. Zwei Hunde und zwei Portiers-Frauen wurden ungemein aufmerksam auf den alten Herrn, und verfolgten ihn auf seinem schwankenden Lebenswege so lange, bis sie sahen, daß er einer Patrouille in die Arme [210] taumelte, und somit in sein zeitliches und ewiges Verderben rannte.

Frau Piersig und ihr Begleiter hätten noch lange und vergeblich ihre Entdeckungsreisen durch die nächtlichen Straßen machen können, wenn nicht zum Glück ein Bekannter ihnen aufgestoßen wäre, der so eben den Handschuhfabrikanten in seinem derzeitigen Verbleib verlassen hatte. Frau Piersig machte sich durch einen schweren Seufzer Luft, als sie erfuhr, wie wechselnd ihr Mann in der Wahl des Ortes seiner zügellosen Genüsse geworden war, und ein Verdacht stieg in ihr auf, daß dies aus keinem andern Grunde geschehen, als um sich ihren zarten Nachforschungen zu entziehen. Ein Gefühl der Bitterkeit machte sich in dem Busen dieser schwergeprüften Frau Platz. Als das Gasthaus erreicht war, entleerte sich eben die Bierstube ihres Inhalts, da die Polizeistunde geschlagen, und ein Strom von Gästen gelangte in einiger Unordnung auf die Straße. Eine Welle in diesem Strom bildete Herr Piersig, und sie war mehr als die andern bemerkbar, weil diese Welle einen wundersamen rothen Punkt auf ihrer Oberfläche zur Schau trug, und dies war nichts Geringeres, als die Waterloo-Weste. Diese erblickend und dabei ihren Mann ohne Hut und ohne Regenschirm sehend, waren für Frau [211] Piersig zwei in gleicher Weise erschütternde Wahrnehmungen. Herr Piersig hatte also nicht allein durch das Aufsuchen eines völlig fremden Lokals sich jeder gemüthlichen Nachforschung zu entziehen gesucht, er hatte sich auch besonders zu diesem verbrecherischen Gange geputzt und ein Kleidungsstück angelegt, wo jeder Flecken, der auf dasselbe gelangte, auch zugleich – und dies wußte Herr Piersig – einen düstern Schatten auf die Seele seiner Frau brachte. Denn die Waterloo-Weste war ein Heiligthum. Frau Piersig knüpfte an sie allerlei Vor- und Nachbedeutungen in Bezug auf den Bestand und glücklichen Verlauf ihrer Ehe. Sie stürzte sich also dem Strom entgegen, und bildete auf wenige Minuten den »Fels, an dessen festen Rippen sich die Welle bricht« und griff dann mit einem einzigen, kühnen Griffe in den Arm des Flüchtlings. Herr Piersig hatte eine dunkle Ahnung von der Beschaffenheit der Dinge, die um ihn her vorgingen, er fühlte, daß sich sein Haupt mit einem Hut bedeckte, und er vermuthete, es könnte der seinige sein. Er sah sich zu einigem Danke verpflichtet, und machte eine leichte ausgleitende Verbeugung, die ihm den kleinen Rest Gleichgewichts kostete, den er noch besaß, und Frau Piersig zwang, sogleich in die Verpflichtungen ihres Amts zu treten. Das [212] Vergebliche ihres Beginnens einsehend konnte sie sich nicht enthalten, eine Fluth von Vorwürfen und Fragen in das Ohr des Mannes tönen zu lassen, aber Herr Piersig hatte davon nur eine höchst verworrene, aber keineswegs unangenehme Einwirkung. Er hielt seine Frau für ein etwas zudringliches Harfenmädchen, und forderte sie auf, noch lauter zu singen, indem er zugleich einen Versuch machte, ihr an's Kinn zu greifen. Wenn es nicht wegen der Waterloo-Weste gewesen, Frau Piersig wäre versucht gewesen, den Fabrikanten seinem Schicksal zu überlassen, so entrüstet und in ihren heiligsten Gefühlen gekränkt fühlte sie sich.

 

Während diese Drei die einsamen Straßen des unter dem Belagerungszustande ruhenden Berlins dahinwandelten, nahm die Droschke, in welcher Herr Karcher und seine junge Hausgenossin saßen, dieselbe Richtung, nach demselben Ziele. Helene saß schweigsam in der dunklen Wagenecke, und ihr Begleiter hatte ebenfalls nicht die mindeste Lust, ein Gespräch zu beginnen, denn er befand sich in einem äußerst unbehaglichen Zustande. Zum erstenmal während seines länger als zwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin kam er ohne Hausthürschlüssel nach Hause. Ein Umstand von einer unbeschreiblichen Wichtigkeit [213] für diesen Mann, der die Ordnungsliebe selbst war. Das Gespräch mit dem Fremden hatte sich über Erwarten weit hinausgezogen, dann das Abenteuer in der dunklen Gasse, kurz Herr Karcher war ohne Schlüssel weggegangen, weil er zu guter Stunde wieder zu Hause sein wollte, und kam jetzt zu sehr schlimmer.

An der Thüre angelangt, fand man diese verschlossen. Die Berliner Nachtschwärmer wissen in solchen Fällen das rechte Mittel, es ist dies, den Nachtwächter herbeizurufen, und der Fremde, der diese Sitten nicht kennt, hört in den ersten Nachtstunden oft in seiner Straße sonderbare Laute, die fast wie Hülferufe klingen, und furchtsamen Leuten einen Schreck einjagen können. Herr Karcher hatte diese Schreie immer sehr widerwärtig gefunden, und jetzt befand er sich in der Lage, selbst einen solchen zu thun. Er brachte einen nur schwächlichen Ton über seine Lippen, und rannte dabei hin und her in einem mehr als beklagenswerthen Zustande. Auch Helene erhob ihre melodische Stimme – gleichfalls vergeblich. Herr Karcher nahm auf einer Treppenstufe Platz, indem er sein Haupt melancholisch auf beide Arme stützte.

So befand sich das Paar noch vor dem [214] verschlossenen Hause, als das Schicksal eine Hand schickte, es zu öffnen, die man nicht erwartete, im Gegentheil, die man um jeden Preis entfernt gewünscht hätte. Eine Patrouille rückte heran, zwölf Mann Soldaten mit einem Unteroffizier, und diese behelmten und bewaffneten Nachtvögel hielten gerade vor dem Hause des Handschuhfabrikanten, und stellten sich vor demselben auf.

Herr Karcher hätte unter die Erde sinken wollen.

Im Gefolge dieser Schreckensmänner kam auch der Nachtwächter. Das Haus wurde aufgeschlossen.

»Gehören Sie in's Haus,« fragte der Unteroffizier Herrn Karcher.

»Ich gehöre hinein,« entgegnete der Künstler mit einer Stimme, die durch alle Tonarten hindurchzitterte.

»So werden Sie uns folgen,« sagte der Fragende. »Wir untersuchen das Haus; es sind hier Waffen verborgen.«

»Waffen!« rief Herr Karcher, indem er sich selbst Muth zuschrie. »Um Gotteswillen, nein, Herr Unteroffizier! Da sind Sie falsch berichtet. Wir haben unsere Waffen, wie es geboten ist, sämmtlich abgeliefert. O, ich habe meine Flinte durch Madame Piersig abliefern lassen, denn ich saß damals im [215] Schuldgefängniß. Madame Piersig – Madame Piersig –«

»Wer nennt meinen Namen?« rief eine athemlose Stimme um die Ecke der Straße her, und drei Gestalten bewegten sich rasch, wie Schatten, die plötzlich aus dem Schooße der Erde emporgestiegen waren, auf das Haus zu.

»Ach da sind Sie – meine theuerste Frau Piersig! O, welch' ein Glück, daß wir hier so Alle zusammentreffen!«

»Herr Karcher –, wenn Sie das ein Glück nennen,« schnaubte die Frau ganz wild, »so weiß ich nicht, wie Sie das Unglück betituliren. Gott soll mich strafen, die vielen Soldaten, die Nachtwächterschaft! das giebt ein Gerede! ich arme Frau!« –

Herr Piersig erhielt einen Theil seiner Besinnung wieder.

Aus der Nachbarschaft, oben und unten erschienen Köpfe.

Der Unteroffizier war in der finstern Oeffnung der Hausthür sammt Madame Piersig verschwunden. Der Nachbar, der immer noch Herrn Piersig's Regenschirm wie ein anvertrautes Kleinod von unschätzbarem Werthe trug, gab dieses Pfand rasch ab, und bog in die Seitenstraße, um nicht in einen [216] anscheinend verdrießlichen Handel als Zeuge mit verwickelt zu werden. Schnell wie ein Täubchen, das vor dem Habicht in den Schlag hineinschlüpft, war Herr Karcher in's Haus geglitten, und Helene, die sich diesen ganzen Auftritt nicht erklären konnte, von ihrem Begleiter aber, den sie in diesen peinvollen Augenblicken mit allen Vorwürfen verschonte, keine Erklärung erhalten konnte, folgte mit diesem. Ein Theil der Soldaten blieb vor dem Hause stehen, ein anderer Theil besetzte im Innern die Eingänge.

Im Hause begann nun ein heimliches Rumoren, und es waltete darin eine unbeschreibliche Aufregung.

Frau Piersig war wieder einmal ganz Heldin und großer, herrlicher Charakter. Sie war wieder »eine Säule und eine Stütze des Haushalts.« Mit einer »großen Schuld auf dem Gewissen,« denn wer wußte besser und mehr um den Grund, weshalb die Soldaten kamen, spielte sie dennoch bewundernswerth die reinste, die unangetastetste Unschuld. Sie öffnete Schränke und Kisten, stieg in Gewölbe und Keller hinab, und wühlte lächelnd und mit der furchtbaren Schönheit einer Judith in Ausdruck und Stellung ihr eigenes Lager auf, und gab dessen Fülle und Einrichtung den Blicken des Unteroffiziers preis. »Ich weiß, « sagte sie, »daß man mich verläumdet, [217] daß man mich antastet, aber ich bin gerade die Frau, die dazu lächelt! Ich sage Ihnen, Herr Unteroffizier – ich lächle! berichten Sie das, ich bitte, dem Herrn General, und wenn es sein muß, auch Sr. Majestät, dem Könige.«

Der Unteroffizier murmelte etwas, das so klang wie die Bemerkung, daß er nicht hoffen dürfe mit Sr. Majestät in eine persönliche Unterredung über diesen Fall zu kommen. –

»Ich habe Prüfungen zu erleben gehabt, Herr Unteroffizier!« hub Frau Piersig wieder an, immer noch neben ihrem aufgewühlten Lager stehend – »ich sage Ihnen Prüfungen! Allein diese ist die härteste! Konnten Se. Excellenz der Herr General so weit sich verirren in Beurtheilung der Personen und der Lokalitäten!« –

Die Bitterkeit, mit der diese Worte gesprochen wurden, war eine unbeschreibliche.

Herr Piersig wollte hier Einiges hinzufügen, allein Frau Piersig legte ihm Schweigen auf für die ganze Dauer des Belagerungszustandes. »Du sprichst nie wieder!« sagte sie, »denn durch Dich ist das ganze Unglück gekommen. Zieh die Weste aus.«

Herr Piersig stand nicht einen Augenblick an, diesem Befehl Folge zu leisten. Unterdessen waren [218] auch die obern Räume einer, wiewohl nur flüchtigen, Untersuchung unterworfen worden, und die Patrouille entfernte sich wieder.

Allmählig kehrte die Ruhe wieder in's Haus.

Aber als alle andern Bewohner des Hauses die Ruhe schon wieder gefunden hatten, hatte der »furchtsame Herr« sie noch nicht gefunden. Er lag zwar im Bette, aber wenn er auf der Kirchthurmspitze geschwebt hätte, er hätte ebensowenig dem Schlaf sich hingeben mögen. Der Gedanke »Verborgene Waffen« machte, daß jedes Mohnkörnlein Schlummer in alle Winde sich verflüchtigte. Zehnmal in einer Sekunde wiederholten sich in seinem Kopfe die Worte: »Verborgene Waffen.« Er fand diese Worte auf jeder Wand seines Zimmers von einer unsichtbaren Hand aufgeschrieben, und wenn sie noch nicht aufgeschrieben waren, so wurden sie in dem Moment, wo sich sein Auge auf einen Fleck der Wand richtete, dorthin mit sehr leserlichen Buchstaben hingeschrieben. Vor den mächtigen Fensterscheiben tanzte etwas wie ein Schein, ein bleiches Phantom, und bei näherem Hinblicken that sich dieses vibrirende Bild als ein Kavalleriesäbel kund, der sich im Nu in eine Muskete, und von dieser in entsetzlicher Geschwindigkeit in eine gefüllte Patrontasche verwandelte. Die [219] Bilder an der Wand riefen sich einander immer dieselben Worte zu, und sogar ein Barometer zeigte anstatt, wie es seine Pflicht war, auf veränderliches Wetter, auf »Verborgene Waffen.« Alles in diesem ruhigen Schlafzimmer hatte sich verschworen, um dem unglücklichen Bewohner desselben den Namen zum Hohn zu machen.

In dieser unsäglich peinvollen Lage kam ein dreimaliges Klopfen an der Tapetenthür des Verschlags recht zu gelegener Zeit. Was konnte passender sein, als jetzt, da sogar die Bilder an der Wand sich von Waffen unterhielten, daß an eine Thür geklopft wurde, wo unter keiner andern Bedingung, in keiner andern Nacht jemals geklopft werden konnte. Denn in dem alten Bretterverschlag wohnte Niemand, und konnte Niemand wohnen. Aber in dieser Nacht mußte dort Jemand wohnen, und dieser Jemand mußte grade jetzt klopfen und hinaus verlangen. Alles das war so eingerichtet, um den furchtsamen Herrn zu Grunde zu richten. Dennoch rief er: »Herein!« völlig überzeugt, daß der, der jetzt klopfte, doch sich nicht würde abweisen lassen.

Und ein Kopf, bedeckt mit einem alten grauen Hut, steckte sich durch den Spalt der Thüre. Dieser Kopf war der Kopf eines alten, kränklichen und [220] verdrießlichen Mannes, aber was diesem Kopfe angehörte, war der Körper eines Kindes.

»Es ist der Kanter!« rief Herr Karcher athemschöpfend. »Unglückliches Kind, was willst Du hier? Und wie kommst Du in mein Zimmer, und in diesen Verschlag, wohin Du gar nicht gehörst?«

Der Kanter nahm seinen Hut, oder vielmehr den Hut Herrn Karcher's ab und grüßte, wie man einen alten Bekannten, den man unvermuthet wieder sieht, zu grüßen pflegt.

Herr Karcher saß in seinem Bette aufrecht, und starrte seinen Gast an.

Nun begann die Mimik des Blödsinnigen, und diese war von einer solchen fesselnden Kraft, daß der furchtsame Herr im Verlauf dieser telegraphischen Nachrichten in eine so entsetzliche Exaltation gerieth, daß er, sein Lager verlassend, und das Licht mitten auf den Boden des Zimmers setzend, sich niederhockte zu dem unheimlichen Berichterstatter, und diesem gleichsam die Worte, die nicht ertönten, aus den Lippen sog. Die magern Hände des Kleinen flogen dabei auf und ab, und zeigten endlich wiederholt auf eine und dieselbe Stelle, und diese war – Herrn Karcher's Lager. Grausenvolle Nachricht! Die [221] versteckten Waffen lagen – unter Herrn Karcher's Bette! – Ja – ja! unter Herrn Karcher's Bette! Es konnte die Hölle kein schwärzeres Bubenstück ausführen. Und Herr Karcher hatte in diesem Bette gelegen, er hatte geradezu – o Gott, die Wahrheit war ja gar nicht mehr zu verheimlichen – über einem Fäßchen Pulver zu schlummern versucht. So etwas war noch nie dagewesen. Kein Räuberhauptmann hatte noch je so zu schlummern gewagt, ein Ungeheuer von Muth irgend welches hätte das selbst nicht gewagt, und er! –das Fäßchen steckte noch unterm Bette, wenn er es nicht glauben wollte, der Kanter war ganz bereit, mit dem Licht hinzuleuchten. Wahnsinnig und mit allen Gliedern schlotternd, hatte Herr Karcher doch noch wenigstens die Geistesgegenwart, dem Knaben das Licht aus der Hand zu reißen, und es geschwind auszulöschen. Nun war wenigstens das Pulver für den Augenblick gefahrlos gemacht, wenn auch die ganze Stube darüber in die schwärzeste Nacht versank.

Herr Karcher legte einen Fluch, der von Kind zu Kindeskinder und so immer weiter forterben sollte, auf das Haupt der Madame Piersig. Dann kleidete er sich verworren und übereilt an, ordnete im Fluge einige Papiere, oder brachte sie vielmehr in [222] Unordnung, und verließ das Haus. Alles in stürmischer Eile, wie ein abgeschossener Pfeil.

In einer entfernten Gegend nahm er ein Zimmer in einem Gasthofe, und wohnte hier als »interessanter Fremder« der plötzlich angereist gekommen ist, und von dem man vermuthet, daß er politisch verfolgt werde. Aus diesem sichern Zufluchtsorte beschoß nun Herr Karcher seine ehemalige Wohnung wie eine feindliche Festung, und schickte Briefe dorthin ab, ohne Angabe des Namens und des Orts, unter der Maske eines Herrn, der eine Wohnung miethen will, und sich vorläufige Nachrichten erbittet. Auf so vorsichtigem Wege erfuhr er zwar sehr langsam, aber ziemlich genau, wie die Angelegenheit mit den Waffen sich entwickelte. Erst als er durch den Kanter, den heimlich zu sprechen ihm glückte, wußte, daß die gefährliche Einlage des Hauses gänzlich und für immer entfernt worden war, machte er Anstalten wieder heimzukehren.

 

Was Helene betrifft, so gab ihr der Anlaß, daß sie ihren Geliebten gesehen, und gesprochen, Gelegenheit, ernst und lange über ihre Zukunft nachzudenken. Es schien ihr eine Unmöglichkeit, daß jemals die so selig geträumte Einigung zu Stande käme. Von Neuem war ihr wieder heute diese Ueberzeugung [223] aufgedrungen worden, und sie glaubte einen ähnlichen trüben Gedanken in der unsichern Stimme und in dem umflorten Auge ihres Geliebten ausgesprochen gefunden zu haben. Auf Umwegen und durch die dritte Hand hatte sie in diesen Tagen einen Brief von dem Bruder erhalten, der ihr von Neuem die drohende Versicherung gab, daß wenn sie den Gedanken an diese Heirath nicht aufgäbe, sie nie hoffen dürfe, weder ihn, noch Eines der Ihrigen je wieder zu sehen. Auch er wollte Berlin verlassen, und es käme nun auf sie an, ob sie noch einen Bruder haben werde, oder nicht. Helene wußte, welch' ein unseliger Trotz, welch' eine unbezähmbare Leidenschaftlichkeit in dem Herzen dieses jungen Mannes lebte, und sie konnte sich keiner täuschenden Hoffnung hingeben, als wäre irgendwie eine Versöhnung zwischen ihm und ihr anders, als auf dem bezeichneten Wege, möglich. Diesen Weg jedoch einzuschlagen, dagegen sträubten sich bis jetzt noch alle Kräfte ihres Wesens. Sie war sich ihrer Liebe mehr als je bewußt, und mit großem Muth und fester Entschlossenheit rief sie sich zu: »daß sie die Hindernisse zu besiegen wissen werde.« Das Wort, das der alten Großtante entschlüpft war, trug nicht wenig dazu bei, der Sehnsucht das Gelingen vorzuspiegeln. Die Alte hatte gesagt, daß sie [224] zufällig die Entdeckung gemacht, daß sie den Herrn von Ruborn kenne, und auch über dessen Sohn hatte sie, ganz gegen ihre frühere Ansicht, einige wohlwollende Worte geäußert. War hierauf nicht weiter zu bauen? Konnte von hieraus nicht eine günstige, oder doch wenigstens eine weniger ungünstige Entscheidung ausgehen? Wie rasch, wie begierig ergreift das liebende Herz jeden auch noch so unhaltbaren Trost. In Gedanken sah Helene die Alte schon als Vermittlerin und Friedenstifterin im Kreise der streitenden Gewalten.

Das arme Mädchen empfand das Bedürfniß, einem wohlwollenden Herzen ihren Kummer mitzutheilen, sie hatte sich dazu Herrn Karcher ausersehen, und stieg am nächsten Morgen, zu der Stunde, wo sie wußte, daß er von der Arbeit ruhte, die einsame Stiege hinauf. Wie sehr verwundert war sie, als sie erfuhr, daß ihr Freund verschwunden sei, und daß Niemand wisse, wohin er gerathen. –


[225]


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