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9.
Ein Zwischenspiel.


Gut, gut,« rief der kleine pucklichte Mann, indem er rasch auf sie zukam, und ihr die Hand küßte. »Thun Sie das, mein liebes, bestes, schönstes Kind, sagen Sie uns Allen die Wahrheit.« –

»Sie sind der einzige Jude, den ich leiden mag,« sagte die Kleine. »Aber eigentlich sind Sie kein Jude, sondern« –

»Sondern?« –

»Man hat Sie in einer uralten Pyramide gefunden, und einer unserer gelehrten Alterthumsforscher hat Sie hierher gebracht und Sie durch unbeschreiblich künstlich bereitete Gase neu zum Leben erweckt.«

»Es ist möglich,« antwortete der Kommerzienrath, »denn heutzutage ist alles möglich. Aber was soll ich in der langweiligen Pyramide gemacht haben, [97] ich, der ich die schönen Frauen so liebe, die guten Mittagessen, die hellerleuchteten Gemächer, und« –

»Die Geschichten,« ergänzte die muthwillige Kleine. »Sie konnten freilich in der Dunkelheit und Einsamkeit dort Niemandem etwas aufbinden.«

Der Kommerzienrath drohte seiner Peinigerin, mit dem Finger.

Der Gesandte und der nicht am Ruder befindliche Minister entfernten sich. Die beiden älteren Herren blieben am Kamin, während die beiden jungen Männer, von denen der eine der Sohn des Herrn von Ruborn war, mit dem kleinen Kommerzienrath und den beiden Damen einen Kreis bildeten. Es wurden die Neckereien fortgesetzt. Der Diener kam herein, und meldete dem jungen Herrn von Ruborn Jemand, der ihn zu sprechen wünsche. Er ging hinaus und kam sogleich mit Jenem zurück. Er wandte sich zuerst mit dem neu Angekommenen zum Vater und sagte: »Hier hab' ich die Ehre, lieber Vater, Ihnen Herrn Kieselack vorzustellen, der mir den Wunsch ausgedrückt hat, in unserm Hause bekannt zu sein.«

Herr von Ruborn machte eine flüchtige Verbeugung zum Willkommen, und Robert – wir wollen den jungen Herrn von Ruborn an seinem [98] Namen nennen – brachte nun seinen Einführling zu der Schwester und den andern Herren und Damen. Die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Worte wurden gewechselt. Der Freund Robert's, ein junger Mann mit dunklem Lockenhaar und einem düstern Blick, rückte mit seinem Stuhl merklich etwas weiter, als Herr Kieselack sich in den kleinen Kreis einschob.

»Wo blieben wir doch?« hub Clementine wieder an. »Ach, richtig – bei den Pyramiden.«

»Die größte ist ohne Zweifel,« sagte Herr Kieselack, »die in der Pyramidengruppe von Gizéh befindliche, und dem Könige Cheops zugeschriebene, deren Höhe Herodot auf 800 Fuß angiebt, Strabo bestimmt sie nur auf 625, Diodor sogar nur auf 600 Fuß. Die neuern Messungen stimmen so ziemlich mit der letztern Angabe überein.«

»Der Fürst Pückler beschreibt dieses alte Wunderland sehr anziehend,« bemerkte Fräulein von Ruborn.

»Finden Sie das?« rief Herr Kieselack. »Ich muß gestehen, daß ich seine Skizzen – denn etwas anderes sind doch diese aphoristischen Blätter keineswegs – sehr flüchtig entworfen, und sehr oberflächlich aufgefaßt finde.«

»Freilich,« sagte Robert, »der Fürst hat seine Glanzperiode in seinen Briefen aus England [99] durchlebt. Etwas so Originelles und in seinem Genre Vollendetes ist in unsrer Literatur noch nicht dagewesen.«

»Finden Sie das?« bemerkte Herr Kieselack. »Ich muß gestehen, mir haben diese Briefe nicht genügt. Ich bin in England gewesen, und weiß daher, wie man dieses Land schildern muß.«

»Haben Sie nichts über diese Reise in den Druck gegeben, Herr Kieselack?«

»Nein. Jetzt, da alle Welt die Druckerpressen in Bewegung setzt, ist es eine ehrende Auszeichnung, nichts veröffentlicht zu haben. Ich habe mich damit begnügt, überall, wo ich gewesen bin, und ich bin fast überall gewesen, meinen Namen aufgeschrieben zu haben.«

»Ich hab' ihn gefunden,« bemerkte hier der düstre junge Mann, »und er hat mich nicht wenig in meinem einsamen Naturgenuß gestört.«

Das Berliner Kind lachte boshaft.

»Und Sie Herr Kommerzienrath, wo sind Sie denn gewesen?« hub Clementine an, der es ärgerlich war, daß ihr alter Verehrer so lange stumm dagesessen. »Haben Sie nicht daran gedacht, sich nach Jerusalem zu begeben, um den alten Tempel Salomon's wieder aufzubauen?«

[100] »Nein, mein Fräulein. Wenn ich hoffen dürfte, Salomon's viele hundert junge Freundinnen dort zu finden, und wenn diese lieben Geschöpfe mir wollten bauen helfen« –

»Das glaub' ich, in dem Fall würden Sie hingehen. Aber Sie müßten sich in Acht nehmen. Jene lieben Wesen würden sich vortrefflich darauf verstehen, gefärbtes Haar von der natürlichen Haarfarbe zu unterscheiden.«

»Mein Himmel!« rief der kleine Mann aufgebracht, »immer die Idee, daß ich mir das Haar färbe! Wie soll ich Ihnen denn das Gegentheil beweisen? Uebrigens, wenn ich wollte, könnte ich auch ganz artige Dinge publiciren. So die Erinnerungen meines Großoheims. Friedrich der Große war einst so gnädig, auf meinen Großoheim zuzukommen und indem er ihm auf die Schulter klopfte zu sagen: Nun alter Ephraim, halt' er sich brav, jetzt fängt der siebenjährige Krieg an. Nie wird in meiner Familie dies wahrhaft königliche Wort vergessen werden.«

Clementine lachte laut auf.

»Worüber lachen Sie, mein Fräulein?« fragte der kleine Mann. »Diesmal muß ich wirklich Ihre Spottsucht übel nehmen. Es gilt den heiligsten Erinnerungen meiner Familie.«

[101] »Sie können kein wahres Wort über die Lippen bringen,« rief das lachende Kind. »Wie konnte der König wissen, daß der Krieg sieben Jahre dauern würde? Es ist also an der ganzen Geschichte kein Titelchen wahr. Uebrigens glaub' ich nicht einmal, daß Sie einen Großoheim gehabt haben. Ihre Verwandtschaft hält ebensowenig Farbe wie Ihr Haar.«

Der überall hier Verspottete schwieg unwillig.

Clementine reichte ihm die kleine Hand hin, indem sie anmuthig rief: »Liebes Kommerzienräthchen – nur nicht lügen, und wir sind die besten Freunde!« –

Das Berliner Kind freute sich ungemein, denn es galt Jemand aufzuziehen, und nichts war ihm lieber, als hierbei mitzuwirken; besonders wenn es kein vornehmer und kein angesehener Mann war, und man daher nach keiner Seite hin Gefahr lief. Allein es irrte sich, Clementine nahm sich ihres Schützlings, just da sie sah, daß auch Andre sich über ihn lustig zu machen sich erkühnten, ernstlich an, und alles, was der Kommerzienrath sagte und that, fand an ihr Vertheidigung und Schutznahme, so daß Herr Kieselack etwas befremdet den Kürzern zog. Er entfernte sich bald, und Clementine rief: »Was ist das für ein Mensch? Was will er bei uns? Wo kommt er her? Er gefällt mir nicht.« –

[102] »Es thut mir leid,« entgegnete Robert ernst; »allein man kann Einen, der höflich und freundlich gegen uns ist, der die Bitte vorträgt, in diesem Kreise eingeführt zu sein, und gegen den sich nichts vorbringen läßt, füglich nicht wegweisen.«

Herr Kieselack war in der That unbeschreiblich, fast kriechend freundlich und artig gegen den Herrn von Ruborn, so wie gegen den Sohn gewesen. Es waren vornehme und angesehene Leute, und gerade diese politische Meinung, die hier vertreten wurde, war die herrschende. Noch in den letzten Monaten des vorigen Jahres war Herr Kieselack ein Republicaner gewesen.

»Mir ist er verhaßt,« sagte der junge düstre Mann, den wir Emanuel nennen wollen – »und ich habe ihm immer gezeigt, daß wir nicht zusammen passen.«

»Nimm mir's nicht übel,« hub Robert an, »Du bist ungerecht und mußt es wohl sein, denn Du bist ganz und gar sein Gegentheil. Schon als Kind des ›Gebirgs‹ kannst Du diesen ›Sohn der Stadt‹ nicht wohl verstehen. Dann bist Du ein Schlesier, ein Sprosse jener alten Dichterschule, die uns Günther'n, die Karschin und neuerdings den trefflichen Strachwitz gegeben hat, Du bist tiefsinnig und [103] ernst – er ist ganz Frivolität – wie sollt Ihr Euch da verstehen.«

»Er ist ein Sinnbild dieses Berlins, das ich hasse,« sagte Emanuel. »Wie hat es sich in dieser Stunde der Prüfung benommen. Wie gesund die Provinzen, wie elend, wie krank die Hauptstadt! Und dieser Mensch in seiner Eitelkeit und Aufgeblasenheit repräsentirt nun diese kranke hinfällige Hauptstadt. Uebrigens war mir seine Erscheinung heute ganz besonders widerwärtig, weil noch ein tiefes, bedeutsames Gespräch in meiner Seele nachklang, das ich hier mit Robert geführt. Auch einige Aeußerungen, die hier aus dem Kreise des Herrn am Kamin zu uns herübertönten, waren farbig blühend in einer Seele aufgegangen und hatten ihren Duft – denn wir haben in unsrer eisernen Zeit ja fast nur Gedankenblumen, nicht mehr Empfindungsblumen – mit dem Aushauch einer Traumblüthenstaude gemischt, die in einer dieser Tage, oder vielmehr dieser Nächte in mir erwuchs. Ich möchte es mehr wie einen Traum, ich möchte es eine Vision nennen, die mir wurde, und gewiß von freundlichen Göttern.«

»Sie sollten uns diese Vision mittheilen,« sagte Fräulein von Ruborn.

[104] Herr von Ruborn war aufmerksam geworden, und wandte sich nun zur kleinen Gesellschaft, indem er seinerseits Emanuel aufforderte, zu erzählen. Dieser fügte sich dem Wunsche, und begann, wie folgt.


[105]


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