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13.
Der General und die Bäuerin.


In den Herbstmonaten des vorigen Jahres langte ein sehr origineller und entschiedener Charakter in Berlin an, um seinen längern Aufenthalt in dieser Stadt zu nehmen. Es war dies der »General in den Marken.« Auf einem grauen Pferde sah man ihn erscheinen, und um ihn her wogte ein ganzes Meer von Soldaten. Die Plätze und Hauptstraßen um das Schauspielhaus herum waren angefüllt von dem kecken und kriegslustigen Geschlechte, das im Frühling des vorigen Jahres bei dem beginnenden Zerwürfnisse schmollend und grollend ausgezogen war, und das jetzt übermüthig und stolz wieder mit ihrem »Generalen« an der Spitze einzog, um den Berlinern die Freude zu machen, den blitzenden preußischen Helm wieder in den Straßen blinken zu sehen. Die Soldaten erwarteten ihre Quartierbillette, sie zogen nicht [165] in ihre Kasernen, die noch nicht geräumt waren, sie behandelten die Stadt, wie einen eroberten Platz. Daß es nicht zum Kampfe gekommen war, beklagte mancher heiße, junge Kopf, und in mancher biedern, jungen Brust, die sich den feindlichen Bajonetten willig entgegengeworfen hätte, schlug das Herz unwillig. Aber der General sah mit ruhigem Blicke auf seine Soldaten. Er wußte, daß die alte preußische Ehre in diesen Schaaren lebte, er liebte seine Soldaten wie seine Kinder, und hatte mit ihnen Leid und Freud' in dem eben erst beendeten Feldzuge getheilt. Er brachte jetzt »seine Garde« in die Stadt zurück.

Dieser alte General, der sich den aufgeregten Berlinern aufdrängte, unbekümmert, ob sie ihn haben wollten oder nicht, bezog sein Quartier im königlichen Schlosse.

Die Stadt gährte.

Zwei preußische Männer, voll Muth und bewußter Thatkraft, hatten so eben die Ministerbank verlassen und die tumultuarische Versammlung aufgelös't. –

Ein nicht endender Ruf nach Rache und ein stürmischer Tumult waren unmittelbar diesen Vorgängen gefolgt.

[166] Man sah die aufrührerischen Schaaren hierhin, dorthin stürzen. Die Straßen hallten wieder von Geheul und Flüchen. Die Bürgerwehr schloß sich in engen Reihen, um die noch im Innern des Hauses tobende Versammlung zu schützen.

Da erschien der alte General.

Plötzlich war er da, plötzlich war diese Unmasse von Soldaten da, und sie standen alle mitten in Berlin, während man noch debattirte, ob man sie überhaupt wollte hereinlassen.

Aber keiner der Soldaten hatte gefragt, ob er kommen dürfe; am wenigsten hatte dies der alte General gethan. Fragt der Hausherr wohl, ob es ihm gestattet sei, in sein eigenes Haus zurückzukehren?

Seitdem war der Belagerungszustand über Berlin ausgesprochen worden, und Berlin hatte sich gefügt. Ein ruhiger, geordneter Winter war dem tollen, verwilderten Sommer gefolgt. Nach und nach kehrten die Gewerke zu ihren Verrichtungen zurück, die Märkte belebten sich wieder mit den Gruppen friedlicher Käufer und Verkäufer, der Wohlstand hob sich, aber Berlin – weit entfernt dies anzuerkennen, schmollte und grollte, und schalt auf den alten General, auf dessen Schnurrbart es Karrikaturen machte.

Aber den alten General kümmerte dies nicht. Er [167] blieb bei derselben gütigen und milden Ruhe, und dabei bekam Jeder, der es wünschte, das eiserne, unbeugsame Auge in diesem wilden, alten Gesichte zu sehen. Es flogen keine Kugeln in Berlin und betteten sich in menschliche Herzen, es gab keine verbundene Augen und zielende Flintenläufe; es gab sogar keine tiefen, feuchten Kerker; der General und seine Soldaten wußten das so einzurichten, daß ohne Mord und Einkerkerung Berlin wieder zur Vernunft kam. Aber Berlin, weit entfernt das anzuerkennen, grollte und schmollte und war fast unzufrieden, daß auf der Hasenhaide Niemand erschossen wurde.

Nachts, wenn alle Welt ruhte, ging der alte General und sah nach, wie man seine »müden Kinder« gebettet hatte. Da ging er zuerst zum Regimente seiner lieben Pommern, zu den breitschultrigen, wilden Jungen, mit den treuherzigen, ehrlichen, blauen Augen, die das Andenken ihrer braven Väter wach erhalten, und in deren Reihen nie sich ein Verräther hat eingeschlichen. Er fand sie auf Böden, in Ställen, auf harten Dielen gelagert, denn es fehlte an Allem. Aber Niemand beklagte sich. Das Regiment Kolberg war zufrieden. Es war gekommen, um den König zu befreien, und seiner stolzen Ansicht nach hatte es ihn auch befreit. Dann die hohen, schlanken [168] Söhne der Garde, die auf den Berliner erbittert waren aber voll Großmuth es nicht im mindesten merken ließen. Dann das neunte Regiment, das herbeigeeilt war, rasch wie der Sturmwind, als es hieß, in Berlin gäbe es Gefahr. Dann die unüberwindlichen, kleinen Vierundzwanziger, die seitdem so viel von sich haben sprechen machen, und die ihre siegreiche Fahne bis an Deutschlands Grenze, bis tief in die Schatten des alten Schwarzwalds getragen haben, und die sich darin gefielen, ein so höhnendes Spiel mit den Aufrührern in Berlin zu treiben, indem sie sich stellten, als läge ihnen die preußische Ehre weniger am Herzen, und die grade dann recht eigentlich bewiesen, wie sie nichts als diese, und immer nur diese im Schilde und im Herzen führten. Tapfere und geliebte Söhne des Vaterlands.

Alle diese Truppen, die jetzt Berlin umschloß, besah sich der General in seinen nächtlichen Ausflügen. Hier und da blieb er stehen, und sprach mit diesem oder jenem seiner Kinder ein Wort, fragte ihn nach Nachrichten aus seiner Heimath, oder brachte ihm welche.

 

Wir kehren zu unsrer Erzählung zurück.

Die Parade war eben abgehalten worden. Das Spiel der Hoboisten, der Schall der Hörner, und [169] die Klänge des Triangels hatten den Berliner wieder auf der alten gewohnten Stätte, im Wäldchen an der Hauptwache, neben den Marmorbildern der Feldherren, erfreut. Jetzt kam der General ermüdet heim, denn er hatte noch eine Stunde bei dem berühmten Professor zugebracht, der sein Bild malte, und wollte sich ausruhen. Da fand er sein Vorzimmer wieder gefüllt – nach alter Weise.

Es war dem Manne, der Berlin zur Ruhe gebracht, selbst keine Ruhe gegönnt. Es mußte das Vorzimmer geräumt werden, und der dienstthuende Adjutant sagte im Vorbeischlüpfen:

»Gott sei Dank, Excellenz, ich seh' schon die rothe Säule wieder.« Wenn diese Säule sichtbar wurde, und sie wurde nur sichtbar, wenn das Zimmer sich schon ziemlich geleert hatte, war die Hälfte der Arbeit gethan.

Die rothe Säule war sichtbar.

Hinter dieser Säule stand ein altes Mütterchen, mit einem großen Korbe unterm Arm, über dem sie eine blau und weiß gewürfelte Schürze gedeckt hatte. Der General hatte sie bemerkt und winkte sie hinein, während zwei höhere Offiziere noch warten mußten.

Die Alte kam hinein, und machte einen tiefen Knix. Sie war gekleidet wie die Bäuerinnen aus [170] der Gegend um Stettin, ein schwarzer, gefalteter Rock, ein weiter, weißer Halskragen, ein Mieder von schwarzem Glanzkattun, und eine Haube mit weiten, schwarzen Bandflügeln.

»Mütterchen, woher?« fragte der General, indem er vor dem kleinen, alten, freundlichen Weibchen stehen blieb, und sie betrachtete.

»I, Herr Oberstken, kennen Sie denn die Trine aus Pieritz nicht mehr?«

Der Adjutant bemerkte, daß sie General sagen müßte. Die Alte sagte:

»Ick gloob's, aber als ick det General zum erstenmale in Stettin sah, war het Oberst. Meine alte Mutter lebte damalen noch. Die sagte: Schau', Trine, det ist unser lieber Oberst! Ick sagte: Ick kenn' ihn.«

»Nun, Mütterchen, was wollt Ihr denn von mir?«

»I, just nix, als Sie wiedersehen, Oberstken. Es ist wegen der alten Freundschaft! Wir han drüben in Pieritz gehört, daß Oberstken mit unsrem König ein Wort geredet han, und daß d'rauf die Sachen hier in Berlin wieder in Ordnung gekommen sind, und das Vaterland gerettet. Da dacht' ick, will mal hingehen und dem Herrn Oberst meine Empfehlung [171] machen, und ihm Dank sagen. Dazu wollte ick auch meine beeden Jungens hier besuchen.«

»Wo stehen Eure Söhne?«

»Der Eene bei det neunte Regiment, der Andre bei det Königsregiment. Sie lassen den Herrn Oberst schön grüßen.«

»Ich danke.«

»Aber warum ist det Belagerungszustand, Herr Oberst?«

»Das versteht Ihr nicht, Mütterken, det is wegen der Ordnung.«

»Wegen der Ordnung! Man zu! Ordnung muß sind. Aber meene Frau Gevatterin im Bullenwinkel sagt, det Herr Oberst hätte den Belagerungszustand ufgebracht, damit die Fleischer und Bäcker wieder besser zu Verdienst kämen. Da müßt ick denn bitten, daß Sie, Oberstken, in Pieritz ok eenen Belagerungszustand maken. Det Fleisch ist dort grausamlich theuer, und det Brod gleichfalls.«

»Es geht nicht so überall mit dem Belagerungszustand, Mütterken.«

»Man zu! Wird schon gehen! Nur Kurrasche! Immer d'rauf los! Sprechen Sie man wieder ein Wort mit unsrem König, der wird nix dagegen han, daß Pieritz ok Belagerungszustand bekommt.«

[172] »Da Ihr in Pieritz den König liebt, und Ordnung haltet, so verdient Ihr nicht Belagerungszustand, Mütterken. Das ist keine Freude für eine Stadt, das ist eher ein Kummer.«

»Ein Kummer? Aber die Leut' sind ganz lustig auf den Straßen! und meine Gevatterin sagte mir, es gäbe Niemand in ganz Berlin, den die Leute, und grade die armen Leute, so gern hätten, als Sie, Herr Oberstken.«

Das Gesicht des alten Kriegers nahm einen unbeschreiblich freudigen Ausdruck an.

»Ist's wahr, Alte?« sagte er– »Hast Du das wirklich gehört?«

»Ick will kein Pieritzer Kind sein, Oberstken, wenn ick det nicht einmal, nein hundertmal gehört, seitdem ick hier in Berlin bin. Det hat mir ja ok Freude gemacht. Ick denk' immer, det ist derselbe Oberst, den Du und die Mutter noch in Stettin gesehen, wo er noch nix war. Aber Oberstken, warum lassen Sie die vornehmen Herren Generäle, mit den grausam vielen Ordenssternen da draußen warten? Ick gloob', det ist nicht recht. Mein Sohn sagt: Dienst muß vorgehen! Mutter. Und darum, obgleich dem Jungen die hellen Freudenthränen über die Backen liefen, als er mich kommen sah die Straße [173] hinauf, blieb er doch auf seinem Posten steif stehen, und präsentirte das Gewehr, weil zwee Offiziere in der Nähe standen, und spraken und nich weggehen wollten. Dienst muß vorgehen!« –

Der General lachte.

»Da hast Du Recht, Mütterken; allein die Herren warten um Dich einmal gern, mir zu Gefallen. Was hast Du denn in Deinem Korbe?« –

Die Alte deckte verschämt die Hülle ab, und es kam ein großer, gewaltiger Kuchen zum Vorschein.

»Es ist ein Pflaumenkuchen vom vorigen Jahre, det heißt, Oberstken, die Pflaumen sind vorjährig, der Kuchen ist diesjährig. Ick hab' ihn von Pieritz hierher transportirt, um Ihnen ein Präsenter damit zu machen, mit Respect zu sagen. Wir Pieritzer sind auch oben d'rauf! – Man zu! Aber, Männeken, geben Sie den armen Generalen dort draußen ok etwas ab, von wegen des Wartens.«

»Ich danke schön, Mütterken, die Generäle sollen auch etwas haben.« –

»Sie können's brauchen. So een vornehmer Mann steht und wartet und hat den Deibel in seinen Gedärmen vor Hunger und Herzeleid, da dankt er den juten Gott für ein Stück Pflaumenkuchen aus Pieritz. Mein Mann sagte immer, wenn ick auf's Feld [174] kam, ihm Essen zu bringen: Nur man nicht warten lassen! Trine, nur Eens, man nicht warten lassen! Aber Oberstken, ick hätte noch eene Bitte.«

»Und was ist's?«

»Ick hab' noch eenen dritten Jungen, der möcht' ok unter die Soldaten gehen.«

»Nur zu, Mütterken.«

»Ick bring' ihn selbst her. Es ist mein Nestputschelchen: aber der König soll ihn haben.«

»Er wird Euch nicht genommen werden, wenn er Euer letzter Sohn ist.«

»Aber ick will, und mein Sohn will. Es muß sind. Wir haben in Pieritz gehört, der König sei noch immer etwas in der Patsche drin, und zähle und rechne auf alle seine lieben Kinder. Nu, wir Pieritzer stehen Niemandem nach. I Gott bewahre! Fällt uns gar nicht ein, daß wir Jemand nachstehen! Ick und meene drei Buben sind für den König immer oben d'ruf! Nun, Oberstken, gehts oder gehts nicht?«

»Es geht. Bringt ihn nur her; ich werde selbst dafür sorgen, daß er gut untergebracht wird, und werd' ein wachsames Auge auf ihn haben.«

»Aber da müßten wir det beste Regiment aussuchen, Oberstken.«

»Mutter, es giebt kein bestes Regiment. Sie [175] sind alle gleich gut, denn es sind alle preußische Regimenter. Versteht Sie mir?« –

»Man zu! Nun ist mir ganz leicht zu Gemüthe. Nu hab' ick geschwind noch eene Bitte.«

»Laßt hören.«

»Hier hab' ick een olles Buch, es ist det die Bibel. Da stehen auf der obersten Seite allerlei Namen drin, von meinem Großvater und meinem Vater, und von dem Pfarrer im Dorf und dem Schulzen wohl vor funfzig und mehr Jahren zurück. Na Oberstken, da soll nu ok Ihr Name instehen.«

»Mit Freuden, Mutterken, gebt mir man die Feder von dort her.«

»Hier, Oberstken und wollt Ihr ok mein olles Ogenglas dazu haben, hier ist's. Da, ick hab's proper abgewischt.«

»Brauch kein Augenglas. So, hier steht's, klar und deutlich. Könnt Ihr Geschriebenes lesen?«

»Ne, aber meine drei Buben können's. Ick kann nu man noch Gedrucktes lesen, un det ok schwierig. Aber es wird wohl richtig sind. Bedanke mich schön!« –

»Nu geht mit Gott, Mutterken, und bringt mir, wann Ihr wiederkommt, Euren Sohn. Hört Ihr.«

»Schon gut – aber nun, Oberstken! Wegen [176] det Belagerungszustandes! Könnt Ihr denn wirklich nich machen, daß Pieritz ok eenen bekommt? Männeken, det wäre zu prächtig! Man zu! Nur Kurrasche, et wird schon gehn!« –

Und so ging sie fort, nachdem sie dem General noch die Hand zum Abschied gereicht, und den Offizieren an der Thüre einige Verbeugungen, mit Kopfnicken und Kußhändchen begleitet, gemacht hatte.

Der General war äußerst guter Laune. Es war ihm ein erfreulicher Gedanke, seinem Namen, den neuerdings die Berliner Schmähblätter verunglimpft hatten, in der Bibel des alten Weibes einen stillen und sichern Platz gegeben zu haben, wohin keine freche Zunge hinreichte. Ebenso wie hier in die Bibel – hoffte er – und wünschte er – hatte er sich in manches treue alte Preußenherz eingeschrieben. Er beneidete – so einfach und treu dachte er – diejenigen Heerführer nicht, die ihre Namen mit goldenen Lettern in Marmor verewigt sahen, ihm lag unendlich vielmehr daran, daß ihn das Volk kannte, das unverdorbene, treue Volk, daß es ihn Vater und Freund nannte. Die Kinder dieses Volks, die Soldaten, waren ohnedies seine Kinder. So war er ein Heerführer im wahren Sinne des Worts, denn er führte das Heer der Seinen.

[177] Jetzt ließ er die Literaten vor, die Zeitungsredacteure. Dies war keine ganz angenehme Arbeit für ihn, denn die Herren waren unermüdlich in der Erfindung immer neuer Winkelzüge und Kunststückchen, wie ein gegebenes Gebot oder Verbot zu umgehen oder fruchtlos zu machen sei. Besonders war hierin ein Zeitungsinhaber, ein alter Herr mit einer Burgundernase, sehr geschickt. Auch war es den Herren eine Freude, den General durch gelehrte Spitzfindigkeiten und geschraubte Phrasen in die Enge zu treiben. Aber sie mußten sich fügen, denn das scharfe Auge, und der grade, ehrliche Sinn waren ihnen überlegen.

Dann kam auch »der Vetter« an die Reihe, der schon gestern vergeblich angefragt. Seine Aufgabe wurde aufnotirt, und es wurde ihm bedeutet, daß er in ähnlichen Fällen den General selbst nicht zu beanspruchen brauche, sondern gehörigen Orts bei der Unterbehörde seine Angaben zu machen habe. Der junge Mann war hierüber etwas ungehalten, er hatte sich auf eine große, lärmende Rede bereit gemacht, die er vor dem kommandirenden General, und wo möglich vor einem zahlreich versammelten Corps von Offizieren und Patrioten halten wollte. Jetzt ging er unmuthig und kleinlaut fort.

[178] Ganz zuletzt ließ sich auch Herr Kieselack melden, wurde jedoch nicht angenommen. Der General, ermüdet und in übler Laune, ließ sich seinen Besuch auf ein andersmal ausbitten.


[179]


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