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8.
Herr von Ruborn.


Es war in den spätern Abendstunden, als eine kleine Gesellschaft sich bei Herrn von Ruborn versammelt hielt. Vier ältere Herren saßen am Kamin, dessen Flamme in dieser Jahreszeit, es war der letzte März – noch ein Bedürfniß war, ein paar jüngere Männer hielten sich in der Tiefe des Zimmers bei einem leise geführten Gespräch zusammen, und zwei Frauen saßen, schon im Hut, denn sie wollten eben in die Oper fahren, allein die Unterhaltung der vier Herren am Kamin machte, daß sie von Minute zu Minute, von einer Viertelstunde zur andern zögerten, an einem der Mittelfenster des Salons. Es herrschte ein Dämmerlicht im Zimmer, verbreitet von einer Lampe, die von einem Schirm verdeckt war, und auf einem Marmortisch am entfernten [80] Spiegel stand. Leise kamen die Diener, um die Tassen des eben genossenen Kaffees fortzutragen.

Von den vier Herren waren der eine ein eben regierender Minister, ein zweiter ein gewesener, ein dritter war der Gesandte einer ausländischen Macht, und der vierte war der Herr v. Ruborn ein Mann von vierzig Jahren, ernst, trocken, schweigsam, in vielfachen Staatsgeschäften früher beschäftigt, jetzt aber auf kurze Zeit in einen selbst gewählten Ruhestand eingetreten.

Es ward von den jüngsten Reden in der zweiten Kammer gesprochen, namentlich von der leidenschaftlichen phantastischen Improvisation des Herrn von Vincke, die dieser gerade in einer der letztern Sitzungen zu Tage gefördert, und in welcher dem Ministerium der Vorwurf gemacht wurde, sich der deutschen Sache entzogen zu haben, oder wenigstens willens zu sein, sich zu entziehen. Diese Interpellation war das Gespräch des Tages. Die Stadt befand sich in Aufregung, man gab Vincke Recht, man tadelte das Ministerium, man wollte stürmend ans Ziel.

Der Gesandte der fremden Macht hatte so eben einzelne Bemerkungen gemacht, die dieser Ansicht der Menge entsprachen. Der Minister, der vom Ruder [81] gekommen war, gab ihm Recht, der Minister, der noch am Ruder war, gab ihm Unrecht.

Endlich erhob sich die tönende, tiefe und markvolle Stimme des Herrn des Hauses.

»Sie sagen,« hob er an, und um den scharfgeschnittenen Mund mit den dünnen Lippen zuckte etwas wie ein Lächeln, ›daß Preußen zurückbleibe,‹ und doch ist grade Preußen bis jetzt der einzige Staat, der wahrhaft vorwärts gegangen. Ich verstehe unter ›vorwärtsgehen,‹ ein Gehen, wo man nicht gezwungen ist, wieder zwei Schritte feig zurück zu gehen, wenn man überkeck einen vorwärts gemacht. Nennen Sie mir die Opfer, die das übrige Deutschland gebracht? Ich bin begierig sie kennen zu lernen. Preußen hat – und zwar schon lange vor dem Revolutionsjahr 1848 Deutschland zur größern Einigung, als der Bundestag sie gab, führen wollen, allein es wurde von Oesterreich – nicht unmittelbar, ich will's gestehen, allein mittelbar zurückgehalten. Wir sind es gewesen, die den Zollverband durchsetzten, wir, die eine Menge freierer Institutionen immer wieder in Anregung brachten, endlich war es Preußens König, der sich kühn für die neue Bewegung erklärte. Preußische Heere waren es, die für ein Prinzip, das der Legitimität und den dynastischen Interessen wahrhaftig [82] nicht dient, im Norden sich schlugen. Preußisches Geld war es, das die National-Versammlung, die in ihrem Innern gegen Preußen kabalisirte und conspirirte, in Frankfurt unterhielt, undenklich sind's wieder Preußens Heere, die augenblicklich bereit stehen, die gefährdeten Regierungen Deutschlands von ihren Drängern zu befreien. Was hat Oesterreich für den engern Bund gethan, was für den Krieg in Schleswig? Hat es Deutschland seine Flotten gegeben, hat es Geld und Streitkräfte geopfert? Es hat nichts weiter gethan als zugegeben, daß ein Prinz seines Hauses an die Spitze der Centralgewalt erhoben werde, dieselbe Centralgewalt, die offenkundig gegen uns ist, nicht für uns, die jetzt uns heuchlerisch eine Kaiserkrone zu bieten kommt, welche, wenn wir sie annähmen, uns sicher in's Verderben stürzte. Und dies, meine Herren, nennen Sie noch keine Opfer von Preußens Seite? Dies noch keine Thätigkeit, um das Einigungswerk zu Stande zu bringen? Wahrlich, es ist Zeit, daß wir jetzt sprechen: Halt, nicht weiter! Wir haben euch gezeigt, daß wir zu euch stehen, nun zeigt uns, daß ihr es anerkennt, daß ihr wißt, was ihr an uns habt.«

»O, und das seh ich kommen!« rief der am Ruder befindliche Minister. »Wir werden und müssen [83] jetzt hervortreten mit dem, was wir für so viel Opfer fordern dürfen.«

»Gott gebe, daß man damit hervortrete!« rief Ruborn. »Zeit wär's.«

»Und was wär' es, was Sie fordern könnten?« fragte der Gesandte der fremden Macht.

»Daß wir es sind – ich sage wir, von denen Deutschland seine Verfassung erhält,« entgegnete der Minister.

»Oh« – rief der Gesandte, und warf sich in die Lehne seines Sessels zurück. »Das heißt im Styl Friedrich des Großen gesprochen!«

»Gut, wir sind auch seine Erben.«

»Aber wo bleiben die humanen Zwecke, die Volkssouveränetät? die Einheit? Wie kann man hoffen, daß die Wege wieder verlassen werden, die einmal eingeschlagen worden sind.«

» Die Wege sind schon verlassen.«

»Bleiben wir beim Gegenstand,« hub Herr von Ruborn wieder an. »Man sagt uns, das Land will und hofft, daß der König die Kaiserwahl annehme. Die Radikalen in den Kammern drohen uns, daß die Rheinprovinzen abfallen, wenn es nicht geschehe, man sagt uns, daß wir die Sympathien von ganz Deutschland verlören, wenn wir Anstand [84] nähmen. Nun wohl – sei es! Ich glaub' es nicht – allein möglich wär' es, die Provinzen fielen ab, wir werden sie wieder zu erobern wissen, sei es – daß die öffentliche Meinung in Deutschland sich gegen uns erklärte – sie hat es schon jetzt gethan – allein was ist damit geschehen? Haben wir nicht gesehen, daß öffentliche Meinungen sich wie abgefallene Provinzen neu erobern lassen? Ich spreche nur von möglichen Fällen; allein ein ganz gewisser, unausweichbarer Fall wäre der Sturz unsers schönen, ruhmvollen Vaterlands, wenn wirklich der König schwach genug wäre, diese Frankfurter Krone anzunehmen. Ich will damit keinen absoluten Tadel gegen diese Krone aussprechen. Es sitzen Männer in jener Versammlung, denen man zwar nicht Urtheil und staatsmännischen Blick, aber doch guten Willen zutrauen mag, aber bei alledem sind sie die Träger einer Bewegung, die Preußen, so wie es in Wahrheit ist und Deutschland gegenüber dasteht, nur verderblich sein kann. Preußen ist groß durch seine Dynastie und sein Heer. Deutschland, Oesterreich ausgenommen, kennt fast keine Dynastien und keine Heere mehr. Das monarchische Prinzip, wo es nicht geradezu unterwühlt ist, ist schwach vertreten. Preußen soll also gerade [85] das hingeben, wodurch es stark ist, um – Deutschland dadurch noch nicht stark zu machen. Deutlich sticht also die Absicht hervor, daß Preußen geschwächt werden soll. Einen andern Zweck hat auch diese auf dem Wege hierher befindliche Kaiserkrone nicht. Ein deutscher Kaiser mit einem Reichsrath umgeben, der nach der allgemeinen Kopfzahl-Wahl gewählt worden, und dann noch mit einem suspensiven Veto, ist nichts anders als eine Puppe, die an den Fäden der Revolution hängt, welche sie die ihr zusagenden Bewegungen machen läßt. Preußen hat bis jetzt großmüthig Deutschland geholfen, es tritt zurück, wenn es nicht mehr will – dann aber würde Niemand nach seinem Willen fragen. Ohnmächtig , um seine Existenz gebracht, als großer geschichtlicher Staat vernichtet, würde es der Diener aller kleinen Herren sein, die da Lust hätten ihm Befehle zu ertheilen.«

»Um Gotteswillen!« rief der Minister. »Da würde doch eher der Himmel zusammenstürzen, ehe das geschähe. Ach, wir sind immer viel zu gefällig gewesen. Und dieses Oesterreich, dieses Bayern – wie dankt es uns! Wer hätte es uns wehren wollen, wenn wir à la Frédéric le Grand Oesterreichs Calamitäten benutzend uns einige hübsche Provinzen mit dem Säbel abgeschnitten hätten.«

[86] »Still, nichts davon,« sagte Ruborn. »Wir leben im neunzehnten Jahrhundert. Das Prinzip der Ehrenhaftigkeit herrscht auf den Thronen.«

Der Gesandte lächelte. »In wiefern die Fürsten das Prinzip der Rechtlichkeit, so wie wir es als Privatmänner befolgen, zu berücksichtigen haben, wäre noch zu fragen,« sagte er zögernd. »Wenn der König die Krone annähme, die Verfassung Verfassung sein ließe, sich recht fest auf dem neuen Throne zurechtsetzte und dann rechts und links das einige Deutschland unter den eisernsten absolutistischen Scepter brächte, dabei aber immer auf seine Größe und seinen nationalen Stolz gegenüber dem Auslande bedacht, – so wäre das am Ende gerade der Mann, den wir suchen.«

Die Damen am Fenster konnten sich nicht enthalten, laute Zeichen des Beifalls zu geben.

»Ich weiß,« hub Herr von Ruborn an, »ich weiß, daß eine solche Ansicht in gewissen Zirkeln verbreitet ist, und daß man darum gerade von dort her am eifrigsten zur Annahme der Krone räth; allein Friedrich Wilhelm ist ein Ehrenmann.«

Ein Laut, der so klang wie ungefähr in Worte übersetzt: »Wie schade!« – tönte vom Fenster her, und der Gesandte lächelte, indem er seinen schönen [87] schwarzen Bart durch die feinen, zartgeformten Finger gleiten ließ.

»O nur ein Napoleon! ein Napoleon!« tönte es vom Fenster her.

»Und was würde uns der nutzen?« sagte der Herr v. Ruborn. »Wir befinden uns inmitten einer kriegerischen, ehrenhaften Nation, und ihr moralisches Uebergewicht über das demoralisirte übrige Deutschland wird Preußen zu dem Napoleon der Neuzeit machen. Nicht der König allein – so wie denn heutzutage Fürsten allein nicht mehr entscheidend wirken – sein Volk wird siegen. Preußen wird der Retter deutscher Ehre sein.«

»Hat Ihr Fürst,« hub der Gesandte an, »sich nicht zuerst für diese drei Farben, die uns jetzt in so manche Verlegenheit bringen, entschieden? War er es nicht, der sie am Arm, in seiner Hauptstadt sich öffentlich zeigte?«

»Allerdings,« entgegnete Ruborn, »und er ist's auch noch, der die diesen Farben entsprechende Lehre verkündet; allein ist es seine Schuld, daß man das Schwarz und Gold nach und nach auszulassen das Belieben zeigt? Für die Einigung Deutschlands hat er sich bekannt, aber unter rechtlichen Grundlagen; man will aber, daß er für die Anarchie und [88] die rothe Republik auftrete. Wie die Bewegung auftauchte; nahm er als Fürst sie in die Hand, man wollte aber nicht, daß ein Fürst sie in die Hand nehme. Er geht nun seinen Weg, die Andern gehen ihren Weg. So wie die Sachen jetzt stehen, werden wir uns als Freunde nicht mehr begegnen.«

»So ist's Recht – als Feinde! als Feinde!« rief es vom Fenster her.

»Also denn ein Bürgerkrieg!« bemerkte der nicht mehr am Ruder stehende Minister. »Das ist's, was wir, als ich und meine Freunde die Leitung führten, immer vermeiden wollten.«

»Und worauf wir es ankommen lassen wollen!« rief der am Ruder befindliche Minister. »Es muß einmal reine Sprache geführt werden. Aber, freilich, vor allen Dingen müssen wir im eignen Hause reinen Heerd machen. Die Beamten, die Juristen, die Prediger, die Lehrer – wenn Alles Erlaubniß und freie Hand hat zu wühlen, immer wieder rückgängig zu machen, was wir mit grenzenloser Arbeit, und unerschöpflicher Geduld kaum gut gemacht – so möchte zuletzt das eisenfesteste Ministerium morsch werden. Darum purifizire man.« –

»Das heißt, man schraube zurück, man nehme wieder, was man gegeben hat« – bemerkte der Gesandte.

[89] »Freilich,« entgegnete fest der Minister. »Ich gestehe offen, daß ich ›Reactionär‹ bin, seitdem die ›Action‹ uns Fluch zu bringen anfängt. Man beschneide und verkürze diese sogenannten Rechte und Freiheiten, mit denen, wenn sie fortbestehen, es sich faktisch nicht regieren läßt. Vielleicht kommt einmal irgend ein Staat, irgend eine Zeit, wo diese Rechte, diese maaßlosen Freiheiten am Orte sind, und mit einer vernünftigen Staatsform sich vereinigen, mit unserer Zeit, mit unserm Staat, wie er zur Zeit noch besteht, ist ein solches Preßgesetz, ist ein solches Versammlungsrecht, ist ein solches Volksbewaffnungsrecht nicht vereinbar. Es läßt sich nicht regieren, daß heißt, es läßt sich keine staatliche Autorität, die Ordnung und Gesetz im Lande handhaben soll, denken, wenn diese März-Errungenschaften fortdauern sollen. Man soll nur den Muth haben, dies offen einzugestehen. Sollen denn Vierzig Millionen um Ruhe, Ordnung, Gesetz und Eigenthum betrogen werden, blos weil es der obersten Leitung des Staats behagt, auf einige Schwärmer zu hören, und gut noch, wenn dies blos Schwärmer, wenn es nicht vielmehr überlegte Verschwörer und Verbrecher sind.«

»Dann ist freilich die öffentliche Meinung nichts « – bemerkte der Gesandte.

[90] »Die öffentliche Meinung,« entgegnete der Minister, »thut sich im gros der Nation kund, nicht in der exaltirten Modephrase, die aus der Fremde übergebürgert ist. Das preußische Volk ist durch die Geschichte erzogen, es hat eine historische Schule der nationalen Entwickelung durchgemacht, es steht selbstständig da. Nie wird man es in Dunkel und Despotie zurückstoßen können. Die Regierung, wenn sie heute liberal wäre, morgen despotisch, sie würde das Volk nicht verändern. Es geht seinen richtigen Weg fort. Und grade dieses Volk ist's ja auch eben, das seinem Fürsten in dessen Politik Recht giebt. Die Partei, die so große Worte im Munde führt, sie ist eine gar kleine, und kommt es zum Handeln, so sind unsre Heere treu, unser Volk gut gesinnt. Wenn wir, das Ministerium, nicht diese felsenfeste Ueberzeugung hätten, wie wäre es uns möglich gewesen, so zu handeln, wie wir gehandelt haben.«

»Ich hätte doch etwas mehr Einlenken, Nachgeben, Zulassen gewünscht,« bemerkte der nicht mehr am Ruder befindliche Minister.

»Grade das hat Sie gestürzt, mein theurer College,« rief der Sprechende lächelnd. »Wir, die wir auf die Gaukler auf dem Seil, die Meinung des großen Haufens nicht achten, wir sind bis [91] jetzt geblieben, und werden mit ihrer Erlaubniß auch noch bleiben.«

Vom Fenster aus tönte ein leises Lachen.

Der nicht mehr am Ruder befindliche Minister zuckte die Achseln.

»So sehe ich denn eine Dictatur Preußens kommen,« warf der Gesandte ein.

»Die ist bereits da,« bemerkte der Minister. »Nennen Sie mir einen Staat in diesem bunt durcheinander gewürfelten Deutschland, der moralisch und physisch stärker wäre als der unsre? Wenn unsre Heere die Ordnung wieder herstellen, wenn unser Kabinet Deutschland eine Verfassung giebt, was fehlt dann der Dictatur? Und wenn es so kommt, und es wird so kommen, so sehe ich darin für Deutschland kein Unheil. Von irgend einer Seite muß das Werk der Einigung in die Hand genommen werden. Die revolutionären Versammlungen bringen nichts zu Stande, die Fürsten, wenn sie uneins mit sich bleiben, würden ebenfalls nichts zu Stande bringen, hier tritt nun ein Fürst auf und sagt offen und frei: Mit den Edelsten des Volkes wollen wir Hand in Hand regieren; da ist ein Verfassungsentwurf, prüft ihn ihr Fürsten, prüft ihn ihr Völker, und dann laßt uns gemeinsam den Bund [92] beschwören, der eine mächtige und innige Vereinigung schaffen wird.«

»Das ist die Sprache, die wir geführt haben« – bemerkte Ruborn.

»Kann wohl irgend wer in dieser Sprache eine Anmaßung erblicken?« fragte der Minister. »Der kleinliche und unbegründete Haß gegen Preußen muß weichen. Wenn er nicht weicht – nun denn; wir machen keine Concessionen weiter. Es ist genug und vielleicht schon zu viel geschehen für den Stolz eines so mächtigen und großen Volkes, das sich seines guten Rechts und seiner redlichen Gesinnung bewußt ist.«

»Wenn wir übrigens von diesem Standpunkt absehen, und einen andern wählen,« hub der Gesandte an, »so weiß Deutschland nicht, wie viel es grade seiner ›nicht compacten‹ Masse zu danken hat. Wir haben es jetzt erlebt, die Revolution ist in Deutschland ausgebrochen, aber sie hat sich auf ein Dutzend Punkte vertheilt, und damit ihre Kraft gebrochen. Möge die Umsturzpartei noch so geschickt manövriren, sie kommt doch irgendwo zu früh oder zu spät, oder weil sie überall zugleich sein muß, kann sie überall nur schwach sein. Eine Revolution in einer Stadt, welche glückt, hat eine gegen sich in einer Stadt, [93] wo sie mißglückt. Hier ein kleiner Staat gewonnen, heißt dort einen andern kleinen Staat doppelt aufmerksam und gerüstet machen. Ewig ein Spiel mit Revolution und Reaction, und zuletzt muß schon die Ordnung siegen, weil die Unordnung im Ganzen und Großen nicht zu Stande kommt. In Frankreich ist das anders – eine Erschütterung in der Hauptstadt, und das ganze Land ist mit im Sturz oder in der Erhebung.«

»Gleichwohl,« rief Ruborn eifrig, »darf diese Rücksicht nicht Geltung finden. Deutschland muß zu einer festen Gestaltung, zu einer innigern Einheit gelangen. Das sehen wir Alle ein. Der alte Bundestag bildete die saloppeste Politik, die man einem Staate zumuthen mag. Es war ein unwürdiges Institut, weil es in seiner Schwäche und Parteilichkeit die Regierungen demoralisirte.«

Eine kleine Pause war entstanden, da sprang Eine der Damen am Fenster, und zwar die jüngere, ein Mädchen von eben sechzehn Jahren auf, und in ihrem Hütchen von rosenfarbener Seide mit dem Schleier, in ihrem graziösen Mäntelchen näherte sie sich den Herren, stellte sich in eine kecke Stellung und rief: »Meine Herren, das ist mir alles noch nichts. Sie müssen von mir lernen, wie man [94] Ordnung schaffen soll. Wie Sie mich hier sehen, will ich den ›absoluten‹ König zurück haben. Wo ist er geblieben? Sie haben ihn mir genommen. Ich will ihn wieder haben. Ich will wieder den glänzenden Hof, die gute Gesellschaft, die sechzehn Ahnen, die Domkapitel – ich will alles das zurück haben, was uns über Nacht abhanden gekommen ist. Was gehen mich die langweiligen Kammern an, wo Menschen mit schlechten Jabots und mit groben großen, blauen Händen zusammenkommen und sich zanken? Ich will Wachtparaden, klingendes Spiel, hübsche Toilette der jungen Offiziere, dann will ich Feste, Abendgesellschaften, kleine Soupers und Courmacher. Kurz alles, was zu einem guten Staate gehört, und was zu allen Zeiten dazu gehört hat. Meine Herren, schaffen Sie nur das alles wieder her, oder ich will nicht eine Minute länger die Tochter eines Ministers bleiben. ›Verstehen Sie mir?‹«

Die letzte Phrase, eine in Mode stehende Redensart von einem bekannten mächtigen Manne, übte mit der Würde und der Strenge, mit der sie von den Lippen dieses kleinen hübschen Mundes tönte, eine unwiderstehliche komische Kraft auf die Zuhörer aus, und der Minister, der Vater dieses kleinen politischen Dämons, rief: »Maaß [95] gehalten Clementine – Du treibst die Reaction zu weit!« –

»Ich bin die einzige Vernünftige unter Euch Allen!« rief das Mädchen, und kehrte zu ihrer ältern Freundin zurück, der Tochter Ruborn's. Beide Damen wollten jetzt in's Theater sich begeben, als die Thür sich öffnete, und ein kleiner pucklichter Mann mit einer großen Nase und freundlichen Augen eintrat.

»Ach, der Kommerzienrath!« rief Clementine. »Wir wollen doch hören, was er sagt. Aber dann kommen wir wohl gar nicht in die Oper?«

»Es schadet nichts, mein Engel. Ich weiß doch nun schon ganz genau, wie viel Töne tiefer Frau Köster die Glasharmonika-Arie der Königin der Nacht singt. Ich muß diesen thörichten Männern hier noch etwas die Wahrheit sagen. Wo blieben sie, wenn ich nicht wäre.«


[96]


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