Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XXII

An diesem ganzen Tage sprach ich nicht mit ihr, ich war dazu nicht imstande. Ihre Nähe rief in mir eine solche Wut hervor, daß ich mich vor mir selbst fürchtete. Bei Tisch fragte sie mich in Gegenwart der Kinder, wann ich verreise. Ich hatte in der nächsten Woche vor, zu einer Kreisversammlung zu fahren. Ich gab ihr Bescheid. Sie fragte mich, ob ich nicht irgend etwas für die Fahrt mitnehmen möchte. Ich antwortete ihr nicht und begab mich schweigend in mein Kabinett. In letzter Zeit war sie nie in mein Zimmer gekommen, namentlich nicht um diese Zeit. Ich lag im Kabinett und war im höchsten Maße aufgebracht. Da vernehme ich einen bekannten Schritt. Und plötzlich kommt mir der furchtbare, tolle Gedanke in den Kopf, daß sie, wie die Frau des Urias, ihre bereits begangene Sünde verbergen wolle und daß sie deshalb zu so ungewohnter Stunde zu mir komme. ›Kommt sie denn wirklich zu mir?‹ dachte ich und horchte auf die sich nahenden Schritte. ›Wenn sie zu mir kommt, dann ist meine Vermutung richtig‹ . . . Und in meiner Seele erhebt sich eine unaussprechliche Wut gegen sie. Die Schritte kommen näher und näher – vielleicht geht sie doch vorüber, in den Salon? Nein, die Tür knarrte, und in der Türöffnung erschien ihre hohe, schöne Gestalt; aus ihren Mienen und Blicken spricht Scheu und Schmeichelei, die sie verbergen möchte, die mir jedoch nicht entgehen, und deren Bedeutung ich wohl begreife. Ich war fast dem Ersticken nahe, so lange hatte ich meinen Atem angehalten, und ohne ein Auge von ihr zu wenden, griff ich nach meiner Zigarettentasche und zündete mir eine Zigarette an.

›Sieh doch! Man kommt zu dir, um zu plaudern, und du steckst dir eine Zigarette an?‹ sagte sie, setzte sich neben mich auf den Diwan und wollte sich an mich lehnen.

Ich rückte fort, um ihrer Berührung auszuweichen.

›Ich sehe, es paßt dir nicht, daß ich am Sonntag spielen will?‹ sagte sie.

›O, doch, doch, es paßt mir sehr gut‹, erwiderte ich.

›Ja, aber ich sehe doch . . .‹

›Freut mich sehr, daß du es siehst. Ich sehe nur das eine, daß du dich wie ein kokettes Weib benimmst . . . Du schwärmst eben für alles Gemeine, während ich es verabscheue.‹

›Wenn du schimpfen willst wie ein Kutscher, dann geh' ich lieber.‹

›Geh' – aber merk' es dir: wenn dir an der Familienehre nichts liegt, so werde ich sie zu schützen wissen, dich aber . . . dich . . . mag der Teufel holen!‹

›Ja, was . . . was denn?‹

›Pack' dich – um Gottes willen, pack' dich!‹

Ob sie sich nur so stellte, als verstände sie meine Worte nicht, oder ob sie sie wirklich nicht verstand – kurzum, sie wurde böse, ging jedoch nicht hinaus, sondern blieb beleidigt mitten im Zimmer stehen.

›Du bist wirklich ganz unmöglich geworden‹, begann sie, ›du hast eine Art, an die auch ein Engel sich nicht zu gewöhnen vermöchte‹ – und wie immer, suchte sie mich an einer möglichst schmerzlichen Stelle zu treffen, indem sie mich an einen Zusammenstoß mit meiner Schwester erinnerte, der ich damals im Ärger einige Grobheiten gesagt hatte. Sie wußte, daß mir dieser Streit sehr peinlich gewesen war, und darum spielte sie gerade jetzt auf ihn an.

›Nach jenem Vorfall wundere ich mich über nichts mehr‹, sagte sie.

›Ja, mich beleidigen, erniedrigen, mich mit Schmach und Schuld bedecken . . .‹, sagte ich mir im stillen – und plötzlich erfaßte mich eine so entsetzliche Wut gegen sie, wie ich sie noch niemals empfunden hatte. Zum erstenmal verspürte ich das Verlangen, diese Wut physisch zum Ausdruck zu bringen. Ich sprang auf und drang auf sie ein, im Augenblick jedoch, da ich aufsprang, kam mir mein Wutzustand zum Bewußtsein, und ich fragte mich, ob ich recht daran täte, mich diesem Zustande zu überlassen. Und alsbald gab ich mir zur Antwort: ›Ja, ja, du tust recht daran, denn das wird sie einschüchtern‹, und statt die Flamme zu löschen, begann ich sie vielmehr zu schüren und empfand eine wahre Lust, wie sie mehr und mehr in mir emporloderte.

›Scher dich hinaus oder ich schlage dich tot!‹ schrie ich, auf sie zutretend, und erfaßte ihre Hand. Ich verstärkte dabei absichtlich den wütenden Ausdruck meiner Stimme. Und ich muß wohl furchtbar ausgesehen haben, denn sie war so eingeschüchtert, daß sie nicht einmal mehr die Kraft fand, sich zu entfernen, und nur die Worte hervorbrachte:

›Wassja, was ist denn mit dir? Was ist dir?‹

›Hinaus mit dir!‹ brüllte ich noch lauter, ›du bringst mich, weiß Gott, zum äußersten! Ich stehe für mich nicht mehr ein!‹

Ich überließ mich ganz meiner Wut, berauschte mich förmlich an ihr und verspürte nicht übel Lust, noch irgend etwas ganz Außergewöhnliches zu vollbringen, das den Grad meiner Raserei zum Ausdruck bringen könnte. Ich brannte vor Verlangen, sie zu schlagen, zu töten, doch sagte ich mir, daß das doch nicht so ohne weiteres gehe, und um meinem Jähzorn wenigstens einen Ausweg zu schaffen, ergriff ich den Briefbeschwerer vom Tische, schrie noch einmal: ›Hinaus mit dir!‹ und schleuderte den Briefbeschwerer neben ihr auf den Fußboden. Dann ging sie aus dem Zimmer, blieb jedoch in der Tür stehen. Und da, während sie noch nach mir hinsah – ich tat es bloß damit sie es sähe – nahm ich auch den Leuchter und das Tintenfaß vom Schreibtische, warf beides auf den Boden und schrie: ›Geh, pack dich, ich stehe nicht für mich ein!‹

Sie ging, und ich beruhigte mich sogleich. Eine Stunde später kam die Kinderfrau und sagte mir, daß meine Frau einen hysterischen Anfall habe. Ich ging in ihr Zimmer: sie schluchzte, lachte, konnte nicht sprechen und zuckte am ganzen Leibe. Sie verstellte sich nicht, sondern war wirklich krank.

Am Morgen, nachdem wir uns versöhnt und ich ihr eingestanden hatte, daß ich auf Truchatschewskij eifersüchtig gewesen, war sie nicht im geringsten verlegen, sondern lachte auf die natürlichste Weise; schon die Möglichkeit, sagte sie, sich in einen solchen Menschen zu verlieben, käme ihr sonderbar vor.

›Kann eine anständige Frau wohl für einen solchen Menschen eine andere Empfindung hegen, als eben jene, die die Musik hervorruft?‹ sagte sie. ›Wenn es dir recht ist, will ich ihn niemals wiedersehen. Auch an diesem Sonntag nicht, obgleich schon alle eingeladen sind; schreib ihm, daß ich unpäßlich sei und damit Schluß. Unangenehm ist nur, daß jemand – womöglich er selbst – denken könnte, er sei gefährlich. Ich bin jedenfalls viel zu stolz, um einen solchen Gedanken aufkommen zu lassen!‹

Und sie log damals wirklich nicht, sie glaubte an das, was sie sagte, sie hoffte, Geringschätzung gegen ihn durch diese Worte in sich hervorzurufen und sich so gegen ihn zu schützen, was ihr freilich nicht gelang. Alles hatte sich gegen sie verschworen, insbesondere diese fluchwürdige Musik. So endete alles – am Sonntag versammelten sich die Gäste, und sie spielten wieder zusammen.


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