Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XIV

Solch ein unflätiges Leben also habe ich geführt«, fuhr er wieder im alten Tone fort.

»Das Schlimmste aber war, daß ich bei dieser widerwärtigen Lebensführung mir einbildete, daß ich darum, weil ich mich nicht von anderen Frauen verlocken ließ, ein ehrbares Familienleben führe, daß ich ein moralischer Mensch sei, und wenn zwischen uns Streitigkeiten vorkämen, dies an ihr allein und ihrem Charakter liege.

Natürlich traf auch sie keine Schuld. Sie war so wie alle andern, wie die Mehrzahl ihresgleichen. Erzogen war sie so, wie es die Lage der Frau in unserer Gesellschaft verlangt, und wie daher auch ausnahmslos alle Frauen der besitzenden Klassen notwendigerweise erzogen werden. Man redet jetzt viel von einer neuen Art Frauenbildung. Alles das ist leeres Geschwätz: die Bildung der Frau entspricht vollkommen der herrschenden wahren, wirklichen, allgemeinen Anschauung von der Frau.

Die Bildung der Frau wird natürlich stets von der Ansicht abhängen, die der Mann über die Frauen hat. Wir wissen ja alle, wie die Männer von der Frau denken: ›Wein, Weib, Gesang‹, singen die Dichter. Nehmen Sie die ganze Poesie, die ganze Malerei und Skulptur, angefangen von den Liebesgedichten und den nackten Venus- und Phrynefiguren, so sehen Sie, daß die Frau ein Gegenstand des sinnlichen Genusses ist; sie gilt als solcher auf dem einfachsten Tanzplatze wie auf dem vornehmsten Balle. Und geben Sie einmal acht, wie pfiffig der Teufel das alles anstellt: nun ja, sie dient dem Genuß, der Befriedigung der Sinnlichkeit, ist sozusagen ein Leckerbissen. Schon die Sänger der Ritterzeit haben versichert, daß sie das Weib vergöttern – dasselbe Weib, das ihnen gleichzeitig ein Mittel des Genusses ist – und heutzutage versichern die Herren der Schöpfung, daß den Frauen Verehrung gebühre, daß man aufstehen und ihnen seinen Platz anbieten, ihnen das zur Erde gefallene Taschentuch reichen, ihnen das Recht zur Bekleidung aller Ämter wie zur Teilnahme an der Regierung einräumen müsse usw. Alles das tut man wohl, aber die Ansicht von der Frau bleibt doch dieselbe: sie ist ein Gegenstand des Genusses. Ihr Körper ist ein Mittel zur Befriedigung der Sinnlichkeit und sie weiß das auch. Es ist damit ähnlich wie mit der Sklaverei. Die Sklaverei ist nichts anderes als die Ausbeutung der unfreiwilligen Arbeit der vielen durch einige wenige. Soll die Sklaverei wirklich abgeschafft werden, so müssen die Menschen das Bestreben der einen, die unfreiwillige Arbeit des andern für sich selbst auszubeuten, völlig ausrotten und als Sünde und Schmach erklären. Tatsächlich begnügen sie sich jedoch damit, die äußere Form der Sklaverei zu verändern, verbieten die Ausstellung von Kaufbriefen auf Sklaven und bilden sich ein, es gebe keine Sklaverei mehr, während in Wirklichkeit die Sklaverei fortbesteht, weil die Ausbeutung fremder Arbeit den Menschen als eine gar zu angenehme und schließlich auch leicht zu rechtfertigende Sache erscheint. Sobald jedoch etwas Angenehmes darin zu finden ist, werden sich stets Individuen finden, die stärker oder listiger sind als die andern und kein Bedenken tragen werden, sich diese andern zu unterjochen. Dasselbe ist mit der Frauenemanzipation der Fall. Die Sklaverei der Frau besteht darin, daß die Männer etwas Angenehmes darin finden, sie als einen Gegenstand des Genusses auszubeuten. Nun, so emanzipieren sie denn die Frau, geben ihr alle Rechte, die der Mann besitzt, fahren dabei jedoch fort, sie vom Standpunkte des sinnlichen Genusses zu betrachten und erziehen sie in diesem Sinne schon als Kind sowie auch später für die Gesellschaft. So bleibt sie stets dieselbe erniedrigte, verdorbene Sklavin und der Mann derselbe korrupte Sklavenhalter.

Man läßt die Frauen zum Hochschulstudium, zu den Ämtern zu und betrachtet sie dennoch als einen Gegenstand des Genusses. Lehret die Frau ihr eigenes Ich so zu betrachten, wie wir es gewöhnt sind, so wird sie stets ein niederes Wesen bleiben. Sie wird entweder mit Hilfe der Halunken von Ärzten die Empfängnis hintertreiben, das heißt eine vollkommene Prostituierte sein, die auf die Stufe der leblosen Sache, nicht einmal auf die Stufe des Tieres, das nichts derartiges kennt, herabgesunken ist oder sie wird, was bei den meisten der Fall ist, ein seelisch krankes, hysterisches, unglückliches Geschöpf sein, unfähig zu irgendwelcher geistigen Entwicklung. Die Gymnasien und Hochschulen vermögen daran nicht das geringste zu ändern. Ein Wechsel kann nur eintreten, wenn der Mann seine Ansicht über die Frau und diese ihre Ansicht über sich selbst ändert. Und zwar muß diese Änderung in dem Sinne erfolgen, daß der Frau der Zustand der Jungfräulichkeit als der höchste und idealste, nicht wie es jetzt der Fall ist, als beschämend und bedauernswert gilt. Solange diese Einschätzung nicht zur Tatsache geworden, wird das Ideal eines jeden Mädchens, welche Bildung es auch genossen haben mag, darin bestehen, recht viele Männer – oder vielmehr Männchen – anzulocken, um eine Auswahl von Freiern zu haben.

Der Umstand, daß die eine mehr Mathematik kann, die andere sich auf das Harfenspiel versteht, hat nichts zu sagen. Die Frau ist glücklich und kann die Erfüllung jedes Wunsches erreichen, wenn sie es versteht, den Mann zu bezaubern. Darum ist es eben ihre Hauptaufgabe, ihn zu bezaubern. So war es von jeher und so wird es weiter sein. Die jungen Mädchen wie die verheirateten Frauen werden stets nach diesem Ziele streben. Jenen ist es dabei um die Auswahl zu tun, diesen – um die Herrschaft über den Ehemann.

Was diesen Zustand, wenigstens für einige Zeit, unterbricht, ist die Niederkunft der Frau, vorausgesetzt, daß sie selbst nährt und kein Krüppel ist. Doch da spielen wieder die Ärzte ihre verhängnisvolle Rolle.

Meine Frau, die selbst hatte nähren wollen und auch ihre späteren fünf Kinder selbst genährt hat, wurde beim ersten Kinde krank. Die Ärzte, die sie zynisch entblößten und am ganzen Leibe betasteten, wofür ich mich noch bei ihnen bedanken und mein gutes Geld entrichten mußte, diese lieben Ärzte fanden, daß sie nicht nähren dürfe, und so war sie für die erste Zeit dieses einzigen Mittels beraubt, das sie vor der Koketterie hätte bewahren können. Wir nahmen eine Amme, das heißt wir mißbrauchten die Armut, die Not und Unwissenheit einer Frau aus dem Volke, lockten sie von ihrem Kinde hinweg zu dem unsrigen und setzten ihr dafür einen Kopfputz mit bunten Bändern auf. Doch nicht hierauf kommt es an, sondern vielmehr darauf, daß in dieser Zeit, da meine Frau weder schwanger war noch nährte, das bis dahin in ihr schlummernde Gefühl weiblicher Gefallsucht mit ganz besonderer Stärke erwachte. Und in mir erwachten gleichzeitig mit ganz besonderer Stärke die Qualen der Eifersucht, die mich während meines ganzen Ehelebens gepeinigt haben, wie sie notwendig alle Ehemänner peinigen müssen, die mit ihren Frauen so, wie ich mit der meinigen, das heißt unsittlich gelebt haben.


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