Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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VIII

So aber klappte alles ausgezeichnet: meine Stimmung, das schicke Kleid, die Kahnfahrt – alles war nach Wunsch ausgefallen. Zwanzigmal war der Versuch mißlungen, diesmal jedoch gelang er ganz glatt. Ich saß drin, wie in einem Fuchseisen. Ich scherze nicht. Die Ehen werden ja jetzt genau so angelegt wie die Fuchseisen. Nichts natürlicher auch: das Mädchen ist herangereift, also muß es einen Mann haben. Die Sache erscheint sehr einfach, wenn das Mädchen keine Mißgeburt ist und es an heiratslustigen Männern nicht fehlt. Früher, in der alten Zeit, erledigten die Eltern die ganze Angelegenheit: war das Mädchen herangewachsen, so suchten sie ihm einen Mann.

So war und so ist es bei der ganzen Menschheit Brauch: bei den Chinesen, den Indern, Mohammedanern, bei uns im Volke – beim gesamten Menschengeschlecht, mindestens bei neunundneunzig Hundertsteln, ist das der Fall. Nur das eine Hundertstel oder noch weniger von uns Wüstlingen hat gefunden, das sei nicht das Richtige, und hat sich etwas Neues ausgedacht. Und worin besteht nun dieses Neue? Es besteht darin, daß die Mädchen dasitzen und die Männer wie auf dem Markte auf und ab gehn und wählen. Die Mädchen aber warten und denken, ohne daß sie es auszusprechen wagen: ›Ach, mein Lieber, nimm mich!‹ – ›Nein, nein – mich!‹ – ›Nicht jene dort, sondern mich; sieh doch, was für Schultern ich habe und was sonst noch alles!‹ – Und wir Männer gehen auf und ab und mustern sie und sind höchst zufrieden. ›Wir wissen Bescheid,‹ sagen die Herren der Schöpfung, ›wir fallen nicht so leicht herein!‹ Und wie sie so prüfend auf und ab schreiten und sich freuen, daß alles für sie so nett hergerichtet ist – schwapp, sitzt schon einer, der sich nicht genug vorgesehen hat, in dem Eisen fest.«

»Wie soll es denn nun gehalten werden?« sagte ich. »Soll vielleicht die Frau den Antrag machen?«

»Das weiß ich wirklich nicht; aber wenn schon Gleichheit herrschen soll, dann soll auch vollständige Gleichheit herrschen. Wenn man die alte Methode der Ehestiftung erniedrigend findet, so ist diese Methode noch tausendmal schlimmer. Dort sind die Rechte und Aussichten gleich, hier ist die Frau die Sklavin auf dem Markte oder die Lockspeise im Eisen. ›In die Gesellschaft‹ soll das Töchterchen eingeführt werden. Man sage der Frau Mama oder dem Fräulein selbst einmal die Wahrheit, daß es ihnen nur darum zu tun sei, einen Mann einzufangen: o Gott, wie beleidigt werden sie sein! Und dabei haben sie wirklich nichts anderes im Sinn und befassen sich mit nichts anderem. Und ganz besonders empörend ist, daß zuweilen ganz junge, unschuldige arme Mädelchen sich mit diesen Dingen befassen, und zwar nicht offen und ehrlich, sondern auf höchst listige Weise. ›Ach, die Entstehung der Arten, wie interessant!‹ – ›Ach, Lili interessiert sich so sehr für Malerei!‹ – ›Werden Sie die Ausstellung besuchen? Wie lehrreich!‹ – ›Und die Troikafahrten? . . . und die Theatervorstellungen? . . . und die Sinfoniekonzerte?‹ – ›Ach, wie wundervoll! Meine Lili ist ganz hin, wenn sie Musik hört. Wie kommt es, daß Sie keinen Geschmack daran finden? Sind Sie ein Freund von Bootsfahrten? . . .‹ So geht es in einem fort – in Wirklichkeit aber haben sie nur den einen Gedanken: ›Oh, greif doch zu! Nimm mich!‹ – ›Nimm! meine Lili!‹ – ›Nein, mich! – So versuch es doch wenigstens! . . .‹ O welche Gemeinheit, welche Verlogenheit!« schloß er, trank seinen letzten Schluck Tee aus und machte sich daran, die Tassen und das sonstige Geschirr wegzuräumen.


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