Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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VI

Doch nein, es ist besser so, wirklich besser!« rief er dann laut aus. »Es ist mir ganz recht geschehen. Aber nicht davon soll die Rede sein. Ich wollte sagen, daß die Betrogenen hier doch eigentlich nur die unglücklichen Mädchen sind.

Die Mütter wissen das recht gut, namentlich jene Mütter, die von ihren Männern erzogen worden sind. Und während sie sich so stellen, als glaubten sie an die Reinheit der Männer, handeln sie in der Praxis ganz anders. Sie wissen, mit welchem Köder sie für sich und ihre Töchter die Männer fangen sollen.

Nur wir Männer allein wissen es nicht – und zwar wissen wir es darum nicht, weil wir es nicht wissen wollen, während die Frauen sehr wohl wissen, daß die sogenannte ideale Liebe nicht von moralischen Vorzügen abhängt, sondern von der physischen Vertraulichkeit und von solchen Dingen wie die Frisur, die Farbe und der Schnitt des Kleides. Fragen Sie eine erfahrene Kokette, die es sich vorgenommen hat, einen Mann zu bezaubern, was sie eher riskieren würde: in seiner Gegenwart der Lüge, der Grausamkeit, ja selbst der Unsittlichkeit überführt zu werden oder in einem schlecht gearbeiteten, geschmacklosen Kleide vor ihm zu erscheinen! Jede einzelne wird sich für das erste entscheiden. Sie weiß, daß die erhabenen Gefühle, die unsereins zur Schau trägt, durch und durch erlogen sind, daß es dem Manne nur auf den Körper ankommt, daß er alle Laster verzeiht, nicht aber ein häßliches, schlecht gearbeitetes, geschmackloses Kleid.

Die Kokette ist sich dessen klar bewußt, dem unschuldigen Mädchen aber sagt es, wie den Tieren, eine aus dem Unbewußten kommende Empfindung.

Daher diese englischen Roben, diese abscheulichen Tournüren, diese nackten Schultern, Arme und womöglich auch Brüste. Die Frauen, namentlich jene, die durch die Schule der Männer gegangen sind, wissen sehr wohl, daß die Gespräche über ideale Dinge eben nur Gespräche sind, und daß der Mann nur nach dem Körper verlangt und nach alledem, was diesen anziehend und verlockend erscheinen läßt. Und danach richten sie sich dann auch.

Streifen wir nur einmal die Gewöhnung an diese Zuchtlosigkeit ab, die uns zur zweiten Natur geworden ist, und betrachten wir das Leben unserer höheren Klassen in der ganzen Schamlosigkeit, in der es sich darstellt, dann haben wir tatsächlich nichts weiter vor uns als ein einziges Freudenhaus . . . Sie wollen das bestreiten? Gestatten Sie, ich will es Ihnen beweisen«, versetzte er, mich unterbrechend. »Sie sagen, die Frauen unserer Gesellschaft hätten andere Interessen als die Frauen in den Freudenhäusern, und ich sage Ihnen: das ist nicht der Fall, und ich werde Ihnen das beweisen. Wenn zwei Menschen sich in ihren Lebenszielen und ihrem Lebensinhalt unterscheiden, so wird dieser Unterschied zweifellos auch in ihrem Äußeren zutage treten, dieses Äußere wird bei beiden verschieden sein. Werfen Sie nur einen Blick auf jene Unglücklichen, Geächteten, und auf die vornehmen Damen unserer höchsten Gesellschaft: dieselben Toiletten, derselbe Schnitt, dieselben Parfüms, dieselben nackten Arme, Schultern und Brüste und dieselben knappen, prallen Tournüren; die gleiche Schwäche für Edelsteine, für kostspielige, blitzende Gegenstände, die gleiche Vorliebe für Vergnügungen und Tanz, für Musik und Gesang. Gleichwie jene die Männer durch alle möglichen Mittel anzulocken suchen, so auch diese. Nur daß die Prostituierten ›für kurze Frist‹ in der Regel mit Verachtung behandelt werden, während die Prostituierten ›für lange Frist‹ volle Hochachtung genießen.«


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