Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XX

Ja, so lagen die Dinge in der letzten Zeit.

Wir lebten in einer Art Waffenstillstand und hatten keinen Anlaß, ihn zu verletzen. Plötzlich kommen wir in der Unterhaltung auf einen bestimmten Hund zu sprechen: ich sage, er habe auf der Ausstellung eine Medaille bekommen, und sie behauptet, nicht eine Medaille sei es gewesen, sondern eine ehrenvolle Erwähnung. Wir fangen an zu streiten, von einem Gegenstande geht's zum andern, ein Wort gibt das andere: ›Na ja, wir wissen ja Bescheid, das ist ja immer so. Du sagtest‹ . . . – ›Nein, ich habe nichts gesagt . . .‹ – ›So, dann lüge ich also! . . .‹

Es liegt so etwas in der Luft, als ob jeden Augenblick wieder eine der entsetzlichen Szenen ausbrechen sollte, bei der man am liebsten sie oder sich selbst töten möchte. Man weiß: jetzt gleich wird es losbrechen, man fürchtet sich davor wie vor dem Feuer und sucht sich zu beherrschen, doch die Wut packt dein ganzes inneres Wesen. Sie ist in derselben, wenn nicht in noch ärgerer Stimmung, verdreht absichtlich jedes deiner Worte und schiebt ihm einen erlogenen Sinn unter; alles aber, was sie sagt, ist von Gift durchtränkt und ihre Worte wissen mich gerade an den empfindlichsten Stellen zu treffen. Immer weiter geht's, immer toller. Ich schreie: ›Schweig!‹ oder so etwas in der Art. Sie läuft aus dem Zimmer nach der Kinderstube. Ich will sie zurückhalten, um meine Rede und Beweisführung zu beenden, und fasse sie bei der Hand. Sie stellt sich, als hätte ich ihr wehgetan, und schreit: ›Kinder, euer Vater schlägt mich!‹ Ich schreie meinerseits: ›Lüg' nicht!‹ – Sie kreischt: ›Es wäre ja nicht das erstemal!‹ – Die Kinder stürzen zu ihr hin und sie beruhigt sie. Ich sage: ›Verstell' dich doch nicht!‹ Sie sagt: ›Für dich ist alles Verstellung, du bist imstande, einen Menschen zu töten und zu behaupten, er verstelle sich. Jetzt habe ich dich durchschaut: auf meinen Tod hast du es abgesehen, weiter nichts!‹ – ›Ach, wenn du doch krepieren wolltest!‹ schrei ich. Ich erinnere mich noch, wie ich bei diesen meinen Worten erschrak: ich hatte nicht geglaubt, daß ich fähig wäre, so schreckliche, rohe Worte auszusprechen, und war erstaunt, daß sie meinen Lippen entfuhren. Ich stoße diese schrecklichen Worte aus, eile in mein Kabinett, setze mich hin und rauche. Ich höre, daß sie sich ins Vorzimmer begibt und sich zum Ausfahren bereitmacht. Ich frage sie: ›Wohin?‹ – Sie antwortet mir nicht. Na, dann hol' sie der Teufel, denk' ich, kehre in mein Kabinett zurück, lege mich hin und rauche. Tausend verschiedene Pläne, wie ich mich an ihr rächen, mich von ihr befreien und das alles ungeschehen machen könnte, schwirren mir durch den Kopf. Gedanke um Gedanke taucht empor und ich rauche, rauche, rauche. Ich will nach Amerika entfliehen. So weit führen mich meine Gedanken, daß ich mir schon allen Ernstes ausmale, wie schön das sein wird, von ihr befreit zu sein und mit einer neuen, völlig anders gearteten, schönen Frau zusammenzuleben. Wie aber soll ich von ihr frei werden? Dadurch, daß sie stirbt, oder daß ich mich von ihr scheiden lasse – ja, aber wie soll das geschehen? Ich sehe, daß meine Gedanken wirr werden, daß mir lauter dummes Zeug durch den Kopf geht, und um zu vergessen, wie toll das alles ist, – rauche und rauche ich.

Zu Hause aber nimmt das gewöhnliche Leben seinen Fortgang. Die Gouvernante kommt und fragt, wo Madame sei, wann sie zurückkommen werde. Der Diener fragt, ob er den Tee servieren solle. Ich komme ins Eßzimmer; die Kinder, namentlich Lisa, die Älteste, die schon begreift, sieht mich fragend und mißbilligend an. Schweigend trinken wir den Tee. Sie kommt und kommt nicht. Der ganze Abend vergeht, ohne daß sie zurückkehrt, und zwei Gefühle wechseln in meiner Seele: der Zorn darüber, daß sie mich und die Kinder durch ihre Abwesenheit quält, die doch schließlich nur mit ihrer Rückkehr enden könne, und die Angst, daß sie am Ende doch nicht kommt und sich etwas antut. Ich möchte sie holen – doch wo soll ich sie suchen? Bei ihrer Schwester? Aber das sieht so dumm aus: man kommt hin und fragt nach ihr! Schließlich, Gott mit ihr: wenn sie andere quälen will, so soll sie sich auch selbst quälen! Das will sie ja nur, daß man sie hole. Das nächste Mal wird sie es dann nur um so toller treiben. Wie aber, wenn sie nicht bei der Schwester ist, wenn sie sich etwas antut oder schon angetan hat? . . . Elf Uhr, zwölf Uhr. Ich gehe nicht ins Schlafzimmer, es sieht so dumm aus, wenn man dort so allein herumliegt und wartet. Ich gehe überhaupt nicht schlafen. Ich will mich lieber irgendwie beschäftigen, einen Brief schreiben, etwas lesen . . . ach, zu nichts hab' ich Lust! Ich sitze allein im Kabinett, quäle mich, ärgre mich und horche zum Zimmer hinaus. Drei, vier Uhr – sie ist noch immer nicht da. Gegen morgen schlafe ich ein. Nach einiger Zeit erwache ich – noch immer bin ich allein.

Alles im Hause geht seinen alten Gang, alles jedoch ist erstaunt und sieht mich vorwurfsvoll an, in der Meinung, daß ich an allem schuld sei.

In mir wütet immer noch der Kampf zwischen dem Zorne darüber, daß sie mich so martert und der Unruhe um ihr Verbleiben.

Gegen elf Uhr morgens erscheint ihre Schwester bei mir als ihre Abgesandte. Die gewohnte Unterhandlung beginnt: ›Sie ist in einer schrecklichen Verfassung . . . Ja, aber wie denn? Es ist doch nichts geschehen!‹ Ich spreche von ihrem unerträglichen Charakter und sage, daß mich jedenfalls keine Schuld treffe.

›Auf keinen Fall darf das so bleiben‹, sagt die Schwester.

›Alles kommt auf ihr Konto, nicht auf meines‹, sage ich. ›Ich werde jedenfalls den ersten Schritt nicht tun. Wenn sie sich scheiden lassen will – mir soll es recht sein.‹

Der Besuch der Schwägerin war ergebnislos verlaufen. Ich hatte ihr ohne Umstände erklärt, daß ich den ersten Schritt nicht tun würde, kaum jedoch war sie fort, kaum war ich aus dem Zimmer getreten und hatte die verstörten, erschrockenen Gesichter der Kinder gesehen, als ich auch schon bereit war, dennoch den ersten Schritt zu tun. Wie aber soll ich es anfangen? Wieder gehe ich umher und rauche, trinke beim Frühstück Likör und Wein und erreiche damit, was ich unbewußt wünsche: daß ich das Törichte, Abgeschmackte meiner Lage nicht sehe.

Gegen drei Uhr kommt sie angefahren. Ohne ein Wort zu sagen, geht sie an mir vorüber. In der Meinung, daß sie sich beruhigt hat, beginne ich ihr auseinanderzusetzen, ihre Vorwürfe hätten mich gereizt. Mit abweisendem, bis zum äußersten abgespanntem Gesicht erklärt sie mir, wir könnten nicht miteinander weiterleben. Ich sage, mich träfe keine Schuld, sie hätte mich geradezu herausgefordert. Sie sieht mich ernst und feierlich an und sagt darauf: ›Sprich nicht weiter, es wird dir leid tun.‹ Ich entgegne ihr, ich könne kein Komödienspiel leiden. Da schreit sie mir irgend etwas ins Gesicht, was ich nicht verstehe, und läuft in ihr Zimmer. Der Schlüssel knarrt von innen; sie hat sich eingeschlossen. Ich klopfe, keine Antwort erfolgt, und ich entferne mich wütend. Eine halbe Stunde darauf kommt Lisa weinend herbeigelaufen. – ›Was gibt es? Ist etwas vorgefallen?‹ – ›In Mamas Zimmer ist es so still.‹ – ›Komm schnell!‹ – Ich rüttle aus Leibeskräften an der Tür. Der Riegel schloß nicht dicht, und die beiden Flügel springen auf. Ich trete an ihr Bett heran. Sie liegt recht unbequem da, in Unterkleidern und hohe Stiefeletten. Auf dem Tische steht ein geleertes Opiumfläschchen. Wir bringen sie ins Bewußtsein zurück; Tränen – und schließlich Versöhnung. Doch nein, nicht Versöhnung: jeder von uns trägt in der Seele den alten Grimm, noch verstärkt durch den Schmerz, den die Erregung dieses neuen Streites hervorgerufen hat, und den natürlich jeder vollständig auf die Rechnung des andern setzt. Aber schließlich mußte doch alles das ein Ende nehmen, und das Leben kam wieder ins alte Geleise. Zank und Streit gab es unaufhörlich, bald einmal in der Woche, bald einmal im Monat, bald auch Tag für Tag. Und immer war es dasselbe Spiel. Einmal hatte ich bereits einen Auslandspaß genommen – der Zank hatte zwei Tage gedauert. Dann aber kam wieder eine halbe Erklärung, eine halbe Aussöhnung – und ich blieb.


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