Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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IX

Sie kennen doch«, begann er wieder, während er Tee und Zucker in die Reisetasche legte, »das Weiberregiment, unter dem die Welt leidet? Alles das hat darin seinen Ursprung.«

»Weiberregiment? Was verstehen Sie darunter?« sagte ich. »Das rechtliche Übergewicht, samt allen Privilegien, ist doch auf Seiten der Männer!«

»Ja, ja, das eben ist es«, unterbrach er mich. »Das, was ich Ihnen sagen will, erklärt eben die auffallende Erscheinung, daß die Frau auf der einen Seite, wie mit Recht behauptet wird, bis zur tiefsten Stufe der Erniedrigung unterdrückt ist, auf der andern Seite dagegen herrscht. Genau so wie das Volk der Juden. Wie diese durch ihre Geldherrschaft sich für ihre Bedrückung revanchieren, so auch die Frauen. ›Ah, ihr wollt, wir sollen uns nur mit dem Handel befassen? Gut, so wollen wir nur Händler sein und euch auf diese Weise unterjochen!‹ sagen die Juden. – ›Ah, ihr wollt, wir sollen nur ein Gegenstand der Sinnenlust sein? Gut, so wollen wir, als Gegenstand der Sinnenlust, euch zu unsern Sklaven machen!‹ sagen die Frauen. Nicht darin besteht die Rechtlosigkeit der Frau, daß sie nicht wählen und kein Richteramt bekleiden darf. Dies schmälert ihre rechtliche Stellung nicht. Wohl aber darf sie das Recht beanspruchen, im Geschlechtsverkehr dem Manne gleichgestellt zu sein, nach eigenem Wunsche mit ihm zu verkehren oder ihn zu meiden und nach eigenem Wunsche sich den Mann zu wählen, nicht aber vom Manne gewählt zu werden. Vielleicht meinen Sie, dies sei unsittlich. – Wohlan: dann soll auch der Mann dieses Recht nicht besitzen. Heute ist die Frau dieses Rechtes beraubt, welches dem Manne zusteht. – Und um sich für die Entziehung dieses Rechtes schadlos zu halten, wirkt sie auf die Sinnlichkeit des Mannes ein und unterjocht ihn durch Sinnlichkeit in einer Weise, daß er nur formell der Wählende ist; in Wirklichkeit jedoch wählt sie. Hat sie sich einmal dieser Sinnlichkeitssphäre bemächtigt, so mißbraucht sie gar bald ihre Macht und gewinnt damit eine furchtbare Gewalt über Menschen.«

»Worin äußert sich denn diese außerordentliche Macht?« fragte ich.

»Worin die Macht sich äußert? Überall, in allem. Besuchen Sie nur in der ersten besten Großstadt die Verkaufsläden. Millionenwerte stecken in ihnen; unschätzbar ist die Summe menschlicher Arbeitskraft, die auf die Herstellung der feilgehaltenen Waren verwandt ist. Sehen Sie einmal zu, ob in neun Zehnteln dieser Läden überhaupt etwas zum Gebrauch der Männer zu haben ist. Aller Luxus des Lebens ist ein Bedürfnis der Frauen und wird von ihnen gefördert.

Gehen Sie die Fabriken durch, eine wie die andere. Ein ganz beträchtlicher Teil von ihnen verfertigt überflüssigen Schmuck, Equipagen, Möbel, Nippsachen für die Frauen. Millionen Menschen, Generationen von Sklaven gehen in der Tretmühlenarbeit der Fabriken zugrunde, nur um den Launen der Frauen zu frönen. Wie absolute Kaiserinnen halten die Frauen neun Zehntel des Menschengeschlechts in Sklavenfron und schwerer Arbeit fest. Und alles nur darum, weil man sie unterdrückt und der Gleichberechtigung mit den Männern beraubt hat. Sie rächen sich nun dadurch, daß sie auf unsere Sinnlichkeit einzuwirken und uns in ihren Netzen zu fangen suchen. Ja, darum allein geschieht das alles. Die Frauen haben sich selbst in ein Werkzeug umgewandelt, mittels dessen sie auf die Sinnlichkeit des Mannes derart einwirken, daß er mit einer Frau nicht mehr ruhig und harmlos verkehren kann. Sowie der Mann sich der Frau nur nähert, verfällt er ihrem betäubenden Einflusse und verliert seinen klaren Verstand. Auch früher schon hatte ich ein peinliches, beängstigendes Gefühl, wenn ich eine aufgeputzte Dame im Ballkostüm sah, jetzt aber ist mir das geradezu entsetzlich, ich sehe förmlich eine Gefahr darin, die die Menschen bedroht, ja etwas Gesetzwidriges, und ich möchte den nächsten Polizisten anrufen, daß er mir Hilfe leiste gegen die Gefahr, möchte ihn auffordern, den gefährlichen Gegenstand fortzuschaffen und unschädlich zu machen.

Ja, Sie lachen darüber!« schrie er mich an – »die Sache ist jedoch keineswegs scherzhaft. Ich bin überzeugt, daß eine Zeit kommen wird – und vielleicht schon sehr bald – wo die Menschen das begreifen und sich wundern werden, wie eine Gesellschaft bestehen konnte, in der solche die öffentliche Ruhe störende Dinge erlaubt waren, wie es die heutzutage unsern Frauen gestatteten auf den Sinnenreiz abzielenden Ausschmückungen ihres Körpers zweifellos sind. Das ist ja genau dasselbe, als wenn man überall auf den Promenaden und an den Spazierwegen Fußangeln und sonstige Fallen aufstellen wollte – ja schlimmer als das! Warum ist das Hasardspiel verboten, das Auftreten von Frauen jedoch, die gleich den Prostituierten durch ihre Tracht auf die Erregung der Sinnlichkeit hinwirken, noch immer erlaubt? Sie sind tausendmal gefährlicher als alles Hasardspiel!


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