Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XII

In unserer Welt ist es gerade umgekehrt: dachte der Mann als Junggeselle noch an Enthaltsamkeit, so glaubt ein jeder, sobald er verheiratet ist, die Enthaltsamkeit sei nicht mehr nötig. Diese Hochzeitsreisen, diese idyllischen Einöden, in die sich die jungen Leute mit Erlaubnis der Eltern begeben – alles das ist nichts anderes als die Erlaubnis zur Ausschweifung. Aber die Verletzung des Sittengesetzes findet ihre Strafe in sich selbst. So sehr ich mich auch bemühte, mir einen Honigmond zu bereiten, es kam nichts dabei heraus. Es war eine widerwärtige Zeit, voll Beschämung und Langerweile. Ja sehr bald wurde die Stimmung geradezu peinlich und qualvoll. Es war am dritten oder vierten Tage, da traf ich sie bei sehr mißmutiger Laune an. Ich fragte, was ihr fehle und umarmte sie, was nach meiner Meinung alles war, was sie verlangen konnte. Sie entzog sich meiner Umarmung und begann zu weinen. Ich fragte nach der Ursache ihrer Tränen; sie vermochte es mir nicht recht zu sagen, blieb jedoch in ihrer vergrämten, niedergedrückten Stimmung. Ihre ermatteten Nerven verrieten ihr wahrscheinlich die Wahrheit über die Widerwärtigkeit unserer Beziehungen, doch war sie nicht imstande, das in Worten auszudrücken. Ich fragte sie weiter aus, und sie sagte irgend etwas von Sehnsucht nach ihrer Mutter. Ich glaubte ihr nicht und suchte sie zu trösten, ohne von der Mutter etwas zu erwähnen. Ich begriff nicht, daß sie einfach von Schwermut befallen und die Sehnsucht nach der Mutter nur ein Vorwand war. Sie aber war sehr gekränkt, daß ich mit keinem Wort auf die Mutter eingegangen war, als ob ich ihr nicht geglaubt hätte. Sie sehe nun, meinte sie, daß ich sie gar nicht liebe. Ich warf ihr vor, daß sie launisch sei, und nun veränderte sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck ganz und gar, statt der Traurigkeit malte sich Zorn in ihren Zügen und sie warf mir in giftigsten Worten Selbstsucht und Grausamkeit vor. Ich sah sie an. Ihr Gesicht zeigte die Miene der ausgeprägtesten Feindseligkeit und Kälte, ja beinahe des Hasses. Ich weiß noch, wie sehr ich erschrak, als ich das sah. ›Wie? was?‹ dachte ich. ›Das soll Liebe sein, der Bund der Seelen? Und statt dessen bietet sie mir das? Nein, das kann nicht sein, das ist nicht sie.‹ Ich versuchte sie nochmals zu besänftigen, stieß dabei jedoch auf eine so undurchdringliche Mauer von kalter, giftiger Feindseligkeit, daß auch ich im Handumdrehen in eine heftige Erregung geriet und wir einander recht bittere Dinge sagten. Die Wirkung dieses ersten Streites war entsetzlich. Ich nenne es einen Streit, doch es war kein Streit – es war nur eine Enthüllung des Abgrundes, der in Wirklichkeit zwischen uns bestand. Die Verliebtheit hatte sich in der Befriedigung der Sinnlichkeit erschöpft und wir standen einander nun in unserem wirklichen Verhältnis gegenüber als zwei einander völlig fremde Egoisten, von denen ein jeder sich bemühte, durch den andern so viel Genuß wie möglich zu empfangen. Ich nannte das, was zwischen uns vorgefallen war, einen Streit, es war jedoch kein Streit, sondern nur eine Folge der Unterbrechung unserer sinnlichen Beziehungen, die unsere wirklichen Beziehungen zueinander offenbarte. Ich begriff nicht, daß dieses kalte, feindselige Verhalten im Grunde genommen unsere normale Beziehung war, begriff es darum nicht, weil diese Feindseligkeit in der ersten Zeit alsbald wieder vor unsern Augen durch eine sozusagen verdünnte Sinnlichkeit, das heißt Verliebtheit, verhüllt wurde. Und ich dachte, wir hätten uns einfach gezankt und wieder vertragen, und so etwas würde nicht wieder vorkommen! Doch schon in diesem ersten Honigmond trat sehr bald wieder eine Periode der Übersättigung ein, wiederum hörten wir auf, einander zu bedürfen, und von neuem gab es einen Streit. Dieser zweite Streit verblüffte mich noch mehr als der erste. Der erste Streit beruhte also nicht auf einem Zufall, sondern es muß eben so sein und wird so bleiben, dachte ich. Der zweite Streit verblüffte mich um so mehr, als er aus einer ganz nichtigen Ursache entstand. Es handelte sich um Geld, mit dem ich doch niemals knauserte, am wenigsten meiner Frau gegenüber. Nur eine Bagatelle war es, und ich erinnere mich, daß sie die Sache so wendete, als hätte irgendeine Äußerung von mir meine Absicht verraten, sie durch mein Geld zu beherrschen und irgendein ausschließliches Recht auszuüben – jedenfalls eine Auffassung, die höchst töricht und niedrig und weder meiner noch ihrer würdig war. Ich geriet in Zorn und so ging es von neuem los. Aus ihren Worten wie aus ihrer Miene und dem Ausdruck ihrer Augen trat mir wieder jene grausame, kalte Feindseligkeit entgegen, die mich das erstemal so erschreckt hatte. Mit meinem Bruder, meinen Freunden, meinem Vater hatte ich wohl, wie ich mich erinnere, zuweilen Streit gehabt, niemals jedoch hatte zwischen uns diese giftige Bosheit geherrscht, wie sie hier zutage trat. Nach einiger Zeit jedoch verbarg sich dieser gegenseitige Haß wieder hinter dem Schleier der Verliebtheit, das heißt der Sinnlichkeit, und ich suchte noch Trost in dem Gedanken, daß diese beiden Zusammenstöße auf Irrtümern beruhten, die sich wieder gutmachen ließen. Bald indes folgte ein dritter und ein vierter Streit und ich begriff, daß hier kein zufälliger Irrtum in Frage käme, sondern daß dies so sein müsse und immer so sein werde, und ich war entsetzt über das, was mir bevorstand. Dabei quälte mich noch der schreckliche Gedanke, daß ich allein mit meiner Frau so schlecht, so ganz anders, als ich es mir ausgemalt hatte, zusammenlebe, während in anderen Ehen so etwas ausgeschlossen sei. Ich wußte damals noch nicht, daß dies ein allgemeines Geschick aller Ehemänner ist, daß jedoch alle gleich mir glauben, es sei ein Unglück, das nur sie betroffen habe; daß sie alle dieses ausschließliche, beschämende Unglück nicht nur vor andern, sondern auch vor sich selbst verbergen und es sich nicht eingestehen.

Die Sache begann in den ersten Tagen, hielt während der ganzen Zeit an und wurde immer unerträglicher, immer schlimmer. Im Innersten meiner Seele hatte ich gleich von den ersten Wochen an das Gefühl, daß ich eine verkehrte Wahl getroffen und meine Erwartung sich nicht erfüllt habe, daß die Ehe nicht nur kein Glück, sondern im Gegenteil eine schwere Last sei, doch, wie alle andern, wollte ich das nicht eingestehen – ich würde es auch jetzt nicht eingestehen, wenn nicht alles zu Ende wäre – und verheimlichte den Sachverhalt nicht nur vor den andern, sondern auch vor mir selbst. Jetzt wundre ich mich, daß ich meine wirkliche Lage so lange verkannte. Ich hätte sie schon daraus richtig ersehen sollen, daß unsere Zänkereien aus solch nichtigen Anlässen entstanden, daß es, sobald sie vorüber waren, einfach unmöglich war, ihren Ursprung anzugeben.

Die Vernunft vermochte nicht Gründe genug – wenn auch nur Scheingründe – anzuführen, um die zwischen uns bestehende Dauerfeindschaft genügend zu rechtfertigen. Doch noch auffallender war, daß die Vorwände zur Versöhnung so geringfügig waren. Zuweilen genügten ein paar Worte, Erklärungen, Tränen, zuweilen jedoch – ach, wenn ich daran denke, wird mir noch jetzt übel – folgten auf die gröbsten Worte plötzlich stumme Blicke, lächelnde Mienen, Küsse, Umarmungen . . . Pfui, wie abscheulich! Wie konnte ich nur damals die ganze Widerwärtigkeit dieses Gebarens nicht erkennen! . . .«


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