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Die Freundschaft mit den Nechljudows.

In jenem Winter sah ich nicht nur sehr oft Dmitrij, der uns häufig besuchte, sondern auch alle die Seinen, mit denen ich mich zu befreunden begann.

Die Nechljudows – Mutter, Tante und Tochter – verbrachten die Abende daheim, und die Fürstin hatte es gern, wenn zum Abend junge Leute zu Besuch kamen, die, wie sie zu sagen pflegte, imstande waren, einen ganzen Abend ohne Karten und ohne Tanz hinzubringen. Wahrscheinlich aber gab es wenig solcher Herren, denn ich, der ich fast jeden Abend dort war, traf nur selten Gäste an. Ich gewöhnte mich an die einzelnen Mitglieder dieser Familie, an ihre verschiedenen Stimmungen, ich bildete mir klare Vorstellungen von ihren gegenseitigen Beziehungen, gewöhnte mich an die Zimmer, die Möbel, und fühlte mich, wenn keine Gäste da waren, vollkommen ungezwungen, mit Ausnahme der Fälle, wo ich mit Warenka allein im Zimmer blieb. Ich dachte immer, als nicht gerade hübsches Mädchen wünsche sie gewiß sehr, daß ich mich in sie verliebe. Aber auch diese Verlegenheit begann zu schwinden. Sie zeigte so natürlich, daß es ihr vollkommen gleich war, ob sie mit mir, mit ihrem Bruder oder mit Ljubow Ssergejewna sprach, daß auch ich mich daran gewöhnte, sie als einen Menschen anzusehen, dem man ohne Gefahr und ohne Scheu das Vergnügen, das seine Gesellschaft einem gewährt, zeigen kann. Während meiner ganzen Bekanntschaft mit ihr erschien sie mir an manchen Tagen sehr häßlich, an anderen gar nicht so übel, aber ich fragte mich kein einziges Mal in Bezug auf sie, ob ich verliebt sei oder nicht. Es kam vor, daß ich meine Worte direkt an sie richten mußte, meist aber sprach ich mit ihr, indem ich mich in ihrer Gegenwart an Ljubow Ssergejewna oder an Dmitrij wandte, und diese letzte Art gefiel mir ganz besonders. Ich fand Vergnügen daran, in ihrer Gegenwart zu sprechen, ihrem Gesange zu lauschen, überhaupt sie in dem Zimmer, in dem ich mich befand, anwesend zu wissen; aber der Gedanke an meine zukünftigen Beziehungen zu Warenka und die Träume von der Aufopferung für meinen Freund, falls er sich in meine Schwester verlieben sollte, kamen mir nur noch selten in den Sinn. Und wenn das doch noch der Fall war, so bemühte ich mich unbewußt, den Gedanken an die Zukunft zu verscheuchen, da ich mit der Gegenwart zufrieden war.

Trotz der Annäherung hielt ich es jedoch nach wie vor für meine unbedingte Pflicht, meine wahren Gefühle und Neigungen vor der ganzen Gesellschaft der Nechljudows und besonders vor Warenka zu verbergen, und bemühte mich, als ein ganz anderer junger Mann zu erscheinen, als ich in Wirklichkeit war, ja selbst als ein solcher, wie er in Wirklichkeit gar nicht existierte. Ich bemühte mich, leidenschaftlich zu erscheinen, geriet in Entzücken, seufzte, machte leidenschaftliche Gebärden, wenn ich ausdrücken wollte, daß mir etwas sehr gefiel, und suchte zugleich gegen alles Ungewöhnliche, das ich sah oder wovon man mir erzählte, Gleichgültigkeit zu heucheln; ich bemühte mich, für einen boshaften Spötter, dem nichts heilig ist, und zugleich für einen feinen Beobachter gehalten zu werden; ich bemühte mich, in allen meinen Handlungen logisch, im Leben genau und pünktlich zu erscheinen, und dabei doch als ein Mensch, der alles Materielle verachtet. Ich kann getrost behaupten, daß ich in Wirklichkeit viel besser war als das seltsame Geschöpf, das ich vorzustellen suchte; aber auch so, wie ich mich stellte, gewannen die Nechljudows mich lieb; zu meinem Glück trauten sie, wie es scheint, meiner Verstellung nicht recht. Nur Ljubow Ssergejewna, die mich für den ärgsten Egoisten, für einen Spötter und gottlosen Menschen hielt, schien mich nicht gern zu haben, stritt oft mit mir, geriet in Zorn und überraschte mich immer wieder durch ihre abgerissenen, zusammenhanglosen Reden. Dmitrij aber hielt sein sonderbares Freundschaftsverhältnis zu ihr aufrecht und behauptete, sie werde von keinem verstanden und sie tue ihm außerordentlich viel Gutes. Diese Freundschaft betrübte nach wie vor die ganze Familie.

Als Warenka eines Tages mit mir über dieses uns allen unbegreifliche Verhältnis sprach, erklärte sie es folgendermaßen: »Dmitrij ist ein Egoist. Er ist sehr hochmütig und trotz all seines Verstandes sehr empfänglich für Lob und Bewunderung, er ist gern überall der Erste; Tantchen aber bewundert ihn in der Unschuld ihrer Seele und besitzt nicht genug Takt, um diese Bewunderung vor ihm zu verbergen, und so kommt es, daß sie ihm schmeichelt, nicht etwa heuchlerisch, sondern aufrichtig.«

Diese Erklärung blieb mir im Gedächtnis, und als ich später darüber nachdachte, mußte ich mir sagen, daß Warenka sehr gescheit sei, und dadurch stieg sie in meiner Meinung immer höher. Eine solche Erhöhung infolge der Klugheit, die ich an ihr entdeckte, sowie anderer moralischer Vorzüge, nahm ich zwar stets mit Vergnügen vor, aber doch mit einem gewissen strengen Maßhalten und ohne je bis zum Entzücken, dem Gipfel der Erhöhungen dieser Art, zu gelangen. Als Sofia Iwanowna, die nicht müde wurde, von ihrer Nichte zu sprechen, mir erzählte, daß Warenka vor etwa vier Jahren, als sie noch ein Kind war, einmal auf dem Lande, ohne um Erlaubnis zu fragen, alle ihre Kleider und Schuhe den Bauernkindern geschenkt hatte, so daß man die Sachen später zurückholen mußte, nahm ich diese Tatsache nicht gleich als etwas auf, was Warenka in meinem Ansehen erhöhen mußte, sondern machte mich sogar in Gedanken wegen ihrer unpraktischen Anschauung über sie lustig.

Wenn bei den Nechljudows Gäste waren, unter anderen zuweilen auch Wolodja und Dubkow, trat ich selbstzufrieden und mit einem gewissen ruhigen Bewußtsein des zum Hause Gehörigen in den Hintergrund, führte keine Gespräche und hörte nur zu, was die andern sprachen. Und alles, was die andern sagten, kam mir so unglaublich dumm vor, daß ich mich heimlich wunderte, wie die Fürstin, eine so gescheite, logisch denkende Frau, und deren ganze logisch denkende Familie solche Dummheiten anhören und beantworten konnten. Wenn ich damals auf den Gedanken gekommen wäre, mit dem, was die andern sagten, das zu vergleichen, was ich selbst sprach, wenn ich allein bei den Nechljudows war, so hätte ich mich wahrscheinlich nicht im geringsten gewundert. Noch weniger hätte ich mich gewundert, wenn ich bedacht hätte, daß meine Hausgenossinnen – Awdotja Wassiljewna, Ljubotschka und Katjenka – ebensolche Frauen waren wie alle andern, um nichts geringer als alle andern, und wenn ich mich erinnert hätte, was Dubkow, Katjenka und Awdotja Wassiljewna ganze Abende lang heiter lächelnd miteinander sprachen: daß Dubkow fast jedesmal eine Gelegenheit suchte, um mit Gefühl das Gedicht » Au banquet de la vie infortuné convive ...« oder Abschnitte aus dem »Dämon« vorzulesen, und mit welchem Vergnügen sie überhaupt mehrere Stunden hindurch den größten Unsinn schwatzten.

Es versteht sich von selbst, daß Warenka mir, wenn Besuch da war, weniger Aufmerksamkeit schenkte, als wenn wir allein waren, auch gab es dann weder Lektüre noch Musik, die ich sehr gern hörte. Wenn sie sich mit den Gästen unterhielt, verlor sie in meinen Augen den Hauptreiz: die ruhige Besonnenheit und Einfachheit. Ich erinnere mich noch, wie mich ihre Gespräche mit meinem Bruder Wolodja über das Theater und das Wetter frappierten. Ich wußte, daß Wolodja mehr als alles in der Welt das Banale verachtete und zu vermeiden suchte, Warenka spottete ebenfalls immer über die interessant sein sollenden Gespräche vom Wetter und so weiter, – warum also sprachen beide, sobald sie beisammen waren, stets über die unerträglichsten Nichtigkeiten, und zwar so, als schämte sich der eine für den andern? Jedesmal nach solchen Gesprächen zürnte ich Warenka im geheimen, spottete am nächsten Tage über die Gäste, die dagewesen waren, fand jedoch ein um so größeres Vergnügen daran, mit dem Familienkreise der Nechljudows allein zu sein. Ich begann sogar, mit Dmitrij selbst lieber im Salon seiner Mutter beisammen zu sein als unter vier Augen


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