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Ich zeige mich von der vorteilhaftesten Seite.

Während des Tees wurde das Lesen unterbrochen und die Damen begannen untereinander ein Gespräch von Personen und Verhältnissen, die ich nicht kannte, wie mir schien nur, um mich trotz des freundlichen Empfanges doch den Unterschied fühlen zu lassen, welcher zwischen mir und ihnen im Alter und in der gesellschaftlichen Stellung lag. In Gesprächen allgemeinen Charakters aber, an denen ich teilnehmen konnte, bemühte ich mich, um mich für mein vorhergehendes Schweigen zu entschädigen, meinen ungewöhnlichen Geist und meine Originalität zu zeigen, wozu ich mich besonders durch meine Uniform verpflichtet fühlte. Als von Landhäusern gesprochen wurde, erzählte ich plötzlich, der Fürst Iwan Iwanowitsch besitze in der Nähe von Moskau eine so schöne Villa, daß Leute aus London und aus Paris kämen, um sie zu bewundern; es sei da ein Gitter, welches 380 000 Rubel gekostet habe, und Fürst Iwan Iwanowitsch sei mein naher Verwandter, und ich hätte heute bei ihm diniert, und er hätte mich dringend eingeladen, den Sommer mit ihm in dieser Villa zu verbringen, ich hätte aber abgelehnt, weil ich die Villa sehr gut kenne und schon oft dort gewesen sei, und weil alle die Gitter und Brücken mich durchaus nicht interessierten, da ich Luxus, besonders auf dem Lande, nicht leiden könne, auf dem Lande müsse es eben, meiner Ansicht nach, ganz so wie auf dem Lande sein.

Nachdem ich diese entsetzliche, konfuse Lüge gesagt hatte, wurde ich verlegen und errötete, so daß sicherlich alle merkten, daß ich gelogen hatte. Warenka, die mir grade eine Tasse Tee reichte, und Sofia Iwanowna, die mich ansah, während ich sprach, wandten sich von mir ab und sprachen von etwas anderem, mit einem Gesichtsausdruck, den ich später oft bei gutmütigen Leuten bemerkte, wenn ein sehr junger Mensch ihnen ins Gesicht lügt, ein Ausdruck, der zu sagen scheint: »Wir wissen ja, daß er lügt, warum tut er das, der arme Junge?«

Ich hatte nur deshalb erzählt, daß Fürst Iwan Iwanowitsch ein Landhaus habe, weil ich keinen besseren Vorwand fand, von meiner Verwandtschaft mit ihm zu sprechen und mitzuteilen, daß ich heute bei ihm diniert hatte; aber warum ich von dem Gitter, welches 380 000 Rubel gekostet haben sollte, gesprochen, und warum ich erzählt hatte, daß ich so oft bei ihm gewesen, während ich doch kein einziges Mal bei ihm war und auch nicht sein konnte, da Fürst Iwan Iwanowitsch nur in Moskau oder in Neapel lebte, was die Nechljudows sehr gut wußten, – warum ich dies getan, darüber kann ich mir durchaus keine Rechenschaft geben. Weder in meiner Kindheit, noch im Knabenalter, noch später in reiferen Jahren habe ich je an mir das Laster der Lüge bemerkt; im Gegenteil, ich war eher zu wahrhaft und offen; aber in dieser ersten Zeit des Jünglingsalters überkam mich oft, ohne jeden erkennbaren Grund, das seltsame Verlangen, auf die verzweifeltste Weise zu lügen. Ich sage, »auf die verzweifeltste Weise«, denn ich log in Dingen, in denen man mich sehr leicht erwischen konnte; ich glaube, der eitle Wunsch, mich als ein ganz anderer Mensch zu zeigen als ich war, verbunden mit der. im Leben nie verwirklichten Hoffnung, zu lügen ohne ertappt zu werden, war die Hauptursache dieser sonderbaren Neigung.

Nach dem Tee schlug die Fürstin, da der Regen aufgehört hatte und das Wetter gegen Abend still und klar geworden war, einen Spaziergang in den unteren Garten vor, um sich an ihrem Lieblingsplätzchen zu erfreuen. Ich folgte meinem Grundsätze, stets originell zu sein, und da ich annahm, daß so gescheite Leute wie die Fürstin und ich über banale Höflichkeiten erhaben seien, antwortete ich, ich könne es nicht leiden, ohne jedes Ziel spazieren zu gehen, und wenn ich schon spazieren gehe, so täte ich es ganz allein. Es kam mir gar nicht in den Sinn, daß diese Antwort einfach grob war, es schien mir damals vielmehr, daß, sowie es nichts Häßlicheres gibt als niedrige Schmeicheleien, so gebe es auch nichts Angenehmeres und Originelleres als eine gewisse unhöfliche Offenheit; aber ich ging doch, sehr zufrieden mit meiner Antwort, mit der ganzen Gesellschaft spazieren.

Der Lieblingsplatz der Fürstin befand sich ganz unten im tiefsten Dickicht des Gartens auf einer kleinen Brücke, die sich über einen schmalen Sumpf schwang; der Ausblick war sehr begrenzt, aber sehr elegisch und lieblich. Wir sind so daran gewöhnt, Kunst und Natur zu verwechseln, daß uns sehr oft Naturerscheinungen, welchen wir in der Malerei nie begegnen, unnatürlich erscheinen, als wäre die Natur unnatürlich, und umgekehrt: Erscheinungen, welche wir sehr häufig in der Malerei treffen, erscheinen uns trivial, während uns gewisse Landschaftsbilder, die zu sehr von einem Gedanken und von einem Gefühl durchdrungen sind und die uns oft in der Wirklichkeit begegnen, gekünstelt erscheinen. Der Blick vom Lieblingsplatz der Fürstin war so. Er umfaßte einen kleinen, an den Ufern verwachsenen Teich, hinter welchem sich unmittelbar ein steiler Hügel erhob, der mit riesigen, alten Bäumen und Sträuchern bestanden war, die in vielfach abgetöntem Grün schimmerten. Über den Teich neigte sich am Fuße des Hügels eine alte Birke, die sich mit ihren starken Wurzeln in der feuchten Ufererde hielt, den Wipfel aber an eine hohe, stattliche Espe lehnte und ihre dichtbelaubten Zweige über die glatte Fläche des Teiches herabhängen ließ, in dem sich diese hängenden Zweige und das Laub ringsumher spiegelten.

»Welche Pracht!« sagte die Fürstin, den Kopf hin und her wiegend und sich an niemand von uns direkt wendend.

»Ja, wundervoll, nur glaube ich, einer Dekoration zu ähnlich,« sagte ich, weil ich zeigen wollte, daß ich in allem meine eigene Ansicht hatte.

Als hätte sie meine Bemerkung nicht gehört, fuhr die Fürstin fort, sich an der Aussicht zu ergötzen, und sprach, zu ihrer Schwester und Ljubow Ssergejewna gewandt, von den verschiedenen Einzelheiten: von einem schief stehenden Aste und seinem Spiegelbilde, das ihr besonders gefiel. Sofia Iwanowna sagte, das alles sei wunderschön, und ihre Schwester pflege hier stundenlang zu weilen; aber man merkte, daß sie das nur sagte, um der Fürstin eine Freude zu machen. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß sehr liebevolle Menschen selten für die Schönheiten der Natur empfänglich sind. Auch Ljubow Ssergejewna war entzückt und fragte unter anderem: »Wodurch hält sich diese Birke? Ob sie wohl noch lange so stehen wird?« blickte dabei aber fortwährend auf ihre Susette, die, mit dem Schweife wedelnd, mit den krummen Füßchen auf der kleinen Brücke so geschäftig hin und her lief, als wäre sie zum ersten Male in ihrem Leben außer dem Zimmer. Dmitrij begann mit seiner Mutter eine sehr logische Auseinandersetzung darüber, daß eine Aussicht mit beschränktem Horizonte unmöglich schön sein könne; Warenka sprach nichts. Als ich mich nach ihr umblickte, stand sie, auf das Geländer der Brücke gelehnt, so, daß sie mir ihr Profil zuwandte, und sah vor sich hin. Irgend etwas schien ihre Gedanken stark zu beschäftigen und sie zu rühren, denn sie stand selbstvergessen da und schien weder an sich zu denken, noch daran, daß man sie beobachtete. In dem Ausdruck ihrer großen Augen lag so viel Aufmerksamkeit und ruhiges, klares Nachsinnen, in ihrer Haltung so viel Ungezwungenheit und trotz ihres kleinen Wuchses sogar Würde, daß es mich wieder ergriff wie eine Erinnerung an »sie«, und wieder fragte ich mich: »Beginnt es jetzt vielleicht?« Und wieder antwortete ich mir, daß ich schon in Ssonitschka verliebt sei, und daß Warenka nichts anderes sei, als einfach ein Fräulein und die Schwester meines Freundes; aber sie gefiel mir in diesem Augenblick, und daher verspürte ich das unbestimmte Verlangen, ihr irgend eine kleine Unannehmlichkeit anzutun oder zu sagen.

»Weißt du was, Dmitrij,« sagte ich zu meinem Freunde, indem ich näher zu Warenka herantrat, damit sie meine Worte höre, »ich finde, selbst wenn es hier keine Mücken gäbe, so wäre doch nichts Hübsches an diesem Plätzchen, so aber,« fügte ich hinzu, indem ich mich auf die Stirn schlug und wirklich eine Mücke zerdrückte, »ist es doch ganz und gar häßlich.«

»Es scheint, Sie sind kein Freund der Natur?« sagte Warenka, ohne den Kopf zu wenden.

»Ich finde, es ist eine müßige, nutzlose Beschäftigung,« antwortete ich voller Befriedigung, daß es mir gelungen war, ihr eine kleine und dabei originelle Unannehmlichkeit zu sagen. Warenka zog einen Augenblick die Brauen unmerklich mit dem Ausdrucke des Bedauerns in die Höhe und blickte dann wieder ebenso ruhig vor sich hin.

Ich ärgerte mich über sie, aber trotzdem traten die mit verblaßter, grauer Farbe gestrichenen Geländer der kleinen Brücke, auf welche sie sich stützte, der Widerschein des herabhängenden Astes der vorgeneigten Birke im dunkeln Teich, der sich förmlich zu vereinigen schien mit den hängenden Zweigen, die Sumpfluft, das Gefühl der auf der Stirn zerdrückten Mücke, Warenkas aufmerksamer Blick und ihre stolze Haltung späterhin noch oft völlig unerwartet in meine Erinnerung.


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