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Was Wolodja und Dubkow trieben.

Sofort als Dmitrij eingetreten war, hatte ich an seinem Gesicht, seinem Gang und an der ihm eigenen Gebärde, bei schlechter Laune mit den Augen zu zwinkern und den Kopf unter Gesichterschneiden zur Seite zu drehen, als ob er seine Halsbinde zurechtrücken wollte, erkannt, daß er sich in jener kühl-eigensinnigen Stimmung befand, die ihn befiel, wenn er mit sich selbst unzufrieden war, und die stets auf meine Gefühle für ihn eine abkühlende Wirkung übte. In letzter Zeit hatte ich schon begonnen, den Charakter meines Freundes zu beobachten und zu beurteilen, doch unsere Freundschaft wurde dadurch nicht im geringsten gestört: sie war noch so jung und so stark, daß ich, von welcher Seite ich Dmitrij auch betrachtete, ihn nicht anders als vollkommen sehen konnte. In ihm steckten zwei ganz verschiedene Menschen, die beide für mich schön waren. Der eine, den ich heiß liebte, war gut, freundlich, sanft, heiter und war sich dieser liebenswürdigen Eigenschaften bewußt. Wenn Dmitrij in dieser Stimmung war, schienen alle seine Bewegungen, sein ganzes Äußere, der Ton seiner Stimme zu sagen: »Ich bin sanft und tugendhaft, ich ergötze mich daran, daß ich sanft und tugendhaft bin, und ihr alle könnt das sehen.« Der andere Mensch – den ich erst jetzt zu erkennen anfing und vor dessen Erhabenheit ich mich beugte – war kalt, streng gegen sich und gegen andere, stolz, religiös bis zum Fanatismus und pedantisch moralisch.

Mit der Offenheit, die eine unerläßliche Bedingung für unsere Freundschaft war, sagte ich ihm, als wir in den Wagen stiegen, daß es mich betrübe und schmerze, ihn am heutigen für mich so glücklichen Tage in so drückender, mir unangenehmer Stimmung zu sehen.

»Wahrscheinlich hat Sie irgend etwas verstimmt, warum sagen Sie mir's nicht?« fragte ich ihn.

»Nikolenka,« erwiderte er langsam, den Kopf nervös zur Seite wendend und mit den Augen zwinkernd, »wenn ich Ihnen mein Wort gegeben habe, daß ich vor Ihnen nichts verbergen werde, so haben Sie auch keinen Grund, mich der Geheimnistuerei zu verdächtigen. Man kann nicht immer in derselben Stimmung sein, und wenn mich irgend etwas verstimmt hat, so kann ich mir selbst keine Rechenschaft davon geben.«

»Was ist das doch für ein bewundernswert offener, ehrlicher Charakter!« dachte ich und knüpfte kein neues Gespräch mit ihm an.

Schweigend kamen wir zu Dubkow. Dubkows Wohnung war außerordentlich hübsch, oder sie erschien mir so. Überall sah man Teppiche, Bilder, Vorhänge, bunte Tapeten. Porträts. geschweifte Stühle, Voltairesessel, an den Wänden hingen Gewehre, Pistolen, Tabaksbeutel und verschiedene Tierköpfe auf Karton. Beim Anblick dieses Zimmers begriff ich, wenn Wolodja bei der Ausschmückung des seinigen nachgeahmt hatte. Wir trafen Dubkow und Wolodja beim Kartenspiel. Ein mir unbekannter Herr (nach seiner bescheidenen Haltung zu urteilen, keine Größe), saß neben dem Tisch und folgte dem Spiel mit großer Aufmerksamkeit. Dubkow selbst war in seidenem Schlafrock und weichen Hausschuhen. Wolodja saß in Hemdsärmeln ihm gegenüber auf dem Divan und war – wie sein gerötetes Gesicht und der unzufriedene, hastige Blick von den Karten auf uns verrieten – sehr vertieft in das Spiel. Als er mich sah, errötete er noch mehr.

»Na, du gibst,« sagte er zu Dubkow. Ich erriet, wie unangenehm es ihm war, daß ich von seinem Kartenspiel Kenntnis erhielt. Aber sein Gesicht zeigte keine Verwirrung, sondern schien mir sagen zu wollen: »Ja, ich spiele! Und du wunderst dich darüber nur, weil du noch jung bist. Das ist nicht nur nicht schlecht, sondern muß in meinem Alter so sein.«

Ich fühlte und begriff das sofort.

Doch Dubkow machte sich nicht ans Kartengeben, sondern stand auf, drückte uns die Hand, forderte uns auf, Platz zu nehmen und bot uns Tabakspfeifen an, die wir ablehnten.

»Da ist er also, unser Diplomat, der Urheber der Festlichkeit,« sagte Dubkow; »bei Gott, er hat ganz furchtbare Ähnlichkeit mit einem Oberst!«

»Hm!« machte ich und fühlte dabei wieder, wie das dumm-selbstgefällige Lächeln sich über mein Gesicht breitete.

Ich empfand Achtung vor Dubkow, wie sie nur ein sechzehnjähriger Knabe vor einem siebenundzwanzigjährigen Adjutanten empfinden kann, von dem alle Erwachsenen sagen, er sei ein äußerst braver junger Mann, der vortrefflich tanze und französisch spreche und der, wenn er auch im Grunde seiner Seele geringschätzig über meine Jugend dachte, sich sichtlich bemühte, dies zu verbergen.

Trotz all meiner Hochachtung war es mir während der ganzen Dauer unserer Bekanntschaft, Gott weiß warum, schwer und unbehaglich, ihm in die Augen zu sehen. Später machte ich die Beobachtung, daß mir das bei drei Arten von Menschen unangenehm ist: bei denen, die viel schlechter, und bei denen, die viel besser sind als ich, und schließlich bei Menschen, mit welchen ich mich nicht entschließen kann, über etwas zu sprechen, wovon wir beide wissen. Vielleicht war Dubkow besser, vielleicht war er schlechter als ich, sicher aber ist, daß er sehr oft die Unwahrheit sprach, ohne das zuzugeben, daß ich diese Schwäche an ihm bemerkt hatte und mich selbstverständlich nicht entschließen konnte, mit ihm darüber zu reden.

»Machen wir noch ein Spiel,« sagte Wolodja, wie Papa mit der Achsel zuckend und die Karten mischend.

»Wie der mich quält!« erwiderte Dubkow, »wir spielen nachher weiter. Na übrigens – noch ein Spiel, meinetwegen!«

Während sie spielten, betrachtete ich ihre Hände. Wolodja hatte eine große, schöne Hand; die Rundung des Daumens und die Biegung der anderen Finger hatten, wenn er die Karten hielt, eine solche Ähnlichkeit mit der Hand Papas, daß ich eine Zeitlang glaubte, er halte die Hände absichtlich so, um einem Erwachsenen zu gleichen; aber wenn man ihm ins Gesicht sah, merkte man sofort, daß er an nichts dachte als ans Spiel. Dubkow dagegen hatte kleine, volle, nach innen gebogene, sehr geschickte Hände mit weichen Fingern, Hände von jener Art. die mit Ringen geschmückt zu sein pflegen und die Leuten gehören, welche Vorliebe für Handarbeit haben und gern hübsche Sachen besitzen.

Wolodja schien zu verlieren, denn der Herr, der ihm in die Karten sah, äußerte, Wladimir Petrowitsch habe fürchterliches Pech, und Dubkow holte seine Brieftasche hervor, notierte sich etwas und fragte, indem er die Notiz Wolodja zeigte: »Stimmt's?«

»Stimmt!« sagte Wolodja mit einem erheuchelt zerstreuten Blick in das Notizbuch; »jetzt wollen wir fahren.«

Wolodja nahm Dubkow in seinen Wagen, ich fuhr mit Dmitrij in dessen Phaeton.

»Was haben sie eigentlich gespielt?« fragte ich Dmitrij.

»Piquet. Ein dummes Spiel. Überhaupt, das Kartenspielen ist dumm.«

»Und spielen sie hoch?«

»Nein; trotzdem ist's nicht schön.«

»Spielen Sie nicht?«

»Nein, ich habe mir das Wort gegeben, nicht zu spielen; aber Dubkow kann nicht anders als jemand Geld abnehmen.«

»Das ist aber nicht hübsch von ihm,« meinte ich, »Wolodja spielt gewiß schlechter als er?«

»Natürlich ist's nicht hübsch, aber es ist auch nichts besonders Schlimmes dabei. Dubkow spielt gern und gut, er ist aber trotzdem ein vortrefflicher Mensch.«

»Ich hab' ja auch durchaus nicht gedacht –« sagte ich.

»Man darf auch nichts Schlechtes von ihm denken, denn er ist wirklich ein prächtiger Mensch. Ich hab' ihn auch sehr gern und werde ihn immer gern haben, trotz seiner Schwächen.«

Mir wollte es scheinen, daß Dmitrij, grade weil er gar so warm für Dubkow eintrat, ihn nicht mehr liebte und achtete, daß er das aber nicht eingestehen wollte, sowohl aus Eigensinn als auch, damit ihm niemand den Vorwurf der Unbeständigkeit machen könne. Er war einer von jenen Menschen, die ihre Freunde fürs ganze Leben gern haben, weniger deshalb, weil diese Freunde ihnen immer liebenswert erscheinen, als vielmehr, weil sie es für unehrenhaft halten, einem Menschen, dem sie einmal, wenn auch irrtümlich, ihre Liebe geschenkt haben, diese Liebe wieder zu entziehen.


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