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Die Gesellschaft.

Die gesellschaftlichen Vergnügungen, denen ich mich nach meinem Eintritt in die Universität gleich meinem Bruder hingeben wollte, enttäuschten mich in diesem Winter vollständig. Wolodja tanzte sehr viel, Papa besuchte mit seiner jungen Frau ebenfalls viele Bälle, mich aber hielt man wahrscheinlich noch für zu jung oder zu ungeeignet für solche Vergnügungen und niemand führte mich in die Häuser ein, in welchen Bälle gegeben wurden. Trotz des Versprechens der Offenheit gegen Dmitrij sagte ich ihm ebensowenig wie jemand anderm, wie sehr ich Lust hätte, Bälle zu besuchen, und wie es mich schmerzte und ärgerte, daß man mich vergaß und mich offenbar als eine Art Philosophen betrachtete, als welchen ich mich infolgedessen auch aufspielte.

In diesem Winter fand aber bei der Fürstin Kornakow eine Gesellschaft statt. Sie selbst hatte uns alle – auch mich – eingeladen, und ich sollte zum ersten Male einen Ball besuchen. Bevor wir von Hause fortfuhren, kam Wolodja in mein Zimmer und wünschte zu sehen, wie ich angezogen sei. Diese feine Handlungsweise verwunderte mich sehr und machte mich stutzig. Ich glaubte, der Wunsch, schön gekleidet zu sein, sei beschämend und müsse geheimgehalten werden; er dagegen fand diesen Wunsch dermaßen natürlich und notwendig, daß er ganz offen sagte, er fürchte, ich würde mich blamieren. Er hieß mich unbedingt Lackstiefel anziehen, geriet in Entsetzen, als ich waschlederne Handschuhe nehmen wollte, legte mir die Uhrkette auf eine besondere Weise an und fuhr mit mir zu einem Friseur auf der Schmiedebrücke. Man brannte mir Locken ein, Wolodja trat zurück und betrachtete mich von weitem.

»So, jetzt ist's gut, aber kann man denn wirklich diesen Wirbel nicht glatt machen?« sagte er zum Friseur gewandt.

Und so viel auch Monsieur Charles meine Wirbelhaare mit einer klebrigen Essenz strich, sie erhoben sich sofort wieder, als ich den Hut aufsetzte, und überhaupt erschien ich mir mit dem Lockenkopf viel häßlicher als sonst. Meine einzige Rettung war, Nachlässigkeit zu affektieren, nur dann sah mein Äußeres nach etwas aus.

Wolodja schien derselben Ansicht zu sein, denn er bat mich, die Locken wieder zu zerstören, und als ich das getan hatte und trotzdem nicht besser aussah, schaute er mich gar nicht mehr an und blieb während des ganzen Weges zu den Kornakows schweigsam und betrübt.

Bei den Kornakows trat ich mit Wolodja zugleich ganz keck ein; als mich aber die Fürstin aufforderte, zu tanzen, und ich, weiß Gott warum, erklärte, daß ich nicht tanze, – obgleich ich doch mit der bestimmten Absicht gekommen war, sehr viel zu tanzen, – wurde ich verlegen und verfiel, da ich unter unbekannten Leuten allein geblieben war, in meine gewöhnliche, nicht zu überwindende, beständig anwachsende Schüchternheit. Ich stand den ganzen Abend stumm auf ein und derselben Stelle.

Während des Walzers trat eine der Prinzessinnen mit der der ganzen Familie eigenen offiziellen Liebenswürdigkeit auf mich zu und fragte, warum ich nicht tanze. Ich erinnere mich, daß ich bei dieser Frage noch verlegener wurde, daß aber zugleich ganz unwillkürlich ein selbstgefälliges Lächeln sich auf mein Gesicht legte, und daß ich in den geschraubtesten Ausdrücken in langen Perioden auf französisch einen Unsinn zu sprechen begann, dessen ich mich noch jetzt nach Jahrzehnten schäme. Wahrscheinlich bewirkte das die Musik, die meine Nerven erregte und, wie ich annahm, den nicht ganz verständlichen Teil meiner Rede übertönte. Ich sagte etwas von hoher Gesellschaft, von der Oberflächlichkeit der Menschen und besonders der Frauen und verhaspelte mich schließlich so, daß ich mitten im Wort in einer Phrase, die sich unmöglich zu Ende führen ließ, stecken blieb.

Selbst die gesellschaftlich veranlagte Prinzessin wurde verwirrt und sah mich vorwurfsvoll an. Ich lächelte. In diesem kritischen Augenblicke kam Wolodja, der mich eifrig sprechen gesehen hatte und wahrscheinlich wissen wollte, wie ich mich durch Gespräch vom Tanzen loskaufte, mit Dubkow zu uns heran. Als er mein lächelndes Gesicht und die erschrockene Miene der Prinzessin sah und den entsetzlichen Unsinn hörte, mit dem ich schloß, wurde er rot und wandte sich ab. Die Prinzessin erhob sich und ging fort. Ich lächelte noch immer, aber ich litt so sehr unter dem Bewußtsein meiner Dummheit, daß ich am liebsten in die Erde gesunken wäre und daß ich das unabweisliche Bedürfnis fühlte, mich zu rühren und etwas zu sagen, um nur auf irgend eine Weise meine Lage zu verändern. Ich ging auf Dubkow zu und fragte ihn, ob er viele Walzer mit »ihr« getanzt habe; ich wollte froh und witzig scheinen, im Grunde genommen aber war es eine Bitte um Hilfe, die ich an denselben Dubkow richtete, dem ich auf dem Diner bei Jar zugeschrien hatte: »Schweigen Sie!« Dubkow tat, als hörte er mich nicht, und wandte sich nach der andern Seite. Ich näherte mich Wolodja und sagte, alle Kraft zusammennehmend, um meiner Stimme einen scherzhaften Ton zu geben: »Nun, Wolodja, erschöpft?« Aber Wolodja sah mich an, als wenn er sagen wollte: »So sprichst du nicht mit mir, wenn wir allein sind,« und ging schweigend weiter; er fürchtete offenbar, daß ich mich an ihn hängen würde.

»Mein Gott, selbst mein Bruder läßt mich im Stich,« dachte ich.

Trotzdem hatte ich, ich weiß nicht warum, nicht die Kraft fortzugehen. Bis zum Schluß des Balles stand ich düster an derselben Stelle, und erst als alle sich verabschiedeten und sich in das Vorzimmer drängten, und als der Lakai mit meinem Mantel an meinen Hut stieß, so daß dieser in die Höhe sprang, lachte ich unnatürlich fast unter Tränen auf und sagte nur, ohne mich an eine bestimmte Person zu wenden: » Comme c'est gracieux


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