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Die Beichte.

Zerstreut kehrte ich in das Divanzimmer zurück, als sich alle dort versammelt hatten und der Geistliche sich erhob, um das Gebet vor der Beichte zu sprechen. Aber als inmitten des allgemeinen Schweigens die ausdrucksvolle, strenge Stimme des Mönches, der das Gebet sprach, ertönte, und besonders als er die Worte an uns richtete: »Enthüllet alle eure Versündigungen ohne Scham, ohne Hehl und ohne Beschönigung, und eure Seele wird rein werden vor Gott; wenn ihr aber etwas verheimlichet, werdet ihr eine schwere Sünde begehen,« – kehrte mir die Empfindung des frommen Schauers zurück, die ich am Morgen bei dem Gedanken an die bevorstehende Feierlichkeit empfunden hatte. Ich fand sogar einen Genuß in dem Bewußtsein dieses Zustandes und bemühte mich, ihn zu verlängern, indem ich alle Gedanken, die mir in den Sinn kamen, abwies und mich anstrengte, eine gewisse Furcht zu empfinden.

Als erster ging Papa zur Beichte. Er blieb sehr lange in Großmamas Zimmer, und während dieser ganzen Zeit saßen wir andern alle schweigend im Divanzimmer oder besprachen im Flüstertone, wer zuerst an die Reihe kommen würde. Endlich ertönten hinter der Tür die Stimme des betenden Mönches und Papas Schritte; die Tür knarrte, und Papa trat heraus, seiner Gewohnheit gemäß hüstelnd, die Achseln zuckend und niemand von uns ansehend.

»Nun, jetzt gehst du hinein, Ljuba, aber paß auf, daß du alles sagst, du bist ja meine große Sünderin!« sagte Papa heiter, indem er sie in die Wange kniff.

Ljubotschka wurde blaß und rot, zog ihren Zettel unter der Schürze hervor, verbarg ihn wieder, senkte den Kopf und schritt, den Hals einziehend, als wenn sie von oben her einen Schlag erwarte, durch die Tür. Sie blieb nicht lange, aber als sie heraustrat, zuckten ihre Schultern vor Schluchzen.

Endlich, nach der hübschen Katjenka, die lächelnd aus der Tür trat, kam ich an die Reihe. Ich ging mit derselben dumpfen Angst und mit dem Wunsche, diese Angst absichtlich in mir immer mehr und mehr zu entfachen, in das halbdunkle Zimmer; der Geistliche stand vor dem Betstuhl und wandte mir langsam sein Antlitz zu.

Ich blieb nicht länger als fünf Minuten in Großmamas Zimmer, aber als ich herauskam, fühlte ich mich sehr glücklich und nach meiner damaligen Überzeugung vollständig rein, sittlich neugeboren und als ein anderer Mensch. Obgleich mich alle die gewohnten Lebensverhältnisse, dieselben Zimmer, dieselben Möbel, meine eigene unveränderte Gestalt (ich hätte gewünscht, daß alles Äußere sich ebenso verändert hätte, wie ich mich, meiner Meinung nach, innerlich verändert hatte), obgleich das alles mich unangenehm berührte, dauerte meine gehobene Gemütsstimmung an, bis ich zu Bette ging.

Ich war schon im Begriffe einzuschlafen und ging im Geiste alle Sünden durch, von denen ich mich gereinigt hatte, als mir plötzlich eine schmähliche Sünde einfiel, die ich zu beichten vergessen hatte. Die Worte des Gebetes vor der Beichte kamen mir in den Sinn und tönten mir unaufhörlich in den Ohren, all meine Ruhe war augenblicklich verschwunden. »Wenn ihr aber etwas verheimlichet, werdet ihr eine schwere Sünde begehen,« klang es beständig in mir, und ich erschien mir selbst als ein so schrecklicher Sünder, daß es gar keine mir angemessene Strafe geben konnte. Lange warf ich mich im Bette hin und her, überdachte meine Lage und erwartete von Minute zu Minute die Strafe Gottes, ja sogar meinen plötzlichen Tod, – ein Gedanke, der mir unbeschreibliches Entsetzen bereitete. Plötzlich aber kam mir ein glücklicher Gedanke: ich konnte ja am frühesten Morgen ins Kloster zu dem Beichtvater gehen oder fahren und noch einmal beichten und ich beruhigte mich.


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