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Was ich als den Anfang der Jünglingsjahre betrachte.

Ich habe gesagt, daß meine Freundschaft mit Dmitrij mir eine neue Anschauung vom Leben, von seinem Zwecke und seinen Beziehungen enthüllt hatte. Das Wesentliche dieser Anschauung bestand in der Überzeugung, daß der Mensch bestimmt sei, nach sittlicher Vervollkommnung zu streben, und daß diese Vervollkommnung leicht, möglich und ewig sei. Aber ich freute mich vorläufig nur an der Entdeckung der neuen Ideen, die aus dieser Überzeugung entsprangen, und am Entwerfen glänzender Pläne für eine sittliche, tatenreiche Zukunft, während mein Leben ebenso kleinlich, verworren und müßig blieb wie bisher.

Die tugendhaften Gedanken, die in den Gesprächen mit meinem vergötterten Freunde Dmitrij – dem »prächtigen Mitja«, wie ich ihn bisweilen im stillen nannte, – entwickelt wurden, gefielen vorläufig nur meinem Verstande, nicht meinem Gefühl. Aber es kam eine Zeit, wo diese Gedanken mit einer so frischen Kraft der moralischen Erkenntnis meinen Kopf erfüllten, daß ich erschrak, wenn ich bedachte, wieviel Zeit ich unnütz vergeudet hatte, und dann wollte ich sofort, in demselben Augenblick, diese Gedanken auf das Leben anwenden, mit der festen Absicht, ihnen nie mehr untreu zu werden.

Und von dieser Zeit an rechne ich den Anfang meines Jünglingsalters.

Ich stand damals vor der Vollendung meines sechzehnten Lebensjahres. Nach wie vor kamen Lehrer zu mir; St. Jérôme beaufsichtigte meine Studien, und ich bereitete mich mit Widerwillen und Unlust für die Universität vor. Außer dem Unterricht beschäftigten mich einsame, unzusammenhängende Träumereien und Betrachtungen, Turnübungen, die mich zum stärksten Mann der Welt machen sollten, ziel- und gedankenloses Umhergehen in allen Zimmern und häufiges Betrachten meiner selbst im Spiegel, von dem ich übrigens stets mit einem bedrückenden Gefühl der Niedergeschlagenheit und selbst des Widerwillens fortging, Ich überzeugte mich, daß mein Äußeres nicht nur nicht hübsch war, sondern daß ich mich auch nicht einmal mit dem in ähnlichen Fällen üblichen Troste beruhigen konnte, – ich konnte nicht sagen, daß ich ein ausdrucksvolles, kluges oder vornehmes Gesicht hätte. Da war gar nichts Ausdruckvolles, die allergewöhnlichsten, derbsten und häßlichsten Züge; meine kleinen grauen Augen waren, besonders wenn ich in den Spiegel sah, eher dumm als klug. An Männlichkeit fehlte es noch mehr; obgleich ich für mein Alter groß und sehr stark war, hatten alle Züge meines Gesichtes etwas Weiches, Schlaffes, Unbestimmtes. Selbst das Vornehme fehlte ganz und gar, im Gegenteil, mein Gesicht war wie das eines einfachen Bauern, ich hatte auch ebenso große Hände und Füße, und das erschien mir damals als eine große Schande.


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