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Die Kornakows.

Mein zweiter Besuch galt den Kornakows. Sie wohnten in der Beletage eines großen Hauses auf dem Arbat. Die Treppe war äußerst vornehm und sauber, aber nicht luxuriös; überall lagen leinene Laufteppiche, die mit sehr rein geputzten, glänzenden Messingstäbchen befestigt waren, aber weder Blumen noch Spiegel waren zu sehen. Der Saal, über dessen glänzenden Parkettboden ich ins Empfangszimmer schritt, war ebenso streng, kalt und ordentlich eingerichtet, alles glänzte und schien sehr dauerhaft, wenn auch nicht ganz neu zu sein, aber es gab weder Bilder, noch Vorhänge, noch irgend welchen Zimmerschmuck. Mehrere der Prinzessinnen befanden sich im Empfangszimmer, sie saßen so sittsam und feierlich da, daß man sogleich merkte: so sitzen sie nicht, wenn keine Gäste da sind.

» Maman wird sogleich kommen,« sagte mir die älteste, indem sie sich näher zu mir setzte.

Eine Viertelstunde etwa unterhielt mich diese Prinzessin sehr ungezwungen und so gewandt, daß das Gespräch keinen Moment stockte; aber es war zu deutlich bemerkbar, daß sie sich Mühe gab, mich zu unterhalten, und daher gefiel sie mir nicht. Sie erzählte mir unter anderm, daß ihr Bruder Stephan, den sie Etienne nannten und der vor zwei Jahren in die Junkerschule gekommen war, nun schon Offizier geworden sei. Als sie von dem Bruder sprach und besonders davon, daß er gegen den Willen der Mutter zu den Husaren gegangen war, machte sie ein erschrockenes Gesicht, und alle die jüngeren Prinzessinnen, die schweigend dasaßen, machten ebenfalls erschrockene Gesichter; als sie vom Tode meiner Großmama sprach, machte sie ein trauriges Gesicht, und alle die jüngeren Prinzessinnen taten dasselbe; als sie daran erinnerte, wie ich St. Jérôme geschlagen hatte und fortgeführt worden war, fing sie zu lachen an und zeigte dabei ihre häßlichen Zähne, und alle Prinzessinnen lachten und zeigten ihre häßlichen Zähne.

Die Fürstin trat ein; sie war noch dieselbe kleine, magere Frau mit den unruhigen Augen und der Gewohnheit, sich im Kreise umzusehen, wenn sie mit jemand sprach. Sie ergriff meine Hand und schob mir die ihre an die Lippen, damit ich sie küsse, was ich sonst gewiß nicht getan hätte, da ich es nicht für nötig hielt.

»Wie freue ich mich, Sie zu sehen!« begann sie mit ihrer gewöhnlichen Redseligkeit, indem sie die Töchter ansah, »ach, wie er seiner maman ähnlich sieht, nicht wahr, Liese?«

Liese sagte, das sei wahr, obgleich ich bestimmt wußte, daß ich nicht die geringste Ähnlichkeit mit meiner Mutter hatte.

»So sind denn also auch Sie schon erwachsen, und mein Etienne, Sie erinnern sich ja seiner, er ist ja Ihr Vetter dritten Grades, – nein, nicht dritten Grades, wie ist das doch, Liese? Meine Mutter war Barbara Dmitrijewna, die Tochter von Dmitrij Nikolajewitsch, und Ihre Großmutter war Natalia Nikolajewna.«

»Also vierten Grades, maman,« sagte die älteste Prinzessin.

»Ach, du machst immer Konfusion,« schrie die Mutter sie zornig an, »nicht dritten Grades, sondern issus de germains, so stehen Sie zu meinem Etiennchen. Er ist schon Offizier, wissen Sie? Es ist nur nicht gut, daß er schon zu viel Freiheit hat; euch junge Leute muß man noch am Zügel halten, und wie noch! – Sie sind mir, einer alten Tante, doch nicht böse, daß ich Ihnen die Wahrheit sage? Ich habe Etienne streng gehalten, und ich finde, daß es so sein muß. – Ja, so find wir verwandt,« fuhr sie fort, »Fürst Iwan Iwanowitsch ist mein leiblicher Onkel und war auch der Onkel Ihrer Mutter, folglich waren Ihre maman und ich Cousinen zweiten Grades, nein, dritten Grades, ja, so ist es. Nun aber sagen Sie, waren Sie schon beim Fürsten Iwan?«

Ich erwiderte, daß ich noch nicht dort gewesen sei, aber heute noch hinfahren werde.

»Ach, wie kann man nur!« rief sie, »dort hätten Sie den ersten Besuch machen müssen, Sie wissen doch, Fürst Iwan ist für Sie wie ein Vater, er hat keine Kinder, seine Erben sind folglich Sie und meine Kinder. Sie sind ihm Ehrfurcht schuldig, sowohl wegen seines Alters, als wegen seiner Stellung in der Gesellschaft und überhaupt auch im allgemeinen. Ich weiß, ihr jungen Leute von heute, ihr haltet nichts mehr auf Verwandtschaft und liebt die Alten nicht; aber folgen Sie mir, Ihrer alten Tante, denn ich habe Sie gern und habe Ihre maman gern gehabt und auch Ihre Großmama sehr, sehr geliebt und geachtet. Nein, Sie müssen unbedingt hinfahren, unbedingt.«

Ich erwiderte, daß ich unbedingt hinfahren werde, und da der Besuch meiner Meinung nach schon lange genug gewährt hatte, erhob ich mich und wollte gehen, aber sie hielt mich zurück.

»Nein, warten Sie einen Augenblick; wo ist dein Vater, Liese? Ruf ihn her, – er wird sich freuen, Sie zu sehen,« setzte sie hinzu, sich zu mir wendend.

Nach etwa zwei Minuten trat wirklich Fürst Michael ins Zimmer. Er war ein kleiner, stämmiger Herr, sehr nachlässig gekleidet, unrasiert und mit einem ungemein gleichgültigen Gesichtsausdruck, der schon fast an Dummheit grenzte. Er war durchaus nicht erfreut, mich zu sehen, wenigstens zeigte er es nicht, aber die Fürstin, vor der er große Angst zu haben schien, sagte ihm:

»Nicht wahr, wie Woldemar (sie hatte wahrscheinlich meinen Namen vergessen) seiner maman ähnlich sieht?« Dabei gab sie ihm mit den Augen ein Zeichen, und der Fürst, der wohl verstanden hatte, was sie wollte, trat an mich heran und streckte mir mit dem ruhigsten, ja sogar mit einem mißvergnügten Gesichte seine unrasierte Wange entgegen, die ich küssen mußte.

»Und du bist noch nicht angezogen und du mußt doch fort,« begann die Fürstin gleich darauf in dem ärgerlichen Tone, der ihr im Umgang mit den Ihrigen eigen zu sein schien, »du willst wohl wieder, daß die Leute sich über dich ärgern, willst sie wieder gegen dich aufbringen.«

»Gleich, gleich, meine Liebe,« sagte Fürst Michael und ging hinaus. Ich verbeugte mich nach allen Seiten und ging ebenfalls.

Ich hatte zum ersten Male gehört, daß wir die Erben des Fürsten Iwan Iwanowitsch waren, und diese Nachricht hatte mich unangenehm berührt.


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