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Der Streit.

Im großen Zimmer saß an einem Tischchen ein kleiner, stämmiger Herr in Zivil mit rotem Schnurrbart und aß. Neben ihm saß ein hochgewachsener brünetter Mann ohne Schnurrbart. Sie sprachen französisch. Ihr Anblick machte mich verlegen, aber ich entschloß mich dennoch, meine Zigarette an der brennenden Kerze, die vor ihnen stand, anzuzünden. Zur Seite schauend, um ihrem Blick nicht zu begegnen, trat ich an den Tisch und zündete die Zigarette an. Als sie brannte, konnte ich mich nicht länger beherrschen und warf einen Blick auf den speisenden Herrn. Seine grauen Augen waren fest und mißfällig auf mich gerichtet. Ich wollte mich eben abwenden, als sein roter Schnurrbart sich zu bewegen begann und er in französischer Sprache hervorstieß: »Ich liebe es nicht, daß geraucht wird, wenn ich speise, mein Herr!«

Ich murmelte etwas Unverständliches.

»Jawohl, ich liebe es nicht!« fuhr der schnurrbärtige Herr streng fort, indem er dem Bartlosen einen flüchtigen Blick zuwarf, als wollte er ihn auffordern, sich daran zu ergötzen, wie er mich bearbeiten werde; »ich liebe das nicht, mein Herr, und ich liebe auch nicht Leute, die so unhöflich sind, daß sie mir ins Gesicht rauchen.«

Ich begriff sofort, daß dieser Herr mich schalt, und ich fühlte mich im ersten Moment ihm gegenüber sehr schuldbewußt.

»Ich dachte nicht, daß Ihnen das unangenehm sein würde,« sagte ich.

»So, Sie dachten nicht, daß Sie ein Flegel sind, aber ich dachte das!« schrie der Herr.

»Welches Recht haben Sie, so zu schreien?« fragte ich, da ich fühlte, daß er mich beleidigte, und da ich allmählich ebenfalls in Zorn geriet.

»Das Recht, daß ich niemand und nie gestatte, mir gegenüber die schuldige Achtung zu vergessen! Und solche Bürschlein wie Sie werde ich immer zurechtweisen! Wie heißen Sie, mein Herr, und wo wohnen Sie?«

Ich war wütend, meine Lippen bebten und der Atem stockte mir fast. Aber ich fühlte mich dennoch schuldig, wahrscheinlich, weil ich zu viel Champagner getrunken hatte; ich sagte dem Herrn keine Grobheiten, im Gegenteil, meine Lippen nannten ihm demütigst meinen Namen und meine Adresse.

»Ich heiße Kolpikow, mein Herr, und in Zukunft seien Sie höflicher. Sie werden noch von mir hören, – vous aurez de mes nouvelles,« schloß er, denn das Gespräch wurde französisch geführt.

Ich sagte nur: »Freut mich sehr!« wobei ich meiner Stimme möglichst viel Entschiedenheit zu geben suchte, drehte mich um und kehrte mit der Zigarette, die inzwischen erloschen war, in unser Zimmer zurück.

Ich erzählte weder meinem Bruder noch den Freunden von dem Vorgefallenen, um so weniger als sie gerade in heftigem Streit waren, und setzte mich allein in eine Ecke, um über das merkwürdige Erlebnis nachzudenken. Die Worte: »Sie sind ein Flegel, mein Herr ( un malélevé, Monsieur)!« tönten mir immer noch in den Ohren und empörten mich mehr und mehr. Mein Rausch war vollständig verflogen. Als ich darüber nachsann, wie ich mich in dieser Angelegenheit benommen hatte, kam mir plötzlich der schreckliche Gedanke, daß ich gehandelt hatte wie ein Feigling. »Welches Recht hatte er, so über mich herzufallen? Warum sagte er nicht ganz einfach, daß es ihn störe? Folglich ist er der Schuldige? Warum habe ich, als er mich einen Flegel nannte, ihm nicht geantwortet: Ein Flegel, mein Herr, ist derjenige, der sich Grobheiten erlaubt! Oder warum hab' ich ihm nicht einfach zugeschrien: Schweigen Sie! Das wäre vortrefflich gewesen. Warum hab' ich ihn nicht gefordert? Nichts von alledem hab' ich getan, sondern ich hab' wie ein gemeiner Feigling die Beleidigung heruntergeschluckt. –« »Sie sind ein Flegel, mein Herr!« klang es mir unaufhörlich aufreizend im Ohr. »Nein, das kann man nicht so hingehen lassen!« dachte ich und erhob mich mit der festen Absicht, mich nochmals zu dem Herrn zu begeben und ihm etwas Entsetzliches zu sagen, oder aber ihm den Leuchter an den Kopf zu werfen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Mit Wonne malte ich mir das letztere aus, betrat das Nebenzimmer aber doch nicht ohne große Angst. Zum Glück war Herr Kolpikow nicht mehr da; nur ein Kellner, der den Tisch abräumte, befand sich in dem großen Zimmer. Ich wollte ihm den Vorfall erzählen und ihm erklären, daß mich nicht die geringste Schuld treffe, aber ich besann mich und kehrte in der düstersten Stimmung wieder in unser Zimmer zurück.

»Was ist denn mit unserm Diplomaten passiert?« sagte Dubkow, »er entscheidet jetzt sicherlich Europas Schicksal!«

»Ach laß mich in Ruhe!« erwiderte ich, mich mürrisch abwendend. Dann begann ich, im Zimmer auf und ab schreitend, darüber nachzudenken, daß Dubkow doch gar kein guter Mensch sei. »Und was sollen diese ewigen Späße und dieser Spitzname Diplomat? Darin liegt doch gar nichts Liebenswürdiges. Er hat nichts im Sinn, als Wolodja das Geld abzunehmen und sich zu amüsieren. Und er hat auch gar nichts Sympathisches an sich. Alles, was er sagt, ist eine Lüge oder eine Gemeinheit, und ewig verspottet er einen. Ich glaube, er ist ganz einfach dumm, und dabei ein schlechter Mensch.« In solchen Gedanken verbrachte ich etwa fünf Minuten und empfand dabei, ich weiß nicht warum, immer deutlicher ein feindseliges Gefühl gegen Dubkow. Dubkow aber beachtete mich gar nicht, und das ärgerte mich noch mehr. Ich war sogar böse auf Wolodja und Dmitrij, weil sie mit ihm sprachen.

»Wißt Ihr was, meine Herren? Wir müssen den Diplomaten mit Wasser begießen!« sagte Dubkow plötzlich, indem er mich mit einem Lächeln ansah, das mir spöttisch und selbst falsch erschien; »ihm ist ja übel, bei Gott, ihm ist übel!«

»Sie müssen auch begossen werden! Ihnen selbst ist übel!« antwortete ich mit boshaftem Lächeln und vergaß sogar, daß ich mit ihm Bruderschaft getrunken hatte.

Diese Antwort setzte Dubkow wohl in Erstaunen, aber er wandte sich gleichmütig von mir ab und fuhr fort, sich mit Wolodja und Dmitrij zu unterhalten.

Ich versuchte, mich in ihr Gespräch zu mischen, fühlte aber, daß ich mich ganz und gar nicht verstellen konnte, und zog mich wieder in meine Ecke zurück, um sie bis zu unserm Aufbruch nicht wieder zu verlassen.

Als die Rechnung bezahlt war und wir unsere Mäntel umwarfen, wandte sich Dubkow an Dmitrij: »Na, wohin werden Orest und Pylades sich begeben? Wahrscheinlich nach Hause, um über Liebe zu philosophieren? Wir werden uns jedenfalls besser unterhalten als ihr bei eurer sauertöpfischen Freundschaft!«

»Wie können Sie es wagen, so über uns zu sprechen, uns zu verspotten?« sagte ich plötzlich, indem ich dicht an ihn herantrat und mit den Händen umherfuchtelte; »wie können Sie es wagen, über Gefühle zu spotten, welche Sie nicht begreifen? Ich verbiete Ihnen das! Schweigen Sie!« schrie ich und verstummte selbst, da ich nicht wußte, was ich noch sagen sollte, und vor Aufregung zu ersticken fürchtete. Dubkow war zuerst erstaunt, dann versuchte er zu lächeln und das Ganze als Scherz zu nehmen, endlich aber erschrak er zu meiner großen Verwunderung und senkte den Blick zu Boden.

»Ich spotte durchaus nicht über euch und eure Gefühle, ich sag' nur so,« sprach er ausweichend.

»Das ist's eben!« schrie ich, aber im selben Moment schämte ich mich vor mir selbst und empfand Mitleid mit Dubkow, dessen gerötetes, verlegenes Gesicht wirkliches Unbehagen ausdrückte.

»Was hast du nur?« fragten Wolodja und Dmitrij gleichzeitig, »niemand hat dich beleidigen wollen.«

»Doch, er wollte mich beleidigen.«

»Ein verzweifelt schwieriger Herr, dein Bruder!« äußerte Dubkow zu Wolodja, indem er zur Tür hinausging, um nicht mehr zu hören, was ich antworten würde.

Vielleicht wäre ich ihm nachgestürzt und hätte ihm noch mehr Grobheiten gesagt, aber grade in diesem Augenblick reichte mir der Kellner, der bei meiner Affäre mit Kolpikow zugegen gewesen war, den Mantel, und ich beruhigte mich sofort, stellte mich aber vor Dmitrij noch zornig, soweit das notwendig war, um das plötzliche Ruhigwerden nicht sonderbar erscheinen zu lassen.

Am folgenden Tage traf ich bei Wolodja mit Dubkow zusammen; wir erwähnten das Vorgefallene nicht, blieben aber bei dem »Sie«, und es fiel uns noch schwerer als sonst, einander in die Augen zu blicken.

Die Erinnerung an meinen Streit mit Kolpikow, der mir übrigens weder am folgenden Tage noch sonst je » de ses nouvelles« gab, blieb für mich viele Jahre hindurch lebendig und bedrückend. Noch mindestens fünf Jahre später zuckte ich zusammen und schrie auf, sobald ich der unbestraften Beleidigung gedachte, und tröstete mich nur mit der selbstgefälligen Erinnerung an die Schneidigkeit, die ich dafür in der Sache mit Dubkow an den Tag gelegt hatte. Erst viel später begann ich, das alles mit ganz anderen Augen zu betrachten, mit komischem Behagen des Streites mit Kolpikow zu gedenken und die unverdiente Beleidigung zu bereuen, die ich dem »netten Burschen« Dubkow zugefügt hatte.

Als ich noch am selben Abend Dmitrij mein Erlebnis mit Kolpikow erzählte und ihm dessen Äußeres genau beschrieb, wunderte er sich aufs höchste.

»Ja das ist ja derselbe!« rief er, »stell' dir vor, dieser Kolpikow ist ein bekannter Lump, ein Falschspieler, und vor allem ein Feigling, der von den Kameraden aus dem Regiment gestoßen wurde, weil er eine Ohrfeige erhielt, ohne Genugtuung zu fordern. Woher hat der nur die plötzliche Bravour?« setzte er hinzu, mich mit einem gutmütigen Lächeln anblickend; »er hat doch weiter nichts gesagt als malélevé

»Ja,« erwiderte ich errötend.

»Gut ist das nicht, aber immerhin noch kein Unglück,« tröstete mich Dmitrij.

Erst später, als ich alles in Ruhe überdachte, kam mir die ziemlich wahrscheinliche Vermutung, daß Kolpikow – da er fühlte, daß er mit mir fertig werden könne – an mir in Gegenwart des brünetten, bartlosen Herrn nach vielen Jahren seine Rache für jene Ohrfeige ausließ, genau so wie ich mich sofort für seinen »Flegel« an dem unschuldigen Dubkow gerächt hatte.


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