Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Obgleich der Papst Gregor nicht krank war, so konnte doch jedermann bemerken, daß in seinem hohen Alter seine Kräfte sichtbar abnahmen. Vielerlei Bewegungen, Verbindungen, mancherlei Versprechen waren geschehn und im Kollegium der Kardinäle sowie unter den Prälaten und den Gesandten der fremden Mächte vorgefallen. Alles rüstete sich schon auf den Fall einer so wichtigen Veränderung. Der Nepote oder Sohn des Papstes, Buoncompagno, der Statthalter von Rom und Oberbefehlshaber des römischen Heeres, hatte Ursach, am meisten bei einem vorfallenden Wechsel besorgt zu sein. Der Papst, der immer gern rechtlich und im christlichen Sinne handelte, war nicht darauf ausgegangen, so sehr er und mit Leidenschaft diesen Buoncompagno liebte, ihn zu einem unabhängigen Fürsten zu machen, und er sprach den Ungeduldigen, der höher hinaufzusteigen wünschte, oft zufrieden und riet ihm, sich mit seinem bedeutenden Posten zu begnügen.

Um nicht zu viel zu wagen, hatte der Statthalter sich mit dem Großherzoge von Florenz versöhnt, der ihn haßte, und alle Zerwürfnisse, aus welchen die Entzweiung hervorgegangen war, hatte Buoncompagno jetzt durch die Vermittelung des klugen Kardinals Ferdinand beigelegt.

Vittoria leistete dem Governador oft Gesellschaft, um ihn aufzuheitern, und dieser fand stündlich Gelegenheit, ihren Verstand und festen Charakter zu bewundern. Selten nur ward eine ausgelesene kleine Vereinigung von Freunden hinzugelassen, weil der Statthalter von seiner Milde und Freundschaft nicht viel reden machen wollte, da der Papst unversöhnlich schien und Vittorien noch ebensosehr wie im Moment der Anklage zürnte. Diese erfuhr von diesem Hasse des Oberhauptes nichts und hoffte von einem Tage zum andern ihre völlige Freiheit zu erhalten, sie suchte sich daher an ihren geliebten Dichtern und eignen Arbeiten zu erheitern, sie sang und war gegen die Dienerschaft und alle Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, mitteilend und freundlich.

Nur gegen den einen hatte sie ihren bittern Zorn nicht verhehlen können und mögen, gegen ihren ältesten Bruder Ottavio. Dieser Unglückselige, von den Furien des Stolzes und Hochmutes unablässig verfolgt, hatte sich kürzlich mit ihr versöhnen wollen, als sie ihn mit so vieler Bitterkeit abgewiesen hatte. Schon seit einiger Zeit fühlte er sich gekränkt und unglücklich, da alles, was er gehofft und gewünscht hatte, sich nicht der Erfüllung nähern wollte. Die Partei des Montalto wies ihn von sich wegen des Bruders Marcello und des Unterganges des Peretti, auch der Papst war ihm erzürnt, und die Florentiner, die sich mit andern dem Mediceer anschlossen, vermieden ihn ebenfalls. Es war schon jetzt ziemlich ausgemacht, weil die Verbindung gegen den Mächtigen allzu stark war, daß bei Erledigung des päpstlichen Stuhles nicht dem Farnese die hohe Stelle zugeteilt würde. Dies schmerzte den Bischof Ottavio, weil er darauf wie auf eine feste Hoffnung gebaut und danach seinen ganzen Lebensplan eingerichtet hatte. Noch mehr aber ward er gekränkt, daß sich Farnese nicht nur völlig von ihm abwendete, sondern ihm auch öffentlich seine Feindschaft erklärte. Der Kardinal, welcher gern jede Spur seines Verhältnisses zu Peretti, Vittoria und ihrer Mutter in Vergessenheit bringen wollte, behandelte seinen Schmeichler Ottavio als einen Verdächtigen, der vielleicht in Verbindung mit seinen Feinden gestanden habe, um ihm in der öffentlichen Meinung zu schaden. Er mochte selbst davon überzeugt sein, daß Ottavio ein zweideutiger Charakter sei, da er gesehn, wie er sich gegen die eigne Familie hatte brauchen lassen. Dem Herzog Bracciano und allen Freunden dieses großen Hauses durfte Ottavio sich nicht nähern, weil ihn der Fürst, der seinen Charakter kannte und alles Böse wußte, das er der Schwester hatte zufügen wollen, haßte. Selbst Flaminio, der jüngste Bruder und Vertraute Braccianos, wollte ihn nicht sehn, auch die kranke Mutter hatte ihn mit Verwünschungen zurückgewiesen und sich vor ihm verschlossen. So war sein Herz halb gebrochen, als er noch erfuhr, die Mutter sei ohne Spur verschwunden. Lange waren alle Nachforschungen vergeblich, endlich sagte ihm ein dunkles Gerücht, daß sie sich wahrscheinlich nach Tivoli gewendet habe. –

So sah man nach einiger Zeit einen kranken, blassen Mann in Tivoli mit schwankenden, ungewissen Schritten umherirren. Er lehnte sich oft, wie erschöpft, an einen Baum oder eine Mauer: er schien viel zu sinnen und sich mancher Dinge mit Trauer und Leid zu erinnern. Schon lange hatte den wie im Schwindel Umhertaumelnden der alte Pfarrer Vincenz von seinem Fenster aus beobachtet. Da der Kranke jetzt einer Ohnmacht nahe schien, so trat er aus seiner Tür, um ihm Beistand zu leisten. »Tretet zu mir ein, kranker Herr,« sagte der Priester, »erquickt Euch in meiner kleinen Hütte und laßt mich, wenn Ihr es bedürft, den guten Apotheker herbeirufen.« – »Nein,« erwiderte jener, »setzt Euch, wenn Ihr Zeit habt, ein wenig zu mir auf diese Steinbank und beantwortet mir einige Fragen.«

»Gern«, sagte der Priester.

»Wißt Ihr denn vielleicht, ob sich eine Donna Julia Accorombona hier im Orte aufhält und wo sie ihre Wohnung genommen hat?«

Jetzt erst erkannte, fast mit Entsetzen, der Alte diesen Fragenden. In dieser unscheinbaren, kümmerlichen Gestalt, so ganz zerbrochen und ohne Würde, saß jener hochmütige, starke, straff aufgerichtete Ottavio neben ihm, der, als er nur noch Abt war, den armseligen Priester von oben herab kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Ein Schauer über den Wandel menschlicher Schicksale und die Unbeständigkeit des Glückes ergriff ihn; es kostete ihn Mühe, sich zu fassen und seine Erschütterung zu verbergen.

»Ihr wißt also,« fing der Bischof mit schwacher Stimme wieder an, »wo diese Donna Julia sich aufhält, und könnt mich zu ihrer Wohnung führen?«

»Gewiß,« sagte der Priester, »auch bin ich der einzige, den sie seither gesehen und gesprochen hat.«

»Ich war an jenem Hause,« sagte Ottavio, »aber alles war verschlossen und fest verriegelt. Wie geht es ihr? Ist sie genesen und mehr beruhigt?«

»Jetzt ist sie ganz ruhig«, antwortete Vincenz.

»Nun, so gehn wir, doch gebt mir vorerst einen Becher Wasser.«

»Kommt, geehrter, ehrwürdiger Herr,« rief Vincenz, indem er hastig aufstand, »würdigt meine Hütte, hineinzutreten, genießt etwas und erstarkt Euch mit einem Trunke Weins.«

»Nein,« sagte Ottavio, »nur Wasser.« Jener ging in das Haus, und jetzt erinnerte sich auch Ottavio, daß dieser jener armselige Priester sei, den er vormals als einen unwissenden, geringen Menschen schnöde behandelt habe. Der Alte kam mit dem Wasser, das er in seinem zierlichsten Becher auf einem silbernen Untersatz brachte. Zitternd vor Rührung nahm der Bischof das Gefäß, dankte und trank. Er gab den Becher zurück und blickte in den klaren, blauen Himmel hinauf. – »Wie hart und undankbar sind wir Menschen doch,« sagte er dann, »welcher Wohlschmack, welche Wonne, ja welche lautre Offenbarung enthüllt sich dem Durstenden, Matten in einer einzigen Welle des kühlen Elementes. In Kunst und Wissenschaft, in hochgetürmten Tempeln und Palästen oder einzig in der Schrift und ihren begeisterten Auslegern suchen wir das Wort des Ewigen – und sehn ihn stets dicht neben uns, wo wir auch sein mögen: er winkt, er reicht uns die Hand, und immerdar will der Stolz unsers pharisäischen Herzens ihn nur finden, wo Weihe und Würde, Pracht und Wissenschaft, Zeremonie und Weihrauch ihn uns kenntlich machen sollen. – Führt mich jetzt, mein lieber Gastfreund, der mich erquickt hat.« –

Sie gingen durch die Stadt. – »Hier verlieren sich die Häuser und Wohnungen,« sagte der Bischof – »ist sie denn so weit weggezogen?«

»Wir sind gleich zur Stelle«, sagte der Priester wehmütig. –

»Dort!« – Sie näherten sich dem Kirchhof. Ein Hügel war neu und mit frischem Rasen belegt. – »Hier schläft sie,« sagte Vincenz; »endlich hat ihr wildes Herz Ruhe gefunden, da unten steht es still.« –

Mit einem irren Blick sah Ottavio seinen Begleiter an, sank dann in die Knie, weinte laut und heftig und umarmte das Grab. Vincenz entfernte sich und setzte sich trauernd hinter einen Busch, um den Unglückseligen nicht zu beobachten oder seine einsamen Gebete zu stören. – Vernichtend, das Herz zerschneidend drängten sich jetzt wie stürmende Hagelschauer alle Erinnerungen der Jugend und Kindheit in das Gemüt des Betenden. Wie die Mutter ihn immer geliebt, wie so willig sie ihm so manchen Genuß, Bequemlichkeit, ja oft das Unentbehrliche in ihrem bedrängten Wittum aufgeopfert hatte, um ihm nur die Bahn des Lebens und der Wissenschaft zu ebnen: wie sie sich seiner Fortschritte, seines Gedeihens gefreut, wie er ihr Stolz gewesen, wie sie auf ihn ihr irdisches Glück und die ganze Hoffnung ihrer Zukunft habe bauen wollen. Welche Wonne es der Mutter gewesen, wenn sie ihn durch ein Geschenk, zuweilen ein kostbares, habe überraschen und erfreuen können, an seinem Namenstage, dann, als er die Priesterweihe erhalten, welches Entzücken in ihrem Auge glänzte, als er nun Abt geworden. – Und er! – Wie Stolz, Hochmut und Härte ihn früh dem mütterlichen Herzen abgewandt, wie er immerdar ihre Sorgfalt und Liebe verkannt habe. – »O ja!« rief er, indem er innigst bewegt die Hände rang, – »ja, wir Kinder sind Ungeheuer: statt der Liebe und Verehrung saugen wir Undank, Verschmähung aus der Brust und dem Herzen unserer Mütter. O wie viel Verworfenheit nistet in unserem Gemüt: – ach! und dem Mann dort, ja, dem Himmel da oben war ich eben noch in Rührung dankbar für den Schluck kühlen Wassers, den mir der Fremde gönnen wollte – und ihr, dieser hochherzigen Mutter, die ganz Liebe, deren Leben ununterbrochene Aufopferung für die Kinder war, – wie haben wir ihr gelohnt! Und ich der Verruchteste, schlimmer als Marcello! ich! – Ja, jetzt, da es zu spät ist, möcht ich zu ihren Füßen hinsinken und mich auflösen in reumütigen Tränen. – Und sie – könnte sie sich jetzt unter dieser grünen Decke ihres Bettes erheben – durch einen Blick, ein Wort, eine Träne wäre sie mir versöhnt, ganz nur Liebe und Mutter wieder, – ja, sie würde alle Schmerzen, die sie meinethalb erduldet, für Gewinn, für Freude achten, wenn meine Liebe ihr, wie ein Gefühl meiner frühen unschuldigen Kindheit, wiederkehrte. – Und er, den wir stammelnd Gott nennen – das Liebeherz aller Welten –, er sollte sich weniger des reuenden Sünders erbarmen?« –

Er hatte sich auf das Grab hingeworfen und konnte sich in Tränen nicht ersättigen. Aber ihm ward wohl. Die starre, eherne Schale, die wie ein Panzer sein Herz umschlossen hatte, zersprang und brach, und alles Harte in ihm löste sich schmelzend in diesem Erguß der Tränenfülle. Er hatte in diesen großen Momenten die Welt und sich völlig überwunden. –

Der Priester glaubte schon, weil Ottavio sich nicht wieder erhob, er sei zur Leiche geworden. Als er sich näherte, schaute ihm vom Grabhügel ein verklärtes Angesicht entgegen, eine Begeisterung des Schmerzes leuchtete in allen Zügen, und so wie die Zeichen der Krankheit verschwunden waren, glänzte das Antlitz wie das eines selig Sterbenden, der schon im toten Ohr die Stimme der Engel vernimmt. Vincenz, erschüttert, war im Begriff niederzuknien und um den Segen des zu bitten, der ihm ehemals so feindlich gegenüberstand. –

»Könnt Ihr mich«, sagte der Bischof, »für die wenigen Stunden oder Tage, die ich noch zu leben habe, in Eurem Hause aufnehmen, wollt Ihr meine Beichte hören und mich als geistlicher Vater zu meiner irdischen Auflösung vorbereiten?« –

Vincenz weinte und küßte ihm die Hand. – »Soll ich nicht zur Stadt senden?« sagte er, »soll nicht einer der Großen zu Euch kommen? Wollt Ihr Euch nicht selbst nach Rom begeben?«

»Nichts von alldem«, sagte Ottavio sanft lächelnd und faßte den Alten unter dem Arm, um sich von ihm führen zu lassen. So schritten sie langsam nach dem kleinen Hause.

In seinen letzten Stunden behandelte der Bischof den Priester als seinen rettenden Engel und liebenden Vater. Er ergoß ihm sein ganzes Herz, beichtete ihm alle seine Verirrungen, Fehler und Sünden, empfing von ihm Absolution und die Sakramente. Der demütige Priester drückte ihm die Augen zu und beerdigte ihn dann dicht neben seiner Mutter, wie Ottavio es gewünscht hatte.

Alles, was er bei sich trug, Gold, Juwelen und Kostbarkeiten, alle seine Habe in Rom vermachte er in seinem Testament Vincenz, dem Freund seiner letzten Stunden. Dieser ward durch dies Erbe wohlhabend und konnte dadurch sein bekümmertes Alter aufheitern und sich und andern Armen eine bessere Pflege zukommen lassen. Er selbst legte aber auch das Harte und Schroffe seines Charakters ab, und seine Liebe, die sich unter einem fast wilden Äußern verborgen hatte, zeigte sich nun weich und offen als christliche Liebe.

Indessen war in Rom der Papst Gregor in diesen Tagen gestorben. Die Kardinäle vereinigten sich zum Konklave, und alles war in der höchsten Spannung, wer an seine Stelle treten würde. Viele jubelten über den Tod Gregors, weil sie seine Schwäche und Unentschlossenheit für die Ursache aller jener Leiden hielten, die den Staat während seiner Regierung bedrückt hatten. Andre, die seine Liebe und Wohltätigkeit erfahren hatten, beklagten das Hinscheiden des menschenfreundlichen Fürsten.

Sowie der Tod des Papstes bekanntgemacht war, fuhr der Herzog Bracciano, der auf diesen Fall schon alles vorbereitet hatte, in allem Prunk seines Standes und von Grafen, Baronen und Edelleuten, die von ihm abhängig waren, begleitet, sowie mit einer großen Schar von Dienern, die Vornehmen in kostbaren Kleidern, die Geringeren in schimmernden Gewändern, vor das Kastell. In dieser wichtigen kritischen Zeit konnte es der Gouverneur nicht wagen, ihm und seinem Gefolge den Einzug zu verweigern.

Buoncompagno war in Verwirrung, als der große Mann mit dem Anstande eines Herrschers und Fürsten zu ihm trat. »Ich verlange von Euch meine Gemahlin«, sagte er im befehlenden Tone.

Der Gouverneur wollte sich entschuldigen, bat um Aufschub, meinte, der neuerwählte Papst dürfte vielleicht seine Nachgiebigkeit schelten, und riet, die neue Wahl abzuwarten, damit er dann vom Herrscher dessen Befehle empfangen könne.

Zwischen Zorn und Lachen antwortete Bracciano: »Mein edler Freund, denn das seid Ihr und werdet Ihr bleiben, der Papst ist gestorben, wir haben jetzt in Rom keinen Herrscher, es bleibt zweifelhaft, ob der neue Euch in Eurer Würde bestätigen wird. Jetzt ist also keine Regierung, und der Fürst, in dessen Hand ich mein Versprechen gab, mich nicht zu vermählen, ist verschieden. Ihr wißt, wie oft während des Konklave das unruhige Volk zu Meuterei und Aufruhr ausgebrochen ist: versagt Ihr jetzt bestimmt mein rechtmäßiges Verlangen, so werde ich mich nicht scheuen, mir mit Gewalt zu nehmen, was nach menschlichen und göttlichen Gesetzen mein ist. Wollt Ihr es wagen, in diesen Tagen der Anarchie es zu einem Kriege zwischen uns kommen zu lassen? Wollt Ihr Euch meinen und der Meinigen unauslöschlichen Haß zuziehn, der Ihr vielleicht bald unsere Hülfe brauchen könnt? Diese wie meine Freundschaft und Liebe bleibt Euch versichert, wenn Ihr Euch jetzt als ein verständiger und nachgiebiger Freund zeigt.«

Der Gouverneur hatte weiter keine Antwort: er sagte nur, wie ihm Vittoria unaufgefordert bezeugen werde, mit welcher Hochachtung, wie einer Tochter, er ihr in dieser traurigen Zeit begegnet sei. Er führte ihn hierauf selbst in die Zimmer der Gefangenen und ließ sie nach einigen Bezeigungen der Höflichkeit allein, indem er die schöne Gefangene als frei dem Gemahle feierlich übergab. –

Beide umarmten sich in Freude und Rührung weinend. »So hat die Zeit«, sagte der Herzog, »doch endlich die glänzende Woge heraufgewälzt, die mein Glück, meine Seligkeit trägt. Nicht wahr, das Leben ist doch ein großes Geschenk, ein himmlisches Wonnegeheimnis jenes ewigen, unnennbaren Geistes? Ja, er liebt seine Geschöpfe, und wir wollen es dankbar erkennen.«

»Wenn uns nur nicht immer«, sagte Vittoria, »in diesen großen Momenten ein sonderbarer Schwindel ergriffe. Es ist kein Zagen, kein Zweifeln, keine Ungewißheit unsrer selbst, auch keine Furcht vor Gegenwart und Zukunft, – nein, mein Geliebter, nur als wenn dem Dichter im Moment der höchsten Begeisterung, wenn er alle seine glühenden Strophen in die Saiten rauschen möchte, – plötzlich die goldne Lyra in der Hand zerbräche und seine silberne Stimme durch Heiserkeit stumm gemacht würde – so fehlt uns Sterblichen der Ausdruck für das höchste Glück, die Freude ist mit dem Schmerze zu geschwisterlich verwandt; für Unglück und Leid sind tausend Fühlungen in uns.«

»Gedankenreiche, melancholische Braut,« sagte der Herzog lächelnd, »so möchten wir uns dem Krebse vergleichen, der ungeschickte Glieder zum Rückwärtskriechen, aber keine zum Vorschreiten hat.«

Er umarmte sie herzlich mit einem glühenden Kuß und führte sie hinab, um mit ihr den Wagen zu besteigen.

Der Bischof erwartete sie schon im Palast. In der Kapelle ward von ihm die Trauung feierlich vollzogen. Die Braut war geschmückt und in den reichsten Kleidern. Sie trug, weil es der Herzog gewünscht hatte, dieselben Gewande, mit denen sie am Tage ihres sogenannten Verhörs war bekleidet gewesen; ihr Benehmen an jenem Tage hatte ihn so entzückt, daß er sie wieder in der nämlichen Tracht sehn wollte.

Die Priester entfernten sich, und nur wenige der Vertrautesten versammelten sich im aufgeschmückten Saal. Bracciano war weit davon entfernt, ein großes prächtiges Vermählungsfest zu feiern, er vermied an diesem Tage seines Glückes die große, vornehme und geschwätzige Gesellschaft. Die Menge wäre ihm an diesem Tage lästig gewesen. So lud er nur einige seiner Verwandten, von deren Ergebenheit und Liebe er überzeugt war, und seinen Schwager Flaminio, den er heut seiner Dienste als Geheimschreiber entließ und ihm, damit er ein selbständiger Mann sein könne, ein bedeutendes Vermögen übergab; Caporale, der treue Freund, der sich in Rom befand, ward nicht vergessen.

So war gerade nur die Zahl der Musen am Tisch, und das Mahl, das nicht zu lange währte, ward unter Scherz, Lachen und ernsten Gesprächen genossen. Der Herzog hatte es als einen besonderen Luxus ersonnen, daß sie nur von schönen Mädchen bedient wurden, die alle poetisch als Nymphen oder Göttinnen der Fabel leicht und bunt bekleidet waren. Caporale war so glücklich, so heiter, sein Gesicht so lachend, als wenn er selbst der glückliche Bräutigam gewesen wäre. Aber er triumphierte, daß sich nun doch, trotz aller Hemmung und des Unglücks, das erfüllt hatte, was sein Herzenswunsch immer für seine Freunde gewesen war. Er jauchzte darüber, daß er zuerst, und ohne ihn zu kennen, den edlen Freund in das Haus der schönen Geliebten eingeführt hatte. Diese betrachtete er mit immer wachsendem Erstaunen, denn sie war, was auch der Herzog behauptete, noch schöner geworden, und in ihrer strahlenden Majestät schimmerte lächelnd eine so süße Jungfräulichkeit, daß nicht bloß der Bräutigam in ihrem Anblick entzückt und wie trunken sich verlor. Alle Dienerinnen, so schön und reizend sie in Blumenkränzen und poetischen Gewändern glänzten, so lieblich und holdselig sie auch waren, so lockend Busen, Nacken und Schultern leuchteten, waren in der Nähe Vittorias doch nur wie dienende Sklavinnen, und ihr Licht ward von diesem Sonnenglanz durchaus verfinstert und dunkel.

Caporale ließ beim Bankett und Nachtisch die Rosenkränze hereinbringen, die man auf seine Anordnung geflochten hatte. Nach alter Weise mußte sich jeder mit einem schmücken, und nun wurden auch die Dienerinnen entlassen. Jetzt extemporierte Caporale ein Lied und sang es herzlich, wenn auch mit etwas heiserer Stimme. Jeder Gast folgte dem Beispiel, und nur Bracciano, an den Busen seines Weibes gelehnt, sagte, dieser stumme Ausdruck seines Gefühls sei das wahre und beste Gedicht, das er aus seinem Herzen in seine Augen, aber nicht auf seine Zunge hinaufbringen könne.

Vittoria improvisierte ohngefähr in folgender Weise, indem sie die Laute ergriff und in schöner malerischer Haltung mit ihrer Silberstimme sang:

»Gibt es Götter? Lebt und webt die unsterbliche Lust noch droben im Olymp? Komm, du ernster, trüber Zweifler, und siehe uns hier und unser Glück. Kannst du schauen, und ist dein Auge nicht blöde vom Erdenstaub, dein Geist nicht stumpf vom irdisch-trüben Geschäft – so siehe dort die holde Kypria stehn und lachen, mit Amor, der zu uns herüber schalkhaft blickt: auch der magdliche Bacchus ist zugegen, er, von allen Göttern der Jungfrau am ähnlichsten. – Wenn ihr Mut genug habt, ihnen ins Auge zu schauen, so wagt es und seht den mächtigen Jupiter an, den Vater der Geschicke, und die hochedle Juno, die auch in guter Laune ein weniges von Eifersucht bemerken läßt. – Hütet euch, es mit dieser Beschützerin der Ehe zu verderben, denn auch den Zeus bezwingt sie endlich. Wer ist stark genug, dem Schmollen zu widerstehn? – Beschütze du mich, Regent, mein Auserwählter, der Widerschein des Hohen, des Übermenschlichen, daß keine neidische, dich liebende Gottheit uns jemals entzweit.« –

Als es Abend war, trennte man sich, und die Mädchen geleiteten die Braut zur Kammer, um sie zu entkleiden. Als Bracciano durch Hülfe seines alten Kammerdieners die Hülle von sich warf, sagte der Herzog: »Was fehlt dir, alter Freund, daß ich dich so bewegt sehen muß? Hat jemand dir etwas Leides zugefügt?«

»O nein, erlauchter Herr,« sagte der Alte; »im Gegenteil, ich freue mich Eures hohen Glückes. O mein gnädiger Fürst, es ist ja eine Göttin, die Ihr heimgeführt habt, mehr als Armida oder Helena. Wohl mir, daß es mir vor meinem Tode noch vergönnt war, eine solche Schönheit mit meinem schwachen Auge zu erblicken; und beseligt ich! daß sie Euch gehört, Euch die Gattin, mir die Gebieterin! Welcher Fürst, welcher Sterbliche kann sich rühmen, je der Gemahl einer Himmlischen gewesen zu sein? Ja, Venus soll mehr wie einen Erdgeborenen beglückt haben – aber hier, Venus, Juno, Minerva und Diana in ein Wesen verschmolzen: und dieser Ernst, Tiefsinn und diese Schalkheit und kindliche Plauderei, und dies Necken, Witz und große Gesinnung.«

»Höre auf, alter Freund,« sagte Bracciano lachend, »du fängst an zu schwärmen, und du wirst mich eifersüchtig machen.«

»Es ist zu viel für einen Menschen,« beschloß der Alte, »alles dies in seine Arme zu fassen und es sein Eigentum zu nennen.«

Die Mädchen, als sie nach Hause gingen, schwatzten untereinander auf ähnliche Weise. Die eine sagte weinend: »Ich habe mich für hübsch gehalten, man hat mich selbst schön genannt, – o wie erbärmlich, schlecht, matt und leblos dieser gegenüber. Wenn er nicht treu ihr bleibt, verdient er des schimpflichsten Todes zu sterben.«

Als Bracciano sich der Tür der Kammer näherte, sagte er zu sich: »Wer bin ich, daß die Unsterblichen mir diese Wonne haben auferblühen lassen? Mit heiligem Schauer nur, mit erhabener Furcht, mit wollüstigem Zagen kann ich euch danken. Das ist meines Lebens wichtigster Moment. Und hätte ich nur für diesen einen Augenblick gelebt, so wäre mein Leben ein reiches gewesen.«


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