Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Fünftes Kapitel

Beim Gouverneur, dem mächtigen Buoncompagno, erhielt Graf Pepoli leicht Zutritt und eine freundliche Aufnahme. Die schriftliche Empfehlung der fürstlichen Margareta von Parma bestimmte den Governador, einen feinen Mann, einen so ausgezeichneten Bittenden anders als die Mehrzahl von Supplikanten zu behandeln. Dabei hatte diese Entführung der angesehenen Magistratsperson großes Aufsehen gemacht, so daß der Regierung selber viel daran lag, einen solchen Frevel auffallend zu strafen und den Gemißhandelten freizumachen. Dem Grafen ward also gern bewilliget, allein und ungestört mit Ascanio, dem Gefangenen, zu sprechen und von ihm die Möglichkeit der Rettung des alten Mannes zu erkundigen.

Ascanio, ein blasser, schmaler Mensch, erstaunte sehr über den Besuch des vornehmen Mannes. Als er den Gruß vernahm, den ihm Pepoli von dem hingerichteten Strada brachte, erschrak er zusammen, doch noch weit mehr, als er vernahm, um welche Angelegenheit es sich handle, und daß vom alten Velluti und dessen Befreiung die Rede sei. Der Gefangene rang die Hände und brach in ein heftiges, laut klagendes Weinen aus. »Ich sehe,« rief er nach einer Pause, »ich bin auf eine schreckliche Weise verloren, mein Verbrechen, falsche Münzen geschlagen zu haben, wird nun um so mehr geglaubt werden, und obenein zieht man mich nun in den neuen Prozeß hinein! Ihr habt mich bei dieser verruchten Sache schon dem Gouverneur genannt, man wird weiter forschen, mir die Folter nicht ersparen und mich dann auf schmähliche Weise hinrichten. Ach Himmel, warum ist es dem Menschen doch nicht immer vergönnt, einen einfachen und rechtlichen Lebenswandel zu führen! Ich wäre ja so gern im engsten Kreise froh und zufrieden gewesen.«

Der Graf suchte ihn zu beruhigen und nach und nach sein Vertrauen zu gewinnen. Die Freundlichkeit des jungen Mannes, seine Liebenswürdigkeit brachen auch allgemach den Starrsinn des Verbrechers und lösten seine Verzweiflung auf. »Ich will Euch vertrauen,« sagte er endlich, »ich lege mein Schicksal in Eure Hände, wenn Ihr leichtsinnig oder zweideutig seid, bin ich verloren, daran kann ich nicht zweifeln; aber wenn Ihr klug sein wollt, so bleibt Ihr ehrlich, denn Euer Los ist, wenn Ihr mich preisgeben solltet, auch vielleicht geworfen, denn Ihr seid durchaus ein Fremdling auf dem Boden, den Ihr jetzt zu betreten wagt.«

Der Graf nannte ihm seinen Namen, Stand, und daß er reich sei und gesonnen, eine bedeutende Summe nicht anzusehn, um dies gute Werk, das er sich vorgesetzt, durchzuführen.

»Ich hoffe,« sagte Ascanio, »Ihr werdet mich belohnen, aber eine Bedingnis muß jeder andern vorausgehen.«

»Und die ist?«

»Der Gouverneur muß mich freilassen, unbedingt, er muß meinen Pardon unterschreiben, alles muß zwischen uns abgetan und vergessen sein. Könnt Ihr es durch Euren Einfluß dahin bringen, so glaube ich Euch die Freiheit und das Leben Eures Verwandten versprechen zu können.«

Der Graf erschrak über diesen Vorschlag. »Glaubt mir nur,« rief Ascanio, »kann das nicht geschehen, so ist alles unmöglich, und wir wollen jede Rede darüber jetzt und für immer abbrechen. Und wenn Ihr mir die Freiheit verschafft habt, und wenn ich draußen bin und Euch geholfen habe, ist mein Leben noch immer in Gefahr.«

»Wer aber steht mir dafür,« sagte der Graf, »wer gibt mir die Gewährleistung, daß Ihr, sowie Ihr im Freien seid, nicht entflieht und ich mit meinem Mühen so weit bin wie jetzt?«

»Ich weiß nicht,« antwortete der Gefangene, »warum ich Euch mehr als andern Menschen vertraue; aber wenn Ihr mir Euer Ehrenwort gebt, mich zu befreien, so sollt Ihr mich jetzt noch hier im Kerker lassen und mich nur erlösen, wenn Ihr meine Aussagen wahr befunden habt. Kehrt Ihr dann frei und überzeugt zurück, so erfüllt Euer Versprechen, und wir sind uns beiderseits durch Dank verpflichtet.«

Der Graf ging wiederum zum Gouverneur, erinnerte ihn, wie so manche Verbrecher aus Gnade schon befreit worden wären, wie man durch diesen völlig reuigen Sünder etwas Gutes stiften wolle, daß dieser sich anheischig mache, im Fall er begnadigt würde, niemals wieder mit irgendeinem Trupp von Banditen gemeine Sache zu machen, und wie man doch gestehen müsse, daß manche dieser Räuber mehr durch Schicksale als durch ihre Neigung zu diesem Stande getrieben würden, viele Vornehme selber diese Wegelagerer aufmunterten und in ihren Sold nähmen, so daß man bei diesem Armen, Zerknirschten sich wohl einmal eine Abweichung vom Gesetz erlauben dürfe.

Buoncompagno war als ein edler Mann von großer Gesinnung nicht unwillig, Pepolis Begehren zu erfüllen, weil er selbst am besten das Elend seines Vaterlandes kannte, und weil das Verderbnis des gemeinen Mannes hauptsächlich von den Großen, selbst den Fürsten ausging, die durch diese Unordnung und Verwirrung die Kräfte und das Ansehn des römischen Staates schwächen und womöglich vernichten wollten. Er gab also dem Grafen den unterzeichneten Pardon, indem er ihm den besten Erfolg wünschte.

Als dieser in den Kerker zurückkam, fand er den Gefesselten beschäftigt, einen Brief durch Wachs und eine Chiffre, die in Holz geschnitten war, zu versiegeln. Der Gefangene war sehr erfreut, als er den Gnadenbrief sah, der ihm seine unbedingte Freiheit versicherte. »Ihr seid ein Ehrenmann,« sagte er, »wie es wohl heutzutage nur wenige geben mag, ich verdanke Euch Leben und Luft, und daß ich nun meine Kinder und Gattin wiedersehen kann. Das ist mehr als Leben. Auch wollt Ihr mich noch beschenken, so daß ich mit Sicherheit einen neuen Lebensplan anheben mag. Ihr sollt sehn, verehrter Mann, daß Ihr Euch keinem Unedlen verpflichtet. Aber so lieb Euch Ehre, Leben und Gewissen sind, handelt nun auch genau nach meiner Anweisung und laßt keinen Sterblichen, ohne alle Ausnahme, wissen, was unter uns beiden vorgefallen ist. Darauf gebt mir Eure gräfliche Hand zum Pfande.« – Es geschah. – »Nun nehmt«, fuhr er fort, »dies mit Wachs versiegelte Blatt, aber zeigt es keinem Menschen, und wenn Ihr es aufbrechen solltet, würde ich Euch für einen Treubrüchigen und Meineidigen halten müssen, und es würde Euch und mir zum Verderben gereichen. Ihr würdet nichts inwendig finden, kein einziges geschriebenes Wort, sondern nur eine Chiffre, die Euch völlig unverständlich wäre. Dieses stumme Blatt ohne Aufschrift, diese Chiffre enthaltend, werdet Ihr dort abgeben, wohin Euch dieses zweite kleinere verhüllte Blatt anweiset, welches, wie Ihr seht, auch ohne alle Aufschrift ist. Versprecht mir feierlich, dies Blatt auch nicht zu öffnen, bevor Ihr aus den Toren Roms seid. Niemand muß wissen, daß Ihr diese beiden Zeichen bei Euch habt. – Das Geschäft, so hoffe ich gewiß, wird Euch glücken; ich bleibe hier und erwarte Euch, und sowie Ihr zurückkehrt, führt Ihr mich zur Freiheit hinaus. Ihr seht also, ich vertraue Euch weit mehr als Ihr mir, denn Ihr könntet ja, wenn Euch die Sache gelungen ist, mit meinem Gnadenbriefe in alle Welt gehn oder ihn dem Gouverneur wieder zurückstellen. Ich hoffe aber und weiß, wir beide sind von besserer Art, als mit so kleinen Ränken zu schachern.«

»Wohl ist es so,« sagte der Graf, fast gerührt, »und darum nehmt und behaltet diesen Euern Pardon, damit dieser Euch bleibt, wenn ich vielleicht verunglücken sollte. Ich gehe sogleich noch einmal zum Gouverneur, ihm dies zu erklären und ihn zu bewegen, Euch die Tore zu eröffnen, im Fall mir etwas Menschliches zustoßen sollte.«

Der Gefangene rief ihm noch nach: »Vergeßt nicht, daß das Lösegeld für den geraubten Mann nur eine tolle, unmögliche Forderung zum Schein ist, denn kein Fürst könnte es auszahlen. Die ganze Sache sollte nur die Milizen, das Militär und die Gerichtsbeamten schrecken, daß sie in ihrer Pflicht saumselig würden und den Mut zu solchen Wagestücken, wie der Alte unternommen hatte, verlören; auch wollte man die Unterhändler kennen lernen und im äußersten Fall den Gefangenen auf eine gräßliche Art ermorden.«

Der Kerkermeister trat herein, um dem Gefangenen auf Befehl des Gouverneurs vorläufig die Ketten abzunehmen, und der Graf verließ die Stadt. Als er im Freien war, öffnete er das ihm bestimmte Blatt und sah, daß es ihn nach Subiaco hinwies, an einen Apotheker Thomaso. Er verwunderte sich, daß er nach dem Orte geschickt wurde, wo das Verbrechen verübt war. Er merkte den Namen des Mannes und vernichtete dann den Zettel sorgfältig, daß sein Diener, der ihn zu Pferde begleitete, oder irgend sonst wer das Blatt nicht lesen könne. In der Nähe der Stadt ließ er seinen Begleiter in einem Dorfe des Gebirges und wandelte zu Fuß nach dem kleinen Ort. Auf seine Erkundigung vernahm er, daß der Mann, den er suchte, gleich am Eingang des Ortes seinen kleinen Laden hatte. Er trat zu ihm ein, sah sich behutsam um und ersuchte ihn, mit ihm allein in seinem Zimmer zu sprechen. Thomaso brachte ihn in ein Kabinett, und Pepoli übergab ihm das Billett ohne Aufschrift. Wie der Apotheker das Siegel aber betrachtete, erriet er, von wem es kam, erbrach und wurde sichtlich blaß, als er die Chiffre innen erblickte. Diese ließ er sogleich am Licht, welches dastand, verbrennen, setzte sich nieder und schrieb ein anderes Zeichen, welches er behutsam mit seiner Hand verbarg. Er siegelte hierauf das Blatt, welches er ebenfalls ohne Aufschrift ließ, und sagte dann zum Grafen: »Wenn Ihr diese Straße hinuntergegangen seid, so trefft Ihr etwas rechts, auf einem kleinen Platz, ein ziemlich großes, weißes Haus, an welchem sich über der Tür das Bildnis der Madonna zeigt; vor dem Hause ist eine steinerne Schwelle von drei Stufen; Ihr könnt gar nicht fehlen. Wenn Ihr angeklopft habt, so wird Euch ein ganz kleines dürres Männchen die Haustür aufmachen; diesem sagt ganz leise ins Ohr: Semphoras – dann wird der Euch schon zurechtweisen. Sollte, was aber nicht leicht geschieht, eine Magd öffnen, so wartet stillschweigend, bis der kleine Dürre zu Euch tritt.«

Der Graf ging verwundert und sinnend über die Gasse. Als er fast schon jenes bezeichnete Haus erreicht hatte, kam ihm Geschrei und Getümmel entgegen; es war der Barigell, ein großer starker Mann mit fast herkulischen Gliedern, der mit seinen Häschern einen Verbrecher in das Gefängnis führte. Der Graf klopfte an das Haus, die Tür öffnete sich, und die schmalste, vor Dürre fast klappernde Figur trat ihm blaß und mit eingesunkenen Augen entgegen und fragte ihn mit sein krähender Stimme, was sein Begehren sei. Graf Pepoli neigte sich an sein Ohr und flüsterte ihm jenes ihm anvertraute rätselhafte Wort zu. »Ah! das ist was anderes,« sagte der Kleine, verbeugte sich und sah ihm dann freundlich lächelnd ins Gesicht, »Ihr wißt die heutige Parole!« – Er führte den Fremden dann mit vielen Verbeugungen eine Treppe hinauf, öffnete eine Tür und schob den Grafen in ein großes, ganz leeres Zimmer hinein. »Einen Augenblick warten!« krächzte der Kleine, indem er die Tür von außen wieder verschloß. Der Graf ging im Zimmer auf und ab. Die Fenster waren so hoch, daß man nirgend auf die Straße sehen konnte, wodurch das Gemach fast das Ansehen eines Kerkers erhielt. Nur zwei Sessel standen im großen Raume, und ein verschlossener Wandschrank war noch sichtbar; sonst kein anderes Mobiliar. Graf Pepoli wurde nach und nach verdrüßlich, daß er so lange warten müsse, er horchte nach der Tür und Treppe, vernahm aber kein menschliches Wesen. Er wurde besorgt, denn es schien ihm nicht unmöglich, daß diese Verschworenen, die mit so künstlichen Mitteln verbunden waren, ihn selbst gefangen halten konnten, wenn sie vielleicht fürchteten, daß er schon mehr von ihnen wisse, als ihrer Sicherheit zuträglich sei. Er rasselte an der Tür; sie war fest verschlossen und jede Anstrengung, sie zu öffnen, vergeblich. Indem er noch nachsann, was er wohl beginnen könne, stand zu seinem Erschrecken plötzlich ein großer Mann dicht hinter ihm, der ihm auf die Schulter klopfte. Er sah um und erriet nun, daß eine unbemerkte Tür in der Wand sich leise geöffnet hatte. Er erstaunte aber von neuem, als er den Mann erkannte, der kein anderer war als jener stark gebaute Anführer der Häscher, den er vor weniger Zeit auf der Straße in seiner Amtsverrichtung als Obrigkeit gesehen hatte. »Was verlangt Ihr von mir, werter Freund?« fragte ihn die hohe Figur in einem ernsten, fast verdrüßlichen Ton. Pepoli überreichte ihm schweigend das Blatt des Apothekers. Der Barigell ging beiseit, nahm die Chiffre heraus, betrachtete sie mit gerunzelter Stirn und zerriß das Papier dann in die kleinsten Fragmente. – Der mächtige Antonio, so hieß dieser Vorstand der Häscher, ging mit schwerem Tritte schweigend und, wie es schien, zürnend im widerhallenden Saale auf und ab. – »Euer Name, Stand, Aufenthalt?« fragte er dann, indem er zugleich den festverwahrten Wandschrank aufschloß. Der Graf nannte sich, seinen Stand und seinen Wohnort Bologna. Unter vielen großen, geschriebenen Büchern, welche eine Menge alphabetisch geordneter Namen zu enthalten schienen, nahm er das eine, schlug nach, suchte und las eifrig. – »Ich finde nicht,« sagte er nach einer Weile, »daß Ihr einer unserer Verbündeten seid – der gute, dumme Thomaso hätte Euch besser nicht hergesendet – erzählt mir Eure Sache, weshalb Ihr uns aufsucht.« –

Der Graf erfüllte sein Begehren. Mit immer zunehmendem Verdrusse hörte ihm jener zu. – »Ja,« sagte er dazwischen, »den alten Kerl halten sie immer noch gefangen, und mit Recht. Wenn es mehr solcher gäbe, oder wenn sie aufgemuntert würden, hätte die Brüderschaft bald ein Ende.« – Als er nun vom hingerichteten Strada hörte, wurde er noch ungeduldiger. – »Und dieser Nichtsnutzige,« rief er, »hat er Euch zu dem zweideutigen Ascanio gewiesen? Und dieser hat die Frechheit gehabt, Euch hierher zu senden? – Wir hatten den Schlauen künstlich genug auf die Engelsburg geschafft, wo er wohl mit zehn Jahren auf der Galeere davongekommen wäre; aber er ist klug, er benutzt sogleich Eure Bemühungen für den alten Bösewicht, um sich ganz freizumachen.« – Er verschloß die Bücher und ging dann, die Hände auf dem Rücken, im Saale ziemlich lange auf und ab. Hierauf stellte er sich dicht vor den Grafen hin und sagte mit barschem Ton: »Wie wär es denn, wenn ich Euch lieber gleich hier behielte? Wenn Ihr auch nicht viel wißt, so wißt Ihr doch genug, um mich und den guten Gevatter da unten in seiner Apotheke verraten zu können. Am kürzesten zum mindesten wäre es so entschieden.. Der schlaue, vielwissende Ascanio bliebe am Ende auch am sichersten dort.«

Der Graf, ohne die Fassung zu verlieren, erklärte noch einmal bündig seine Absicht, und wie es von je sein Vorsatz gewesen sei, eine bedeutende Summe für die Befreiung des Gefangenen zu verwenden, daß die Grausamkeit, ihn selbst zurückzubehalten oder gar zu ermorden, eine ganz überflüssige sei; auch würden seine Anverwandten in Bologna, die Gerichte dort in Rom, ja die Kardinäle, der Gouverneur und wohl der Papst selbst die genauesten Nachforschungen anstellen, da sich die Größten des Landes, wie die Fürstin Margareta von Parma, für ihn und sein Unternehmen interessiert hätten: ja, da, wie nicht unbekannt, Herren und Fürsten selbst diesen Bündnissen heimlich zugehörten, so könnte er wohl gar von diesen wegen seines Attentats hart bestraft werden. Auch warte in der Engelsburg Ascanio auf seine Rückkehr; dieser würde, im Fall sein Beschützer ausbliebe, gewiß nicht schweigen und, da dieser so sehr alle Fäden in der Hand habe, ihnen wohl den allergrößten Schaden zufügen, weil unter solchen Umständen ihn der Gouverneur schwerlich seiner Haft entlassen würde.

»Ihr seid ein kluges Männchen, Graf,« sagte Antonio, »und habt fast so viele Fassung wie unsereins. Die Sache, wie Ihr sie da vorstellt, ist nicht ohne. Der verwünschte Ascanio weiß gar zu viel, und so klug wir uns zu sein dünken, ist er denn doch vielleicht noch klüger. Nehmt nur, wenn ich Euch freigebe, die eine Überzeugung mit hinweg, daß, wenn Ihr Euch gelüsten ließet, irgendeinem sterblichen Menschen nur eine Silbe von dem zu verraten, was Ihr seitdem erfahren habt, Ihr auch keine Stunde Eures Lebens sicher sein könntet. Übrigens ist Euer Ansuchen zu wichtig, die Sache zu verwickelt: ich für mich selbst kann nichts entscheiden, ich darf es nicht auf mich nehmen, und viele der Schiedsrichter sind nicht zugegen. Nur ein Mittel gibt es. Kommt mit dem Neumond mit Eurem Ascanio selber wieder hierher; dann ist der große Rat versammelt. Übrigens kennt Ihr mich und den Gevatter niemals.« –

Der Graf begab sich wieder auf den Rückweg, indem er die seltsamen Verhältnisse der Welt übersann, wie er so freundlich und höflich noch vor wenigen Tagen von Kardinälen und fürstlichen Damen aufgenommen und beschützt war, und wie er in diesem Augenblicke in der Abhängigkeit eines gemeinen Menschen gewesen sei, der ihm eine große Gnade in seiner Meinung dadurch erwiesen habe, daß er ihn seine Straße wieder frei habe ziehen lassen. –

Indessen verhandelte die Mutter Accorombonas mit dem alten, verständigen Kardinal Montalto wegen der Verbindung seines Neffen mit ihrer Tochter Virginia. Der alte Mann erstaunte über die hohe Gestalt der noch schönen Matrone, über den Ausdruck dieses klugen Auges und ihre edle und vornehme Haltung. Er faßte dadurch sogleich ein gutes Vorurteil für den Geist und Charakter einer Frau, die sich mit solchem Wesen ankündigte. Donna Julia hatte bis jetzt den Kardinal nur in kirchlichen Funktionen gesehn, weil er die gewöhnlichen Zusammenkünfte der Menschen vermied; sie verstand aber sein kluges Auge und wußte durch den verstorbenen Gatten, wie konsequent, umsichtig und beharrlich er sich von je in allen Geschäften des Lebens betragen hatte.

Nach den ersten höflichen Begrüßungen sagte die Matrone: »Eminenz, es gehört zu den glücklichsten Vorfällen meines Lebens, mit einem so echten, wahrhaft tugendhaften Manne in nähere Verbindung zu kommen. Haltet es für keine Schmeichelei, denn ich spreche nur Wahrheit, daß ich unter allen Umständen ein solches Bündnis meiner Tochter den Anerbietungen der reichsten, vornehmsten, ältesten Familien würde vorgezogen haben.«

»Ich glaube Euch, würdige Dame,« antwortete der Kardinal; »denn Euer hoher Sinn, Euer Edelmut wird von aller Welt gerühmt. Auch ist Euer und Eurer Tochter Entschluß deshalb zu loben, weil ihr es beide sehr gut wißt, daß ich diesem meinem angenommenen Sohne keine großen Reichtümer, Schätze oder liegenden Gründe übermachen kann; denn ich habe jene krummen Wege, mir Reichtum zu erwerben, immerdar vermieden. Aber ein gut eingerichtetes Haus mit einem angenehmen Garten werdet Ihr erhalten und ein so anständiges, ja reichliches jährliches Einkommen, daß Ihr Euch dieser Vermählung wegen nicht einzuschränken braucht, und wenn das Haus, welches Ihr machen werdet, auch nicht zu den glänzendsten gehört, so wird es jeder Billige doch gewiß zu den anständigen und wohlhabenden rechnen. Ihr werdet Gesellschaft sehn, Diener halten; die Mobilien, die Zierden des Hauses, sind edel, wenn auch nicht kostbar, und wenn Ihr noch Euer Vermögen mit diesen Einkünften vereinigt, werdet Ihr allen Sorgen des Lebens enthoben sein und Freunden Euch gastfrei und wohltätig erweisen können. Auch ich hätte für meinen Neffen wohl eine berühmte hochadlige Familie finden können, die ihn nicht ungern aufgenommen hätte; doch bin ich überzeugt, daß er in solcher Umgebung zugrunde gegangen wäre. Meine Familie, die mich ans Licht gebracht hat, war eine der ärmsten in der ganzen Mark, mit saurem Schweiß erbeutete sie ihr Leben; so sehr es meine ackerbauenden Eltern auch wünschten, so konnten sie doch nicht das mindeste für mich tun; wie mein frommer Freund und Beschützer, der in Gott selige Pius der Fünfte, bin ich in meinen frühsten Jahren nur ein Bettler gewesen, der lange von Wohltaten anderer leben mußte, die fast ebenso dürftig waren als ich selbst. Glaubt mir, edle Frau, in der Armut, Hülflosigkeit, wo wir immerdar auf des Himmels Gnade und den persönlichen Beistand Gottes aufschauen müssen, tut sich eine Heiligkeit, eine süße Weihe kund, von der die Wohlhabenden niemals etwas erfahren. Und auf diesem Wege habe ich die Güter der Welt geringe achten lernen, ohne sie vorsätzlich zu verschmähen, aber kein Schmeichelwort hat mir je Gold und Goldeswert erkaufen dürfen; in Venedig, Spanien, in meinen Diözesen, immerdar war ich mir und meiner Überzeugung getreu. Diese meine Erfahrungen habt Ihr freilich nicht machen können, aber Ihr habt Euch ebenfalls nie verleugnet, nicht den Großen aufgesucht, seines Einflusses wegen, noch vor dem Reichen, seines Goldes wegen, gekniet. Stark und fest seid Ihr, männlich und hochdenkend, und das hat mich hauptsächlich bestimmt, meine Einwilligung so schnell zu geben, obgleich mein Neffe, strenggenommen, zum Ehegatten noch zu jung und unreif ist. Ich sah es aber, wie bald er von diesen jungen Vornehmen durch deren Frechheit verdorben wurde; ich liebe das Kind, ich wäre fähig, für diesen Jüngling alles zu tun, und darum übergebe ich diesen weichen und schwachen Charakter Eurer weisen Führung, daß Ihr ihn zum Manne bildet, daß er Recht von Unrecht, Wahrheit von Lüge unterscheiden lernt.«

»Die Aufgabe ist nicht leicht,« erwiderte die Matrone; »damit es aber völlig gelingen könne, ist es notwendig, auch für das Heil meiner Tochter, daß Ihr mir eine Bitte bewilligt und sie auch mit den Mitteln durchsetzt, die Euch gewiß zu Gebote stehn.«

Sie erzählte ihm hierauf von der wilden, fast tierischen Leidenschaft des jungen Luigi Orsini, und wie er in brutaler Weise die Tochter bedroht habe, wie man vor ihm und seinen nichtswürdigen Helfershelfern wie den besoldeten Banditen in jeder Stunde zittern müsse.

Der Kardinal versank in tiefes Nachdenken. »Diese Ruchlosigkeit«, sagte er dann, »ist der wahre Wurmfraß unseres Staates, das Gift, welches schon seit lange alle seine Lebensadern durchdringt. Ein Drako täte uns not, der aber auch Kraft und Ansehen genug besäße, um seine bluttriefenden Edikte durchzusetzen Und doch kann es nur auf diesem Wege besser werden, wenn es ja irgendeinmal besser werden soll. Unser verehrungswürdiger Heiliger Vater ist zu schwach, zu friedliebend, ja, er ist so sehr Menschenfreund, daß er gern noch im tückisch verruchten Mörder das Bildnis seines Bruders anerkennt. Er vergißt nur, daß ein verziehener Mord zehn neue erzeugt. – Doch seid ruhig, denn in diesem Falle ist es meine heiligste Pflicht, dem drohenden Übel zu steuern, und es wird mir auch gelingen. Ich verspreche es Euch bestimmt, der wilde Jüngling soll Eure Schwelle niemals wieder betreten und Euch weder in Gesellschaft noch auf öffentlichen Straßen oder in den Tempeln verletzen, wenn er nicht den Bann auf sein Haupt herniederziehen will. Das wird mir der Papst bewilligen, wenn er auch sonst nicht mein persönlicher Freund ist; aber hier wird seine eigene Ehre, die meinige unmittelbar in Anspruch genommen. Er wird in dieser Sache die strengsten Befehle erteilen und sie auch seinem Sohne, dem Gouverneur, schärfend mitteilen; auch diesem werde ich noch heute selbst meinen Besuch machen. – Dann werde ich Rücksprache nehmen mit einem ältern Vetter des jungen Irrwisches, dem Herzoge Paul Giordano, dem tüchtigen, gedienten Bracciano. Vor diesem Mächtigen, wenn er sich erhebt, zittern alle diese Wildfänge; ihm entgegenzuhandeln wagen sie nicht, und er hat sich bisher immer als mein persönlicher Freund erwiesen. Also seid über diesen Punkt ohne alle Sorge.«

»Ihr nanntet, Verehrter,« fuhr die Donna fort, »mein Vermögen; es ist für eine Witwe wohl nicht unbeträchtlich, doch aber kaum zureichend, da ich noch Söhnen damit, die unversorgt sind, forthelfen muß. Und, was das schlimmste, ich bin nahe daran, es durch Schikanen einzubüßen.« – Sie erzählte ihm kürzlich, wie gerecht ihre Sache sei, wie sie schon zu ihren Gunsten entschieden worden und wie nur kürzlich, um sie zu quälen und vielleicht ihre Tochter zu verderben, ein Großer, den sie nicht nennen wolle, auf krummen Wegen es so weit gebracht, daß ihre Advokaten scheu zurücktraten und die feindliche Partei nahe daran sei, zu gewinnen.

»Ich kann wohl den erraten,« sagte Montalto, »den Ihr mit so vieler Klugheit verschweigt; seid ruhig, ich werde diese Sache selber in die Hände nehmen, und meine tugendhaften Kollegen, der Mediceer Fernando und Borromäus, werden mir Beistand leisten. Jener Ungenannte wird es niemals wagen, mit seinem offnen Angesichte hinter dem Vorhange herauszutreten, und so werden Advokaten und Richter ihre Bahn von selber wiederfinden.«

Jetzt stand die Donna auf, faßte die Hand des Kardinals, küßte sie mit Inbrunst, indem sie von ihren heißen Tränen benetzt wurde. – »Was ist Euch?« fragte der Alte erschrocken. – »O jetzt, jetzt«, rief sie schluchzend, »die größte Gnade, das größte Opfer, das Ihr mir noch bringen müßt, um das Elend, das mich ins Grab drückt, wenn Ihr mein Flehn nicht erhört, abzuwenden – das Leben meines ungeratenen Sohnes!«

Er hörte die Geschichte des verirrten Jünglings ruhig an und sagte am Schlusse: »Auch diese Bitte gewähre ich Euch, ob eine solche Verzeihung gleich meinen Grundsätzen und Überzeugungen völlig widerspricht. Auch dies muß mir Papst und Gouverneur bewilligen; denn es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich dergleichen verlange. Wenn aber dieser Marcello wiederum abfallen sollte, er wieder in schlechte Gesellschaft und durch diese in die Bande des Gerichtes geriete, so sind, das vergeßt mir nicht, für ihn meine Lippen versiegelt.«

Sie trennten sich, beide füreinander mit der größten Hochachtung erfüllt. In ihrem Hause angelangt, fand die Mutter den Kardinal Farnese neben der Tochter sitzen, mit der er schmeichelnd zart, verbindlich und fein vielfache Gespräche führte. Die Matrone, als sie hereintrat, erschrak fast über die Schönheit der Tochter, die sich so blühend wie in dem Meisterwerke eines großen Malers von dem alten, klugen und edlen Gesicht des Staatsmannes abhob. Vittoria benutzte die erste Gelegenheit, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehn, und als die beiden allein waren, sagte Farnese mit der unbefangensten Freundlichkeit: »Wo wart Ihr bis jetzt, geehrte Freundin?«

»Beim Kardinal Montalto«, antwortete jene.

»Was wollt Ihr bei dem Duckmäuser?« rief Farnese laut lachend; »dieser kriechende, träge Esel aus der Mark, der in seinen Gebärden noch immer den Bettel seiner Eltern zur Schau trägt, der noch immer die Sprichwörter der Kärrner und Viehtreiber von dort im Munde führt, ein würdiger Liebling jenes fanatischen Pius des Fünften, der ebenso armutselig entsprossen war, – warum erniedrigt Ihr Euch zu solchen Gesellen, von der besten Gesellschaft, die Ihr gewohnt seid, so tief hinab?«

»Mäßigt Euch, Verehrtester,« sagte sie gelassen, »soeben haben wir abgeschlossen; sein Neffe ist der Verlobte meiner Tochter.« –

Dem Kardinal versagte das Wort im Munde, er war totenbleich geworden. Er, der dafür berühmt war, daß er nie, auch bei den größten Vorfällen des Lebens, in Verlegenheit geraten könne, konnte die Rede nicht wiederfinden, stotterte heftig und sagte endlich in lallendem Ton: »So? – Das habt Ihr, wie Ihr glaubt, klug gemacht? Herrlich fabriziert! Diesen gelblichen Strohgimpel, diesen unflüggen Krammetsvogel in Euer Dohnengarn zu verstricken und ihn verzappeln zu lassen!«

Er stand auf, stampfte mit den Füßen und knirschte mit den Zähnen. – »Ich dachte,« fing er wieder an, »Ihr würdet, als eine verständige, erfahrene Frau, meine Vorschläge reiflich erwägen, – aber nein, auch sie ist eine gackernde tugendhafte Gans wie die übrigen schwatzenden regelrechten Maschinen.«

Es war ihm unmöglich, seine Wut zu verbergen, und so verließ er das Haus.


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