Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel

Ganz Rom war in der heftigsten Bewegung. Der Adel, der das, was geschehn war, für Verletzung aller seiner Rechte, für Beschimpfung und gewalttätigen Mord erklärte, rottete sich in den Häusern, Straßen und auf den Plätzen zusammen; auch die Feindseligsten versöhnten sich und schwuren Rache und Vergeltung. Die Bürger verschlossen sich in ihren Häusern, weil sie einen gewaltsamen Ausbruch fürchteten. Die Regierung war ungewiß, was sie tun sollte, der Barigell war mit seiner Mannschaft allenthalben auf Wacht.

Es fehlte dem Adel nur ein Haupt, um die verschiedenen schwankenden Entschlüsse auszuführen, und zu diesem schwang sich durch Wut und ungebändigte Wildheit Luigi Orsini auf. Die alten Barone und Grafen, selbst der Geistlichen viele billigten die Rache, von welcher alle durchglüht waren, wenn jene auch selber keinen tätigen Anteil nehmen wollten. Luigi war derjenige, welcher sich mit Recht von allen am meisten gekränkt fühlen konnte. Schon am folgenden Tage war Raimund, sein Bruder, sowie sein Schwager Savelli an den Wunden gestorben; sie wurden zugleich mit dem jungen Rusticucci mit großem Pomp und vielem Tumult und unter Geschrei und heftigen Reden beerdiget. Im Palast des Luigi hatten sich nach dem Begräbnis alle jungen Adligen von den verschiedenen Familien versammelt. Die junge Gattin Luigis flehte umsonst. »Du hast es mir so feierlich versprochen,« sagte sie, »dich aller jener gewaltsamen Taten, aller jener Wildheit völlig zu entwöhnen, die deinen Namen so berüchtigt gemacht haben: ich habe deinem heiligen Wort vertraut und mein Schicksal an das deinige geknüpft; und nun sollen jene schadenfrohen Prophezeiungen meiner Feindinnen dennoch in Erfüllung gehn, daß du deinen grausamen Sinn niemals ändern könntest? Ich beschwöre dich, bleibe dieser abscheulichen Unternehmung fern, verweile bei mir, rate deinen jungen, ungestümen Freunden ab, denn deine Stimme gilt alles bei ihnen. Wohin soll dieser Aufruhr führen? Und wenn du fällst? Wenn jene siegen und die Regierung dich bannt oder gefangensetzt oder gar –«

»Wie!« schrie er im wildesten Zorn, »dulden sollten wir es, wir Fürsten und Barone, daß diese gemeinen, elenden, feigen Söldlinge uns so ungestraft mordeten? uns wie das Vieh hinschlachteten? Und wenn ich in Stücke gerissen werde, wenn Papst und Kardinäle und Rom untergehn, so müssen wir uns rächen. Dahin sollte es kommen, daß wir die Sklaven von Häschern würden? und wir die Hände in den Schoß legen? O du bist keine Savelli, du bist das hochherzige Weib nicht, für das ich dich erkannt habe, wenn du mir im Ernst eine solche Niederträchtigkeit anraten kannst! Und wo ist die Gefahr? Du wirst sehn, wie leicht, wie schnell dies Gesindel von uns zertrümmert wird.«

Er verließ sie, und sein Gemüt jauchzte. Er mochte wohl nur eine Gelegenheit, einen Vorwand erwartet haben, um seine Wut, die immerdar in ihm brannte, entzügeln zu können. Nun ward die versammelte Menge nach verschiedenen Palästen und Straßen gesendet, und plötzlich stürzten die Jünglinge von verschiedenen Punkten, mit Schwert, Dolch und Schießgewehr bewaffnet, auf Plätze und Gassen hinaus. Orsini lief zuerst auf die Wacht zu, die der Barigell um sich versammelt hatte. Toben, Schreien, das Knallen der Gewehre, die Wehklage der Fallenden, alles erregte den zitternden Bürgern, die aus ihren sichern Häusern der Metzelei zusahen, Schauder und Entsetzen. Mancher der Edlen fiel, aber diese Hauptwacht war vernichtet; der Barigell, als er seine Leute fallen sah, entfloh mit wenigen Lebenden, die sich nach verschiedenen Richtungen zerstreuten.

Aus andern Straßen strömten dem blutberonnenen Luigi fliehende Häscher und ihre Verfolger entgegen. Alle diese Sbirren wurden überwältigt und grausam, schnell unter Hohngelächter massakriert. »Welche Freude,« rief Luigi im Taumel zu seinen Begleitern, »welche Lust muß das vor zehn Jahren in Paris gewesen sein, als man auf diese Weise die Bartholomäusnacht feierte, als jedermann auf diese verdammten Hugenotten loshieb und stach und von dem verruchten ketzerischen Blut heiß übergossen wurde.«

Wo sich nur ein Häscher zeigte, wurde er diesseit und jenseit der Tiber niedergemacht: es war keine Straße, die nicht vom Blute des Mordes befleckt wurde. Mancher Wandernde, der nicht in seinem Hause geblieben war, ward niedergestoßen, weil sich die Wütenden auf Frage und Antwort nicht einließen und ihn für einen verkleideten Feind annahmen. Wo sich die Parteien der Rasenden begegneten, drückten sie einander die Hände, umarmten sich und frohlockten über ihr gelungenes Werk. – Allenthalben lagen Leichen oder Sterbende, die sich in ihren Schmerzen krümmten und die klaffenden Wunden zu decken suchten. Aber nirgend war Mitleid.

Bracciano sah aus seinem hohen Gemach vieles von diesem Unheil und hatte es den Seinigen streng verboten, aus dem Hause zu gehn und an diesem Mordfeste teilzunehmen.

Als Luigi schon die ganze Stadt durchraset hatte und von allen seinen Begleitern getrennt war, sah er noch einen Häscher in ein kleines Haus hineinspringen, um sich dort zu verbergen. Die Wohnung war ihm nicht unbekannt, und er sprang dem Fliehenden nach. Dieser rannte durch das Vorgemach und stürzte sich in eins der innern Zimmer: Luigi ihm nach mit dem geschwungenen Dolch. Unter ein Ruhebett wollte der Zitternde sich verkriechen, doch hatte ihn der Wütende schon ereilt und stieß ihm den Dolch in die Brust. Ein Blutstrom, ein kurzes Röcheln, und er war verschieden. Nun erhob er den Blick und sah vor sich auf dem Ruhebette ein Wesen sitzen, das ihn entsetzte, so wenig er Furcht und Grauen kannte. Es war ein Weib, das ihm wie ein Gespenst erschien. Ein schwarzer Blick aus dem tiefeingefallenen Auge fuhr stechend in das seine, die Wangen aschgrau und eingesunken, das greise lange Haar ungekämmt und ohne Ordnung über die Brust hängend, Nacken und Arme vermagert.

»Um des Himmels willen!« schrie Luigi und schlug die Hände zusammen; »erst jetzt erkenne ich Euch, Ihr seid Donna Julia!«

»Und warum nicht?« antwortete sie mit heiserer Stimme; »irgend was muß der Mensch sein, und ich habe diese mühselige Rolle übernommen.«

»Ihr Ärmste!« rief Luigi innigst bewegt, – »also so weit ist es mit Euch gekommen? Wo ist nun Euer Glück? Wo die Bewunderer, die hier in diesem Zimmer Eure und Eurer Tochter Gedichte lobpriesen? Nicht wahr, die Vermählung mit diesem Peretti ist herrlich ausgegangen? Eure Klugheit hat Wunder ausgerichtet! Ist das die stolze, herrische Donna, die es damals wagte, mir so herbe Worte zu sagen? Die poetischen Werke Eures Übermutes haben wenig gefruchtet.«

»Eines Eurer schönen Werke«, antwortete sie, »habt Ihr mir hier überreicht« – sie wies auf den Leichnam –, »und Euer Ende ist auch noch nicht gekommen, – aber es wird – glaubt mir – die Stunde wird kommen. wo Euer Weib sich die Haare ausrauft, daß sie die Eurige ist: im dumpfen, engen, finstern Kerker werdet Ihr schmachvoll verscheiden, und Stadt und Land werden ein Jubelgeschrei anstimmen, daß der Bösewicht endlich sich seinen verdienten Lohn selbst herbeigeholt hat.« –

Mit Schauder verließ Luigi die Prophetin, indem er noch einmal das Zimmer musterte, in welchem er früher mit der hohen Jungfrau als Freund und Feind gewesen war, wo er noch zuletzt, als er zuerst Peretti erblickte, jene Zornworte ausstieß, die doch, so sehr die Familie Accoromboni gesunken war, sich nicht erfüllt hatten. –

Die Regierung Roms war in der größten Verlegenheit. Der alte Papst, von Natur ein weicher Mann und ebenso schwach, hatte alle Fassung verloren. Ihn gereuten die Befehle, die er gegeben hatte, denn er hatte diesen Aufstand nicht erwartet, der noch gefährlicher werden konnte. Dazu ängstigten ihn Schadenfrohe, wie der Kardinal Farnese, der seine Befürchtung aussprach, ganz Rom könne in eine allgemeine Empörung ausbrechen und den Papst wie die Regierung zur Flucht zwingen, wenn sie sich nicht in Tod und Verderben begeben wollten, denn alle Bürger, auch die Landleute drohten, die Partei des Adels zu ergreifen.

Montalto, Ferdinand der Mediceer und Karl Borromäus waren im einsamen Zimmer versammelt, um diese Begebenheit zu besprechen. »Es ist keine Hülfe,« sagte Montalto, »der Heilige Vater ist allzu schwach, er hat keine Kraft, den übermütigen Adel zu bändigen. Er beweint den Befehl, den er kürzlich dem Oberhaupt der Sbirren gegeben hat.«

»Jawohl,« sagte Fernando, »und er schmäht unsre Regierung, den Governador, den er doch so innig liebt, und sich und uns alle, denn soeben hat er das Todesurteil für die wenigen Sbirren unterschrieben, die sich in seinen Palast geflüchtet haben, und er läßt sie als Empörer und Rebellen hinrichten, die sich gegen ihn und die Stadt eigenmächtig aufgelehnt haben. Wie muß nun der Übermut jener zügellosen Adelsjugend, dieses rohen Volkes wachsen, wenn ihnen der Souverän, vor dem sie zittern müßten, öffentlich so schimpfliche Abbitte tut, indem er diejenigen seiner Diener schmählich aufopfert, die nichts getan haben als seinen Befehlen Folge leisten.«

»Es ist nichts mehr darüber zu sprechen,« fügte Borromäus hinzu; »der Barigell, ein braver, mutiger Mann, hat sich nach der Grenze gerettet. Man hat schon hingesendet, um ihn ausliefern zu lassen, und ein peinlicher Prozeß soll ihm wegen Veruntreuung von Geldern, wegen einer geheimen Verbindung mit einem andern Obristen, einem gewissen Antonio in Subiaco, und Verrat und Einverständnis mit Banditen gemacht werden. Ihm wird auch der Kopf abgeschlagen, wegen veralteter undeutlicher Klagepunkte, weil man es nicht wagt, den Verständigen wegen des letzten Unglücks zur Rede zu stellen. So wird diesem jungen Volk geschmeichelt und allen Patrioten sowie dem Auslande unsre Schwäche aufgedeckt. Und werden denn diese grausamen Sühnopfer jene Unbändigen zufriedenstellen? Ich glaube es nicht. Man weist ihnen ja selber die Bahn an, auf welcher sie immer mehr und mehr fordern können. Ich fürchte noch Schlimmeres.« –

Vittoria saß indessen ruhig in ihrem behaglichen Gefängnis. Sie hatte, von dicken Mauern beschützt, selbst nichts vom Tumult in den Straßen, keinen Laut des wilden Geschreis, nichts von dem Gewehrfeuer vernommen. Während dieses Aufruhrs, indessen der Gouverneur und Vitelli, dessen Stellvertreter, im stillen Anstalten trafen, das Kastell zu verteidigen, falls die Wütigen in ihrer Frechheit einen Angriff wagen sollten, schrieb und dichtete sie in ihrem stillen Zimmer. – »Ist mir nicht sein Andenken«, dachte sie, »ein Paradies und Himmelreich? Er sinnt hierher, und ich sehe und höre ihn immerdar, denn seine Gedanken klingen in meinem Herzen wieder.

Und bin ich nicht glücklich? Meine Feinde verstummt, ihre Angriffe zurückgeschlagen, meine Kerkermeister fein, artig, gefällig: jeder erlaubte Wunsch wird mir erfüllt, sowie ich ihn ausgesprochen habe. – Wie glücklich, ärmster Tasso, bin ich, wenn ich mein Schicksal an dem deinigen messe!

Zweimal hat dich dein böser Dämon zurückgejagt nach dem verhaßten Ferrara. Alle Warnungsstimmen hörtest du nicht, das leise Flüstern deines Genius ward überschrien von deiner Leidenschaft. Nun schmachtest du, Edelster, in dumpfer, finstrer, enger Zelle, preisgegeben den hämischen Launen deiner Wächter. Wenn du sinnst und dichtest, bist du vom Geheul der Wahnsinnigen betäubt, die in deiner Nähe hausen. Du, ein Tor, ein Wahnwitziger! Im Narrenhause festgehalten! Und die Frech-Blödsinnigen, die Aberwitzigen draußen in Freiheit, dich belachend, über dich spottend, wenn sie dem Kerker vorübergehn, höhnisch und mitleidig die Achseln zuckend – Und jener schwatzende Malespina gibt verstümmelt sein Werk heraus, um dem Armen den letzten Trost zu rauben, eigenmächtig, ungefragt, und sendet es mir, das schöne und in diesem Zustande so traurige Werk, dem Götterbildnis ähnlich, dem Haupt und Arme fehlen – und der Schwätzer schreibt mir, daß es doch besser so getan sei, als wenn das Gedicht ganz verloren gehe; sein Herzog habe ihn zu der Herausgabe gedrängt. Bianka habe es auch so herzlich gewünscht. Mit Heeresmacht sollten die Guten ausrücken, um all die Tyrannei, die Aberweisheit, die schlecht verhehlte Schadenfreude, um alles dies Gewürm zu zertreten und zu zerstören.«

Jetzt trat Vitelli, der Leutnant, herein. Er erzählte Vittorien, nachdem die Ruhe scheinbar wiederhergestellt war, vom Tumult und Morde. »Jetzt hat der Heilige Vater«, beschloß er, »alle Faktionen durch die Opfer besänftigt, die er den Empörern gebracht hat.«

»O Luigi!« rief Vittoria aus, »dieser böse Geist, dieser Entsetzliche ist mir bekannt, und der Himmel wird es mir gewähren, daß ich sein Antlitz niemals wieder erblicke. In ihm ist Wut und Roheit verkörpert, und sein Wesen ist um so furchtbarer, weil er auch mit höflichem Gleißen den feinen Mann, den Galanten spielen kann. Wenn er am freundlichsten lacht, sinnt er auf das Abscheulichste.«

»Ihr eifert zu sehr, schöne Frau,« antwortete Vitelli, »dieser Luigi wird wohl, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist, zu seinen Taten mehr durch die äußeren Umstände als durch seine innere Bosheit getrieben. Was die schlechten Menschen tun, darf man nicht immer ihrem Charakter zuschreiben. Wir sind einmal so in unsrer Schwachheit, daß wir vieles nicht unterlassen oder vermeiden können, wenn wir auch wollen. So, was jetzt der Heilige Vater und der verehrte Gouverneur haben tun müssen; sie beweinen den Schlag, zu welchem sie notgedrungen die Hand erheben. – Lebt wohl, der Papst hat mich rufen lassen.«

»Mann!« rief Vittoria geängstigt, – »nach allem, was Ihr mir eben erzählt habt, nach diesen kürzlich verübten Greueln, werdet Ihr Euch doch nicht in den Straßen von Rom sehen lassen wollen? Laßt Euch warnen, Freund. Nein, Ihr geht heute nicht aus, der Papst wird Eure Entschuldigung annehmen, und der Gouverneur sollte es Euch verbieten, heute einen Fuß aus dem Kastell zu setzen.«

Vitelli lächelte und sagte: »Weiberfurcht!«

»So seid ihr Männer,« antwortete sie, »alle seid ihr so: – als wenn wir Frauen nur Wesen der Furcht und Bildnisse der Angst wären! Es gibt ein Zagen, das ebenso weise als männlich ist: Tollkühnheit und Leichtsinn muß man nicht mit dem Namen Mut stempeln wollen. Bleibt heute in Euern Zimmern, wenn ich nicht Todesangst um Euch erdulden soll: denn ich sehe einen schwarzen, tückischen Geist hinter Euch stehn, welcher grinset und hohnlacht.« –

»Glücklich,« antwortete der junge Mann, »daß Ihr so warmen Anteil an meinem Schicksale nehmt.«

»O keine Phrasen!« rief sie aus; »zu dergleichen ist die Zeit allzu ernst. Wenn ich mir Euer sanftes Antlitz, Euer edles, weiches Wesen diesem Luigi und seinen wilden Genossen gegenüber denke! Bleibt, mein Freund, wir wollen lesen und musizieren, Ihr habt dies ›Befreite Jerusalem‹, wie wir es nun einmal besitzen, noch nicht zu Ende gelesen. Seid nicht halsstarrig aus einer mißverstandenen Männlichkeit.«

Vitelli lächelte wieder, küßte ihr zärtlich die Hand und hüpfte zur Tür. »Auf Wiedersehn!« rief er zurück.

»Sie können nicht ernsthaft sein, diese Männer,« sagte Vittoria zu sich; »uns gegenüber soll immer Liebe und Zärtlichkeit gespielt werden, auch in Momenten, wo es völlig unziemlich ist. Auch das gehört zu den Drangsalen von uns armen Weibern, daß wir keinen echten, unbestochenen Freund unter den Männern finden können. Diese scheinbare Vergötterung, in demselben Augenblick, wo sie uns geringe achten. So dieser sanfte, liebenswürdige Vitelli. Für den Posten, der ihm von Vater und Großvater anvertraut ist, müßte er etwas mehr von einem Helden haben. – Es gäbe keinen männlichen, echten Freund, so sagte ich eben? – o du guter, getreuer Caporale, wie muß ich bei dir abbitten!« –

Vitelli fuhr zum Papst, um dessen Befehle zu empfangen. Man wollte, da die Stadt wieder ruhig war, gegen die Banditen auf dem Lande, die ganze Städte eingeäschert hatten, mit Strenge verfahren. Nur war es bedenklich, daß nach diesem Tumulte kein Barigell und Häscher in den Provinzen sich wollte gebrauchen lassen; in der Stadt waren sie für diesen Augenblick alle vertilgt, und es war zu fürchten, daß sich neue zu diesem gefahrvollen Dienst schwerlich würden anwerben lassen. Man ratschlagte, ob nicht Banditen, denen man unbedingte Amnestie gewährte, am besten zu gebrauchen wären, um die Ruhe einigermaßen wiederherzustellen. Doch erschien dieser Versuch auch wieder allzu mißlich, weil sich dadurch die Regierung völlig in ihre Hände lieferte. Im äußersten Falle mußte man sich auf die bewaffneten Haufen, auf die Soldaten und selbst die wenigen Schweizer sowie auf die Freiwilligen verlassen, die bei dringender Gefahr aufgerufen wurden.

Der Papst sagte endlich dem geliebten Vitelli Lebewohl. Er trat an das Fenster, um ihm nachzusehn. Vitelli bestieg seinen kleinen offenen Wagen und grüßte noch einmal ehrerbietig zum Palast hinauf. Indem trat über den Platz Luigi Orsini mit seinem abscheulichen Begleiter, dem Grafen Pignatello, auf das Fuhrwerk zu. Dieser Pignatello trug wieder ein solches schwarzes Wams und den Federhut, wie ihn früher Pepoli im Gebirge gesehen hatte. Seit einiger Zeit war er Orsinis Herzensfreund geworden und ließ sich von diesem zu den verruchtesten Diensten gebrauchen. Vitelli wurde blaß, als er des Luigi ansichtig wurde, doch befahl er seinem Stallmeister, diesen beiden sorglos, aber schnell vorüberzufahren. In demselben Augenblick aber schrie Orsini: »Halt!« und griff in den Zügel, so daß das Pferd stillstand. Zugleich erschallte ein Schuß, und Vitelli stürzte, von dem Pistol des Pignatello getroffen, zurück, daß das Haupt über den kleinen Wagen hing. »Dein Vater«, schrie Orsini, »ist der Schurke, der den verruchten Rat gegeben hat, den Adel von niederträchtigen Häschern ermorden zu lassen: nimm dies zum Lohn.« – Sie entfernten sich langsamen Schrittes, noch trotzig zum Palast hinaufdräuend. – Der Stallmeister führte bestürzt den Leichnam seines Herrn in den Palast des Papstes zurück.

Der Papst, als er die verruchte Tat sah, war einem seiner Cameriere, der hinter ihm stand, in die Arme gestürzt. – Dieser Anblick hatte ihn zu plötzlich überrascht und ihn mit Entsetzen erfüllt. So weit war es gediehen? So wenig hatte seine zu nachgiebige Milde auf diese verhärteten Herzen gewirkt?

Es war natürlich, daß diese Untat ganz Rom von neuem aufregte. Dieser Mord erschreckte selbst die Freunde Orsinis, viele seiner Partei fielen von ihm ab und schalten mit lauter Stimme und öffentlich diesen Frevel. Als Luigi dies gewahr ward, wie die Mehrzahl der Empörer sich von ihm wendete, konnte er selber sein Schicksal sich voraussagen. Dies entmutigte ihn aber nicht, sondern er lachte laut und rief den Braven, die ihm treu geblieben waren, zu: »Nun beginne ich also ein Leben, das ich mir eigentlich seit lange gewünscht habe. Wie Piccolomini, wie Sciarra führe ich nun offenen Krieg mit meinem Vaterlande. Man wird mir meine Häuser und Güter nehmen, man wird den Bann über mich sprechen und mein Todesurteil, wenn ich mich wieder im römischen Gebiet betreffen lasse. Immerhin! meine Gattin sende ich nach Venedig und folge ihr künftig vielleicht nach. Bis dahin sind wir freie Männer in Wald und Gebirge, quartieren uns ein, ohne anzufragen: die Reben des Weinbergs, das Wild der Jäger, die Weiber in den Kastellen, alles ist unser, und Schwert, Dolch und Feuer unsre Brüder!« –

So verließ er mit so viel Geld und Juwelen, als er eilig zusammenraffen konnte, die Stadt. – Als der Papst sich wieder erholt und die Regenten des Staates berufen hatte, ward beschlossen, daß Luigi Orsini als Meuter, Rebell und Meuchelmörder auf ewige Zeit aus dem Gebiet des römischen Staates und aller Provinzen verbannt sein sollte; ein Preis ward außerdem auf seinen Kopf gesetzt und ein großer Lohn dem verheißen, der ihn tot oder lebendig herbeischaffen würde. – Man rechnete hierbei auf die Banditen und seine Raubgesellen selbst.

Als Vittoria die Mordtat erfuhr, war sie kaum verwundert und nicht erschrocken, weil ihr voraussehender Geist ihr dieses Ende gesagt hatte. Sie weinte mit dem Gouverneur, der plötzlich ein trostloses Geschick auf sich hereinbrechen sah.


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