Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Der alte Kardinal saß sehr tiefsinnig in seinem Zimmer, verstimmt und zugleich gerührt. Der junge Neffe, Francesco Peretti, stand verlegen im Winkel des Gemachs, seine Augen waren rot und feucht, und man sah ihm an, daß er eben heftig geweint hatte. »Alle meine Pläne«, fing der Alte jetzt nach einer langen Pause an, »brechen zusammen; die Freude meines Lebens ist dahin. Seit ich dich, Unglücklicher, sah, hat sich eine fast rätselhafte Liebe zu dir meines Herzens bemächtigt: in dir wollte ich meiner armen Familie alles vergüten und ersetzen, was ich zu meinem Schmerz meinen vielbedrängten Eltern nicht habe widmen können, weil sie früher dahingingen, als ich in irgendeinem Wohlstand mich befand. Die Schwester, den Bruder wollte ich in dir beglücken und dich als Grundstein niederlegen, auf welchem meine Familie einst das Gebäude ihres Ansehns und Einflusses aufführen könnte. Du kommst an, der Tag, wo ich dich wiedersah, war beglückend für mich, in der Täuschung war er der schönste meines Lebens. Denn freilich mußte ich den Irrtum schon früh gewahr werden; du bist schwach, fast ohne Charakter und Männlichkeit, scheust die Arbeit und lebst am liebsten in Zerstreuung und, was noch schlimmer ist, in schlechter Gesellschaft. So mußte ich es bald aufgeben, dir die geistliche Laufbahn zu eröffnen, auf welcher ich dir am hülfreichsten sein kann, da du deinen Widerwillen gegen den ehrwürdigen Stand auch gar nicht verhehltest. Schon damals schwankte ich in meinem Entschluß, ob ich gut getan, dich nach Rom zu rufen, ob ich dich nicht lieber sogleich wieder auf das Land zurückschicken solle. Es kam aber noch schlimmer. In meiner Gegenwart zitterst du vor mir und beugst dich meinem Willen, und hinter meinem Rücken bist du ausgelassen, frech und spielst den Frevler, nimmst die Manieren an, die du von den hiesigen Erben der großen Häuser siehst, als wenn du zu ihnen gehörtest. Die Studien, die ich dir aufgegeben, die dir einmal Achtung und bedeutende Staatsämter erringen sollen, vernachlässigst du, jeder deiner Lehrer klagt dich an, keiner will, so gern sie mir schmeicheln möchten, Hoffnung für dich schöpfen. Nachher hast du dich von deinen verächtlichen Gesellschaften verleiten lassen, liederliche, verrufene Weibsbilder zu besuchen, du gehst in den schändlichsten Lüsten unter, und es ist so weit gekommen, daß meine törichte Liebe sich gewöhnen muß, deinen Tod für kein Unglück mehr zu halten.«

Peretti kam näher und kniete demütig vor dem alten Oheim nieder. – »Eminenz,« sagte er flehend, »erlaubt mir, Eure liebe, wohltätige Hand zu küssen. O liebster, vortrefflichster Oheim, vergebt doch noch einmal einem irregeleiteten jungen Menschen. Ich werde mich bessern, ich werde künftig Euern Ermahnungen mehr Gehorsam leisten: Nur –«

»Nun ja!« rief der Kardinal mit Heftigkeit aus, »nun tut sich ein neues Abenteuer hervor, das tollste noch von allen! Das junge Blut will jetzt schon heiraten, das flachsköpfige Bürschchen ohne Bart, Verstand und Erfahrung will einen Ehemann vorstellen und eine Haushaltung führen. Sollte eine Vermählung stattfinden, so war dazu nach manchem Jahre noch die Zeit, wenn du in der Welt bekannt, wenn du die Achtung angesehener Familien genossest – aber jetzt schon! Und wen? Eine Unbedeutende, wie man sagt talentvolle Dichterin! Bekannt durch Schönheit und viele Liebhaber – alles abgeschmackt!«

».O liebster, verehrtester Vater,« rief Francesco aus, – »ja, so muß ich Euch nennen, denn so väterlich, gütig, liebreich, mehr als ehrwürdig erscheint Ihr mir. Glaubt mir es doch, daß diese Liebe keine jugendliche Übereilung ist, daß Eure gnädige, liebreichste Einwilligung mich glücklich und zu einem ganz andern Menschen machen könnte. Seit ich die himmlische Accorombona nur gesehen habe, bin ich verwandelt und gebessert; meine Gesellschaft, die Ihr mit Recht tadelt, habe ich verabschiedet und mag sie nicht mehr sehn, denn ich weiß es jetzt, wie edle Menschen denken und sich betragen müssen. Erhebt Ihr mich zu meinem höchsten Glück, so werde ich Euch gewiß Ehre und Freude machen. Könnt Ihr mir nicht Eure Einwilligung geben – ach! Teuerster, Einziger – Ihr nennt mich schwach, und ich bin es auch – aber wenn Ihr unerbittlich seid, so wird sich meine Schwäche in Verzweiflung verwandeln und meinen Untergang bereiten.« –

Er weinte von neuem und warf sich wieder in der heftigsten Bewegung vor seinem Oheim nieder. Dieser blieb ganz ruhig, betrachtete ihn gelassen von oben und spielte dann nachdenkend mit seinen blonden Locken. »Die Jungfrau soll groß, kühn und keck in ihrer Gesinnung sein,« sagte er dann; »ich habe sie nie gesehn, aber den rechtschaffenen Vater habe ich wohl vorzeiten gekannt: wie wird diese Starke dich lieben und achten können, wenn auch sonst alle Hindernisse gehoben wären?«

»Der Bruder Flaminio, dem ich mein Herz eröffnet habe,« erwiderte der Jüngling, »gibt mir Hoffnung; er hat mir von der Schwester gesagt, wie wunderbar ihr Wesen sei. Sie verabscheut den Luigi Orsini, der sich schon seit lange mit der größten Heftigkeit um sie bewirbt, und erklärt: nur mit einem stillen, friedlichen Manne von sanftem Charakter könne sie in der Ehe glücklich sein.«

»So segne dich der Herr,« sagte der Kardinal, indem er wieder die Hand auf das Haupt des Knienden legte; »er erfülle deine Hoffnungen. Du weißt es aber selbst, Francesco, daß ich dich nicht mit Reichtümern ausstatten kann. ich kann jetzt nur wenig für dich tun. Sprich mit der Mutter, die man als eine kluge, verständige Frau rühmt. Bringe mir ihre und der Tochter Einwilligung. Vielleicht entspringt dein und unserer Familie Glück aus dieser Verbindung, wenn sie möglich ist. Daß sie den großen, mächtigen Orsini ausschlägt, gibt mir von ihr einen guten Begriff, daß sie sich einen einfachen, sanften Mann wünscht, zeugt von ihrem Verstande, und daß ihr ein kleines, stilles Glück höher steht als Glanz und Pomp. Geh, wir sprechen uns wieder.«

Der junge Francesco war so entzückt, daß er nicht wußte, wie er aus dem Hause gekommen war, als er sich auf der Straße sah. Einer seiner vorigen wilden Bekannten wollte ihn anreden, er wies aber den unnützen Burschen mit der größten Verachtung zurück, ohne ihn eines Wortes zu würdigen. Er flog nach dem Hause der Accoromboni.

Hier war die Mutter allein in ihrem Zimmer und hatte ihre Fassung mehr errungen, indem sie mit einiger Ruhe ihr Schicksal und ihre mögliche Zukunft überdachte. Sie wollte sich im äußersten Fall in die Abruzzen zu einer wohlhabenden Muhme begeben und bei dieser in der Einsamkeit mit den Trümmern ihres Vermögens leben. Zwar graute ihr vor der Lebensweise dort, die sie schon kannte, wenn ihre Phantasie sie ihr ausmalte und sie sich aller Umstände erinnerte, die sie vor Jahren gesehn und beobachtet hatte. Sie grübelte dann wieder, weshalb sie, die Ältere, eine so viel größere Scheu vor dem Tode als ihre widerspenstige Tochter habe, sie entsetzte sich weniger, wenn sie sie auch nicht begreifen konnte, vor diesen ketzerischen Ansichten von der Ehe, dem guten Ruf und allen diesen hergebrachten Regeln des Anstands und der Tugend, die sie doch in ihrem Leben so oft von den höchsten, edelsten Männern sowie von den geistreichsten und vorzüglichsten Weibern hatte verletzen sehn. Ihr graute vor diesen Verirrungen, und dennoch schien ihr die Tochter auch nicht ganz unrecht zu haben, wenn diese die gewöhnliche, rechtliche Bahn des Lebens, wie so viele Menschen sie wandelten, eine trübselige, unbefriedigende nannte. Ihre eigene Jugend erschien ihr wieder in einem lebhafteren Lichte, und viele Erinnerungen und Gefühle, die sie längst abgestorben wähnte, tauchten mit neuer Gewalt aus ihrem Herzen auf.

Es war ihr daher wie ein Wink des Schicksals selbst, wie die glücklichste Wendung, die sie nur hätte ersinnen können, als Francesco Peretti mit seinem Liebesantrage hereinstürmte und in seiner Hast zugleich die errungene Einwilligung seines Oheims meldete. Die Mutter antwortete dem jungen Menschen sehr freundlich und gab ihm alle Hoffnung. Er erschöpfte sich in Dank und Entzückung und konnte es nicht müde werden, die schönen Hände der künftigen Schwiegermutter immer wieder und wieder zu küssen. Sie versprach, mit der Tochter zu seinem Besten zu reden, und mochte sich gern selbst überzeugen, daß sie dem Jüngling sichre Hoffnung geben könne.

Sie ging nach dem Zimmer Vittorias; diese aber war nicht zugegen und wahrscheinlich in der Kirche oder zum Besuch einer Nachbarin. Francesco nahm Abschied, um noch vor Abend wiederzukommen und sich die Bestätigung seines Glückes zu holen. »Vergeßt aber nicht, junger Mann,« rief ihm die Mutter nach, »daß mir die Eminenz einige Punkte bewilligen muß, die nicht unbillig sind, ohne welche aber die Vermählung nicht vor sich gehen kann, wenn auch meine Tochter selbst ihre Einwilligung gibt.«

Es hatte sich im Hause ein seltener Gast eingefunden, der Pfarrer aus Tivoli nämlich. »O seht, Freund Guido,« sagte die geschwätzige Amme zum alten Diener, als der Priester eingetreten war, »seht da den verehrten geistlichen Herrn; o der ist so schrecklich gelehrt, daß er lauter unvernünftiges Zeug spricht, was kein Mensch versteht. Ach, das ist überhaupt der Nutzen vom Studieren, daß der Mensch die Gabe erhält, ganz fließend und hintereinander so recht geläufig, ohne nur zu stocken, lauter Unsinn zu sprechen, wo unsereins über jedes Wort tagelang grübeln müßte.«

Der alte Priester legte seinen breiten Hut auf den Tisch, setzte sich nieder und sagte: »Ist das Geschwätz bald zu Ende?«

»Was verschafft uns denn die Ehre?« sagte Ursula, indem sie sich vertraulich zu ihm niedersetzte. Guido legte den Hut beiseite, und sie stellte vor den alten Mann ein gutes Glas Wein und einige Früchte hin. Indem der Priester nur gleichgültig mit einem Nicken des Kopfes dankte und trank, fing er so an: »Ich war hier in der Stadt bei den armen Eltern des Camillo Mattei. Sie sind in Verzweiflung, die elenden Personen. Der junge Bengel ist schon seit lange von mir fortgelaufen, aber nicht nach Rom, wie ich mir einbildete; Vater und Mutter haben ihn, seit er zu mir kam, gar nicht wiedergesehn. Nun wollte ich Euch fragen, liebe verständige alte Person, ob er zu Euch hierher geraten sei. Eure Herrschaft ist keine vornehme und angesehene, das weiß ich wohl, also wird er hier keinen Haushofmeister, Sekretär oder Kabinettsrat vorstellen können.«

»Nein,« unterbrach sie ihn, »solche Würden kennen wir hier in unserm Hause gar nicht.«

»Richtig,« fuhr der Priester kaltblütig fort, »ich dachte auch nur, ob der Bengel nicht vielleicht als irgendein Haustier zum nützlichen Gebrauch angestellt sei. Im Hundehause habe ich mich schon umgesehn, die Stelle ist aber schon von einer andern würdigen Person besetzt und eingenommen, die mich auch in ihrem Amtseifer recht derbe angeschnauzt hat. Ich wollte mich bei dem Truthahn erkundigen, er kollerte ebenfalls was Zorniges daher, und der stolze Pfau wollte gar nichts von mir wissen. So komme ich denn von jenem unvernünftigen Vieh zum philosophischen und ausgebildeten Teil der weitläuftigen animalischen Schöpfung, um mich bei Euch zu erkundigen, ob Ihr denn von meinem Neffen gar nichts wißt.«

»Seht Ihr, Guido,« rief die Alte, »was der durcheinander welscht und kaudert, je kunter je bunter, wie man zu sagen pflegt. Nun denkt er gar, sein Neffe wäre zu den unglücklichen metaviehischen Wesen übergegangen, was doch keinen Menschenverstand in sich hat. Nein, mein lieber, vielfach redender Mann, ich kann Euch das Naturwunder wohl besser erklären, wie es mir schon seit lange deutlich geworden ist.«

»Nun?« sagte der Geistliche.

»Ja, es ist nur,« sagte sie nach einigem Bedenken, »daß Ihr gewiß ein ungläubiger Freigeist seid, der alles aus der Natur und seiner Philosophie erklären will. Aber so viel werdet Ihr doch wissen und in Eurem Katechismus gelernt haben, daß es unsichtbare Wassergespenster gibt.«

»Gewiß,« sagte der alte Geistliche, »kein Mensch zweifelt daran.«

»Diese Amvibien nun und Truthohnen und Amfulotriten und Neptuns, und wie die Bestien sonst noch heißen mögen, denn ich habe meine liebe Vittoria, die ich selber lange gesäugt und gestillt habe, das heißt freilich in ihrer frühen Jugend, wo sie alle diese marterlogischen Kenntnisse noch nicht haben konnte, diese habe ich oft von diesen Geschöpfungen und krüppelgamischen Kreaturen reden hören und mir das Wichtigste und Nützlichste daraus gemerkt, wenn sie so mit ihrem Herren Serschanten oder Korporale, wie er auch heißt, oder mit ihrer Mutter reden tat.«

»Ihr könntet Professor der Mythologie an einer Universität werden«, sagte ganz trocken der Priester und leerte seinen Becher.

»Ach! warum nicht gar,« lächelte die Alte, »nach so was ist meine Amputation niemals gegangen. Man kann nicht alles sein. So ein Professor läßt freilich einen ganzen Saal voll junger Studenten an sich saugen, daß ihm auch mit der Zeit Geist und Seele ausfährt und er zuletzt nur noch was daher stammert, was weder Kind noch Kegel mehr ist, so hat er sich in das Ungewaschene und Ungehauene und Ungestochene vertiefen müssen. – Doch wieder auf diese Wasserteufel zu kommen, so kann ich Euch zuschwören, und ich will es vor jedem Gericht bestätigen, daß sie da in Tivoli, in Eurer Nähe, ganz besonders hausen. Ihr müßt sie ja auch oft genug gehört haben: denn in dem großen Wassertümpel, in dem fürchterlichen Abgrund, den sie die große Gaskonade nennen, da kollern sie und bullern und brüllen und brällen ja so abscheulich, daß einem Hören und Sehen vergeht. Denn da bin ich einmal in der Nacht oben vorbeigegangen, ich habe mich immer gehütet, in die Hölle hinabzukriechen, und da habe ich es in der stillen Nacht ganz deutlich immer schreien und brüllen gehört: ›Komm runter! komm, Ursel! Trauben kriegen! Fressen haben! Herrlich hier! Komm, komm, du Maulaffe!‹ – Da schrie ich aber wieder hinunter, so laut ich immer konnte: ›Gehorsamer Diener! sucht euch einen andern Maulaffen!‹« –

»Nun, der hat sich auch gefunden? Nicht wahr, Frau Ursula?«

»Gewiß,« antwortete sie, »und das ist ja eben Euer dummer, einfältiger Neffe. Ich habe es wohl gesehn, wie die Vittoria damals den bunten Fangeball strickte, da kam der Camillo einen Nachmittag und brachte ihr ein Flausch oder Papier oder Zettel; den steckten sie in den Ball hinein und lachten dabei, als wenn sie was Besonderes getan hätten. Das war nun aber das Paktum, womit sie sich den Wassergespenstern verschreiben wollten, denn immer war von Neptun und Apoll und andern Greueln die Rede. So gingen sie aus, und das Karnickelgespenst, das weiße Koboldchen mit den roten Augen, stellte so gleichsam einen Abgesandten in seinem weißen unschuldigen Felle vor, wie die Herrn Ambassadors denn auch gar zu gern so recht unschuldig tun, wenn sie es am dicksten hinter den Ohren haben; nun dieser Karnickel fragt denn auch ganz freundlich und fromm: ›Kommt ihr jetzt?‹ – ›Ja!‹ schreit die übermütige Vittoria, ›gleich!‹ und schmeißt den Ball auch mit dem inwendigen Paktum in das strudlige Wasser. Das Wasser läßt sich das auch nicht zweimal sagen, sondern schluckt den Ball gleich in seinen Rachen hinunter. Nun müssen sie nachspringen, aber die Vittoria, der es doch leid werden mochte, kehrt wieder um. Camillo macht sich auch noch davon, aber die Sappermenter von Elementsgeistern geben ihn doch nicht wieder frei. Ihr habt es selbst gesehn, alter einsichtsvoller Mann, und habt es mir gewiesen, wie er so blitzblau auf seinem Rücken von den Teufeln gezeichnet war, daß er wie eine Brombeere oder schwarze rote Maulbeere ausschaute. Ihr wißt ja, wie man die Schafe und Hammel auch auf ähnliche Art mit Rotstein zeichnet, daß man auf der Gemeinweide oder auch beim Verkaufen weiß, wem sie gehören. Nun hat er sich also doch freiwillig wieder bei seiner Kompagnie melden müssen. Und so hängt die Sache natürlich zusammen. Nun fürchte ich immer, wird mein Vittorchen doch auch noch nachgeholt, wenn sie auch hier in Rom auf dem festen Lande ist: aber die Beelzebubs von da können gewiß in die Tiber hineinschwimmen. Denn sie hat wenigstens in diesen Tagen schrecklich viel geweint und geheult, und die Mutter nicht weniger. Auch haben sie sich fürchterlich gezankt. Nicht wahr, nun habt Ihrs begriffen?«

»Jawohl,« sagte Vincenz, der Priester, »ich danke Euch für diesen gründlichen Bericht; Guicciardini selbst hätte ihn nicht besser abfassen können.«

Als die Mutter eines Geschäftes wegen in die Kammer trat und den Priester bemerkte, lud sie diesen an ihren Mittagstisch, wo sie und die Tochter nebst dem Dichter Caporale ziemlich heiter waren.

Alle nahmen sich vor, sich nach Camillo zu erkundigen, und der Priester entfernte sich dankbar, da er diese freundliche gastliche Aufnahme von den Leuten, deren Stellung er in der Welt als eine hohe betrachtete, nicht erwartet hatte, die Mutter ihm auch noch zur Erleichterung seiner Reise ein Geschenk verabreichte.

»Wie froh bin ich,« sagte sie hierauf zu ihrem alten Freunde, »daß diese Unbändige sich endlich doch hat zähmen lassen. Ich habe sie wirklich nicht genug gekannt, denn ich glaubte nicht, daß ihre frevle, unnatürliche Gesinnung sie so weit führen könne. Morgen werde ich den Kardinal besuchen und mit ihm die Bedingungen des Ehekontrakts verabreden. So wird Ruhe und Friede in unsre Familie kommen, und wir können glückliche Tage erleben.«

»Aber«, warf Caporale ein, »paßte dieser Eidam auch zu der großgesinnten Tochter?«

»Es mußte zum Schluß kommen«, sagte sie.

»Wenn es nur nicht der Anbeginn anderer, ebenso schlimmer Verwicklungen ist«, bemerkte der Alte.

»Alles«, rief die Mutter, »läßt sich leichter ertragen als der Schwindel, in welchem wir uns jetzt taumelnd bewegten, daß mit jedem unbewachten Augenblick das Elend unerwartet hereinbrechen konnte. Die Notwendigkeit, die Verhältnisse zügeln und zähmen von nun an den wild umfahrenden Zufall, durch diese Alltäglichkeit wird sie dem Leben und der Natur wieder zurückgegeben, und der Gatte wird an ihrer Seelenstärke emporwachsen, sich an ihr erstarken und zum Manne reifen. Indessen geht unvermerkt die stürmische Jugend vorüber, und das Leben hat sie in die notwendigen Gleise hineingewöhnt, in denen es doch nun einmal laufen muß, wenn es sich nicht selbst zerstören soll.«

Als sich Caporale entfernte, traf er draußen auf dem Hofe die junge Freundin, welche ihre Tauben fütterte. »Und Ihr wollt Euch vermählen? Und an Peretti?« fragte er. »Ihr hofft doch, glücklich zu werden?«

»Folgt mir in den kleinen Garten,« antwortete sie; »Ihr seid uns in diesen wenigen Tagen so nahe gekommen, daß ich zu Euch vertraut wie zu einem ältern Bruder sprechen kann.«

Sie gingen in eine Baumpflanzung, die über ihnen lieblich rauschte. – »Was sollen wir glücklich nennen?« fing sie an; »ich sehe mit jedem Tage mehr ein, daß dasjenige, was ich mir so nennen wollte, nur ein albernes Kindermärchen ist, und doch ist alles, was jenseit dieser Wünsche liegt, nicht der Mühe wert, es vom Boden aufzuheben, wenn es auf dem Spaziergange vor unsern Füßen schimmert. Ich werde eingespannt, wie der Ackerstier, in das Joch der alltäglichen Gewöhnlichkeit, so ziehe ich denn nun auch die Furchen der hergebrachten und regelrechten Langeweile wie die übrigen Menschen.«

»Konnte es Euch aber wirklich Ernst sein«, fragte Don Cesare wieder, »mit jenem Farnese? Ich berge es Euch nicht, ich war über Euern Ausspruch ebenfalls erschrocken.«

Sie sah ihn mit ihrem scharfen glänzenden Auge an und erwiderte: »Und wenn ich Euch nun geradehin sagte, daß es mein Ernst wäre, – was gibt es denn da zu erschrecken? Ob ich so oder so verkauft werde, wenn ich denn doch einmal verhandelt werden soll, kommt doch wohl auf eins hinaus. Wer versteht denn von euch, oder auch von Weibern und Müttern, die Hoheit, den reinen Adel einer echten Jungfrau? Alle haben es ja längst in Geschäften, Pflege des Mannes, Wartung ihrer Kinder vergessen, wie es in diesem Heiligtume aussieht. Die Entweihung soll unser Beruf sein, so sagen sie alle, ich habe es aber nie geglaubt: zwang die eiserne Not einmal, der sich auch der Kühnste beugen muß, wie ich es jetzt erlebt habe, nun so war ein Mehr oder Weniger der Entwürdigung immer nicht so gar wichtig. Weggeworfen bin ich, vernichtet, es hat so sein müssen, ich erlebe meine sogenannte Bestimmung, das heißt in meiner Sprache: die Nichtswürdigkeit.«

»Und immer wieder muß ich vor Euch erschrecken«, sagte der Dichter.

»Wie ich vor dem Leben,« antwortete sie mit scharfem Ton; »ja wohl habe ich in dieses kalte, ekle Schlangengewinde, in dieses Durcheinander des widrigsten Ungeziefers erst jetzt den wahren, richtigen Blick hineinwerfen können. – Ich möchte weinen, und ich muß eben lachen, wie Ihr seht.«

Caporale fuhr vor dem lauten krampfhaften Lachen wie schaudernd zurück. »Ja, ja, es ist nicht anders,« fuhr sie mit feurig glänzenden Augen wie phantasierend fort, »zum Lachen ist alles das mehr als zum Weinen. Nie habe ich meine Mutter so gesehn, nie mich vor ihr gefürchtet, mich noch niemals in meinem Innern vor ihr abgewendet. Muß denn auch der edelste Mensch in der Zorngebärde, in der Verzweiflung etwas Geringes und Unedles zustande bringen? Warum denn aus dem empörten Abgrund die widerwärtige Schlacke heraufwälzen? Doch freilich, wenn es vielleicht der Geist – wo kommt sie sonst her? Es ist ja das Innere, was man so nennt, mit Worten. O, man könnte darüber wahnsinnig werden. – Diese ihre ungeheure Heftigkeit, so warnte mich die entsetzende Stimme meiner sündlichen Prophetengabe, – diese brausete hervor, und sie hätte mir vielleicht gar ihren Fluch gegeben, um doch, wenn das Unheil nun geschehen, wie Pilatus die Hände waschen zu können. – Nun trat denn doch die große Herrlichkeit ein, denn meine böse Verkehrtheit hatte keiner Ermahnung nachgegeben: leidend, still, verschlossen nahm sie daran teil und genoß den Glanz der Welt. Seht, darum will ich die Gattin dieses kleinen Peretti werden, um nicht noch einmal alle diese Leidenschaften zu erregen. Ich mache Ernst aus dem Opfer, was mir vielleicht angedeutet wurde, um meine Widerspenstigkeit erst recht zu erregen. – Tue ich aber ihr oder der Menschheit hiermit nur das allerkleinste Unrecht, so bedenkt einmal und schaudert, welche Schlacke sich jetzt aus meiner niederträchtigen Seele heraufgewälzt hat. – Und habt Ihr schon je erfahren, wie es in Euerm Innern beschaffen ist? – Lebt wohl, mein Freund, denn das müßt Ihr mir von jetzt mehr als je sein und bleiben.«

Caporale schüttelte das Haupt, als er sich auf der Gasse befand. In diesem ernsten Lichte hatte er das Leben noch niemals betrachtet. Welche sonderbaren Eröffnungen und Bekenntnisse hatten ihm in so kurzem Zeitraum die Mutter, die Tochter und der Kardinal Farnese gemacht, deren Vertrauter er ohne sein Zutun geworden war.


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