Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Fünftes Kapitel

Am Donnerstage war man fröhlich bei Tische versammelt; Caporale ergötzte alle Anwesenden durch heitere Erzählungen, und nur Donna Julia war nachdenkend und nahm am Scherz des Dichters nur wenig teil. Peretti war ausgelassen, wie man ihn nur selten gesehn hatte, und die Frauen tadelten es im stillen, daß er sich des heißen Weins im Übermaß erfreute. Die Dienerschaft war schon zum Teil in Tivoli, und die letzten Wagen, die am Morgen des folgenden Tages abgehn sollten, standen auch schon aufgepackt im Hofraum.

Caporale trennte sich diesmal, er wußte selber nicht warum, ungern von der Gesellschaft. Er zögerte noch beim Abschied. Beklemmt und mit einem Seufzer verließ er endlich das Haus.

Man ging zeitiger schlafen als gewöhnlich, um am Morgen desto früher wach sein zu können. Schon war Vittoria in ihr Gemach gegangen, und die bekümmerte Mutter schlief schon: Peretti, der die entferntesten Zimmer oben bewohnte, hatte sich, da er berauscht war, früher als alle niedergelegt. Nur einige Diener waren noch wach.

Da klopfte es laut und ungestüm an das Tor, wie wenn jemand in Eile wichtige Nachrichten bringt. Der Diener öffnete und verwunderte sich im stillen, daß der rohe, unstäte Mancini, einer der verdächtigsten Gesellen in Rom, so dreist und so spät eintreten dürfe. Er müsse augenblicks den Herrn, Signor Peretti, sprechen; ein wichtiges, höchst wichtiges Blatt habe er ihm zu überreichen. Da der freche Bote nicht abließ, so führte der alte Guido den Ungestümen in das Schlafzimmer seines Herrn. Es war nicht leicht, den weinbetäubten Peretti zu ermuntern. Als es endlich gelang und dieser den Boten, der immer zu seinen Vertrauten gehört hatte, erkannte, als Kerzen angezündet waren, las er den Brief, welcher folgendermaßen lautete:

»Geliebter Schwager! Sowie Du dies Blatt empfangen hast, wirf Dich in die Kleider und eile nach Monte Cavallo in das Dir wohlbekannte Haus, wo wir schon öfters Rates pflogen. Etwas höchst Wichtiges hat sich ereignet, welches den frühern Beschluß umstößt oder wesentlich verändert. Der Bewußte, den Du ebensosehr liebst wie fürchtest, rechnet mit Sicherheit auf Dein pünktliches Erscheinen. Morgen, wie Du es selber weißt, ist alles zu spät. Wenn Dein Wohl Dir lieb ist, so sieht Dich alsbald

Dein Marcello.«

In der größten Eile kleidete sich Peretti an und ließ den jüngern Diener wecken, der ihn mit einer Fackel begleiten sollte. Guido hatte indessen das Haus munter gemacht, und die erschreckten Frauen warfen sich schnell in die Kleider.

Peretti kam ihnen schwankend schon auf dem Vorsaal entgegen. »Lieber Sohn,« rief Donna Julia in Angst, »könnt Ihr wirklich die Absicht haben, jetzt in später Nacht noch auszugehn?«

»Ich muß,« erwiderte der junge Mann, »laßt mich, ich habe Eile und werde alsbald wiederkehren.«

Vittoria sagte: »Wenn ich über dich etwas vermag, Francesco, so bleibst du im Hause. Du weißt es selbst, wie unsicher die Stadt ist, und wie mir Guido sagt, ist es der nichtswürdige Mancini, der dich in so verdächtiger Stunde abholt. Erwarte wenigstens den Morgen, wenn dein Geschäft denn so nötig ist, und wir reisen lieber einige Stunden oder einen Tag später nach Tivoli.«

»Du kennst die Umstände nicht!« rief der geängstete Peretti, dem der Boden brannte, sich eiligst auf dem bestimmten Platz einzufinden, wo, wie er voraussetzte, sein mächtiger Gönner ihn erwartete. »Was sprecht ihr mir von Mancini? Dein eigner Bruder, Marcello ist es, der mich so dringend zu sich entbietet. Vielleicht kann ich ihn vom Bann lösen; vielleicht gilt es sein Leben.«

Sowie der Name Marcello nur genannt wurde, schrie Donna Julia laut auf, heftig erschreckend. – »Also der Unglückliche, Verlorne wagt es doch wieder, die verbotene Stadt zu betreten? Er bringt sein Haupt zum Block.«

»So dumm ist er nicht,« antwortete Peretti; »ei was! er ist wohl schon öfter hier gewesen und hat fünf Tage hier in meinem Hause gewohnt, wovon ihr freilich nichts habt wissen dürfen.«

»O Gott! Gott! Jesus Maria! so steht es?« schrie Donna Julia, ganz und gar aus der Fassung. Ein kalter Todesschweiß rann ihr in großen Tropfen von der Stirn über das leichenblasse Angesicht, das Haupthaar, weiß und braun gemischt, floß aus der leichtgeschürzten Kopfbinde nieder, sie stürzte jetzt, die Hände in Verzweiflung ringend, auf die Knie und faßte krampfhaft den Mantel des fortstrebenden Francesco, um ihn festzuhalten. »Ihr müßt bleiben!« rief ihre bebende Stimme, »bei allen Heiligen beschwöre ich Euch, denn Ihr rennt, ich sehe es, in Euer Verderben. – Tochter! Vittoria! knie mit mir und flehe mit mir, mit Tränen und Schluchzen flehe den Hartnäckigen, den Wahnsinnigen an, daß er bei uns bleibt.«

Sie stellte sich hoch aufrecht und erhob sich noch auf den Zehen und drückte mit beiden Händen, diese auf die Schultern pressend, die Tochter mit gewaltiger Kraft auf den Boden nieder. Vittoria folgte dem Zwange nur mit halbem Willen. »Du bleibst!« rief Virginia nun. »Sünder! du bleibst! Mein Fluch folgt dir, Unsinniger, wenn du die Schwelle überschreitest! Sind nicht Ketten da, um den Rasenden, den Bösewicht an die Mauern zu schließen?«

Erblaßt standen die Diener umher und schauten mit Entsetzen und zitternden Lippen dieser furchtbaren Szene zu. Die alte Amme bekreuzte sich und betete halblaut. Peretti aber stieß mit dem Fuß nach Vittoria, riß den Mantel so gewaltig aus den Händen der Mutter, daß diese zurücktaumelte und mit den Ellenbogen auf den marmornen Fußboden schlug. So sprang er über die Türschwelle, und Vittoria sendete einen tötenden Blick dem Wütenden nach.

Ans der Straße angekommen, schüttelte sich Peretti schaudernd und murmelte: »Die Weiber sind voll süßen Weines, und meine Übermütige spricht mir, als wenn sie alles wüßte. Nun, morgen bin ich ihrer los.«

Ein feiner Regen fiel, die Fackel leuchtete qualmend und rot in der Dunkelheit. So kamen beide unten bei Monte Cavallo an. Da fielen zugleich drei Schüsse, und Peretti stürzte nieder. Der Diener entsprang. Dunkle Gestalten näherten sich dem auf dem Boden Liegenden, welcher nur matt winselte. Sieben Schwerter fuhren durch seinen Busen, er zuckte nicht mehr. Die Mörder überzeugten sich von seinem Tode und entfernten sich stillschweigend in verschiedenen Richtungen.

 

Der Diener war, nachdem er die Fackel ausgelöscht hatte, mit Entsetzen nach dem Hause zurückgerannt. Hier waren alle noch in heftigster Bewegung und Aufregung. »O welcher Schutz«, rief Donna Julia aus, »war uns dieser schwächliche Jüngling?« Vittoria, noch so unangekleidet, wie sie gewesen, saß in einer Ecke und lehnte das Haupt in die Hand, den Arm auf den Tisch gestützt.

Nun brachte man die Leiche, die der Diener mit den übrigen Leuten auf einer Bahre von der Straße geholt hatte. Caporale, der schon das Gerücht vernommen hatte, kam wieder; alle waren stumm, oder nur einzelne Silben wurden im Saale vernommen. Jetzt ward Montalto gemeldet. Der kranke gebückte Greis setzte sich, ohne die andern zu begrüßen, auf den Boden zum Leichnam nieder. Er faßte dessen Hand und benetzte sie mit Tränen. Man hatte ihn nie vor andern Menschen weinen sehn. – Dann erhob er sich und tröstete Gattin und Mutter. Mit scheinbarer Ruhe sprach er von den Schickungen, denen sich alle Menschen unterwerfen und die Hand des Vaters küssen müssen, auch wenn sie nach unserer Meinung etwas zu strenge züchtige.

Als er in seine Wohnung zurückgekehrt war, begaben sich die Trauernden, Trostlosen auch wieder auf ihr Lager.

Von der Reise nach Tivoli war nicht mehr die Rede.


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