Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel

Don Giuseppe, der am Abend erfahren hatte, daß Malespina am folgenden Morgen wieder nach Florenz zurückreisen würde, hatte, da ihm ein plötzliches Geschäft zugekommen war, sich schnell entschlossen, mit diesem unterrichteten Manne die Reise gemeinschaftlich zu machen. Noch in der Nacht war die Abrede genommen worden, und sie waren schon früh vor Anbruch des Tages außerhalb der Tore Roms.

Der gesprächige Malespina beantwortete gern, soweit er konnte oder durfte, alle Fragen des wißbegierigen Lombarden und sagte unter anderm: »Es ist gewiß und augenscheinlich, daß unsre Zeit so vieles an das Licht bringt und zur Wirklichkeit macht, was ganz die Gestalt hat, wie es jene Märchen liebende Poeten erzählen. Darum darf man sich auch nicht wundern, wenn vieles, das auf die Dauer bestehen sollte, sich ebenso schnell entwickelt und plötzlich beschließt, wie es unerwartet aufgetreten war. Wie arm und hülfsbedürftig kam diese jetzt allmächtige, kluge Bianka Capello mit dem jungen armseligen Gatten flüchtig von Venedig. Der junge Prinz Francesco sah sie; bald war sie seine Geliebte: so schlau und verständig ist dieses schöne Wesen, daß er jetzt nach dreizehn Jahren noch ebenso leidenschaftlich ihr ergeben ist wie in den ersten Wochen. Wir alle sind überzeugt, daß, wenn etwa seine Gemahlin sterben sollte, er Bianka zur Großherzogin erheben würde. Als der vorige Mann der Bianka sich durch Übermut allen verhaßt gemacht hatte, ward er ermordet, und niemand beklagte ihn. Überhaupt, so gern unser Fürst streng sein möchte, haben die Meuchelmörder in der Stadt wie in der Provinz außerordentlich zugenommen, denn es scheint den Mächtigen immer das kürzeste, den Gegner, der Verdruß und Verwicklung erregt, aus dem Wege zu räumen.«

Die beiden Männer konnten sich in ihrem Fuhrwerk so frei und ungestört unterhalten, weil Giuseppe keinen Diener bei sich hatte und der Florentiner seinen Wagen von einem halbtauben Menschen lenken ließ, der nur seine Pferde beachtete.

»In Eurer Erzählung gestern«, fing Don Giuseppe an, »ist mir manches unklar geblieben, und ich zweifle selbst, ob sich alles so habe zutragen können, und doch scheint Ihr sehr unterrichtet, ja Ihr waret bei jenen läppischen Spielen am Hofe wohl selber zugegen.«

»Gewiß«, erwiderte jener. »Aber, mein Freund, wenn Ihr niemals an Höfen gelebt habt, so wißt Ihr auch nicht, was Übersättigung und Langeweile alles erzeugen können. Wieviel Aufwand, übertriebene Pracht, Gold in Haufen weggeworfen, übermäßige Belohnung der Künstler und Gewerbe bei Hochzeiten, – und daneben unwürdige Knickerei und Geiz. Die edelsten Geister unserer Zeit so oft in Tätigkeit, das Vollendete, Große hervorzubringen, wovon unsere Nachkommen noch mit Bewunderung sprechen können: – und unmittelbar darauf solche Spiele und Späße, welche Ihr eben läppisch genannt habt. Der Großherzog sieht seine kränkelnde Gemahlin nur selten, er wünscht sich männliche Erben, damit sein Reich nicht an seine Brüder falle: der Kardinal Ferdinand ist ein vortrefflicher Mann, fein, gewandt und edel, aber der Großherzog betrachtet ihn natürlich mit Neid und Eifersucht. Der jüngste, Don Pietro, der viel in Spanien gelebt und mit einer Spanierin aus dem Hause Toledo vermählt ist – was soll man von diesem sagen? diesem wilden, ausschweifenden Mann, den Krankheiten ausgehöhlt haben, der in seiner Wut kaum einem Menschen gleicht – er wird gefürchtet und gehaßt und setzt ebendadurch alles in Schrecken, er herrscht dadurch, daß er es gar kein Hehl hat, wie er keine Rücksichten kenne und sich alles für erlaubt halte.« –

»Da Ihr Euch so gerne mitteilt, Don Celio, so erlaubt mir noch einige Fragen und löst mir einige Zweifel auf, die Eure Erzählung von jenem lächerlichen Gesandten aus Ferrara mir erregt hat«, sagte Don Giuseppe. »Jener Troilo von Orsini, den Ihr nanntet und als einen schönen jungen Herrn beschriebet, muß mit der Herzogin von Bracciano, jener Isabella, auf einem sehr vertrauten Fuße leben; ich möchte das Verhältnis verdächtig nennen, da er so gar keine Rücksicht auf ihren Stand und Ruf zu nehmen scheint, daß er sie zu diesen nächtlichen Spaziergängen und Verkleidungen mißbrauchen darf.«

»Mein geehrter Herr,« sagte Celio, »Ihr nehmt diese Verhältnisse zu streng und feierlich. Wie die arme Großherzogin, die doch eigentlich in keiner wahren Ehe lebt, sich oft in Langeweile, Verdruß und Eifersucht verzehrt und sich daher gern in zuweilen schlechten Späßen ergeht und erheitert, so ist es auch auf ähnliche Weise mit Donna Isabella beschaffen. Ihr Gemahl, der Herzog von Bracciano, ist ein tapfrer Herr, ein Mann, in hundert Rücksichten ausgezeichnet, aber der Liebe mag er wohl nicht fähig sein. Seine Bravour hat sich früh im Dienst der Republik Venedig erwiesen, er ist schon etlichemal leidenschaftlicher Soldat gewesen, noch vor drei oder vier Jahren hat er sich im Kampf gegen den Türken vielen Ruhm erworben, und schon vor zwölf Jahren ging er von Venedig aus zur See: aber die arme Gemahlin hat ihn nur noch wenig gesehn.«

»Ihr kennt den Mann nicht persönlich?« fragte der Fremde.

»Nein,« antwortete Celio, »denn er hat sich schon seit Jahren nicht in Florenz gezeigt; aber alle, die von ihm sprechen, achten ihn hoch wegen seiner männlichen Tugenden: aber sie fürchten ihn auch, denn er ist barsch und unerbittlich, wenn er erzürnt ist; selbst der Großherzog hat eine gewisse Scheu vor ihm. Nun geht er seiner Laune nach, lebt bald hier, bald dort und hält in Rom ein prächtiges großes Haus, wo es ihm sein großes Einkommen erlaubt, die Kardinäle und andere Fürsten zu überglänzen. Dann ist er wieder auf Reisen, unterstützt die armen Anverwandten und bändigt diejenigen, die sich zu trotzig erweisen. Aber die arme Isabella! Er soll sie nur aus politischer Rücksicht geehelicht und niemals geliebt haben. Nun hat sich dieser leichtfertige Ton am Hofe eingeführt, der einem Fremden auffallen könnte, welcher aber nur sehr selten ärgerliche Geschichten oder Verhältnisse hervorruft. Und so steht Donna Isabella auch ganz rein und unbescholten da. Aber die Langeweile, das einsame Leben, ein unbefriedigtes Dasein führen sie dahin, vielleicht mit zu großem Ernst diese läppischen Späße zu verfolgen.«

»Hat sie Kinder?«

»Nur einen Sohn und eine Tochter, den Virginio, der noch unmündig ist und den sie wie ihre Virginia liebt. Sie hat sich sehr jung, fast noch selbst als ein Kind verheiratet.«

»Wie ist es nur möglich,« begann der Fragende wieder, »da dieser Troilo doch immer ihren Verehrer und Liebhaber vorstellt, daß er den Mut hat, eine so hohe Dame mit seiner besoldeten Geliebten bekannt zu machen, daß er es wagt, sie zusammenzubringen: was muß Donna Isabella von ihm denken? Wie ihn ansehen, wenn sie ihn etwa lieben sollte? Und woher diese ganze unbegreifliche Vertraulichkeit, wenn ihr Verhältnis kein unerlaubtes ist? Seht, das ist ein Rätsel, welches ich mir gar nicht auflösen kann.«

»Weil Ihr die Höfe nicht kennt!« rief Celio lachend; »weil Ihr alle diese Stümpereien und Kleinigkeiten aus einem zu moralischen Gesichtspunkte anseht! Daß der junge Graf seine Liebschaft der Herzogin anvertraut, ist ja der sicherste Beweis, daß beide nur Scherz und Zeitvertreib suchen: denn außerdem würde sie doch wohl eifersüchtig sein und ihn nach einer solchen Eröffnung von sich entfernen. Wenn der regierende Herr, wie es bei uns der Fall ist, öffentlich in einem Verhältnisse lebt, das nicht ganz den Gesetzen gemäß ist, so ahmt die Umgebung ihn nach und übertreibt und überbietet jene Ungebundenheit. Darum ist er auch schon einigemal mit Zorn und Bestrafung hart, ja grausam dazwischengefahren. Jedoch, um ein Beispiel zu geben und abzuschrecken, vergeblich.«

»Und sich als Mann zu verkleiden!« fing Don Giuseppe wieder an, »so in finsterer Nacht mit dem jungen Manne allein auszuwandern! Im Stall mit einem Diener und einer Sklavin zu verweilen.«

»Überlegt doch nur,« sagte Celio halb unwillig, »daß es nur auf diese Art möglich war, den ganzen Spaß durchzuführen. Die Diener des Gesandten durften sie doch nicht als Donna Isabella erkennen: ein langer Mantel verhüllte sie ganz, sie gab sich nachher nur dem Gesandten zu erkennen, um diesen recht zu beschämen.«

»Nun meinethalb,« sagte Don Giuseppe; »was geht mich auch die ganze widerwärtige Geschichte an? Aber ein Verwandter der Dame dürfte es doch höchst anstößig finden, daß sie mit dem jungen Menschen, wenn er auch ihr weitläufiger Vetter ist, auf der Straße und unten im Hause so lange im Finstern verweilt, dann wieder im Schlafgemach im Dunkeln, jener unzüchtigen Szene ganz nahe. Alles das setzt in der Dame einen Leichtsinn voraus, den meine Einbildung mit weiblicher Tugend durchaus nicht zu reimen weiß.«

»Hab ich je einen so schwerfälligen, hartnäckigen Mann gesehn!« rief Celio aus; »gut, daß Ihr es nicht nötig habt, an Höfen zu leben. Ihr gemahnt mich fast wie der ehrbare Sperone, der sich in Rom hauptsächlich dadurch bei den Vornehmen verhaßt machte, daß er in jeder Gesellschaft in seinem selbsterfundenen langen Professorhabit erschien, der ihm so ehrwürdig auf die Füße reicht und hinten nachschleppt, ein Talar, wie ihn weder ein Professor noch ein Philosoph jemals in Italien getragen hat; am wenigsten in vornehmer Gesellschaft. – Die Gemahlin des Prinzen Pietro, diese ist es, die ein öffentliches Ärgernis erregt. Sie nimmt gar keine Rücksicht, hoch und niedrig, alles ist ihr gleich willkommen: und dabei bemüht sie sich nicht einmal, ihre Schande und Ausschweifung den Augen der Welt zu entziehn. Freilich ist ihr Gemahl noch schlimmer und ruchloser, der mit dem allerniedrigsten Pöbel verkehrt und in den schmutzigsten Kneipen sich schimpfliche Krankheiten auflieset, aller Welt schuldig ist, weder Treue noch Glauben kennt und ihr, der Verlornen, mit einem gottlosen Beispiel vorangegangen ist. Über das ruchlose Leben der beiden ist selbst der Großherzog empört, nur hegt er, so stark und stolz er ist, doch vor dem Bruder eine gewisse Scheu: und sie verlacht in Leichtsinn und Frechheit jede Ermahnung. Man hat mir immer gesagt, daß, wenn die züchtigen, eingezogenen Spanierinnen einmal den Zwang abgeworfen haben, sie viel wilder und unzüchtiger als unsre Landsmänninnen sein sollen. Der Fürst selbst hat den Bruder der Frau ermahnt, ihr Zaum und Gebiß anzulegen: es ist ihm selbst befohlen worden, an den Vater der Ausgelassenen zu schreiben, damit dieser von Neapel herüberkomme, um sie zu züchtigen und das Ärgernis wenigstens zu mildern, wenn er es nicht ganz aufheben kann. Man ist nun gespannt, ob es zur Scheidung kommen oder ob man sie in ein Kloster verstoßen wird. Vielleicht, daß der Gemahl sie auch so tief verachtet, daß er sich um ihren Lebenslauf nicht mehr kümmert.« –

So, unter mancherlei Gesprächen, verging den Reisenden die Zeit. Celio Malespina wußte vielerlei von Gelehrten sowohl wie von Staatsmännern. Was er auf seinen Reisen gesehn und erlebt, hatte sich seinem Gedächtnis gut eingeprägt, und er wußte auch kleine, unbedeutende Begebenheiten gut vorzutragen, weil er ihnen eine frische, lebendige Färbung gab, so daß die Figuren und Sachen den Hörenden vor Augen standen.

Don Giuseppe war sehr abwechselnd in seinen Launen: bald heiter, bald wieder sehr ernst, ja finster. Wenn ihn Malespina befragte, antwortete er nur: einige Verlegenheit in seinem Kaufmannsgeschäft, das er dort in Mailand ordnen müsse, mache ihn nachdenklich, wenn er sich den Verdruß denke, der ihn dort erwarte.

Sie hielten sich unterwegs nirgend auf, weder in Bologna noch Siena. Oft, in der Zeit, wenn die Pferde der Ruhe bedurften, ging Don Giuseppe durch die Stadt oder über Feld, seinen Reisegefährten nicht beachtend: ein andermal war er wieder sehr freundlich und ließ sich kostbaren Wein und herrliche Früchte nachtragen, die er selbst eingekauft hatte und in Fröhlichkeit mit seinem redseligen Reisegefährten teilte.

Als sie in die Nähe von Florenz gekommen waren, verweilte Giuseppe in einem Borgo, der nur noch wenige Miglien von der großen Stadt entfernt lag. Er sagte zu Celio: »Hier, mein teurer Gesellschafter, muß ich mich von Euch trennen: liegt der Ort Eurer Bestimmung doch ganz nahe vor Euch, wo wir ja doch voneinander scheiden müßten. Ich werde hier noch im Gebirge einen alten Ohm besuchen, den ich, wenn ich ihn jetzt versäumte, vielleicht niemals wiedersehen würde.« – Jetzt erhob sich, indem sie freundlich Abschied nehmen wollten, ein Streit der Höflichkeit, denn der Mailänder wollte dem Florentiner die ausgelegten Reisekosten so reichlich vergüten, daß er sie dadurch wohl ganz allein bezahlte. Malespina weigerte sich, der Lombarde aber war so dringend, empfindlich, ja halb befehlerisch, daß Celio endlich nachgeben mußte. – »Ich bin reich,« sagte der Lombarde, »wenn mein Geschäft dort nicht ganz verunglückt, gewiß viel reicher als Ihr. Ich habe es wohl gemerkt, daß Ihr einigemal meinetwegen auf der Reise zögertet, daß Ihr hie und da meiner Person zu Gefallen mehr aufgehen ließet, als wenn Ihr allein gewesen wäret, und so dürft Ihr meinetwegen keinen Schaden leiden, denn Ihr seid noch ein junger Hofmann und Euer Glück noch keineswegs entschieden.«

»Alter Herr,« sagte Celio empfindlich, »ich habe Euch mehr als einmal daran erinnert, daß Ihr von Höfen nichts wißt. Es ist auch ganz natürlich; denn wenn der reiche Kaufmann auch einmal mit den Herrschaften in Berührung kommt, so kann er immer nur ihre ganz oberflächliche Außenseite gewahr werden, die doch immer nur eine Maske sein muß.«

»Ihr habt nicht unrecht,« erwiderte jener, »und doch möchte ich, als der ältere Mann, Euch, dem jüngern, noch zum Abschied einen Rat geben, der weit mehr wert ist als jene unbedeutende Summe, über welche wir so unnötig gestritten haben.«

»Und der wäre?« –

»Sprecht, da Ihr ein Hofmann sein wollt, weniger, erzählt das, was Ihr glaubt gesehn und erlebt zu haben, nicht andern, am wenigsten Fremden.«

»Alter Herr,« rief Celio verdrüßlich, »ich sollte Euch für Euern gutmeinenden Rat danken, und doch weiß ich es nicht anzufangen. Ich bin der Sekretär der Chiffre bei meinem gnädigsten Herrn, und ich verdiente gehängt zu werden, wenn ich auch nur das allerkleinste Geheimnis, ja nur eine Nachricht, die mir beim Dechiffrieren früher als jedem andern zukommt, verraten oder ausplaudern wollte; auch die gleichgültigste. Was ich Euch gesagt habe und dort in Rom gesprochen, erzählen sich die Kinder auf den Gassen.«

»Wenngleich,« erwiderte der Ältere; »man gäbe oft viel darum, auch ein gleichgültiges Wort wieder zurücknehmen zu können. Nur allzuleicht kommt man durch diese Redseligkeit in eine gewisse Abhängigkeit von Menschen, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte; mindestens erzeugt es mit Unbekannten oder Fremden eine gewisse Art von Vertraulichkeit, die uns auch drückend werden kann. Wen man als Redseligen kennt, dem kann der kluge Verleumder auch leicht etwas anheften und von ihm das glaubwürdig machen, was er niemals gesprochen hat.«

So trennten sie sich, beide verstimmt.


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