Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

In Rom hatten sich, durch ihre Stellung gegen den herrschsüchtigen Farnese dazu veranlaßt, die beiden Kardinäle Montalto und Ferdinand der Mediceer immer enger aneinandergeschlossen. Es war fast schon entschieden, daß, im Fall ein Konklave eintreten würde, die Wahl gewiß nicht auf den Farnese fallen solle, und so vereinten sich, außer dem frommen Borromeo, heimlich oder öffentlich immer mehr Prälaten der mediceischen Partei, weil der Hochmut des Farnese viele verletzt hatte und sie einsahen, daß alle in ihren Interessen beschädigt würden, wenn dieser hochfahrende Mann den päpstlichen Stuhl besteigen sollte.

Montalto und Ferdinand waren eben beisammen, weil der junge Kardinal dem alten wichtige Nachrichten mitteilen und um dessen Rat bitten wollte.

»Wie es in Florenz steht, verehrter Freund,« begann Fernando, »brauche ich Euch nicht zu schildern, denn Ihr kennt selbst das Elend und die Schande, in welche sich mein schwacher Bruder verwickelt hat. Diese Bianka, diese Abenteuerin, beherrscht ihn so unbedingt, daß Volk, Adel, alles leidet. Er ist von Natur edel und groß gesinnt, er liebt Kunst und Wissenschaft, er verehrt die Religion, und dennoch gelingt es der elenden Buhlerin, in so vielen Stunden ihn sich selber abtrünnig zu machen. Ihre Ausschweifungen haben sie dahin gebracht, daß sie keine Kinder mehr gebären kann, und dennoch hat sie schon im vorigen Jahre meinem Bruder einen Sohn untergeschoben, das Kind armseliger, unbekannter Eltern. Francesco ist glücklich und glaubt der Betrügerin alles. Von verschiedenen Ammen waren schon seit Monaten einige schwangere Weiber bewacht und bestochen: sie, in verstellter Krankheit, wußte abwechselnd des Bruders Mitleid, Freude und Hoffnung zu erregen. Eine dieser Frauen kam mit einem Knaben nieder, und dieser wurde sogleich künstlich in den Palast geschafft und dann als der Sprößling des Großherzogs vorgewiesen. Die Ammen sowie diese gemeinen Mütter sind nach und nach verschwunden, damit sie nicht irgendeinmal das Geheimnis ausplaudern können. Ihr kennt ja die abscheuliche Art und Weise, die sich, vorzüglich jetzt, in meinem Vaterlande eingeführt hat: der tote Mund ist schweigsam, und Meuchelmord ist ein fast öffentliches Gewerbe und eine rechtliche Hantierung geworden.«

»Furchtbar ist es in ganz Italien jetzt!« rief Montalto höchst erzürnt; »wem soll der Herr die Geißel in die Hand geben, diesen Greuel zu vertreiben?«

»Nun habe ich gestern«, fuhr der Mediceer fort, »einen Eilboten von Bologna erhalten und zugleich die Schriften über ein merkwürdiges Verhör und einen Mordanfall, der dort im Gebirge, in der Nähe der Stadt sich zugetragen hat. Eine dieser Ammen, die die verschlagenste sein mag und bei der Capello scheinbar in der größten Gunst stand, ist nämlich von Bianka mit ansehnlichen Geschenken und Belohnungen in ihr Vaterland entlassen worden. Oben im Berge wird der kleine Zug von scheinbaren Räubern angefallen, man läßt die Frau für tot liegen; alle entfliehen. Sie aber kommt wieder zu sich, wird nach der Stadt geführt und erklärt vor den Richtern, daß sie jene Räuber sehr gut als Florentiner erkannt habe, Schurken, die im Solde der Bianka stehen und die sie, die Amme selbst, oft auf Befehl ihrer Herrin ausgesendet habe. Es kann nichts fruchten, diese Sache jetzt bekanntzumachen, aber für die Zukunft werde ich diese Zeugnisse aufbewahren und die Frau, wenn sie genesen sollte, selber nach Rom hierher kommen lassen. Wohin wir blicken, Verrat und schlechte Künste. Und ist es nicht wunderbar und fast unbegreiflich, daß diese Weiber, nur allzuhäufig die schlechtesten, ohne Reiz, Schönheit und Verstand, die größten, geistreichsten Männer, als wären diese blödsinnig und verrückt, an ihrem Gängelbande leiten, wohin sie nur wollen? – Und dann wieder – Euch ist das neueste Unglück unserer Familie bekannt.«

»Jawohl,« sagte Montalto; »plötzlich ist Eure Schwester sowie Eure Schwägerin gestorben.«

»Es befällt mich oft ein Grauen,« begann Ferdinand wieder, »wenn ich an die seltsam wechselnden und blutigen Szenen meiner Familie denke. Mein jüngster Bruder, ein Mann, immerdar in Zorn, Lust und Mordgier entbrannt, dabei schwach und kränklich, wie so oft diese Tyrannen, ist wie ein Bild aus alten Tagen, wie ein feuriges Meteor, das dräuend und schreckend vorüberfährt und nachher nicht mehr gesehen wird. Mit Blut hat er das, was diese ruchlosen Männer ihre Schande nennen, rein gewaschen. Sie erlauben sich alles; und die Sitte der gottlosen Welt ist so, daß man dem Manne kaum verargt, was bei dem Weibe ein Todesverbrechen, auch von den ruchlosesten Sündern, genannt wird. Freilich war diese Leonore eine Schande der Welt. Indessen, auf wen fällt eigentlich die Schuld zurück als auf meine Brüder? Der Regent löst ohne Scheu, ganz öffentlich, alle heiligen Bande der Ehe auf; Pietro versäumt die Frau, verachtet sie, bringt Buhlerinnen alles Gelichters in ihre Nähe, hat früher ihre Sinne aufgeregt und verlangt nun, daß sie als Nonne leben soll, weil sie seinen Namen trägt. Und meine arme, unglückselige Isabella! Auch sie war vom ältern Manne ganz vergessen und verachtet; sie glaubte vielleicht, den Gemahl niemals wiederzusehn, sie hielt sich für geschieden, und der starke, hochfahrende Bracciano erscheint auf einmal wieder, um auch sie wegen der verletzten Ehre zu bestrafen. Nach unsern Sitten und unsinnigen Begriffen des Ritterstandes und Adels hatte sie freilich den Tod verdient; denn ihr Verhältnis mit Troilo Orsini war offenkundig. Durch die Niedrigkeit der Bianka ward ihr Leichtsinn erregt und gestärkt, sogar in dem Maße, daß sie selbst des Troilo bezahlte Buhlerinnen kannte und mit ihnen scherzte und lachte. Mein Bruder, der gewiß nicht an den natürlichen Tod der Schwester glauben kann, ist doch dem Bracciano befreundeter als jemals, und ich kann mich, wie alles steht und liegt, auch nicht von ihm zurückziehn und muß an diese plötzliche Krankheit des Schlages vor den Augen der Welt glauben. Ihr Buhle Troilo ist auch schon nach Frankreich entflohen, wo er auf den Schutz der Königin rechnet. Der unerbittliche Bracciano hat ihm aber schon zwei seiner Banditen, reich belohnt, nachgesendet, die ihr Opfer in Paris gewiß nicht verfehlen werden.« –

 

In der Familie Accoromboni herrschte scheinbar Glück und Ruhe. Der furchtbare Orsini hatte sich nicht wieder gezeigt, so viel hatten über ihn die ernsten Drohungen des Gouverneurs Buoncompagno vermocht. Es ließ sich hoffen, daß Flaminio, der sehr unterrichtet war, bald eine Anstellung erhalten würde, da der Kardinal Montalto sie ihm verheißen hatte. Durch die Bemühung des alten Mannes hatte der älteste Sohn, Ottavio, wirklich schon den Rang und die Würde eines Bischofs erlangt. So sah denn die stolze Mutter viele ihrer Wünsche erfüllt, und sie hätte ungestört die Erhebung, die der Familie in ihrem Alter geworden war, mit Behaglichkeit genießen können, wenn nicht viel Bitteres sich diesem Kelche der Freude eingemischt hätte. Wie vielen Dank auch der neubestellte Bischof seinem Oheim Montalto schuldig war, so unerkenntlich zeigte er sich, ja, er machte kein Hehl daraus, wie tief er den würdigen und wohlwollenden Greis verachtete. Er schloß sich unverhohlen und mit übertriebenem Eifer der intrigierenden Partei des Kardinals Farnese an, weil er glaubte, durch diesen tätigen Feuergeist gar anders als durch den saumseligen Montalto befördert zu werden. Darum erschien er auch nur selten bei seiner Schwester, und er suchte eine befriedigte Eitelkeit darin, dieser und noch mehr deren Gemahl Peretti mit unverhohlener Verachtung zu begegnen. Er zankte auch mit der Mutter wegen dieser Heirat, die er eine Erniedrigung der Familie nannte. Derselbe Ungestüm, welcher die meisten Glieder des Hauses bezeichnete, war bei diesem Manne ganz in Stolz und Hochmut verwandelt worden, und diese Leidenschaft regierte in seinem Gemüte so heftig, daß er kein Mittel scheute, um sie zu befriedigen. Deshalb war es der Mutter wie der Schwester lieber, wenn er nicht erschien, als wenn er zankend und hofmeisternd sie einmal besuchte; es gingen auch Wochen hin, ohne daß sie ihn sahen.

Es konnte der verständigen Mutter auch unmöglich verborgen bleiben, daß diese Ehe, welche sie gestiftet hatte, diesen Namen nicht verdiene. Vittoria ertrug den Gatten nur so eben, sie übersah ihn zu sehr; seine Schwäche, die auch dem blödesten Auge auffiel, mußte sie verachten.

Der herbeste Kummer entstand aber über den ungestümen Marcello, der sich weder durch Liebe noch Strenge bändigen ließ. Nur einmal war Montalto in den heftigsten Zorn, ja in Wut geraten, so daß Mutter und Tochter sich vor dem alten Priester entsetzten, als die Nachricht gekommen war, daß in Zank und gemeinen Händeln Marcello einen vornehmen Jüngling wiederum gefährlich verwundet habe und aus Rom entflohen sei, um sich einer der vielen Banden anzuschließen, die im Lande sowie außerhalb von den Mächtigen unterhalten wurden. Bei der leisesten Vorbitte der Mutter, auch diesmal zu vermitteln, war er im blinden Zorneseifer aufgefahren: er verwünschte die gefühllose Niederträchtigkeit des Jünglings und verbat ein für allemal, in seiner Gegenwart auch nur seinen Namen zu nennen. Auch für den jungen Camillo ließ er keine Vorbitte gelten und wiederholte, wie sehr er es bereue, daß er den nichtswürdigen Marcello damals vom Galgen befreit habe; dort sei derlei Gelichter am besten versorgt, und seine Familie würde an ihm nur Gram und Schande erleben.

Graf Pepoli war aus Bologna wieder nach Rom gekommen. Er eilte, das Haus der Accoromboni, jetzt Peretti, wieder zu besuchen, weil für ihn diese Menschen zu den merkwürdigsten gehörten, die er jemals hatte kennen lernen. Vittoria war sehr erfreut, ihn wiederzusehn; denn, gedrückt von ihrer Lage, war ihr jeder gebildete Fremde eine trostreiche Erscheinung. Nach den ersten Begrüßungen sagte der Graf: »Ich muß Euch, Verehrte, ein Begebnis mitteilen, das mich wahrhaft erschreckt hat. Vor einigen Monaten ist der arme, bis zur Verwirrung geängstigte Tasso heimlich aus Ferrara entwichen. Niemand wußte dort am Hofe, wohin er sich gewendet haben könne; endlich erfuhr man, er sei fast wie ein elender Bettler bei seiner Schwester in Sorrent angekommen. Nun hat ihn seine Unruhe wieder nach Rom getrieben, – soeben ist er angelangt, – aber, Himmel! wie verwandelt! Wie sich so ganz unähnlich! Wie unkenntlich! – Wie würdevoll und ruhig erschien er uns damals: eine zarte, edle Wehmut durchzog und läuterte sein Wesen, er war sanft und bescheiden, und doch fühlte er seinen Wert – und jetzt – ich sah ihn bei seinem Beschützer Scipio Gonzaga – so ganz ohne Haltung und Würde, unruhig, hastig, hin und her fahrend und wie verwirrt, das Antlitz eingefallen und die Augen erloschen, eilig, stotternd, viel fragend, ohne die Antwort abzuwarten – ein Bildnis zum Erbarmen und zum Entsetzen. Dieser große, herrliche Mann mit diesem sublimen Talent, der so sicher und fest in sich selber ruhen könnte, der andern wie sich eine Quelle namenlosen Glückes sein sollte – o wie seltsam ist doch das Gewebe unsers Lebens geflochten, daß nur zu oft das Schönste und Edelste uns bloß zu unserer Zerstörung gegeben wurde, und scheinbares Glück, das uns so freundlich entgegenschreitet, nur ein verhülltes Elend ist.«

Vittoria war tief erschüttert, indem sie jenes schönen Tages in Tivoli gedachte.

»Alle seine Freunde,« fuhr der Graf fort, »vorzüglich Gonzaga, beschwören ihn, auf keinen Fall wieder nach Ferrara zurückzugehen; der Fürst sei erzürnt, die Prinzessinnen ihm abgewendet, seine Neider und Feinde von mehr Einfluß als je. Aber ein böser Dämon scheint ihn mit kranker Hast und gespenstiger Unruhe dahin zurückzujagen. Er denkt und spricht nichts anderes. Um sich seinem Herrn ganz als ergebener Diener und bereuender Untertan zu zeigen, ist er auch bei Masetto, dem Agenten Alfonsos, abgestiegen und behält dort seine Wohnung. Er ist ein untergegangenes schönes und edles Menschenbild.«

Es war natürlich, daß man in Rom in der Gesellschaft von den beiden plötzlichen Todesfällen der jungen Frauen Eleonore und Isabella sprach, die sich so schnell hintereinander ereignet hatten. Nur wenige glaubten an Krankheit und natürlichen Tod. Donna Julia betrachtete die Tat der beiden Fürsten mit Grauen: »Niemals«, beschloß sie, »habe ich diesen schroffen Herzog Bracciano gesehn, ich denke mir ihn aber entsetzlich. Der Mord schwacher, hülfloser Frauen hat in der Vorstellung noch etwas viel Gräßlicheres als Grausamkeit und tödliche Verletzung, die sich Mann an Mann erlaubt.«

»Oft«, bemerkte Vittoria, »ist dergleichen auch keine Tat, sondern ein Schicksal, das sich aus den Umständen unabweislich wie von selbst entwickelt. Aus der naiven Erzählung des Fremden, der so gar kein Arg von der Erbärmlichkeit seiner Novelle hatte, ging doch deutlich hervor, daß diese Donna Isabella ein sehr geringes Wesen sein mußte. Wenn ein so klägliches Leben untergeht, so kann man wohl Erbarmen damit tragen, aber es ist nur wenig daran verloren. Und der Mann – o ja, man kann, man darf ihn schelten: aber warum Grauen und Entsetzen vor ihm empfinden? Scheltet doch die hergebrachte Sitte unsers verwirrten Lebens, diese Ehre, wie es die Männer nennen, dieses schwarze Nebelgespenst, dem schon so viele Opfer gefallen sind. Und abgesehen von allem andern, muß man die Umstände, Verhältnisse, Zufälle, die obgewaltet haben, alles genau kennen, um ein eigentliches richtiges Urteil zu fällen. Ich mag den Fürsten nicht verteidigen oder auch nur entschuldigen, weil er mir unbekannt ist; aber in einer Behauptung werde ich nicht unrecht haben, daß auch die stärkste Frau, wenn sie liebt, vor dem Manne in ihrer Zärtlichkeit eine gewisse Scheu und Furcht haben müsse, durch welche das Geheimnis der Liebe dann noch eine höhere Weihe erhält. Diese Furcht und Scheu ist ja nur die gesteigerte Achtung vor der wahren Männlichkeit, die die Frau verehren will: so sehr sich die Gatten auch verstehen mögen, so gibt es eine Grenze, wo sie sich, wenn auch nicht fremd, doch geheimnisreich bleiben müssen, und hier an dieser Grenze hält jene Scheu Wacht, die sich selbst in ein ahnendes Grauen, in einen süßen Schauer verwandeln kann. Auch der liebende Mann wird das Weib nie ganz verstehn. Eine Zartheit, eine Aufopferung, ein Hingeben über die Natur und Möglichkeit hinaus wird ihm, sooft er es ahnen kann, auch ein Erschrecken einflößen.«

Der Mutter war diese Erörterung sehr unangenehm, denn jedes Wort war fast wie ein Spott auf die Ohnmacht Perettis. Jetzt stürzte der Kammerdiener fast zitternd herein und meldete, daß der Herzog von Bracciano seine Aufwartung zu machen wünsche. Selbst die Mutter, so sehr sie täglich die vornehmsten Besuche annahm, wurde etwas verlegen. Vittoria schrie auf, als Paul Giordano in seiner Trauer mit der edeln, stolzen Gebärde eintrat, und der Mutter versagte vor Verwunderung das Wort, das sie eben aussprechen wollte.

»Ihr edeln Frauen«, sagte Bracciano mit seiner schönen, volltönenden Stimme, »müßt mich als einen alten Bekannten aufnehmen, wenn meine Bitte irgend etwas bei euch gilt. Dem unbekannten Don Giuseppe zeigtet ihr Vertrauen; warum soll ein anderer Name mich euch entfremden?«

»O Exzellenz,« rief Donna Julia, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte, »warum uns damals und unsern Caporale so listig hintergehn? Ist es nicht Bosheit, daß Ihr Euch nun an unserer Verlegenheit ergötzen wollt?«

»Eure Tochter, verehrte Dame,« antwortete der Herzog, »scheint mir gar nicht verlegen. Übrigens legt Ihr mir eine Absicht unter, die meinem Wesen völlig unnatürlich sein würde. Ich lebte schon seit Wochen inkognito in Rom und der Umgegend, wie es denn meine Liebhaberei ist, mich zuweilen von allen Banden der Gesellschaft zu befreien, um mich selbst und die andern Menschen in ihrem wirklichen Wesen kennen zu lernen. In meinem Hause hier glaubte man, ich sei wichtiger Geschäfte wegen in Neapel. Da lernte ich zufällig den wackern Don Cesare kennen, und wir sprachen viel von euch; da er mich nur unter der Maske mit einem nichtssagenden Namen kannte, nahm der wackere Mann lange Anstand, den Rätselhaften bei euch einzuführen. Aber ich danke ihm um so mehr, denn die Erlaubnis, euch zu meinen Freunden zählen zu dürfen, wird zu den glücklichsten Begebenheiten meines Lebens gehören.«

Man ergoß sich in höflichen Erwiderungen, und Pepoli, der dem Herzoge schon seit Jahren bekannt war, führte hauptsächlich das Gespräch. Vittoria war stumm und saß fast wie im Traum; ihr Auge wurzelte auf dem Antlitze des Gastes, und sie verglich ihr damaliges Gefühl, als sie ihn hatte kennen lernen, mit dem jetzigen. Die beiden Stimmungen waren sich so ähnlich, und doch wieder so unähnlich; ihr war, als habe sie sich im jetzigen Augenblick völlig verloren, und doch blitzte sie in diesem Vernichtetsein ein so helles Bewußtsein der wahrsten Existenz an, daß dieses Grübeln ihr schon hohes Glück war.

Als die Besucher sich entfernt hatten, wollte man sich niederlegen und zögerte nur noch, weil der junge Peretti ausblieb. Er hatte sich angewöhnt, oft aus den Gesellschaften, die er besuchte und die nicht die besten waren, spät nach seinem Hause zu kommen, aber noch nie war er so lange ausgeblieben, als es heute geschah. Man war schon besorgt, man fragte die Dienerschaft, wo der junge Mann sein möge, als sich vor dem Hause ein lautes Getümmel erhob. Man öffnete die Türe, und fremde Menschen trugen den Jüngling herein, der schwer verwundet schien. Er hatte Streit gehabt, man hatte gefochten, und so war er verletzt nach seiner Wohnung gebracht worden.

Die Mutter seufzte, denn es schien ihr nun schon ausgemacht, daß sie dasjenige, was sie das wahre Glück des Lebens nannte, niemals finden würde. Sie ging in ihr Schlafzimmer, fast grollend mit dem Schicksal. Wundärzte wurden gerufen, und Vittoria blieb die ganze Nacht bei dem Kranken, welcher seinem Klagen nach empfindliche Schmerzen litt.

Als es Tag geworden, erschien die Mutter wieder. Es hatte sich ein heftiges Wundfieber eingestellt, welches den Arzt, der jetzt von Montalto war gesendet worden, sehr besorgt machte. Endlich fand sich der Schlummer ein, und man konnte für den Kranken wieder Hoffnung schöpfen. Vittoria wich nicht vom Lager des Leidenden, sie schlief fast gar nicht, sie genoß wenig, und alles für den jungen Mann besorgte sie, die Umschläge der Wunde, die oft auf der Schulter erneuert werden mußten, die Dekokte, die Tränke. Sie gab ihm ein, sie tröstete ihn auf seinem Lager, wenn er vor Schmerzen winselte, um ihm irgend Erleichterung zu verschaffen. Sie sah niemand und erschien niemals im Besuchzimmer: Bracciano meldete sich wieder bei der Mutter, aber Vittoria kam nicht zur Gesellschaft. Selbst Caporale, als er wieder in Rom war, ward seiner jungen Freundin nicht ansichtig, und die Mutter bewunderte stillschweigend diese strenge Tugend, die sie der Tochter niemals, ja vielleicht sich selber nicht in diesem hohen Grade zugetraut hatte.

So waren mehr als acht Tage verflossen. Der Kardinal, der mehrmals nach dem Zustand seines Neffen hatte fragen lassen, erschien endlich selbst. – Man sah an seinem Antlitz, wie sehr er sich um den geliebten Neffen gehärmt, wie sehr ihn die Möglichkeit seines Todes geängstigt hatte.

Er erkundigte sich genau nach dem Befinden, er faßte selbst den Puls des jungen Mannes, er untersuchte seine Kräfte und fühlte sich endlich getröstet, daß sich die Besserung so bestimmt angekündigt hatte, so daß man hoffen durfte, daß nach einigen Wochen auch die letzten Spuren, bei der Jugend des Kranken, verschwunden sein würden. »Wie bist du aber nur«, fragte dann der Alte, »in diesen unglückseligen Streit geraten?«

»Mein edler Ohm,« antwortete der Neffe, »das sind noch die Folgen meiner früheren Sünden; jene wilden Jugendgenossen, mit denen ich ehemals lebte und in deren Gesellschaft mir Vittoria an jenem Tage, als ich ihrer zum ersten Male ansichtig wurde, begegnete – diese verfolgen mich jetzt mit Vorwürfen, daß ich mich ihnen abgewendet habe, daß ich ihre Gesellschaft verschmähe. Derjenige, mit welchem ich damals am vertrautesten war, der reiche, junge Mensch, Cesare Valentini, hat mir schon lange mit empfindlichen Schmähungen zugesetzt. Ach, Verehrtester, man ist jung, man wird endlich auch empfindlich; so schalt ich zurück, daß sie mir zu roh wären, ihr Umgang mir jetzt pöbelhaft dünke, daß, wer bessere Gesellschaft kenne, sie wie die Pest fliehen müsse, und dergleichen mehr. Wir zogen, und ich ward überwältigt, weil mehrere über mich herfielen, ich aber keinen zu meinem Beistande hatte. Jetzt, höre ich, ist seit diesem Anfall dieser Valentini entflohn, weil er die Gerichte fürchtet und noch mehr Euch, mein geliebter Oheim.«

»Mag er nur weit entrinnen«, sagte der Kardinal, »und sich hüten, die Stadt nicht wieder zu betreten! Danke dem Himmel, daß du der Gefahr und dem Tode entgangen bist.«

»Ja, wohl hat er sich gnädig an mir erwiesen,« antwortete Peretti mit einem tiefen Seufzer, »aber auch ihr, meiner Gemahlin, danke ich, zunächst der unmittelbaren Hülfe Gottes, mein Leben, denn sie hat mehr an mir getan als alle Ärzte, sie hat sich zur Magd erniedrigt, mich zu pflegen, und sich Schlaf und Nahrung versagt, um immer bei mir zu sein.«

Er nahm ihre Hand und küßte sie mit dem Ausdruck der dankbarsten Rührung. Auch der Kardinal war, indem er Abschied nahm, freigebig in Lob und Dank, und Vittoria begnügte sich, dem ehrwürdigen Manne mit gewöhnlichen Reden zu antworten und sich seinem Gebet und Segen zu empfehlen.

»O anbetungswürdige Vittoria,« sagte jetzt der zerknirschte Peretti, als sie allein waren, »ich kann es dir nicht mit Worten aussprechen, wie sehr ich mich unter dir fühle, wie niedrig, klein und gemein, du großes, erhabnes Wesen. Ja, ich weiß es, ich fühle es innigst, dir gegenüber bin ich nur schlecht und armselig – aber der Himmel wird mir beistehn, daß ich besser und deiner etwas würdiger werde.«

Er hielt inne und sah sie bittend an. Sie antwortete ihm mit einem strengen Blick und sagte dann: »Du erwartest, Francesco, daß ich, dem Herkommen und der Höflichkeit gemäß, dir widersprechen und deine Selbstanklage mit beruhigender Freundlichkeit zurückweisen soll. Ich kann dies aber nicht und will es auch nicht, denn du bist jetzt wieder stark genug, um Wahrheit aus meinem Munde vernehmen zu können.«

Sie ging zur Tür, und Peretti erstaunte nicht wenig, wie er sah, daß sie diese verriegelte. »So können wir ungestört sein«, sagte sie hierauf, indem sie sich zu ihm setzte. –

»Ja, Francesco,« fing sie an, »du bist ein schwaches Wesen, und früh gingen deine Vorsätze unter, die du so sicher gefaßt hattest. Daß ich dir nicht mit Liebe ergeben war, du weißt es, ich brauche es dir nicht jetzt zu sagen. Schnell, in wenigen Tagen erlosch das, was du deine ewige Leidenschaft nanntest, ich ward dir gleichgültig, alltäglich. Dies sei kein Vorwurf, ich beklage mich nicht über deine Ohnmacht, ich hatte es so erwartet, und es war mir Trost und Beruhigung, daß dieser Zustand so früh eintrat. Warum also wollen wir nicht still und einverstanden ein Band lösen, das uns niemals hätte vereinigen sollen? Ich will dir Schwester sein, hülfreiche Gefährtin, Pflegerin in der Krankheit, aber niemals deine Gattin.«

Francesco war betreten und wußte nicht, was er antworten sollte. »Um so mehr ist dies nötig und mein fester, unwandelbarer Entschluß,« fuhr sie fort, »weil ich es recht gut weiß, welche Gesellschaften du aufsuchst, wie du zu allen deinen früheren Sünden mit verstärktem Gelüste zurückgekehrt bist. Dein Oheim soll die Geschichte deiner Händel glauben, o ja, ich gönne dir gerne diese Genugtuung. Ich aber weiß es, daß du neben andern schlechten Weibsbildern jene verrufene Agnes besuchst, die dich deiner Geschenke wegen annimmt; daß dich dort dieser Valentini getroffen hat, daß diese Rauferei nur ihretwegen entstand. Geplündert, krank, mit verletztem guten Namen, verwundet kehrst du von diesem Gesindel zu mir zurück und kannst, wenn dir ein Funke von Gefühl blieb, unmöglich erwarten, daß ich mich nicht gegen schändenden Mißbrauch zu gut dünken sollte. So wie du lebst und denkst, wäre diese Vertraulichkeit nur schmachvoller Ehebruch, die Entweihung alles Göttlichen in mir. – Ich werde zu niemand, auch zu meiner Mutter nicht sprechen, keiner braucht zu ahnen, welche Übereinkunft wir getroffen haben. Solltest du aber klagen, unzufrieden sein, so sei versichert, Peretti, daß ich mich sogleich in ein Kloster oder zu den Tieren des Waldes flüchte, um deiner loszuwerden. Oder öffentlich aller Welt von dir erzählen und lieber in der Barbarei als Sklavin dienen, als deine Gemahlin heißen.«

Francesco sah sie von der Seite an, drückte dann die Augen zu und murmelte etwas von Gehorsam des Weibes und ehelichen Pflichten, die allen auferlegt wären und welche die Kirche geheiligt hätte.

Vittoria stand auf und sah ihn von oben herab mit einem tödlich verachtenden Blicke an. »Soll ich dich verlachen«, sagte sie dann, »oder dich mit Ekel hassen wie ein widerwärtiges Gewürm? Darfst du ein solches Wort in unserm Verhältnis nennen und noch ein Mensch sein wollen? Das wäre also ein Sakrament, was ich abwechselnd mit der schmutzigsten Kreatur teilte? – Und wäre ich verworfen genug, in mehr als tierischem Leichtsinn so Leben und Gefühl zu vergeuden, so darf ich es um so weniger, seit ich erkannt habe, was die Liebe ist, was die Göttlichkeit im Manne zu bedeuten hat. Nun wäre es mir Wonne, zu sterben eher, als diesem Gefühl, dieser Weihe, die mein Herz durchströmt, auf so schmähliche Weise abzufallen. Wie danke ich jetzt mit Inbrunst dem Himmel, daß er es nicht zugelassen hat, daß ich nicht fürchten darf, ein Wesen, von dir stammend, in die Welt zu setzen: das arme Gewürm würde mir aus unschuldigen Blicken nur meine Verworfenheit entgegenschreien, und ich könnte es ermorden, um das Denkmal dieser Erniedrigung zu vertilgen.«

»Und dieser göttliche Mann?« fragte Francesco furchtsam.

»Ich sollte ihn dir wohl nennen,« antwortete sie, »daß du forschen möchtest mit deinem schwachen Sinne, ob er auch meine Anbetung verdient. Frage ich doch nicht nach deinen Katharinen oder Euphemien, oder wie diese Wandelnden alle Namen führen, denen du dein Herz zuwendest.«

»Und ihm also,« fragte er wieder, »dem Ungenannten, willst du dich ganz ergeben?«

»Auch diese Frage ziemt dir nicht,« rief sie unwillig; »aber ich bedarf dessen nicht, und er, ich weiß es, wird es nicht fordern, obgleich ich es jetzt erkenne, daß diese Vereinigung in gegenseitiger Liebe und Anbetung der seligste Triumph ist, den die Natur zu feiern vermag. Weil dieser Sieg, dies stürmende Gefühl, welches unmittelbar an den Himmel klopft, das allerhöchste alles Erschaffenen ist, ebendarum werde ich es mir versagen können und nur im Anschauen, in der Bewunderung seiner Hoheit leben und träumen. Verstehn sich unsre Herzen doch ohne Worte. Auch mag in dem allgemeinen Vorurteil doch eine gewisse Wahrheit schlummern und dämmern, daß dem Manne mehr erlaubt ist als dem Weibe, und dies Gefühl, die Achtung vor diesem Aberglauben wird mich bewahren: vorzüglich aber die Furcht, sein Gemüt (da der edelste Mann noch eine gewisse Roheit in sich hegt) möchte nicht so geläutert sein, daß er mich nicht nach dieser Hingebung etwas, wenn auch nur um ein weniges, geringer achten dürfte.«

»Wenn ich von meinem Erstaunen erwache,« sagte Francesco, »so begreife ich nicht, wie gerade du, Vittoria, so ganz unweiblich sein kannst.«

Lachend sagte sie: »Jawohl, diese eure ganz abgestandenen Redensarten von Unschuld, Mädchenhaftigkeit, Jungfräulichkeit und Weiblichkeit, die ihr uns entgegenhaltet, um unsrer Entwürdigung, indem wir blödsinnig bleiben oder uns so stellen, schöne Namen zu geben. Ei, wie himmlisch steht das unbewußte Mädchen in ihrer Unschuld da, wie die reine Lilienblume. Und sie wird ein Raub des Lüstlings, da man nichts loben will als diese süße Einfalt (die der Frau nicht mehr ziemt) oder die Frechheit der gesunkenen Metze. Als wenn das nicht höhere Würde, Tugend und Unschuld wäre, so frei zu denken, zu fühlen und zu sprechen, wie es freilich denen nicht erlaubt ist, die die Gemeinheit in ihrem Innern empfinden.«

»Wohin aber,« rief Francesco aufgebracht, »zu welcher Ehrlosigkeit kann eine solche Gesinnung führen!«

»Sei ganz ruhig, mein Männchen,« sagte sie; »ich werde diese deine Ehre gewiß besser bewahren als du selber. – Ehre! – O Menschen, welche Sprache redet ihr denn? – Ich soll es freilich nicht wissen, aber ich weiß es doch, wie du mit meinem Bruder Ottavio einig bist; wie ihr beide meine und eure Ehre gerne dem großen mächtigen Farnese verkauftet, wenn ich nur jämmerlich genug dächte, nachzugeben! Nicht wahr? – Schlafe jetzt wohl und zweifle nicht, daß ich meinen Willen durchsetze. Du aber kannst, wie du es schon tatest, jetzt mit meiner Einwilligung so ungebunden leben, wie es deine zügellose und schwache Imagination dir nur eingeben mag.«

Sie verließ ihn, und er hatte vielen Stoff, lange über das Gesprochene nachzudenken.


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