Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Es hatte sich mit Camillo gebessert. Die kräftige frische Jugend kämpfte das Fieber und die Krankheit nieder. Der Beistand, den ihm die Signora Julia durch ihre Bemühung verschafft hatte, indem sie ihm einen verständigen Arzt sendete, die Beruhigung, die sie durch ihre Unterstützung dem alten Priester gewährte, alles dies hatte die Wiederherstellung des jungen Mannes beschleunigt. Er meldete sich bei der Familie, um seinen Dank abzustatten, und die Mutter empfing ihn freundlich, aber zugleich mit einer gewissen Feierlichkeit. Auch Virginia, von dem strengen, beobachtenden Auge der Mutter beherrscht, hatte einen andern Ton gegen ihn angenommen, als den er bisher gewöhnt war, und so fühlte sich Camillo, der nach jener Szene ganz andere Erwartungen mitgebracht hatte, verletzt und gedemütigt; er war verlegen, und wenn ihn die Gesellschaft nicht beschämt hätte, so würde er sein Gefühl wohl in heißen Tränen ergossen haben.

»Ihr werdet nun wohl«, sagte die Mutter, um das zögernde Gespräch in Bewegung zu setzen, »zu Euren Eltern nach der Stadt zurückkehren, um weiterzustudieren. Seid Ihr erst etwas vorgeschritten, mein lieber junger Freund, so werde ich nicht ermangeln, Euch meinem Sohn, dem Abte, zu empfehlen, ja, ich werde vielleicht die Gelegenheit finden, zu Eurem Besten mit dem großen Kardinal Farnese zu sprechen, der jetzt wahrlich, zunächst unserm Heiligen Vater, den größten Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten hat. Zeigt Ihr Euch nun wacker und unterrichtet, darf man später von Eurer Rechtgläubigkeit überzeugt sein, so wird es Euch gelingen, bald in eine einträgliche Stelle versetzt zu werden, von welcher Ihr allgemach höher steigen mögt, um auch Euren teuren Eltern ihre Liebe und die Opfer, die sie Euch gebracht haben, vergelten und ersetzen zu können.«

Vittoria war im Innern über diese wohlgesetzte Rede aufgebracht, aber sie hatte nicht den Mut, in Camillos Gegenwart ihr Erzürnen kund werden zu lassen, um nicht einen vielleicht unziemlichen Auftritt herbeizuführen. Die Mutter merkte ihre Verstimmung, sie hatte sich aber fest vorgenommen, sich durch nichts in ihrem Entschluß irremachen zu lassen. Camillo erwiderte stotternd und mit hoher Röte im Gesicht: »Signora, ich werde noch acht Tage hier in Tivoli verbleiben, so hat es mir der Arzt befohlen, den Ihr mir zu senden die Gnade hattet. Ich werde dann nach Rom zurückkehren, aber ganz in Zweifel und Ungewißheit, mehr als je, ob ich auch würdig genug sei, mich dem geistlichen Stande widmen zu können. Es ist gar zu schmerzlich, sein ganzes Leben einem Berufe zu weihen, den man mit entschiedenem Widerwillen antritt. Ihr wollt mich beschützen – o, wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn Ihr mir irgendwo, sei es in Venedig, Florenz oder wo es auch wäre, eine Stelle und Aussicht beim Soldatenstande schaffen könntet. Oder wenn sich ein Kaufherr in Genua oder ein venezianischer meiner annehmen wollte. Ich fürchte, ich bin nicht fromm; zwinge ich mich also, ganz gegen Neigung, in das geistliche Wesen hinein, so ist zu besorgen, daß ich aus Tücke und Widerspruch, wie der Mensch nun einmal ist, auf gar arge Ketzereien geraten und in dem Zustaude Leib und Seele verlieren möchte.« –

»Junger Mensch,« sagte die Matrone mit kalter Sicherheit, »Ihr kennt Euch selbst noch nicht hinreichend. Folgt meinem Rate, denn er ist gewiß der beste. An meinem eigenen Sohne Marcello erlebe ich es, wie schwer es ist, den Söhnen eine andere Laufbahn als die der Kirche zu eröffnen. Beim Soldaten hat der Edelmann immerdar den Vorzug, und alle die großen Häuser in Italien sorgen dafür, daß bei allen Fürsten in den Ländern ihre Schützlinge und Anverwandten die einträglichen Stellen erhalten. Mit Kaufleuten stehe ich in gar keiner Bekanntschaft, denn meine Verbindungen, durch welche ich Euch nützen könnte, erstrecken sich eben nicht über Rom hinaus. Bei der Bestimmung unseres Lebens dürfen wir nicht zu viel auf unsere Neigungen oder Leidenschaften hinhören, denn das Schicksal des Daseins, dem wir in dem Augenblicke der Bestimmung entgegentreten und es herbeirufen, ist zu ernst, um Spiele und Gewöhnungen der Kindheit, jene leichten Blüten, die den Früchten weichen sollen, mit hinüberzunehmen. Dadurch, daß Ihr uns bekannt seid, daß wir Euch so innig verpflichtet wurden, so daß ich gezwungen bin, für Euch wie für einen lieben Verwandten zu denken und zu sorgen, dadurch, daß es sich fügt, daß wohlwollende Gönner und Freunde von großem Einfluß auf meine Worte, Bitten und Empfehlungen achten: dadurch, lieber Mattei, zwingt Euch das, was ich Schicksal nenne, Euch dieser Bestimmung und keiner andern zu ergeben. Und seid Ihr denn gar nicht stolz, junger Freund? Seht um Euch, wie große Männer allenthalben aus Armut und Niedrigkeit sich auf diesem so ehrenvollen Wege emporgeschwungen haben. Hier, im geistlichen Gebiet, ist die echte Republik, die Gleichheit aller Geschlechter und Stände; Kirchendiener, Bischöfe, Heilige, ja Päpste sind aus Armut und Dunkelheit emporgestiegen, um der Welt zu leuchten und ihre Familie zu verherrlichen. Haben wir nicht ganz in der Nähe ein Beispiel an unserm Kirchenfürsten, dem gelehrten großen Kardinal Montalto, dessen Familienname Peretti ist? Wer spricht im römischen Staat, ja in ganz Italien diesen Namen Peretti nicht mit Ehrfurcht aus? Und er ist einem so armen, niedrigen, schwachen Hause entsprungen, daß Eure wackern bürgerlichen Eltern sich gegen seine Familie wohl eine vornehme dünken möchten. Als Knabe war dieser große Geist genötigt, das Vieh zu hüten, durch Almosen ward er großgezogen, schwache, armutselige Priester und Mönche waren seine ersten Beschützer – und jetzt! Ist er auch nicht reich, so kann er doch, wie jeder Kardinal, in wenigen Jahren wohl selbst Papst werden. Seht, mein Freund, der Stand, den Ihr nicht achten wollt, ist einzig der, wo Fleiß und Charakter sich geltend machen und die Schwächsten, hier durchgerungen, die Welt beherrschen können.«

Die Frauen erschraken, als in diesem Augenblicke der erst verschüchterte Camillo ein lautes Lachen aufschlug. »O ja,« rief er, »ich kann auch nach Asien wandern, mich für heilig ausgeben und der große Mogul werden. Was hindert mich, es auf den weltberühmten geheimnisvollen Priester Johannes anzulegen? Von Melchisedek und den drei Königen aus dem Morgenlande weiß man auch die Abstammung nicht. Dürfte es nicht auch geraten sein, sich mit dem ewigen Juden zu assoziieren und sich von dem Brausewind zum Kompagnon annehmen zu lassen? Der macht ja auch Geschäfte mit und in aller Welt.«

Plötzlich schwieg er still, sah starr vor sich nieder und trocknete sich heimlich eine Träne aus dem Auge. Mutter und Tochter sahen sich mit Erstaunen an, und die sonderbare Blässe des Marmors stand auf Vittorias Angesicht. Camillo richtete sich in mächtiger Verwirrung auf und sagte mit gebrochener Stimme: »Verzeiht mir, ihr Hochverehrten, meine Ungezogenheit. Ich bin ein elender Mensch und verdiene nicht, in guter Gesellschaft zugelassen zu sein. Mir geschieht recht, wenn ich von den Edlen ausgestoßen werde.«

Er erhob sich zitternd. Demütig nahte er der Signora Julia und küßte ihre Hand, dann näherte er sich der Tochter, faßte ihre Finger, hielt sie lange fest und konnte dann seine Lippen kaum entfernen, indem er fühlte, wie sein Druck, wenn auch nur leise, von der schönen Jungfrau erwidert wurde. So wankte er dann, wie ohnmächtig, zur Tür hinaus.

Mit dem Ausdruck der Heftigkeit stand die Matrone vom Sessel auf und ging an das Fenster. Vittoria blieb auf ihrem Stuhle und sah mit etwas scheuem Blicke nach der Mutter hinüber. – »Also schon jetzt!« rief die Mutter aus; »ich habe es ja gesagt! So ist die elende Beschaffenheit unsrer menschlichen Seele, daß aus jedem Ohngefähr tolle Hoffnungen erwachsen, deren sie sich schwindelnd bemächtiget. Nun ist man stolz und trotzt und pocht in verächtlicher Aufregung einer rasenden Leidenschaft. Man spielt den Herrn der Welt, indem man tief unter dem blödsinnigen Bettler steht. Und eigentlich hast du es verschuldet!«

»Ich?« fragte die Tochter erschreckend.

»Weil du kindlich und unerfahren dein Herz und deine Zunge nicht genug bewachtest. Deine unschuldige Neigung hat er in seinem männlichen Eigennutz ganz anders gedeutet: diese angeborne Eitelkeit und Anmaßung des Geschlechts hat dich ihm schon erniedrigt, weil du höher standest als er, weil du ihm reizend und wünschenswert erscheinst; seine Einbildung hat dich schon in Besitz genommen, und daß sein Irrsinn schon zur wahren Leidenschaft herangewachsen ist, zeigt seine Raserei, die wir von ihm haben ertragen müssen.«

»Was kann ich aber für das alles?« warf Vittoria mit Schüchternheit ein.

»Wie, Törin?« eiferte die Mutter, »sah ich es denn nicht (o ja, du kannst es meinem scharfen Auge nicht ableugnen),daß du ihm noch beim Abschied die Hand drücktest?«

»Und wenn es ist,« sagte Vittoria, »gibt es etwas Unschuldigeres? Er tat mir so leid, weiter habe ich mir nichts dabei gedacht.«

»Und du meinst,« antwortete die Matrone, »daß der Ungestüme sich diesen Druck nicht ganz anders wird ausgelegt haben? Für eine Liebeserklärung von deiner Seite hat er ihn genommen. Liebst du ihn wirklich, so tatst du etwas sehr Unrechtes, aber du handeltest ehrlich; liebst du ihn aber nicht, so war es ein armseliger Betrug und gehört zu jenen schlechten Künsten, mit denen Weiber, die mit Recht verrufen sind, Handel und Wandel treiben und nur gar zu oft durch fortgesetzte Unwahrheit die edelsten Männer zur Verzweiflung bringen.«

»Du gehst im Eifer zu weit«, sagte die Tochter mit großer Ruhe. »Gibt es denn außer wilder, roher Leidenschaft, die unbedingt auf Besitz dringt, und jener kalten, toten Gleichgültigkeit nichts Edles, Freundliches, Zartes, was zwischen diesen Äußersten liegt? Und daß ich es dir nur gestehe, ich war dem kleinen Camillo immer gut, aber noch niemals hat er mir so sehr gefallen als in seiner aberwitzigen komischen Rede, die dich so sehr gegen ihn aufgebracht hat. Diese Kraft hätte ich ihm niemals zugetraut. Ist es denn also möglich, wie du neulich äußertest, daß ich auch noch Leidenschaft und Wunsch nach der Ehe würde kennen lernen, nun so erzieht sich vielleicht meine Zärtlichkeit für meinen Mattei noch zu dieser Liebe. So laß denn diesen Gefühlen ihren Lauf, und es ergibt sich nach Jahren vielleicht, daß du richtig gesehen hast.«

»Daß der Wahnsinn ansteckend ist, erfahre ich nunmehr ganz deutlich«, sagte die Mutter und sprach nun kein Wort mehr. –

Camillo ging indessen langsam und zögernd nach dem Hause seines Oheims zurück. »Ja, ja,« sprach er bei sich selbst, »recht hat der alte verdrüßliche Mensch! Die Vornehmen – sie taugen alle nichts! Nur bei der Armut wohnt Liebe und Tugend! Das sehe ich an meinen Eltern, an so vielen Elenden! O dieser verächtliche Hochmut der armen, vergänglichen Sterblichen! – Und diese hochgetürmte weise Hoffartsdame! Was ist sie denn Großes? Die Witwe eines wohlhabenden Advokaten und Richters. Dazu hätte mein Vater auch gelangen können, wenn er das Vermögen besessen hätte, zu studieren. Sie ist freilich aus einem adligen Hause: ist aber doch auch zu einem Rechtsgelehrten hinabgestiegen! – Unsinn, daß sich mit dieser – Ungleichheit auch die niedrigen Stände brüsten! – Ich ein Geistlicher! Lieber Kohlenbrenner, Räuber, Bandit. – Und sie – ach ja, da im Saal ist es anders als da unten, so nah an der Hölle, wo sie sich mir mit allen Kräften und Schönheiten ergab. Warum war ich so dumm und töricht, in diesem Taumel, wo wir die ganze Welt vergessen, nicht mehr zu verlangen? Sie hätt es nicht geweigert. Und was ist es denn Großes? Das Nächste, Natürlichste, was ein einfach unverdorbener Mensch nur denken und begehren kann. War doch Busen, Knie und glänzender Leib schon mein, und in den Küssen entfloh meine Seele über ihre himmlischen Lippen in ihr Wesen hinüber. – Nichts! nichts! Alles ist eitel! Auch sie verwelkt und vergeht, nichts ist echt und wahr als nur die Zeit und der Augenblick; und diesen muß der Kluge ergreifen! Wenn er dazu entschlossen ist. so gehört ihm die Welt.«

Zu Hause angelangt, legte er sich nieder, denn er war wieder ein Raub des Fiebers. –

Nach Tische wurde der Familie der allbekannte Hausfreund Don Cesare Caporale gemeldet. Mutter und Tochter waren erfreut, den wackern Mann begrüßen zu können, durch welchen sie aus ihrer Verstimmung gerissen wurden und der ihnen durch seine unzerstörbare Heiterkeit eine anmutige Zerstreuung versprach.

Cesare Caporale war eine jener hohen, schlanken Gestalten, die durch den Ausdruck harmloser Gutmütigkeit die Häßlichkeit ihres Gesichtes vergessen machen können. Sein Anstand und die Gebärde war edel, und man sah ihm an, daß er viel in der großen Welt gelebt hatte. Die kleine, zurückgekrümmte Nase in dem langen, gebräunten Gesicht, die vielen Falten gaben ihm neben dem fast Geringen und Possierlichen den Anschein eines höheren Alters, als er wirklich erreicht hatte, denn er war noch nicht fünfzig Jahr. Seine grauen, kleinen und lebhaften Augen verrieten den Schalk, denn sie begleiteten jedes seiner Worte mit so geistreichem Ausdruck, daß viele seiner Aussprüche von seinem Munde witzig schienen, die man oft als Rede eines andern für unbedeutend würde gehalten haben.

Mit seiner gewöhnlichen Gutmütigkeit schüttelte er den beiden Damen die Hand, setzte sich behaglich nieder und sagte: »Da bin ich wieder einmal bei euch, ihr Gotteskinder, und das tut mir wohl, wie die Frühlingssonne dem Kranken. Ich war wieder da hinten in meinem geliebten kleinen Perugia und habe eine Zeitlang fröhlich mit meinen Freunden in meiner Vaterstadt gelebt. Das liebe Nest steht noch auf dem alten Fleck, keiner meiner Bekannten ist in diesem Jahre gestorben, in meinem Vaterhause ist mein Quartier für mich immer offen, und so habe ich denn auch die Kirchen wieder besehn, die Berge besucht und mich an den Gebilden unsers alten Meisters Pietro und seines großen Schülers Raffael erfreut. Wie ich nach Rom komme, höre ich zu meinem Entsetzen, ihr alle hier wäret ersoffen oder, mit Erlaubnis zu sagen, ertrunken, was aber beinah auf eines hinausläuft. Das war ein Lamento bei allen den schönen geputzten jungen Narren, daß es nicht auszusagen ist. Je nun freilich, wenn man hübsch ist, wird man eher vermißt, als wenn man, wie ich leider, mit einer so fatalen Fratze herumläuft. Aber sagt um des Himmels willen, was habt ihr eigentlich angefangen, daß man euch so verleumden darf; denn ich sehe ja, daß ihr hier ganz als vernünftige Wesen auf dem Trocknen beisammensitzt. Die hochgesinnte Mutter, die ausbündige Vittoria und der hoffnungsvolle Flaminio sind alle wohlbehalten, wenn auch etwas nachdenkend, wo nicht gar gelangweilt, was ich aber doch nicht zu voreilig annehmen will.«

Die Mutter übernahm es, ihm in kurzen Worten die sonderbare Geschichte, die so leicht tragisch hätte endigen können, zu erzählen. »Seht! seht!« sagte Cesare am Schluß; »ich habe immer behauptet, daß unsre Virginia für ihre große Gestalt in ihren Gebärden und Bewegungen zu hastig und berührig ist. Dergleichen schickt sich nur für kleine Persönchen, die es manchmal auch recht gut kleidet. Darum halte ich mich mit meinem hohen Körper, den langen Beinen und Armen immer so majestätisch. Fällt mir ein lumpiger Ball ins Wasser (ich trage aber niemals einen mit mir herum), so lasse ich ihn wegschwimmen; und dort gar in dem Höllenrachen, den ich immer die Grotte des Neptun genannt habe, obgleich strenggenommen der gewaltige Mann sich mit den Flüssen des Landes gar nicht einläßt. Wenn Ihr dort umgekommen wärt, so hätte ich Euch wohl gar, als Euer alter Anbeter, besingen und beklagen müssen, obgleich mir noch niemals ein ernsthafter Vers hat gelingen wollen.«

»Aber habt Ihr uns keine neue Komposition mitgebracht?« fragte die Mutter.

»Der Poet«, antwortete Caporale, »ist zuweilen an Entwürfen und Plänen so reich, daß er darüber gar nicht dazu kommen kann, einen einzigen auszuführen. Ich lief in der schönen Gegend von Perugia viel herum und meditierte. Mein Gedicht über das Leben des Mäcenas ist nun fast fertig, aber außer einer neuen Komödie ist mir auch noch ein komischer Vorwurf dort in der Einsamkeit aufgestiegen. Ich dachte mir nämlich, wie Apollo auf seinem Jagdschloß eine Versammlung könnte ausschreiben lassen, daß sich alle, die sich für Poeten hielten, zu ihm einfinden sollten, um aus seinem Munde und von verständigen Richtern und Beisassen ihr Urteil zu empfangen. Die Aufgabe ist häklig und kitzlig: denn wie viele unserer jetzt lebenden Pedanten oder talentlosen Reimer würde man da ärgern und kränken müssen; darum gebe ich den Gedanken auch vielleicht wieder auf, wenn ich nicht einen anständigen Mittelweg entdecken kann.«

»O Bester!« rief Vittoria lebhaft aus, »da müßt Ihr alle meine Lieblinge recht loben und diejenigen, die mich immer geärgert haben, recht beißend durchziehn und schwarz abschildern.«

»Zum Beispiel?« fragte der Poet.

»Wen kann man wohl mehr loben«, fuhr sie fort, »als den edlen, herrlichen Bernard Tasso und dessen Sohn Torquato, wegen seines himmlischen Aminta? Schelten müßt Ihr auf den rechthaberischen kritischen Sperone.«

»Geht schon deswegen nicht,« antwortete der Dichter, »weil ich ihn jetzt eben in Rom gesprochen habe und er sich recht freundlich gegen mich erwiesen hat. – Also um fortzufahren: ich wandelte dort in den Bergen von Perugia sinnend umher, voll Launen und Projekte, Verdruß und Freude. So kam ich auf ein grünes Feld in der Abendstunde, die Sonne ging unter, und es gemahnte mich, noch immer draußen zu bleiben. Mit einem Male blitzt mich aus dem grünen Gebüsch vor mir etwas so großäugig an, so unnatürlich feurig, daß ich dachte, die Sonne wäre vielleicht umgekehrt: und nun sah ichs, und es war Venus, der Abendstern. Aber noch nie hatte ich ihn in dieser Herrlichkeit gesehn. Nun gut, ich ließ es mir gern gefallen, daß es etwas so Schönes in der Welt und der Natur gab, und ging immer weiter, an mein dumpfes Gedicht denkend und spekulierend. Auch gibt es wirklich Epochen in unserem Leben, in welchen man die sogenannte Zeit völlig vergißt. So war es mit mir. Der Abend hatte mich ausgehn sehn, und die stille Nacht fand mich noch draußen. Wie ich noch so fortwandelte, deucht mir, es erhebe sich im Osten eine Art von lichtem Grau, ein klarer, wallender Schimmer, und wie ich mich noch darüber verwundre (denn ich hatte ganz vergessen, daß es wohl Morgen sein könne), fahre ich im Schrecken zurück, denn wieder blitzt eine solche Glutmaschine, so ein Jupiter, als wenn er eben einer Liebschaft wegen zur Erde gesunken wäre, mir entgegen, ein göttlich glänzender Stern, dicht auf dem grünen Boden, äugelnd im feuchten Grase und den triefenden Granaten liebkosend, – und siehe da, was ich für einen zerschnittenen Vollmond hielt – nur reiner, weißer glänzend – sei es Jupiter, Mars, Sirius – mir war es, dem Unwissenden, die göttliche Aphrodite, die Göttin der Liebe. –

Ihr holdseligen Frauenbilder, da besann ich mich mit wahrer Andacht auf euch; Ihr, Julia, seid mein leuchtender Abend, Ihr, Vittoria, mein strahlender Morgenstern, und nun ließ es mir keine Ruhe, bis ich wieder hierher zu euch kam. Mag der Himmel mit Millionen Gestirnen prangen, für mich hat er doch nur die eine Venus. Nicht wahr, Gevatterin?«

»Ihr seid galant, Don Cesare,« erwiderte Julia, »und dabei ein Poet. Wie schade, daß Ihr und so manche Euresgleichen doch Weiberfeinde seid.«

»Glaubt Ihr an das Märchen?« fragte Caporale. »Nur häßliche Männer, und die von den Frauen nicht begünstigt worden, stellen sich als Weiberfeinde. Es ist keinem Sterblichen Ernst damit und kann es auch nicht sein. Denn diese Kaprice der Natur, daß sie Weiber geschaffen hat, ist es doch einzig nur, weshalb es sich der Mühe lohnt zu leben. Alle die Schwächen, Widersprüche, Treulosigkeit, Mangel an Charakter, ausgemachte Schlechtigkeit selbst, was diese Moralisten immer und immer wieder aus heiserer Kehle ausschreien, ist ja immer nur die weibliche Natur, die sie nicht zu würdigen wissen. Wer jemals ein Weib geliebt hat, wen jemals auch nur ein Weib wahrhaft beglückt hat, der wird ihre Lügen und Albernheiten höher als Aristoteles' Wahrheit und Platons Weisheit schätzen. Und so – kann ich den Morgenstern kritisieren? Verlang ich Tugend oder Moral von ihm? O du ewige, unbegreifliche Schönheit, du himmlisches, unsterbliches und doch so vergängliches Kleinod der Liebe und Wollust, wie roh gehn auch mit dir die Menschen um und hantieren so abgeschmackt mit der Göttlichkeit, als wenn es eben auch ein Brett oder hölzernes Gestell wäre, um alten vergessenen Plunder darauf aufzubewahren.«

»Werdet nicht so ernsthaft«, sagte die Mutter, »und erzählt uns lieber, was Ihr in Rom Neues erfahren habt.« –

»Potz Blitz!« rief der Poet aus, »das ist eben das Kennzeichen unsers Jahrhunderts, daß es gar nichts Neues gibt. Wenn Ihr das nicht etwa so nennt, wodurch jeder Quark eine Neuigkeit wird. So bastelt unser Heiliger Vater Gregor immer und ewig an seinem neuen Kalender, als wenn wir damit ein reelles Gut gewönnen, daß das Dümmste und Unbegreiflichste der Schöpfung, die Zeit, neu eingeteilt würde. Das neue Jahr soll nun nicht mehr mit Ostern und dem Frühling, sondern mit dem kalten trivialen ersten Januar anheben; und so mehr dergleichen. Bis jetzt glaubten wir, daß die Päpste nur für die sogenannte Ewigkeit sorgten, aber jetzt werfen sie sich auch in die irdische Zeit, um da aufzuräumen. – Neues in Rom? Nun, daß die Kardinäle gegeneinander intrigieren, daß viele Fremde wegen des Jubiläums nach Rom gekommen sind, daß die Kirchen und die heiligen Örter besucht werden, daß man erzählte: der ruchlose Ambrosio sei mit einer ganzen Bande eingefangen worden.«

»Ambrosio?« fragte die Mutter; »wo ist der Bösewicht gefangen worden?«

»Man sagt, in Subiaco,« antwortete der Dichter ruhig; »die Bande hatte dort in der Nacht das Hans der Magistratsperson erbrochen und geplündert, den Mann aber selbst höher in das Gebirge hinaufgeschleppt, um an ihm Rache zu nehmen, weil er sich im Verfolgen der Räuber besonders tätig erwiesen hatte. Doch haben die freiwilligen Milizen sie in ihrem Schlupfwinkel überrascht und das ganze Nest aufgehoben.«

Die Matrone ward nachdenkend, und Caporale begriff nicht, wie diese Neuigkeit sie so verstimmen könne. »Es ist furchtbar,« nahm Vittoria das Wort, »wie diese Räuberscharen sich in unsrer Zeit vermehren und noch täglich anwachsen. Von den Großen und Mächtigen beschützt, hat fast jede Familie ihre Bande, man bekämpft sich öffentlich, wie in einem Kriege.«

»Ja,« sagte Cesare, »diese Orsini, Colonna, die Florentiner, die Ferrareser, alles hat seine geworbenen kleinen Heere in unserer Stadt und dem römischen Gebiet. Der Heilige Vater sieht durch die Finger und fühlt sich zu schwach, dem Unwesen zu steuern. Rache und Meuchelmord werden als Edeltat angesehn, und es herrscht eigentlich nur so viel Sicherheit, als jene Mörder uns gönnen wollen. Auch der Privatmann ist fast gezwungen, mit dieser oder jener Bande einverstanden zu sein, um nicht von allen beschädigt zu werden.«

»Ich mag an alles dies gar nicht denken,« warf jetzt die Mutter ein; »denn ein Grauen befällt mich, als wenn unser Eigentum und Leben nur vom Zufall abhingen und wir jedem Entsetzen preisgegeben wären. Alle Gespenstergeschichten, die ich in meiner Jugend hörte, erwachen dann in meinem Innern, und unser Geist ist der Sklave von nichtswürdigen Vorstellungen, die in unsern Nerven auf und ab rieseln und uns das Haar emporsträuben.«

»Nein, Mutter,« rief Vittoria, »scheltet mir nicht auf meine lieben Gespenster und das poetische Grauen, das bei Anhören dieser Geschichten unseren Geist gefangennimmt. Das ist wie kühler Morgenwind, der durch den Eichenwald braust und alle Blätter in zitternde Bewegung setzt. So erfrischend und wundersam sind auch die Legenden von wiederkehrenden Gestorbenen, von den dunkeln Dämonen, die an einsamen Seen ihr Wesen treiben, jenen seltsamen Kobolden, die uns in gefährliche Sümpfe oder im Gebirge an Abstürze locken sollen; dann die Orakelstimmen in einsam abgelegenen Tälern, die Fähigkeit Wahnsinniger oder Kranker, die Zukunft deutlich zu sehn oder in fernen Gegenden den Freund wahrzunehmen, und alle die Märchen von Zauberern und Beschwörern, von den Bündnissen mit bösen Geistern. Schon des wunderlichen und rätselhaften Abano oder Pietro Apone wegen möcht ich gar zu gern einmal nach Padua reisen und mir sein Haus mit dem großen Saal und seinen Brunnen betrachten. Käme so ein großes oder kleines Gespenst in mein einsames Zimmer, so würde ich freilich erschrecken, aber mich auch dieses Erschreckens freuen und es recht bis in meine innersten Kräfte hinein mit meinem Bewußtsein durchgenießen. Ansehn würd ich mir das Wesen, das mich seiner Bekanntschaft würdigte, und gewiß ohne fieberhaftes Entsetzen von ihm Abschied nehmen. Ich habe mir den Fall oft genau durchgedacht und bin meiner Fassung gewiß. Nein, das Geisterreich bietet uns die Schrecken nicht, die der Wirklichkeit zu Gebote stehn.«

»Wie meint Ihr das, Ihr poetische Amazone?« fragte Don Cesare.

»Eine Vorstellung«, antwortete die Jungfrau, »verfolgt und ängstet mich von meiner frühesten Jugend. Ich bin allein in der tiefen Nacht, meine Familie ist schlafen gegangen, meine Dienerin ist verabschiedet, ich will mein Lager besteigen und die Lampe löschen, als plötzlich vor mir schreckliche Bösewichter mit geschwärzten Gesichtern und dräuenden Waffen stehn: ich wende mich um, Hülfe rufend, und auch von dort treten mir scheußliche, unbekannte Figuren entgegen. Nirgend Rettung, Hülfe; das Wort stockt mir im Munde, der Atem versagt, die Brust klopft zum Zerspringen; ganz ohnmächtig und doch klar alles sehend, rücken die Verruchten und der Mord mir näher und näher. – Seht, indem ich davon spreche, bin ich halb wahnsinnig vor Entsetzen. – Hinweg, du abscheuliches Bildnis! – Und könnt Ihr leugnen, daß nicht dergleichen schon hie und da vorgefallen ist? Wir alle haben von solchen Überfällen gelesen! Und kann dergleichen sich nicht wiederholen?«

»O Kind,« rief Cesare, »Ihr ängstigt mich über die Maßen. Beruhigt Euch, entfernt diese niederträchtigen Vorstellungen aus Eurem Gemüt, verbannt sie völlig, zerstreut Euch und entwurzelt diesen Unsinn, der in Euren Geist, so scheint es, schon tief hineingewachsen ist. Denn Eure Darstellung erweckt zu meinem Grausen auch mir eine alte Grille in meinem Innern. Ich kann mich nämlich durchaus nicht von dem Aberglauben losmachen, daß dergleichen, wenn man es sich immer und immer wiederholt, am Ende ebendadurch, wie durch unbewußte Magie, zur Wirklichkeit hinauswächst. Die Phantasie ist auf die Weise der Boden, in welchem später dieses giftige Unkraut als wahrhaftiges hervorsprießt. Um Gottes willen, laßt diese fatalen Spiele der Imagination bleiben.«

Die Mutter schauderte. »Sollte denn«, sagte sie nach einer Pause, »unsre Seele diese ungeheure Kraft besitzen, durch die Vermittlung der Imagination so was zu erzeugen? Oder ist es nur die Fähigkeit, das Unvermeidliche der Zukunft vorauszusehn, die sich in dergleichen Furcht und gespenstige Vision umbildet? Was ist doch überhaupt mein Ich? Warum sagen wir immer so leichthin: mein Geist, meine Seele, als wenn noch ein andrer Regent höher über diesen Regierenden in uns stände?«

»Ja wohl«, sagte Caporale, »kommt man mit dem Denken über diese Geheimnisse niemals zu Ende. Wir erkennen uns nur in den Funktionen unserer Kräfte, in unserer Tätigkeit: so wendet sich unser Bewußtsein und unsre Denkkraft immerdar von uns ab und sieht sich nur entstaltet und unkenntlich in einem trüben, schlecht geschliffenen Spiegel, der unser Wesen verzerrt. Ist nun unser Geist oder unsre Seele einmal schon dagewesen? Ist er ein gesunkener Geist, der in bestimmten Perioden seiner Verwandlung in einen frühern seligen Zustand durch Tat, Reue, Buße, hiesiges Leben zurückkehrt? Ist er ein Funke aus Gott, bei der Geburt neuentflammt herabgesendet?«

»Ihr seid ein arger Ketzer«, sagte die Mutter.

»Ich frage nur zweifelnd an,« antwortete der Dichter, »was unsre Seele sei, so wie Schrift und Kirche, soweit ich sie kenne, auch nichts Bestimmtes darüber aussagen. Es bleibt immer nur übrig: Ich bin Ich.«

»Kinderei!« rief lachend Vittoria, »wer es wissen will, was die Seele ist, der komme nur zu mir, denn ich weiß es ganz genau.«

»Du?« sagte die Mutter, indem sie groß aufsah.

»Ich möchte mich«, sagte der Poet, »zu Euren Füßen niederwerfen und so, demütig im Staube, von der hohen Sibylle das heilige Orakel empfangen.«

»Vernehmt!« rief die Tochter – »die Seele ist ihrem wahren Wesen nach eine kleine graue Maus.«

»Virginia!« rief die Mutter zürnend, »schämst du dich nicht, so albern zu sein? Oder soll diese Kinderei Witz und schalkhafte Laune bedeuten?«

»Auch in Bernis Gedichten,« sagte Caporale, »die doch so manches Unbegreifliche erzählen, erinnere ich mich nicht, diesen oder auch nur einen ähnlichen Ausspruch gefunden zu haben.«

»Es soll aber auch gar nicht Spaß bedeuten,« erwiderte die Jungfrau, »sondern es ist mein vollkommener Ernst. Die Kenntnis der Sache ist mir auch schon vor mehreren Jahren geworden, wo sie mir in einem allerliebsten Buche vorkam, dessen Titel ich leider nachher in meinem Leichtsinn vergessen habe. Es ist nämlich eine Geschichte, der ich meinen Glauben verdanke, und diese will ich euch jetzt erzählen:

Vor alten, uralten Zeiten gab es einen Herzog von Burgund, der irgendwo, in von hier weit, weit abgelegenen Gegenden sein Land, seine Herrschaften und hochgelegenen Schlösser hatte. Irre ich nicht ganz, so lebte und regierte er in einem Teile von Deutschland, nicht fern vom Rheinstrom. Nun war dieser Herr oft von seinen Feinden bedrängt, doch war er immer siegreich aus allen Kämpfen nach seinem Schlosse zurückgekehrt. Es war schon damals eine Erfindung und ein Unglück aufgekommen, welche uns auch in den neuesten Zeiten oft quälen. Der Herr hatte nämlich Schulden; der Krieg hatte für Vasallen und Söldner seinen Schatz gänzlich ausgeleert. So oft er in seine Schatzkammer ging, sah er nur die leeren Wände, und wenn er Truhen und Schränke aufschloß und hineinschaute, so blickte ihm immer wieder ein trostloses Nichts entgegen. Um sich zu zerstreuen, ritt er mit einem vertrauten Knappen in einen schönen dichten Wald hinein. Es lief schon seit Jahrhunderten im Volk ein Märchen um, daß irgendwo, aber kein Mensch konnte den Ort bestimmen, ein unendlicher Schatz von Gold, Perlen und Juwelen aus Bosheit sei versteckt und verzaubert worden, so daß keine Wünschelrute, kein Beschwörer und Hexenmeister diese Fülle unermeßlicher Kostbarkeiten je wieder entdecken könne. Wie es wohl die Armen, Notgedrängten zu machen pflegen, so hatte sich auch der gute Herzog mit seinem treuherzigen Knappen von diesen verzauberten Goldklumpen unterhalten und sich an diesen versteckten und verlorenen Diamanten und Rubinen getröstet und erfrischt. Müde vom Reiten und Schwatzen, nachdem sie tief in den schönen grünen Wald hineingeritten waren, stieg der Fürst vom Pferde und band es an einen Baum. ›Wir haben selbst den Fußsteig verloren, hier ist es so schön ruhig und einsam still,‹ sagte der Herzog; ›bewahre und bewache mich, mein getreuer Gottfried, denn eine süße Müdigkeit schleicht mir in mein Gehirn und drückt mir die müden Augen zu.‹ So geschah es, der Herzog fiel in einen erquickenden Schlaf, und der Diener wachte, daß kein Tier oder Gewürm seinem verehrten Herrn nahen und ihn beschädigen möge. Der Atem des Fürsten, die Brust ging hin und her und auf und ab: er lächelte, denn ihn mochte ein angenehmer Traum besuchen. Plötzlich stockte der Atem, im Gesicht zeigte sich Aufspannung und Anstrengung, und mit einem Male sprang ein ganz kleines graues Mäuschen aus dem halbgeöffneten Munde. Nun lag der Herzog da, wie tot, ohne Atem und die mindeste Bewegung. Das kleine Mäuschen aber sah sich mit funkelnden Äuglein im Grase neugierig um und schlüpfte endlich zwischen den Blumen fort und etwas mehr in den Wald hinein, doch nicht so gar weit vom Fürsten, der nur als starre Leiche noch regungslos dalag. So war der Knappe denn in seinem Erstaunen und Schrecken doch begierig, was sich aus dem Wunder ergeben würde: er ging also ganz leise und behutsam dem Tierchen nach, behielt aber dabei immer seinen totscheinenden Herrn im Auge. Bald mußte das Mäuschen stille stehn, denn es kam an einen Bach. Das Wässerchen war nur so schmal und klein, daß es jedes Kind mit einem Schritte überschreiten konnte, und es floß so still und bescheiden über die Wiese und unter den grünen Büschen hinweg, daß es die Reiter vorher weder gesehn noch gehört hatten: für die Maus aber war es ein Strom, breiter als unsere Tiber. Und da sie durchaus hinüber wollte, lief sie ängstlich, bald links, bald rechts dem Ufer entlang, ob sie wohl eine trockne Stelle fände oder ob irgendwo vielleicht das Bächlein so schmal würde, daß sie hinüberspringen könne. Der gutmütige Knappe sah nicht ohne Teilnahme, wie das kleine Wesen sich abängstigte. Er schaute sich um, fand aber kein dürres Holz, zog also seinen Hirschfänger mit dem silbernen Griff aus der Scheide und legte die blanke Waffe über das Wasser. Die Maus schien erst erstaunt, trat dann aber behutsam und zögernd auf den glatten, spiegelnden Stahl und ging hinüber, worauf sie sich bald in das nahe Gebüsch verlor und in eine kleine Höhle sprang, die sich in einem grün bemoosten Felsensteine zeigte. Der Fürst lag noch tot, wenige Schritte hinter dem Knappen. Diesem ward bange, wie der Ausgang sein würde, und seine Angst stieg immer höher, je länger das Tier ausblieb. Wie, wenn der Fürst sich gar nicht wieder belebte? Würden die großen Vasallen, würde der Thronerbe ihm wohl diese Mausgeschichte glauben? Da wohl mehr als eine Viertelstunde verflossen war, wollte er schon seinen Degen wieder in die Scheide stecken, den starren Herrn aufrütteln und, wenn dieser sich gar nicht regte, vielleicht in alle Welt reiten, um nicht für einen Mörder, der vom Feinde bezahlt sei, angesehn zu werden. Siehe, da springt das kleine Wesen, seine Augen noch heller glänzend, wieder aus dem Gebüsch hervor, sieht sich um, setzt die netten Beine prüfend wieder auf den Stahl und wandelt behutsam bis an den Griff. Gottfried nimmt seine Waffe, und die Maus rennt wieder zum Herzog. Der Diener zweifelt, ob er sie nun nicht doch greifen und festhalten soll, weil es ihm unziemlich dünkt, daß ein solches Getier seinem Herzog im Gesicht herumspazieren oder gar in den Mund kriechen soll. Aber ehe er noch einen Entschluß fassen kann, ist jene schon wirklich zwischen den Lippen des Fürsten wieder in diesen hinein. Kaum war es geschehn, so kehrte auch das Lächeln auf das Antlitz zurück, die Brust atmete wieder, und nach kurzer Zeit richtete sich der Herr auf, sah um sich, die Besinnung wiederzufinden, und schüttelte sein Haupt, als wenn er die letzten Flocken des Traumes aus seinen Haaren schütteln wollte. Lächelnd sah er den Knappen an und sagte dann zu diesem: ›Setz du dich noch zu mir her in dieses grüne Gras, denn ich muß dir den seltsamsten Traum erzählen, der nur jemals mein Gehirn besucht hat. – Ich war kaum hier auf dieser Stelle eingeschlafen, als mir dünkte, ich ginge von hier weit, weit in den dicken, dunklen Wald hinein. Aber wie war um mich die Natur verwandelt! – Das, was ich für Gras halten mußte, waren hohe, hohe, dicke Binsen, die weit über meinem Haupte hinwegragten: ungeheure Büsche schlugen über mir zusammen, und als ich schon weit gewandelt war, hörte ich plötzlich ein ungeheures Tosen und ein Brüllen, wie von großen Wasserfluten. Und so war es denn auch. Ein breiter Strom, dessen jenseitiges Ufer ich kaum absehn konnte, stand mir gegenüber. Ich lief bald hier-, bald dorthin, denn etwas Unbeschreibliches trieb mich an, als wenn ich durchaus jenseits des breiten Flusses gelangen müsse. Ich spähte aufmerksam nach einem Schiffe, Fahrzeuge oder dem kleinsten Kahn; aber so weit ich auch lief, so sehr ich auch mein Auge anstrengte, war nirgend dergleichen zu erspähen. Noch viel weniger eine Brücke, die mir das liebste gewesen wäre. So in Verzweiflung, geschah plötzlich etwas, wie man es nur in alten Wunderschriften vernimmt. Au demselben Orte, wo ich mich vergeblich umgeschaut hatte, war plötzlich eine große, lange und breite Brücke, – aber welche! Von purem, spiegelblanken, geschliffenen Stahl, ohne Geländer und Brustwehr, im Sonnenstrahl blendend und glänzend. Was war zu tun? Behutsam, vorsichtig betrat ich die glatte Bahn, langsam vorschreitend, um nicht auszugleiten und in den mächtigen Strom zu stürzen. Ich kam glücklich hinüber. Nun war ich wieder in einem dichten, dunkeln Walde, und nachdem ich noch viel gewandert war, geriet ich in eine hohe, geräumige Felsenhöhle, – und – was erblickt ich da? Tonnen, hohe, dick mit Goldstücken angefüllt; ich mußte lange, lange hinanklimmen, um den Rand der mächtig hohen Fässer zu erreichen; schwere Goldbarren lagen auf dem Boden, vermischt mit dem köstlichsten Gestein von aller Art und allen Farben. Ich besahe mir alles genau und verharrte lange in diesem verzauberten Schatzgewölbe. Ich nahm mir vor, mir die Merkmale genau einzuprägen, um die Stelle wiederzufinden, und so verließ ich endlich den dämmernden Felsenkeller. Ich ängstigte mich, ob die stählerne Brücke auch noch daliegen würde. Richtig, sie war nicht verschwunden. So nun wieder den langen Gang hierher – und ich erwache, traurig, daß alles nur ein Traum gewesen ist. Sieh, so war dies Gesicht nur eine Fortsetzung unseres Gespräches, die Begier nach Schätzen, die in meiner Armut wohl natürlich und verzeihlich ist. – Aber du sprichst nichts, Gottfried? – Du schüttelst den Kopf? Du glaubst mir nicht.‹ – Dieser gute Mann war in seinem poetischen Erstaunen nur darüber verlegen, wie er es seinem Herrn eröffnen solle, daß er ihn selber als Maus aus seinem Körper habe auswandern sehn. Er faßte sich endlich ein Herz und erzählte ganz einfach, was er erlebt hatte. Sie gingen die wenigen Schritte, sprengten mit den Schwertern die Öffnung der Höhle, um sie zu erweitern, und fanden dann wirklich einen unermeßlichen Schatz von Gold und Edelsteinen. Der Herzog blieb als Wächter zurück, der Knappe eilte nach der Stadt, holte Rosse, Geschirre, Wagen und getreue Diener, und der Tag verging, ehe man alle Kleinodien aus der Höhle aufgeladen hatte. So wurde dieser burgundische Herr der reichste Fürst seiner Zeit und demütigte alle seine Feinde unter seinem Zepter. Und ich wenigstens habe aus dieser wahren Geschichte so viel gelernt, daß unsere Seele in ihrem natürlichen Zustaude eine graue Maus sei.«

»Gesegnet der Mann,« sagte Caporale nachdenkend, »der dich einmal heimführen wird. Ich verlasse euch jetzt, ihr geliebten Weiber, und bitte nur um die Erlaubnis, euch morgen einen Gast herzubringen, der Euch, Signora, und auch diese junge Dichterin will kennen lernen. Ihr seid ja Fremden immer gütig und werdet mir meine Bitte nicht versagen.«

»Wollt Ihr nicht«, fragte die Mutter, »Euer Stübchen oben in Besitz nehmen?«

»Nein,« erwiderte jener, »ich darf es diesmal meinem Domherrn nicht abschlagen, der mich schon mit dem Abendessen erwarten wird.«

Indem horten sie ein lautes, gewaltsames Klopfen an die äußere Tür. Es war schon finster geworden, und der Diener eilte mit dem Licht hinaus. Verstört und die Kleider in Unordnung stürzte Marcello herein. »Um Gott!« rief die Mutter, »was gibts? Was ist dir?«

»Versteckt mich nur auf einige Tage,« rief der verwilderte Jüngling, »daß mich keiner bei euch findet. Ha! Don Cesare? Nun, der lustige Poet wird mich ja wohl nicht verraten.«

Die Mutter ging im Saale auf und ab und rang, Tränen vergießend, die Hände. Sie hatte ganz ihre Fassung verloren. »Mein Sohn ein Bandit!« schrie sie, »vogelfrei! Wohl ein Preis auf seinen Kopf gesetzt! O Himmel, wodurch habe ich mich so schwer verschuldet, daß ich dies erleben muß! War es doch immer mein stolzer Traum, daß ich, wie die Mutter der Gracchen, in meinen Kindern, um die mich die Welt beneiden müsse, meine höchsten Kleinodien sehn könne.«

»Fackelt nicht lange!« schrie Marcello ungezogen; »diese lieben Söhne der prahlerischen Cornelia wurden auch nachher als Rebellen und Meuterer von andern sehr würdigen und tugendhaften Männern totgeschlagen.«

»Kommt morgen«, sagte der Fremde, »in meinem Wagen mit mir nach Rom; Ihr könnt meinen Diener vorstellen, und in der großen Stadt mögt Ihr Euch viel leichter auf einige Zeit verbergen, bis Ihr nachher mit Sicherheit die Flucht ergreifen könnt. Ich werde Euch morgen mit Tagesanbruch abholen.«

Die gedemütigte Mutter half den Jüngling in einem abgelegenen Gemach, in dem sich ein tiefer Brunnen befand, verbergen. Als am Morgen Don Cesare den Flüchtling abholen wollte, war er verschwunden, und auch Camillo hatte seinen Oheim ohne Abschied verlassen. Man mußte vermuten, daß sich beide mitsammen entfernt hätten.


 << zurück weiter >>