Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Erstes Buch

Erstes Kapitel

Es war in dem Jahre des Jubiläums 1575, als sich die Familie Accoromboni in einem Gartenhause in dem anmutigen Tivoli aufhielt, um dort während der heißen Monate die frische Kühle, den Anblick der Wasserfälle und die schöne Aussicht auf den stürzenden Teverone und die zauberischen Hügel der reichen Landschaft zu genießen. Die Mutter der Familie, eine große, stolze Matrone, noch im Alter kräftig und nicht ohne Spuren ehemaliger Schönheit, regierte, obgleich nicht reich, ihr Haus mit so vieler Umsicht und Kenntnis, daß Anstand und Fülle sich zeigte und Fremde gern in dieser Familie verweilten, wo sie Bildung, musikalisches und poetisches Talent und selbst Gelehrsamkeit antrafen.

Diese Mutter, eine edle Römerin von hoher Gestalt, war die beseelende Kraft des Hauses, denn ihre mächtige Gegenwart gebot allen Bekannten und Fremden Ehrfurcht. Sie war stolz auf ihre edle Abkunft sowie auf ihre Kinder. Sie stammte von einem alten adligen Geschlecht, und ihr Gatte Accoromboni war in Rom ein angesehener Rechtsgelehrter gewesen, der für die Großen sowie den Staat die wichtigsten Angelegenheiten verwaltet, bedeutende Prozesse mit Ehren geführt und gewonnen hatte. Schon dessen Vater hatte als Rechtsgelehrter die Liebe und Achtung der Römer gewonnen, und beide Männer standen in vielfachem Verkehr mit Fürsten, den Patriziern und den berühmten Gelehrten und Schriftstellern in allen italienischen Staaten. So war das Haus der Accoromboni bekannt und besucht, und selten kam ein ausgezeichneter Fremder nach Rom, der sich nicht der stattlichen Mutter der Familie hätte vorstellen lassen.

Die meiste Befriedigung fand die hohe Frau aber in ihrer Familie und in Gesellschaft ihrer Kinder. Der älteste Sohn war durch seine Beschützer, unter welchen der große Kardinal Farnese obenan stand, schon Abt, und die Mutter rechnete darauf, ihn bald als Bischof begrüßen zu können, wohl gar etwas später ihm im Purpur des Kardinals ihre Verehrung zu bezeigen, denn er war als Gelehrter geachtet und als feiner Weltmann beliebt.

Marcello, der zweite Sohn, war wild und unbändig, streifte oft viele Tage im Gebirge umher, ohne nachher der Mutter Rechenschaft abzulegen, wo und mit wem er seine Zeit zugebracht habe. So sehr die Mutter mit dem stolzen Blick aus dem großen blauen Auge alle Menschen zur Ehrfurcht und gewissermaßen zum Gehorsam zwang, so wenig vermochte sie über das starre Gemüt dieses Marcello, der sich zu erniedrigen glaubte, wenn er einem Weibe gehorchte.

Sie hatte allen ihren Einfluß anwenden wollen, diesem Unbeugsamen die Stelle eines Hauptmanns in der Garde des Papstes zu verschaffen, er selber aber hatte am meisten dagegen gearbeitet, weil er seine Freiheit noch nicht aufopfern und sich keiner Disziplin fügen wollte.

Flaminio, der jüngste Sohn, schien ganz das Gegenteil von jenem. Er war schmiegsam, fein gebaut, zart in seinem Wesen, fast mädchenhaft, ein verehrender Diener seiner Mutter, deren Wink und Blick ihm Gebote waren. So war er der Geschäftige, alles Besorgende im Haushalt, der Aufseher der Dienerschaft, der Bote über Land, der Ratgeber anderer Jünglinge und der Liebling junger Mädchen, um deren Wohlwollen er aber, so freundlich er in seinem Betragen war, sich nicht sonderlich bemühte. Denn es schien, daß er seine ganze Liebe dem jüngsten Wesen in der Familie, seiner holdseligen Schwester Vittoria oder Virginia, wie sie auch zuweilen genannt wurde, zugewendet hatte. Ein Fremder, der sie beobachtete, hätte ihn eher für den verliebten Bräutigam als den Bruder der lieblichen Erscheinung halten sollen.

Diese Vittoria glänzte wie ein Wunder oder wie eines jener Bilder aus der alten Zeit, die der entzückte Beschauer, einmal gesehn, niemals wieder vergessen kann. Kaum in das siebenzehnte Jahr getreten, war sie fast schon so groß wie ihre Mutter, ihr Antlitz war blaß und nur mit leichter Röte gefärbt, die oft, bei selbst schwacher Bewegung des Gemütes, völlig entfloh oder sich, schnell wechselnd, so seltsam erhöhte, daß sie dann als ein anderes, dem vorigen fast unähnliches Wesen erschien. Ihr zart geformter Mund glühte in rubinroter Farbe; sein Lächeln unendlich erfreuend, sein Zürnen oder Schmollen erschreckend. Die längliche, sanft gekrümmte Nase hatte den edelsten Charakter im Oval des schönen Antlitzes, und die Augenbrauen, fein gezogen, dunkelschwarz, belebten den Ausdruck des feurigen Auges. Ihr Haar war dunkel und hatte im Lichte Purpurschimmer, es floß geregelt über Nacken und Schulter: saß sie nachdenkend, die langen schneeweißen Finger in die Fülle des Haares halb vergraben, so hätte Tizian kein holderes Modell zu seinem schönsten Bildnisse antreffen können.

Aber weder Tizian noch irgendein Maler hätten den Blick des Auges, das fast schwarz zu nennen war, den Ausdruck und das Feuer desselben auch nur schwach andeuten können. Dieser Ernst des Blickes, dieser Tiefsinn, dann wieder die aufblühende Freundlichkeit übten einen seltsamen Zauber, das Zornfeuer war selbst dem Frechen unerträglich. Es war ein liebliches Naturspiel, daß die langen Augenwimpern fast blond oder gelb waren, so daß sie wie Strahlen in der Bewegung blitzten oder so wundersam schimmerten wie jene lichten Goldstrahlen, die wir zuweilen an altgriechischen Bildnissen der Minerva wahrnehmen.

Wie mit beschränkten Mitteln die verständige Mutter Julia allen ihren Kindern auch eine gute Erziehung, Unterricht und Wissenschaft hatte geben können, so war doch Vittoria, diese hohe Erscheinung, ihr Liebling und diejenige, auf welche sie ihre stolzesten Hoffnungen gründete. Sie selber war oft über den früh gereiften Verstand dieses ihres Kindes erstaunt, sie mußte das Gedächtnis bewundern, in welchem Vittoria alles Gelesene und Gelernte aufbewahrte, wie sich die Mutter nicht weniger des Talentes erfreute, welches aus den Versen der Tochter hervorleuchtete.

Die Familie saß im Saale beisammen, als Marcello seinen Hut und Mantel nahm, den Degen umgürtete und von der Mutter Abschied nehmen wollte, indem diese mit ernster Miene fragte: »Wohin wieder?«

»Freunde, Bekannte besuchen,« erwiderte der ungestüme Jüngling; »der Morgen ist so schön, und ihr alle werdet mich nicht vermissen.«

»Man hat mir sagen wollen,« erwiderte die Mutter, »du haltest im Gebirge mit dem verdächtigen Ambrosio Umgang. Der rohe Mensch soll ja mit jenen Banditen in Verbindung stehn, die in der Gegend von Subiaco streifen.«

»Ei, meine Mutter!« sagte Marcello, »man nennt heutzutage alles Banditen, was nicht Schulmeister, Priester oder Advokat ist. Und doch plündern diese oft mehr als jene freien Menschen, die sich zuzeiten aus sehr gegründeten Ursachen mit dem langweiligen Staate überworfen haben und unter denen man angesehene Grafen, tugendhafte Leute, ja Männer antrifft, die von fürstlichen Häusern abstammen.«

»Mein Sohn,« sagte Julia sehr ernst und nahm dem übermütigen Sohne den Hut aus der Hand, den sie auf den Tisch legte, »du sprichst wie ein unbesonnener Knabe, der weder mit Welt noch Moral bekannt ist: magst du kindisch bleiben, wenn das dein Stolz ist; nur das vergiß niemals, daß dein herrlicher Vater sowie dein verehrter Großvater Advokaten waren.«

»Gewiß nicht,« sagte Marcello, »stehen doch ihre Namen in so manchem verdrüßlichen Buche verzeichnet, daß man schon deshalb versucht wird, ein ganz entgegengesetztes Metier zu ergreifen.«

Hastig riß er den Hut vom Tische hinweg und sprang so eilig aus der Tür, daß der Mutter die beginnende Rede auf der zürnenden Lippe erstarb.

Flaminio stand auf und schloß die Türe wieder, die der Fortstürmende in seiner eilenden Hast offen gelassen hatte.

Vittoria sah von ihrem Buche auf, um mit einem sanften Lächeln dem Auge der Mutter zu begegnen. »Was denkst du, mein Kind?« fragte Julia.

»Ich bin schon seit lange der Überzeugung,« antwortete die Tochter, »daß man den Burschen gewähren lassen muß. Er sucht einen männlichen Stolz und Trost darin, dir nicht zu gehorchen, sondern zu widersprechen: je mehr du also ermahnst, je mehr sucht und findet er Gelegenheit, das zu tun, was du verbietest. Zeigst du dich seinetwegen unbekümmert, so wird er von selbst zur Vernunft zurückkehren, weil er sich dann einbilden kann, als freier Mensch zu handeln.«

»Wenn nur nicht vorher Unglück geschieht«, bemerkte die Mutter seufzend.

»Das, wie alles, muß man der Vorsehung anheimstellen,« sagte Vittoria, »denn er ist doch der Erziehung und Ermahnung entwachsen.«

»Woher nur«, fing die Mutter wieder an, »hat der Knabe diese Unbändigkeit? Sein Vater war milde und sanft, nachgiebig, folgsam, ein Feind alles wilden, ungestümen Wesens: die Ruhe und Gesetztheit selbst. – Von wem?«

»Gewiß von dir«, sagte Vittoria lachend.

Die Mutter stand auf, ging nach dem Fenster, sah in die Landschaft hinaus, kehrte dann um, betrachtete die Tochter ganz nahe mit großen Augen und sagte kurz und schneidend: »Von mir?«

Vittoria ließ sich nicht irremachen, schloß ihr Buch, legte es in die Kapsel und sagte ruhig: »So denke ich mir die Anstammung dieses tobenden Blutes. Dein fester Sinn, dein großes, starkes Gemüt, dein edles Wesen, das für seine Überzeugung Blut und Leben hingeben würde, ist in ihm als Mann in diese jugendliche Roheit ungeschlagen, die sich später selber erziehen wird. War ich doch auch ein wildes Kind, und gewiß warst du nicht allzu zahm, als du noch mit deinem Püppchen spieltest.«

»Du magst recht haben,« antwortete die Mutter, »mir ist der Gedanke noch nicht eingefallen. Freilich vergessen wir nur allzuleicht in späteren Verhältnissen, wie wir in unsern frühesten Jahren waren.«

»Ich habe da wieder den Camillo Mattei gesehen,« fing die Matrone von neuem an; »er schien auf unser Haus zuzugehn: ich weiß nicht, was er immer hier will.«

»Er ist ja ein allerliebstes Kind,« sagte Vittoria erfreut; »man neckt sich mit ihm so hübsch, er ist dabei so ehrlich und treu, daß man ihn liebhaben muß.«

»Was soll er uns?« fragte Julia und wendete das Haupt unwillig ab; »er ist unwissend, einfältig, von geringem Herkommen; nun liegt er schon dem armen Weltpriester, seinem Ohm, seit Wochen zur Last: kann er nicht nach Rom zu seinen Eltern, den Bürgersleuten, zurückkehren, um seine Schulstudien fortzusetzen?«

»Laß ihn, liebe Mutter,« bat Virginia, »er gefällt mir und uns allen im Hause; unsere Familie ist als eine gastfreundliche bekannt; sollen wir bei diesem guten Mattei eine Ausnahme machen? Frage nur unsre Amme oder unsern alten Guido, wie gut und lieb dieser immer freundliche Camillo ist.«

Die Mutter zwang sich, heiter zu erscheinen, als Camillo eintrat, sich demütig verbeugte und schüchtern stehn blieb, bis sich Flaminio zu ihm gesellte und ihm einen Sessel in seiner Nähe anbot.

»Camillo,« fing Vittoria an, »Ihr habt neulich die Zeichnungen von den Bildern sehen wollen, die der Kardinal Farnese in seinem neuen Schlosse Caprarola von Zuccheri hat malen lassen: seht, hier ist das schöne Buch, er hat es uns gestern geschickt.«

Camillo blätterte und sagte dann etwas beschämt: »Ich verstehe zu wenig von diesen großen und sinnreichen Sachen. Und an diesen Kämpfen und Schlachten kann ich mich vollends nicht erfreuen. Freilich wohl, die Schlacht des Konstantin oder Attila von Raffael –«

»Läppischer Mensch!« rief Vittoria, halb zürnend und halb lachend, »wenn er mit Raffael kommt, muß sich alles verkriechen. Und doch meint der Kardinal wohl und sein Maler noch mehr, er könne es mit dem jungen Manne und seinen vatikanischen Zimmern aufnehmen und stehe auf der Leiter der Kunst noch einige Stufen höher. Und diese Bilder hier aus dem Saale des Schlafs und der Träume sind auch echt poetisch; diese herrlichen Erfindungen werden immer als Muster gelten können.«

»Kann alles sein,« erwiderte Camillo etwas verdrüßlich, »es ist aber ein so schöner, klarer Morgen und dabei noch gar nicht heiß, daß wir lieber mit den verehrten Damen einen Spaziergang machen sollten.«

Die Mutter nahm ihren Sonnenhut, und Vittoria folgte ihrem Beispiel. »Gehn wir denn nach der Villa Este«, sagte die Matrone, »und besehn einmal wieder die Herrlichkeiten des neuen Palastes und alle die Künste und Schönheiten des Gartens.«

»O nein!« rief Vittoria unwillig, »alle diese kleinen Springbrunnen und Bildchen in Marmor, so fein gelegt und geschnitzt, – wären nicht die Zypressen hingesetzt, die doch dazwischen ein ernstes Wort reden, so wäre diese Anstalt ganz unerfreulich. Nein! hin zu den allerliebsten Wasserfällen! Zu Mäzens Villa, der Neptunsgrotte, da löst sich unser Herz und Gemüt, und die liebliche, unendlich schöne Natur faßt mich wie ein großer Dichter vertraulich bei der Hand und sagt mir so herzliche, rührende, erhebende und lustige Dinge in mein horchendes Ohr, wie sie in keinem Buche und in keiner Handschrift stehn.«

Flaminio führte die Mutter, und Camillo ging an der Jungfrau Seite. Man konnte es ihm ansehn, daß er sich neben der hohen schönen Gestalt beschämt und klein fühlte und doch zugleich geschmeichelt, daß er mit ihr so vertraulich wandeln durfte.

Als sie in die Nähe der Wasserfälle gekommen waren, setzte sich die Mutter mit ihrem Sohne in den Schatten der Olivenbäume und ließ ihr Auge sinnend an den Formen der schönen, ölbekränzten Hügel umherschweifen. Vittoria aber sprang an ihr vorüber, um sich in der Nähe des Wassers zu ergötzen. »Wie vieles wißt Ihr,« fing Camillo leise an, »wie Unermeßliches – und ich – –«

»Laßt alle den Kram«, rief Vittoria übermütig und ging schneller. »O seht die alltäglichen Wunder dieser Landschaft und diese Wasser, diese Märchen und goldenen Fabeln, die es nicht müde werden, sich immer wieder selbst alles das poetische Zeug vorzuerzählen, und die uns doch, so sehr wir sie auswendig wissen, immer neu bleiben. Hier laßt uns Kinder sein, wahre Kinder, die sich immer in ihrem Spielwerk vergessen.«

Indem lief ihr ein Kaninchen vorüber, in den Berg hinein. Vittoria sprang ihm nach und warf einen buntgefärbten Ball, den sie bei sich trug, dem kleinen weißen Tiere nach. Der Ball rollte den Hügel hinab nach dem Flusse zu, der sich hier mit Brausen von bedeutender Höhe in die Tiefe stürzte und mit seinem Strudel unten einen Trichter bildete, den viele die Grotte des Neptun nannten. Aus Furcht, der Ball möchte vom Strudel fortgeführt werden, rannte sie so eilig hinab, daß Camillo ihr kaum folgen konnte, aber auch so unbesonnen, daß sie, unten angelangt und sich zu eilig und stark nach dem glänzenden Spielzeuge hinabbeugend, wirklich in den tosenden Strudel stürzte. Überwältigt und besinnungslos schrie Camillo laut auf und stürzte sich nach, erfaßte die schöne Gestalt, die sich nur eben noch an einem vorragenden Gesteine festhielt, fiel hart auf das Geklipp und rang sich mit der Beute, Brust an Brust verzweifelnd gedrängt, empor: er gewann Kraft, und schneller, als es sich spricht, hatte er sich mit ihr gerettet. Unbewußt und mit der Verzweiflung Riesenkraft trug der Kleinere die größere Gestalt fort, zwar nur wenige Schritte empor, aber doch entfernt genug, um in Sicherheit im blitzenden Grase neben der Geretteten ruhen zu können. Die Strahlen des nahen Wasserfalles spritzten, abstäubend vom fernen Fels, wie Staub oder gewebter farbiger Glanz über ihre Körper und Angesichter. Leichenblaß, aber still lächelnd, saß Vittoria im Grase, dankbar blickte sie ihren Retter an und reichte ihm die zitternde Hand. Camillo, erschrocken noch und entzückt, taumelnd, betäubt, küßte die dargebotene schöne Rechte mit Inbrunst. – »Wie kann ich dir lohnen?« fragte sie. – »So!« rief er aus, indem der Blöde, Verschämte brennende Küsse auf die schönen Lippen drückte. – Sie schwieg, wehrte ihn nicht ab, und nur, als der Berauschte von neuem und heftiger begann, wandte sie das Antlitz ab und schlug ihn lächelnd mit den glänzenden Fingern auf seinen heißen Mund.

Jetzt besann er sich, und es wurde ihm nun erst möglich, sie zu sehn und zu betrachten. Der Hut war mit dem Balle in den Wogen verloren gegangen, die schwarzen Locken des Haares waren aufgelöst, noch floß und triefte das Wasser vom Haupte, der schöne Busen mit seinen jugendlichen festen Marmorhügeln war fast ganz frei und glänzte blendend im lichten Dämmer, das Baum und Fels lieblich verbreiteten, an Leib und Hüfte schmiegte sich, die herrliche Form bezeichnend, das nasse Gewand, und so erschien sie dem Jüngling, wie man wohl die Nymphen der Quellen in schönen Gemälden abbildet, oder Amphitriten selbst, die hehre Gemahlin des göttlichen Neptun, der sie vielleicht vor wenigen Augenblicken von Liebe betört in seiner Grotte hatte zu sich entraffen wollen. Sie erfreute sich des Spiels, welches die Sonnenstrahlen in Dunst und Nebel des stäubenden Wassers trieben, denn viele glänzende Regenbogen tanzten und wogten wie selbständige Wesen im aufgelösten Kristall. »Sieh, Camillo!« rief sie freudig aus, »ich halte die Fabel und das Unmögliche hier sichtbar in meiner Hand. Ja, ich kann sogar, so spielen die Geister der Natur, dir sichtlich und körperlich diese buntglänzende Woge hinreichen, das lachende Kind der Sonne. Und sieh! zu meinen Füßen spielen ebenso im Grase die lieblichen, neckischen Gespenster, die Tagesirrlichter, die dem Apollo mit freundlicher Widerspenstigkeit aus dem Dienst gelaufen sind. Und nun noch, Freund, hat uns der Waldvogel von drüben zum besten, der schreit ein höhnendes Triumphlied, als wenn wir ins Wasser gefallen wären, um uns unter die Fische anwerben zu lassen.«

»Aber«, sagte Camillo zögernd und warnend, »wir müssen zur Mutter zurück und nach Hause; du wirst dich erkälten und davon und vom Schreck krank werden.«

»Der Schreck ist längst verschwunden«, sagte sie, indem sie sich zögernd erhob und ihr Busentuch ordnen wollte, dessen Verlust sie erst jetzt mit einer kleinen Beschämung gewahr wurde. »Ja, wohl müssen wir zurück«, sagte sie dann mit leiser Stimme. »– Müssen wir? – O, über alles dies Müssen in unserer Alltagswelt. Freilich, die Fabel fliegt fort mit Schmetterlingen, Schwalben und Nachtigallen, wir kommen immer an das letzte Wort auch des schönsten Gedichtes, machen das Buch zu und legen es in den hölzernen Schrank. Nach dem herrlichsten Gesang erschallt die heisere Stimme des elenden Dieners und ladet die Gesellschaft an den Eßtisch. Muß denn das alles so sein? Oder könnten wir nicht mit einem Gott oder einem hohen Geist ein Paktum schließen, daß es anders sich gestaltete?«

Camillo sah sie mit großen Augen an und führte sie an der Hand den hohen und steilen Berg hinauf. Flaminio kam ihnen oben mit der Mutter schon entgegen. Wie erschraken beide, als ihnen Camillo mit kurzen, eiligen Worten das Abenteuer und die überstandene Gefahr erzählte. Flaminio erblaßte und ward so schwach, daß er sich an einen Baum lehnen mußte. Die Mutter ergoß sich in Danksagung und Lob Camillos über seine Kühnheit und Geistesgegenwart. »Kommt mit uns,« beschloß sie, »teuerster Freund, kleidet Euch um, Flaminio wird Euch von seinen Kleidern geben, wärmt Euch in einem Bett, trinkt glühenden Wein und laßt Euch unsre Pflege gefallen.«

»Nein! nein!« rief Camillo, »Eure Güte und huldreiche Freundlichkeit erkenne ich mit Dank, aber ich bedarf sie nicht. Ich fühle vom Wasser nichts, die Sonne scheint warm, ich laufe zu meinem Oheim, der gar nicht weit ist, und kleide mich um. Meine Wonne, daß ich Euch so habe dienen und Euch Eure herrliche Tochter retten können. Ein unverdientes Glück!«

So lief er fort, und die Matrone, ohne zu sprechen, führte ihre Kinder nach ihrem Hause. Vittoria war nachdenkend und Flaminio tief gerührt.

Als Camillo zu seinem alten Oheim kam und ihm die sonderbare Begebenheit erzählte, sagte der verdrüßliche Mann: »Immer Kindereien getrieben, die zum größten Unheil ausschlagen können. Wenn ihr nun beide ertrunken und vom Strudel verschlungen wärt! Ich hab es dir schon oft gesagt: der Umgang mit diesem hochmütigen Volke ziemt dir einfachem Bürgerkinde nicht. Was kannst du von ihnen erlangen? Du wirst mit deinem Stande unzufrieden werden und deine Zeit verlieren, und wenn du jeden Tag mit Leib- und Lebensgefahr einen von ihnen aus dem Wasser ziehst, hast du keinen Dank davon. Das geht mit Kardinälen und Baronen um; wenn der hochnäsige Abt, der älteste Bruder, einmal herkommt, sieht er mich kaum über die Achsel an. Der lange Mensch wird mir niemals etwas zu Gefallen tun, so sehr ich mich auch vor ihm demütige. – Jetzt in deine Kammer da hinein! Zieh dich aus, kriech ins Bett, daß du warm wirst, ich will dir das Essen hineinschicken.«

Camillo gehorchte ihm gern, nur um mit sich allein zu sein. Fast ohne zu wissen, was er tat, kleidete er sich aus, legte sich nieder und träumte die Begebenheit immer wieder von neuem. »Gott im Himmel!« sprach er zu sich selbst, »wer bin ich? Und sie hat mich du genannt. Diesem himmlischen Munde habe ich Küsse rauben dürfen, und, ich habe es im Taumel wohl gefühlt, sie hat mich wieder geküßt. Nachher wendete sie sich weg, aber wie freundlich, wie zärtlich! Und das Angesicht! der Busen! O, was kann Marmor, Farbe nachbilden, wenn die Wahrheit, das Leben sich uns nahe und wirklich so hinstellt! – Ich habe gelebt. – Diesen Körper nahe am meinigen gefühlt, gedrückt, das Pochen ihres Herzens empfunden. – Und – der eine Augenblick – wo sich das Gewand weghob im Emporringen, und Bein und Knie sich entblößten. – Kann ich diesen Glanz je wieder vergessen? Wird die Erinnerung daran mich nicht elend, wohl gar rasend machen? – Wie matt ist Licht und Schimmer und Farbe und glänzendes Weiß gegen den Glanz und die Herrlichkeit, die uns der Körper eines schönen Weibes offenbart! Und diesen Himmel, einmal geschaut, will das Auge immer wieder sehn. – Wozu noch leben? Diese Momente kehren niemals, niemals wieder. – Hätte ich nicht vielleicht besser getan, mich mit ihr vom Strudel nieder in den ewig dunkeln Abgrund hinunterwälzen zu lassen? Sie zu morden, statt sie zu retten? Wissen wir denn, was der Tod ist? Mir wäre er Wollust, Himmel, Seligkeit gewesen, wenn auch im Grauen der Verzweiflung.«

So phantasierte Camillo und konnte weder den Schlaf finden noch wirklich wach sein.


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