Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel

Italien feierte wieder ein Fest, weil der Großherzog Francesco nach dem Tode seiner Gemahlin die bekannte und berüchtigte Bianka Capello öffentlich geheiratet und zur Fürstin erhoben hatte. Der Kardinal Fernando, der Bruder des Regenten, war empfindlich gekränkt, doch erschien er öffentlich als ein versöhnter Freund des Großherzogs: er war vertraut und höflich gegen die neue erwählte Gemahlin und Fürstin, und da der Senat von Venedig Bianka für eine Tochter der Republik feierlich erklärt und ihr dadurch den hohen Adel des Staates mitgeteilt hatte, so war es nicht zu verwundern, wenn berühmte und unberühmte Poeten diese Vermählung mit ihren Hymnen begrüßten. Ein schönes Gedicht ließ der arme Tasso bei dieser Gelegenheit ertönen, der schon in seinem Kerker schmachtete; warum der scheltende Sperone, der den Fürsten nicht schmeicheln wollte, seine rauh klingende Leier bei dieser Gelegenheit in seinem hohen Alter stimmte, ist weniger zu begreifen, wenn sein wie in Verlegenheit stammelndes Gedicht nicht entstand, mehr um Venedig als der neuen Großherzogin gefällig zu sein.

Der Herzog Bracciano äußerte sich sehr milde über diese Mißheirat, und Vittoria stimmte ihm bei, obgleich sie die schmeichelnden Poeten, selbst ihren alten Hausfreund Caporale, sehr tadelte. »Gewiß‹‹, sagte sie, »entsteht jedes Gedicht mehr oder minder aus irgendeiner Veranlassung, und welche Unzahl vortrefflicher Meisterwerke verdanken wir diesem Aufruf und zufälligen Aufschwung! Aber schon ist es Sitte und unerläßliche Notwendigkeit geworden, daß die Poesie sich bei jeder Standeserhöhung, bei Tod oder Geburt, Vermählung eines Fürsten und Mächtigen, bei Errichtung eines Hauses oder noch kleineren Veranlassungen vernehmen läßt; und wie arm, nüchtern und ungenießbar ist nun vieles Getränk eingeschenkt worden, das sich für berauschenden Wein ausgeben will. Und dann diese ersonnenen Liebschaften, oft ernst in Heuchelei, oft nur in galanten und feinen Anspielungen und Wendungen: andre, an Damen gerichtete Begeisterung, die gar nicht leben – wo kann in diesem albernen Gesang der Mode sich Erhebung für Religion und Vaterland, wo der Haß des Tyrannen und schändlicher Willkür, wo die Lobpreisung des wahrhaft Edlen, wo die echte, ewige Leidenschaft großer Liebe vernehmen lassen? Durch dieses stets wiederholte Stammeln und Lallen wird dem echten Gesang die stark tönende Zunge ausgerissen, und es kommt dahin, daß auch der Bessere die Affektation affektiert. Ja, diese mächtige Harfe, durch welche der Adler Dante mit seinen großen Schwingen rauscht – wie hallt da Vaterland, Tugend, Himmel und Natur im einklingenden Echo jeden tiefsinnigen Ton zurück, und die Poesie ist die Gattin des prophetischen wahrsagenden Genius!«

Wenn zwei edle Gemüter sich auf die Weise näher gekommen sind, wie das Schicksal Vittoria und Bracciano zueinander geführt hatte, so empfängt jedes Wort, jeder Ausspruch in dieser Aufregung hoher Leidenschaft den Charakter der Weihe: der Liebende nimmt die Rede als Orakel auf und grübelt und deutet auch aus dem nur Hingeworfenen einen tiefen Sinn. In dieser Entzündung der Herzen wird den beiden alles Poesie und Wahrheit. So sah der Herzog und die junge schöne Frau in allem, was sie lasen oder hörten, in der Begebenheit des Tages oder in alter Geschichte, immer nur Anspielungen auf sich und ihr beiderseitiges Verhältnis. – »Wo habe ich denn bis jetzt gelebt, und wie!« pflegte der Herzog in einsamen Stunden wohl zu sich selber zu sagen, »daß ich den Menschen und seinen Wert, daß ich die Hoheit des Weibes noch niemals gesehn und verstanden? Mußte ich zum Manne heranreifen, um so in späten Jahren erst mich selbst im innersten Geheimnis meines Herzens zu finden? – Und ich sollte nicht das erringen, was Himmel und Natur für mich erschaffen haben?«

Mit diesen Gesinnungen begab sich der Herzog wieder einmal und ohne Gefolge, wie er gewöhnlich zu tun pflegte, nach dem Hause der Peretti. Als er eintrat, bemerkte er, daß alle Mitglieder der Familie das Haus verlassen und Vittoria sich allein im Gartensaal befinde. Er überraschte sie, indem sie ebenjene Gedichte fortsetzte, an denen sie gern in einsamen Stunden arbeitete und schrieb; sie war so vertieft und abwesend, daß sie ihn erst gewahr ward, als er, über ihre Schulter gebeugt, das Blatt schon gelesen hatte. Sie verwunderte sich, war aber nicht erschrocken, noch weniger stellte sie sich so, als sie sich plötzlich allein mit dem Geliebten sah. Er freute sich dieser ruhigen Fassung, und sie antwortete: »Wäre ich jetzt empfindlich oder erzürnt, so möchtet Ihr, mein Freund, wohl gar glauben können, es sei ein ersonnenes, vorsätzliches Spiel, daß Ihr mich einsam bei diesen Dichtungen treffen und sie auf diese Weise kennen lernen solltet. Aber dem ist nicht so. Ihr erinnert Euch gewiß, daß Ihr gestern bestimmt sagtet, es wäre Euch unmöglich, uns heut zu sehn; meine Mutter und Peretti sind beim Kardinal, ihm zu danken: denn unser Prozeß ist endlich, und zwar zu unsern Gunsten, entschieden; so hatten denn die Diener den Befehl, alles abzuweisen, und nur Euer Name ward nicht genannt, weil ich die Hoffnung Eures Besuchs aufgegeben hatte.«

»Und so wird mir einmal das ungehoffte Glück, Euch so ganz allein zu treffen,« erwiderte Bracciano, – »und so laßt mich jetzt alle diese Blätter, diese lieblichen Bekenntnisse lesen.« –

»O Vittoria!« rief er nachher aus, »was bist du für ein Wesen, für ein Wunder!« – Er umarmte sie, und sie entzog sich seinen Küssen nicht. – »Wie ist dir?« fragte er dann, als er sah, wie sehr sie zitterte.

»Wie?« antwortete sie mit bewegter Stimme. »So selig, wie ich mir nicht einbilden konnte, daß eine solche Wonne für uns Menschen geschaffen sei. Zu glücklich bin ich so in deiner Gegenwart. Eine solche Seligkeit, sagten die alten Griechen, gönnen uns die Götter nicht, sie werden uns bald durch Unglück trennen. O Giordano! wir fordern das Schicksal heraus durch unsern Übermut, ein solcher ist Sterblichen nicht erlaubt, und die Götter werden uns strafen. Und bist du denn glücklich?«

»Mehr als Worte es fassen und aussagen können«, antwortete der Herzog begeistert. »Wie groß bist du und edel, daß du ohne Wort und Rede meine Liebe gefühlt und verstanden hast. So laß uns vielmehr den Göttern auf die wahre Art dankbar sein, anstatt sie zu fürchten: ist doch der ganze Olymp zu uns herniedergestiegen, unser Gefühl, unser Mut hat uns ihre Gunst gewonnen; zagen wir denn nicht, an ihrem Gastmahl teilzunehmen.«

»Und wie liebst du, Liebster?« fragte sie.

»Daß ich dir ganz unbedingt gehöre, du ganz mir,« sprach der Trunkene, »daß unter uns kein Zweifel waltet, keine ängstliche Furcht uns die kleinste Wahrheit oder größte Wonne unterschlagen darf, daß du mir keine Faser deines Herzens verdeckst, daß du jeder Frage mit Liebe und Wahrheit Antwort gibst.«

»Ja, Freund,« sagte Vittoria, »das ist mein Wunsch selbst; aber wenn die Lüge unter uns verbannt sein soll, so bleibt es doch immer schwer, die wahre, eigentliche Wahrheit zu finden. In der Lüge und Heuchelei spricht der böse Geist: aber in der Leidenschaft nicht immer der der Wahrheit.«

»Und du könntest zögern,« sagte Bracciano, »da du mich liebst, ganz mein zu sein, ohne Rückhalt und Vorbehalt? Du selber hättest diesen nächsten, natürlichsten Wunsch nicht, wenn du mich liebst? Du könntest kalt und überweise es ansehn, wenn ich mich in Sehnsucht verzehre? O du Angebetete, laß uns das Elend des Lebens ja nicht durch willkürliche Satzungen und Eigensinn, die sich Tugend nennen wollen, erhöhen.«

»Du wirst mich verstehn, Geliebtester«, antwortete Vittoria. »Mein Herz, meine Seele, alles mein Wünschen ist dein; wie kann es anders, wenn mein Eigensinn es auch selber wollte. Die unbedingte Hingebung ist in der Liebe alles, das habe ich erst erfahren, seit ich dich kenne. Inbrünstiger Wunsch, Wonne und Paradies ist mir mit dir jene Vereinigung, die ich sonst mit Grauen betrachtete – aber ist denn nicht auch in der Liebe, auch ohne diese Vollendung, das höchste Glück? Jeder Blick von dir ist meinem Herzen ein Gruß aus dem Himmel, jedes Wort eine Offenbarung und jeder Druck der Hand eine selige Gemeinschaft der Geister. Wäre ich frei, Teuerster, ich käme deinem Wunsch entgegen, ja ich könnte mit mitleidigem Lächeln auf die Welt herniedersehn, wenn sie mich deine Buhlerin nennen würde: aber ich habe meiner Mutter, dem Kardinal und diesem Peretti mein heiliges Wort, mein feierliches Versprechen gegeben, niemals zu freveln, niemals diese Untreue und Schwachheit mir zuschulden kommen zu lassen. So wie die Sachen in der Welt stehn, muß ich dem guten, edlen Montalto mein Versprechen halten, ich darf ihn und meine Mutter nicht auf diese Weise kränken. Du glaubst nicht, von welcher Schmach uns Montalto durch seinen Edelmut, durch diese traurige Vermählung erlöst hat. Wäre ich frei und ungebunden, so wär ich dein. – Sieh, ich habe dir jetzt mit meiner Liebe auch die Wahrheit gegeben.«

Bracciano schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und ging unzufrieden im Saale auf und ab. »Ich Unglücklicher!« rief er aus, »daß ich dich nicht früher habe kennen lernen! Du meine Gattin – welch Glück dem meinigen zu vergleichen! O du Himmlische, was ist dir gegenüber die verächtliche Bianka Capello, die täuschende und heuchelnde Lügnerin, und doch ist sie jetzt die rechtmäßige Gemahlin des Fürsten! So sehr ist dieser so schwache Francesco doch von der Gewalt der Liebe bezwungen worden.«

»Und du könntest nicht glücklich sein«, fragte Vittoria furchtsam, »ohne diese Befriedigung?«

»Ja,« rief Bracciano, »glücklich und selig, mehr als einer, den ich kenne, und doch elend zugleich. Ja, wohl ist die Zeit der mächtigste Gönner und Feind: damals, als du noch kein Wort gegeben, als du mir als freie, edle Jungfrau entgegentreten konntest, o warum lernt ich dich damals nicht kennen? – Und nun? – So flicht sich unser Schicksal zusammen, um uns zu erdrosseln, und die Leidenschaft wirft sich wütend und doch ohnmächtig in die Notwehr und erliegt endlich im Kampf oder siegt scheinbar durch Verzweiflung. Und dann, – o dann ist das Leben nicht mehr jenes klare, reine Blatt, das der Jüngling in seinem Lebensbuche aufschlägt, um eine jugendliche Hymne begeistert hineinzuschreiben.«

Er versank in ein tiefsinniges Hinbrüten, stand lange, das Haupt niedergesunken, und blickte dann nach dem Garten und dem Abendhimmel. »Ha, Isabella!« rief er plötzlich, »du drohst, du mahnst – ja, du hast dich jetzt an mir gerächt und mich gedemütigt.«

Vittoria schrak zusammen, weil sie ihn zu verstehn glaubte. Ihr war, als wenn plötzlich eine tiefe schwarze Nacht in ihre Seele falle. Wo war in diesem Augenblick die Gegenwart und das Gefühl der Liebe, von dem sie noch eben begeistert war? So kann zuweilen in uns die letzte Spur des Lebens verschwinden, und ein Grauen befällt uns, daß das, was uns als reiches, mannigfaltiges Paradies erschien, nun, da die süße Täuschung verschwunden ist, als unübersehbare dürre Steppe vor uns liegt, ein Nichts dürrer Verzweiflung.

Er stand jetzt vor ihr, und beide sahen sich mit einem Blicke an, der sich nicht beschreiben läßt. Auch selbst nach diesem Blicke konnten sie die Rede noch nicht wiederfinden. So fühlten ihre Seelen jenen sonderbaren Druck, der uns beängstigt, auch wenn Lüge, Unwahrheit, Heuchelei uns fernstehn: der furchtbare Tod schwingt dann seine Flügel durch unser ohnmächtiges Wesen und ermattetes Dasein.

»Ich kenne deine Gedanken,« sagte er endlich, nachdem er wieder durch den Saal gegangen war und sich dann niedergesetzt hatte, »aber sie war meiner ganz unwürdig, und selbst ihre Brüder haben kein Wort der Klage ausgesprochen. Und du standest hell und klar in jenem finstern Momente vor mir; und auch ohne Vorwurf.«

»Auch jenen Abend,« sagte sie jetzt, »an welchem der Schwatzende hier war, hat uns das Verhängnis gesendet. Das ist die große Frage des Lebens, wie sehr man sich den Schickungen widersetzen darf, wie man sie bezwingen kann. Daß du mir vorher Entsetzen erregtest, gehört auch als ein dunkles Bild in das Gedicht meiner Liebe und meines Lebens.«

»Ach, Vittoria!« klagte jetzt Bracciano, und Tränen stürzten aus seinen Augen, »in manchen Momenten glaube ich, daß ich deiner nicht würdig bin, dann fühle ich dich so viel größer und herrlicher. Ja, zu deinen Füßen muß ich liegen, im Staube vor dir, und deine Füße küssen als dein Huldiger oder demütiger Sklave, dem deine Hoheit, deine Gnade erst die Freiheit schenken kann.«

Er warf sich nieder und barg schluchzend sein Haupt in ihren Schoß. So überließ er sich einige Momente dem seligen Genuß jener wehmütigen Hingebung, jener Auflösung aller Kräfte und Gedanken, wo wir uns selbst entfliehen und uns verlieren und nur noch in den Pulsen der süßesten Rührung unser Leben fühlen. Sie legte weich und zart die rechte Hand in die Locken seines Haares, und er fühlte sich jetzt, wie erwachend, durch und durch beglückt, weil ihm war, als segnete ihn der höchste Engel des Himmels und spräche ihn von allen seinen Sünden frei.

Unangemeldet, wie er als nächster Verwandter sich dieser Freiheit bedienen durfte, war der Bruder Vittorias, der Bischof Ottavio, hereingetreten. Er warf einen boshaft prüfenden Blick auf die Gruppe und fragte die Schwester, die sein Eintreten auch nicht bemerkt hatte: »Vittoria! ist Seiner Exzellenz nicht wohl?«

Vittoria sah, ohne zu erschrecken, auf, und ruhig erhob sich der Herzog, blickte, noch Tränen in den Augen, den Bruder mit festem Gleichmut an und sagte: »Sehr wohl, Herr Bischof, war mir, so freudig bewegt, wie selten im Leben: Eure Schwester hatte mir eben einige ihrer neuesten Gedichte hergesagt, und diese sind so schön, daß ich ihr nur auf den Knien meinen Dank sagen konnte. Ihr seht, ich schäme mich dieser schönen Rührung nicht, daß auch die Stärke des Mannes vor dem Zauber der Poesie zerschmelzen kann.«

»Immer eine seltene Erscheinung,« erwiderte mit fragendem Lauschen der Bruder; »möchte mir die Schwester diese schönen Ottaven oder Sonette nicht ebenfalls mitteilen, damit ich die Erfahrung machen könne, ob mein Gemüt vielleicht weniger nachgiebig wäre?«

»Du würdest diese Verse doch nicht begreifen«, sagte Vittoria kalt, stand auf und verschloß die Blätter in ihrem Schrank.

»Ich bin freilich«, sagte der Bischof, »in der Poesie nicht so eingeweiht wie hochbegabte Kenner, indessen sollte doch wohl, was so gewaltige Rührung hervorbringen kann, auch dem Laien verständlich sein.«

»Nicht immer,« sagte Bracciano, indem er seinen Hut nahm und sich zum Abschied rüstete; »es gibt Stimmungen, in welchen die Kunst der Musen leichter Eingang in unsere Herzen findet als in andern kältern Augenblicken.«

»So muß es wohl sein,« erwiderte Ottavio, »und Eure Exzellenz ist natürlich seit dem Tode Ihrer schönen Gemahlin mehr als früher zu solchen Tränen und Rührungen aufgelegt.«

»Signor,« sagte der Herzog und trat ganz nahe an ihn heran, indem er ihm mit scharfem Blicke, halb zürnend, halb verachtend, in sein Auge sah, »ich wußte nicht, daß wir so vertraut miteinander wären, daß Ihr etwas von meinen Seelenzuständen wissen könntet. Ich pflege mein Vertrauen und meine Freundschaft nicht so eilig auszubieten.«

Mit diesen Worten entfernte er sich in stolzer Haltung. Ottavio setzte sich jetzt der Schwester nahe gegenüber und sagte mit spöttischer Feierlichkeit: »Ich habe da wohl eine Szene unterbrochen, die vielleicht das Vorspiel zu einer andern war, die noch weniger einen Zeugen vertrug. Also schon jetzt, so früh schon, du schwachherzige Schwester, fängst du an, die Ehre unseres Hauses zu vergessen?«

Ohne zu erröten, mit Eiseskälte sah ihn starr und fest die Schwester mit den großen Augen an. »Wie tief ich dich verachte, kann ich nicht aussprechen.« Nur diese wenigen Worte sagte sie. Ottavio, der den Blick des stolzen Herzogs mit entgegnender Dreistigkeit ertragen hatte, schlug jetzt, mit den Augenlidern zitternd, den Blick zu Boden, und eine Schamröte übergoß sein Antlitz. »So kalt kannst du mir das sagen?« Nur diese wenigen Worte konnte er stotternd hervorbringen.

»Daß ich dem Bruder es sagen«, sprach sie, »und es so sagen muß, demjenigen, der mein Schutz sein sollte, der mit mir unter demselben mütterlichen Herzen gelegen hat, das, glaube mir, spaltet mir zwar nicht erst jetzt das Herz, nein, denn ich bin endlich ruhig geworden. Aber welche Todeskämpfe es mir gekostet hat, welches Ringen in der gequälten Seele, das kann ich dir Kaltherzigem nicht in Worten ausdrücken. Und wozu? Dein Busen ist allem Edlen entgegen gepanzert: mich wirst du mit deiner Heuchelei niemals täuschen. Gehe nur hin und erzähle ihm alles, was du glaubst gesehn zu haben: was kümmert es mich? Ihr alle, Gute wie Schlimme, habt mich so hingestellt, daß ich nur mir selbst verantwortlich bin. Ihr sollt mein Schicksal nicht aufhalten und mein Wesen nicht beschränken, ihr, schlimmer als die Pharisäer!«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte Ottavio verlegen, der sich aber gern sammeln wollte, »wem wiedersagen? Was meinst du damit?«

»Man möchte lachen,« erwiderte sie, »wenn der Narr nur selber lustiger dabei aussähe: nun, dem weltberühmten Niemand, der ja alles Böse, Schlechte und Verächtliche in der Welt ausrichtet, der arme Sündenbock, auf den alle Laster und Bosheiten immer gewälzt werden: diesem Niemand kannst du es sagen, oder auch seinem Erbfeinde, dem Jemand: denn freilich ist der Niemand auch wieder der Tugendsame, Gottesfürchtige, Wohltätige, der ohne Laster und Leidenschaft ist, und wenn Niemand so ausbündig und tadellos ist, so muß irgendein Jemand doch wohl dies und das verbrochen haben. – O ihr armen Armseligen! hat Gott denn wirklich für euch die Sprache erfunden und sie euch mitgeteilt?«

Mit dieser Rede ließ sie ihn stehn, um sich in ihren Zimmern zu verschließen. Ottavio, der Hohnlächeln und verachtenden Spott in ihren Mienen gesehn hatte, war erfreut, als die Mutter mit ihrer Gesellschaft in das Haus trat. Vittoria ließ sich als unpaß durch den Diener entschuldigen. –


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