Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Drittes Kapitel

Die Mutter, Donna Julia, hatte sich schon seit lange in alle die Einrichtungen gefunden, welche Vittoria in ihrem Haushalt für notwendig hielt. Es befremdete sie eigentlich nicht, wenn sie sah, wie die beiden Ehegatten auf keine Weise in dem Verhältnis lebten, wie es Sitte, Gesetz und Religion verlangen. Sie waren stets getrennt und sahen sich nur wie zufällig, wenn Besuchende im Saale versammelt waren. Sie benutzten die Gewohnheit, welche schon damals eine mißverstandene Schicklichkeit und Courtoisie in Italien einführte, daß Mann und Frau sich nicht beisammen in fremden Häusern zeigen, und so erblickte man Vittoria allenthalben nur in Gesellschaft des Herzogs Bracciano, dem alle übrigen erklärten Verehrer der schönen Frau hatten weichen müssen. Vittoria behandelte immerdar mit einer stillen, nicht auffallenden Geringschätzung, an welche er sich nun schon gewöhnt hatte, ihren Gemahl; eine Vernachlässigung, die ihn jetzt nicht mehr demütigte, da er so auffallend von vielen Großen, vorzüglich vom Kardinal Farnese, beschützt wurde. Die Mutter Julia war bekümmert, daß sie so ganz das Vertrauen der Tochter, sie wußte selbst nicht wie, verloren hatte, und die bange Ahnung eines vielleicht bald einbrechenden Unglücks bedrückte ihr Gemüt, so daß sie nach und nach alle Heiterkeit verlor. Es machte sie auch das Gefühl unglücklich, daß ihr Sohn, der Bischof, ihr und dem Kardinal Montalto fast mit offenbarer Feindseligkeit entgegentrat und sich offen als Anhänger der Farnesischen Partei erklärte. Von ihrem Sohne Marcello brachte sie nichts in Erfahrung als nur betrübende Gerüchte, so daß sie für diesen immerdar zittern mußte, und so war das Glück, auf welches sie gerechnet hatte, fast in nichts zerronnen.

War der Herzog Bracciano auch glücklich, so kämpfte sein ungestümer Geist doch immerdar, mehr und alles zu erringen. Indem er seine Geliebte wegen ihres edlen Mutes verehren mußte, fühlte er doch, wie unwürdig ihr gegenüber ihr sogenannter Gemahl erschien, auch quälte ihn eine sonderbare Eifersucht, denn er wußte oder ahnete wohl, was Farnese gehofft und früher der junge Orsini beschlossen hatte. Dieser vermied geflissentlich alle Gesellschaft, wo er die Accorombonis treffen konnte, und lebte ganz seiner Braut, der schönen Savelli, mit welcher er sich auch nach einiger Zeit vermählte, zum Erstaunen vieler Römer, welche es nicht begreifen konnten, wie die edle, von allen verehrte Jungfrau sich mit dem Ausgelassensten der römischen Jugend verbinden könne.

Es war ein Fest und ein Maskenball unter den jungen Leuten veranstaltet worden, an welchem auch Peretti teilnehmen sollte. Vittoria entzog sich seit einiger Zeit diesen rauschenden Vergnügungen und so auch dieser Anstalt, und um so mehr, weil man beschlossen hatte, daß das Festino bis in den folgenden Tag hinein dauern sollte. Die Mutter war unwohl und ging früh zur Ruhe, alle Bekannte und Freunde, jeder Besuch war abgewiesen worden, und so hatte Vittoria Gelegenheit, sich wieder einmal ganz der Einsamkeit zu ergeben, die sie jetzt mehr als je gern aufsuchte, sooft es nur irgend möglich war. Denn dem beobachtenden Freunde entging es nicht, daß sie viel ernster war als früher, daß jene jugendliche, übermütige Laune, die sie ehedem so reizend machte, sie jetzt nur noch selten besuchte. Heut am Abend überließ sie sich gern den süßesten Träumen, weil es verabredet war, daß Bracciano sie sehn und ungestört bis spät sich ihres Gesprächs und ihrer Gesellschaft erfreuen solle. Der Herzog kannte ihr Wesen und ihre Festigkeit so gut, daß er mit keinen neuen Hoffnungen zu ihr schlich, und sie durfte sich so vertrauen, daß kein Flehn oder liebliches Träumen ihre Entschlüsse in dieser nächtlichen Einsamkeit erschüttern würden.

Ursula, die Vertraute, ließ auf ein gegebenes Zeichen den verkleideten Fürsten in den Saal. Vittoria erwartete ihn beim Scheine einiger Kerzen; sie hatte verschiedene ihrer Gedichte hervorgesucht, die sie ihm nach seinem Wunsche mitteilen wollte. Bracciano war sehr feierlich gestimmt und nahm traurig und nachdenkend Platz an ihrer Seite. Sie erlaubte ihm gern Kuß und Umarmung, und beide ergingen sich dann in süßen Plaudereien, die nur Liebende zu schätzen wissen, in jenen Kleinigkeiten, die den übrigen Menschen nur unbedeutend erscheinen und an denen sich die Berauschten entzücken.

Endlich sagte Bracciano: »Und du willst dies Elend noch ferner so ruhig mit ansehen, in welchem wir beide verstrickt leben? Es ist dir nicht möglich, einen großen, herzhaften Entschluß dir abzuringen, um uns eine neue Bahn zu brechen? Können wir nicht nach Venedig gehn, selbst nach Toskana, oder Frankreich und Deutschland? Alles, was ich besitze, lege ich zu deinen Füßen: meine Verbindungen, mein Rang sichern dir in jedem Lande eine ehrenvolle Aufnahme; wer weiß, was indessen hier mit dem schwachen, oft kränkelnden Peretti geschieht, und dann erkläre ich dich vor aller Welt für meine Gemahlin. Gilt es das Glück des ganzen Lebens, die höchste Wonne unseres Daseins, so muß man nicht zu zaghaft jeden hemmenden Umstand in Erwägung ziehn, – was ist das Geschwätz der Menge? das Lästern jener Moralisten, deren engherziges Gemüt niemals das Große begreifen kann? Und können wir es uns denn nicht mit sicherer Überzeugung sagen, daß nicht gemeine Lust oder Leichtsinn uns unüberlegt in diese Bahn wirft? Ist die Liebe das Edelste der Welt, so muß sie endlich auch, nach langer Entsagung, ihren Preis erringen.«

»Liebster,« antwortete sie, »ich habe dir schon sonst über diesen Gegenstand offen und wahr meine Meinung gesagt, meinen festen, unerschütterlichen Entschluß. Ihr übrigen Menschen faßt es nicht, von welchem Elend uns damals der edle Montalto auf so großmütige Weise errettete: diese scheinbare Ehe, es ist wahr, ist nichtig und ungültig, ich habe sie niemals anerkannt und, seit ich dich sah, völlig in meinem Gemüt wie für die Wirklichkeit vernichtet. Auch wagt es Peretti nicht, mir darüber Vorwürfe zu machen, er weiß, wie ich ihn verachte, ja wie sehr ich Grund hätte, ihn zu hassen, wenn er mir nicht zu unbedeutend wäre. Aber ich kann meine großartige, tugendhafte Mutter nicht so kränken, die schon ein stiller Gram verzehrt und ihr Leben untergräbt. Ihr und dem armen Peretti habe ich feierlich versprochen, diese von der Welt so laut ausgerufene Ehre nicht zu verletzen. Und wie sollte ich den gerechten Vorwürfen oder gar dem Blick des tugendhaften Montalto begegnen können? – Mit dir entfliehn? – Und diese Kardinäle, deine Familie, Florenz und die Fürsten Italiens, – welch Geschrei, welche Anklage würden sie erregen, welche Verfolgung! Und hauptsächlich gegen mich, denn in diesen Fällen ist das Weib immerdar das Opfer. Nun würdest du gekränkt und verletzt sein, dein hoher Rang und deine Würde verwundet, und es wäre nur das natürlichste, daß unsere Liebe, die wir jetzt, und mit Recht, eine ewige nennen, getrübt und krank hinsänke. – O warum bist du, der du bist: mit allen diesen reichen, großen Familien, diesen Kardinälen und Fürsten nah und näher verwandt, mit zwei schönen Kindern gesegnet, um deren Erbe man besorgt sein würde – warum bin ich, von den Umständen gedrängt, auch in diese hohe Verwandtschaft getreten, warum habe ich, so fest ich auch zu sein glaubte, meine Freiheit geopfert? – Sieh, Geliebter, so hat sich unser Verhängnis durch und gegen unsern Willen geschmiedet und unzerreißbare Ketten um uns gelegt. Keine Menschenkraft kann sie zerreißen. Und sind wir denn nicht glücklich? wahrhaft beseligt? Wie arm, niedrig und tief unter mir erscheinen mir alle die übrigen Menschen; wie bejammernswürdig, daß sie nicht so lieben wie wir.«

»Nicht solche Worte!« rief Bracciano, »du hast recht und doch auch wieder unrecht, und wenn du so oft diesen Satz verteidigst, der ganz der menschlichen Natur und der edelsten Kraft unsers Herzens widerstreitet, so gerate ich auf den Argwohn, daß du Sophistereien liebst oder kalt bist und mich nicht wahrhaft liebst.«

Sie drückte ihm weinend den herzlichsten Kuß auf die Lippen und sagte dann flehend: »Nicht so mich kränken.« – Die Träne, die in den goldenen Wimpern zitterte, küßte er ihr nun vom Auge, dann sprach er: »Wer dich so sieht, dies große Auge, diese Träne, wie ein gefangenes Vögelchen in Goldstäben des Käfigs, diese aneinandergelegten Finger der flehenden schönen Hände, und dazu den Silberton, das süße Flöten dieser seelenvollen Stimme vernimmt, der muß, ist er nicht wahrer Skythe und Barbar, dir alles bewilligen. – Es sei. – Wie nun aber, Liebste, wenn du in einem Prozeß auf Scheidung drängest? Du kannst ja gewiß gültige Gründe aufführen.«

»O schweige, schweig!« rief sie heftig aus, »wenn ich nicht in Schaudern vergehen soll. Ich bin dreist und mutig, wenn es gilt, verwegen; aber allen dergleichen schändlichen Fragen, Zweifeln, Darlegungen müßte ich unterliegen: die Liebe darf vielleicht in der Feier ihrer Mysterien (so denke ich es mir) die Scham verleugnen – aber vor Rechtsgelehrten, kalten Männern, ihre Frechheit mit Frechheit überbieten, – nein, Liebster, eher würde ich mir auf offnem Markt den blank geschliffnen Dolch in die entblößte Brust stoßen. – Es ist aber auch nur dein Scherz, Geliebter; denn ich kenne dich viel zu gut, um es anders zu nehmen. – Und wäre ich die Unverschämte, die sich selbst zum eklen Schauspiel preisgeben möchte, – was würde es fruchten? Der Heilige Vater ist fromm, er und das Kollegium ständen der Familie Peretti bei, viele meiner und deiner Feinde würden alles gegen mich aufbieten, – und nach Jahren würde dann wohl entschieden, daß ich zur Strafe meiner Gottlosigkeit in einem armseligen einsamen Kloster Buße tun müßte, um von einer bigotten Äbtissin und nichtswürdigen Nonnen gepeinigt zu werden.«

Sie liebkosete ihm, scherzte, lachte und weinte, so daß er selbst in einen sonderbaren Humor geriet und ausrief: »Nun? Wenn ich mich nun doch auf rohe Barbarei legte? dich einmal plötzlich an einem schönen Morgen mit Gewalt entführte, in die weite Welt mit der Jammernden und Widerspenstigen hineinreisete und hier Mama und Heiligem Vater, dem lieben Peretti und seinem Oheim sowie dem Kollegium und meinen Muhmen, Vettern und Basen das leere, nüchterne Nachsehn ließe? Wie dann?«

»Recht so, mein Liebster,« sagte sie lachend; »da geraten wir auf die rechte Bahn. Und so reiseten wir denn und reiseten, Arm in Arm, in das Unendliche fort und fort, bis alle Vettern und Basen weit, weit hinter uns lägen, und wir landeten dann an einer unbewohnten, unentdeckten Insel im Stillen Ozean, ohne Menschen, höchstens mit einigen Affen bevölkert; Palmenwein, die süßesten Früchte, die herrlichsten Blumen, alles wüchse uns freiwillig entgegen, – die Jahreszeit ein ewiger Frühling, – nun entdeckten wir plötzlich einen alten, aber sehr menschenfreundlichen Zauberer. Seine Kunst, alle seine Geister ständen uns zu Gebot, er hexte uns immer Speise und Trank, schöne Kleider, auch einen herrlichen Palast herbei; hübsche, niedliche Elfen und Feen unsre Bedienung, und kein einziger Teufel oder böser Dämon auf der ganzen Insel. Wie bei der Circe hörten wir dann den einsamen Webstuhl sausen, und die stärkste und künstlichste der Feen webte uns die Gewänder, andre, kleinere legten mit fast unsichtbaren Nadeln die feinsten Stickereien hinein. Nun fährst du auf einem schönen Wagen, mit Hirschen bespannt, auf die Jagd, dann sitzen wir im bunten Kahn und fischen, im Walde singt dazu die Nachtigall, und der Quell rauscht, – jeder Baum klingt in seiner eignen Singstimme, – und so lebe ich fort und fort in Liebe mit meinem lieben Männchen, bis wir beide alt und grau werden; und ich bin auch vor jeder Untreue des zärtlichen Gatten gesichert, denn es lebt keine einzige Frau, nicht ein Mädchen auf unserm Weltteil dort. – Nicht wahr, so wollen wir es einrichten, so einfach und ganz vernünftig, ohne alle falsche, poetische Erwartung?«

»Und unter den übrigen Affen dort wäre auch meine Gemahlin ein wunderliches Äffchen«, antwortete Bracciano, indem er ihr leise mit den Fingern den blendenden Nacken schlug. »Wie nur geschieht es, daß alles, was du treibst und tust, dir so liebreizend steht? Und die kleine Plaudertasche ist dann gleich wieder so groß und erhaben, springt aus der lieblichen Narretei so plötzlich in den Tiefsinn, kann, eben noch neckisch, einen mit dem Feuerblick so erschrecken, daß, wie die Griechen sagten, alle Grazien bei deiner Wiege gestanden haben müssen, um dich mit diesen Göttergaben zu beschenken. Du Hebe und Juno, Pallas und Venus, – und vor allen andern, und was dich am schönsten schmückt, die eigentümliche, einzige Vittoria!«

»Schmeichler!« sagte sie und schlug ihm auf den Mund, worauf sie dann seine Lippen zärtlich küßte. Er faßte ihre Hand und lobte die schmalen, langen Finger, sie spielte mit seinen schwarzen, immer noch krausen Locken, er küßte und drückte die Hand und löste dann ihr langes Haar, daß es über den weißen Nacken wogend niederrollte.

So, sein Alter ganz vergessend, saß er tändelnd bei seiner jungen Geliebten, beide in diesem Augenblick spielenden Kindern nicht unähnlich. Plötzlich wurden sie aus ihrem Jugendtraum aufgeschreckt, denn die alte Ursula kam hastig herein und flüsterte: »Um Gott und alle Heiligen! unser Herr kommt ganz unerwartet nach Hause und noch ein vermummter Mann mit ihm: ich habe sie beide von oben aus meinem Kämmerchen beobachtet, sie sind schon an der Haustür, und unser Herr hatte den Schlüssel mitgenommen. Was ist zu tun?«

Die erschreckte Alte entfernte sich wieder. »Ja, was ist zu tun?« wiederholte Vittoria; »wenn ich auch alle Rücksichten fahren ließe, so kannst du nicht nach meinem Zimmer gehn, denn meine Kammerfrau erwartet mich dort –«

»Warum mich verstecken?« fuhr der stolze Bracciano auf; »bin ich ein Knecht? Wenn ich sie beide mit diesem Dolche niederstoße, so werden sie schweigen.«

»Und ich?« klagte Vittoria; »und unser Haus? Und mein Ruf?«

Da fiel ihr plötzlich das kleine Kabinett ein, welches sie neulich zufällig entdeckt hatte: sie schlug an die Wand, schob den Geliebten hinein, zeigte ihm den kleinen Drücker auf der andern Seite und entfernte sich eilig, nachdem sie vorher alle Kerzen ausgelöscht hatte. Sowie sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, hörte sie die beiden schon durch den andern Eingang hereintreten.

Peretti trug eine Blendlaterne unter seinem Mantel und schien, so wie er taumelte, einen kleinen Rausch von dem Maskenfeste mitgebracht zu haben. Er zündete einige Kerzen wieder an, sah sich dann im Saale um und begab sich schwankend an alle Türen, um jede sorgfältig zu verschließen. »Nun sind wir ganz sicher«, sagte er dann leise.

Jetzt wickelte sich der Fremde aus seinen Umhüllungen, und es zeigte sich in einer Verkleidung der Kardinal Farnese. »Wir haben uns nun«, sagte dieser, »aus der Tollheit Eurer jungen Freunde, die mich gewiß nicht erkannt haben, so ganz allein fortgeschlichen, Ihr so wie ich ohne Diener, und ich rechne nun darauf, daß Ihr Euer Versprechen halten werdet.«

»Setzt Euch nieder, große, furchtbare Eminenz,« sagte Peretti, halb stammelnd; »es ist gewiß und fast augenscheinlich, daß ich nicht fähig bin, lange aufrecht zu stehn, so fleißig und freundschaftlich habt Ihr mir dort zugetrunken. Denn eins ins andere gerechnet, ist der Mensch in allen Dingen und Genüssen nur eines gewissen Maßes fähig, der mehr und der weniger, so wie die Gaben nun von der Natur ungleich ausgeteilt sind.«

Der Kardinal schien sehr verdrießlich, er sah sich um und sagte dann: »Ich hoffe doch, daß Ihr Eures Wortes noch eingedenk seid.«

»So muß ich mir denn einen Mut fassen,« fuhr Peretti fort, »großherzige und allmächtige Eminenz, und Euch, da es nicht zu ändern steht, gleichsam mit Trotz entgegentreten.« – Er sank in die Knie, faßte die Hand des Alten und küßte sie mit vieler Zärtlichkeit.

»Warum habt Ihr Euch so betrunken?« fuhr ihn Farnese an.

»Im Gegenteil,« antwortete der junge Mann, »jetzt bin ich allzu nüchtern; aber dort, im Saale, als wir im Nebenzimmerchen beide ganz allein bei dem vortrefflichen Syrakuser saßen, da freilich, mein herrlicher Beschützer, da war ich mehr als berauscht, denn meine Zunge sprach, wovon mein Herz nichts wußte. Ach, Mann! hocherfahrner Priester und Regent – nicht wahr, wir lügen nur allzuoft, bald wissentlich, bald unwissentlich? Ich log zwischen beiden, ich erkannte meine Lüge und meinte es doch so herzlich gut mit Euch, daß ich zugleich wünschte, sie möchte zur Wahrheit werden können.«

»Ich verliere die Geduld über dem Geschwätz«, sagte der Kardinal. »Habt Ihr es denn ganz vergessen, unter welchem Versprechen Ihr mich hierher gelockt habt?«

»Gewiß nicht, mein erlauchter Patron,« fuhr jener fort, »und so bin ich denn gezwungen, Euch reinen Wein einzuschenken, wie man zu sagen pflegt, zum Dank dafür, daß Ihr mir dort auch den allerreinsten gegönnt habt.«

»Nun also?« –

»Ach Himmel! wie lange ist das schon her, wie lange, daß ich nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht, zu meiner Vittoria habe kommen dürfen, so daß ich sie zeither auch immer Virginia genannt habe. Das war mir nun in meiner mutigen Trunkenheit ganz aus meinem Gedächtnis entwichen, als ich Euch so treuherzig versprach, Euch im Finstern so in ihre stille Kammer zu führen, als wenn ich es wäre. Ja, so ein löblicher Betrug bliebe recht lustig und schön, wenn er nur möglich wäre, wenn das nur gleich nach meiner Vermählung hätte geschehn können, aber jetzt ist sie immer fest eingeriegelt und brennt immer Licht und lieset und studiert und dichtet ganze Nächte hindurch. Brächen wir auch das Schloß auf, so entstände ein greulicher Skandal, daß das ganze Haus wach würde und die große, fürchterliche Mutter auch dazukäme, und wie es mir Armen dann erginge, das könnt Ihr wohl selber ermessen.«

»Und nun also?« sprach Farnese ergrimmt; »sie sieht Euch nie, seit Monden nicht, wohl gleich nach den ersten Tagen der Ehe hat sie Euch verabschiedet, sie verabscheut Euch? Ihr habt im Hause hier nicht das mindeste Recht? Und das alles habt Ihr im tierischen Rausch vergessen? Schmeichelt mir mit der Aussicht – und deswegen besuchte ich nur Euer dummes Gelag –, daß es möglich sei, mich in der Nacht verkappt zu ihr einzuführen? daß Ihr mich am Morgen unerkannt wieder aus dem Hause lassen wolltet? Und nun –«

»Nun«, fiel Peretti ein, »sehe ich freilich ein, daß das ein niederträchtig falsches Sprichwort ist: in vino veritas. Aber warum seid Ihr mir böse? Aus Respekt vor Euch, aus Liebe zu Euch habe ich ja nur die gute Frau so vernachlässiget, weil ich mich so ganz unwürdig fühlte, Euer Nebenbuhler zu sein; das hat sie denn auch so unwirsch gemacht, daß sie mich ganz und gar von sich wegjagte. Aber wir wollen drum nicht verzweifeln und einen besseren Plan ersinnen und ausführen.«

»Ich habe Euch, das wißt Ihr,« sagte Farnese, »meinen Schutz zugesagt, und Ihr seht es selber ein, daß Euer gebrechlicher Oheim, den kein Mensch achtet, der ohne allen Einfluß ist, Euch nichts nützen kann. Ich will Euch befördern und zum reichen, mächtigen Manne machen, aber ich muß sie, diese Stolze, besitzen, die mich verhöhnt, oder Euch ist der Untergang geschworen.«

»Ich überlasse sie Euch ja,« rief Peretti, »denn vielleicht hasse ich sie ebensosehr, als Ihr sie liebt. Wir alle sind auf Eurer Seite und stehn Euch bei, bloß der elende Flaminio nicht, der bei dem prahlerischen Bracciano in Diensten und dem ganz ergeben ist. Aber der Abt Ottavio ist ganz Euer eigen, ich bin Euer geschworner Diener, und der tapfre Marcello will Blut und Leben für Euch aufopfern.«

»Marcello?« rief der Kardinal erstaunt, »das kann ich Euch nimmermehr glauben.«

»Ich habe ihn ganz in der Hand,« sagte Peretti; »seht, Verehrter, er ist schon seit lange ein Verbannter, ein Bandit: aber, ein kluger Kopf wie er ist, weiß er sich doch oft in die Stadt zu schleichen, und dann beherberge ich ihn bei mir, dort in dem kleinen Gartenhause. Da haben wir schon vielerlei miteinander verabredet, und wenn Ihr ihn gut bezahlt, so läßt er das Leben für uns.«

»Freund!« rief Farnese, »hütet Euch vor diesem verwegenen Menschen! In welchem Lichte würdet Ihr erscheinen, wenn ihn die Häscher in Eurem Hause aufheben sollten!«

»Sorgt nicht«, antwortete Peretti, der nun nach und nach nüchtern geworden war. »Wir sind beide zu vorsichtig. Aber auf meinen Plan zurückzukommen, so ist es dieser, der gar nicht fehlschlagen kann. Ich habe mit meiner Familie verabredet, daß wir in wenigen Tagen alle wieder auf einige Wochen nach Tivoli hinübergehen, um dort das kleine Haus, ein Eigentum der Familie, zu bewohnen. Nun fährt die stolze Vittoria dann in dem einen Wagen ganz allein, wie sie es immer tut, nur etwa zwei Kammerfrauen mit ihr, ich folge mit der Mutter nach. Da will ich es schon so einrichten, daß der zweite Wagen Schaden nehmen soll, und wir bedeutend zurückbleiben. Halben Weges, auf dem wüsten Felde, können Eure verkappten Leute oder Eure Freunde des Gebirges, die freien Menschen, sie leicht entführen und schnell auf eins Eurer Schlösser oder zu einem sichern Freunde bringen. In Tivoli selbst ist sie auch leicht aus dem kleinen Hause wegzurauben, oder von einem Spaziergange, weil sie es liebt, oft ganz allein umherzuwandeln. Ist sie nun erst in Eurer Gewalt, so muß sie sich, ihrer eignen Wohlfahrt wegen, bald ergeben. Denn sonst lasse ich ihr mit einem Prozesse drohen, daß sie mich böslich verlassen, daß sie sich freiwillig von irgendeinem Eurer Kastellane oder Stallmeister, wegen bewußten Ehebruchs, von diesem ihrem Liebhaber habe entführen lassen: dann wird ihr gesagt, wenn sie ruhig bei Euch bleibt, sich die Geschenke von Euch, Reichtum und Wohlleben mit Euch gefallen läßt, so werde ich gänzlich schweigen und tun, als lebe sie von mir mit meiner Bewilligung getrennt.«

»Lieber Mann,« sagte Farnese jetzt, »Ihr seid viel klüger, als ich geglaubt habe. Meldet mir nur, an welchem Tage und in welchen Stunden die Reise nach Tivoli vor sich geht, und ich will mich gar nicht mehr hier sehen lassen, um allen Verdacht um so mehr zu entfernen. Bei dieser Abrede soll es also bleiben: sie soll glücklich, reich und vornehm werden, und Euch werde ich so belohnen, daß Ihr selber über meine Großmut erstaunt, denn meine Leidenschaft zu ihr ist eine unendliche. – Aber jetzt laßt mich, nach Euerm törichten Benehmen im Rausch, wieder unbemerkt aus dem Hause: denn ich fürchte, der Morgen dämmert bald herauf.«

Er nahm seine Umhüllungen wieder auf, und Peretti suchte den Schlüssel des Hauses hervor. Kaum hatten beide mit der Kerze den Saal verlassen, als Bracciano, der jedes Wort vernommen hatte, sich aus seinem engen Kabinett behutsam herausschlich, die Tür wieder andrückte und den beiden mit leisen Schritten nachging. Der Saal stand offen, auf dem Gange folgte er dem Lichtschein in der Ferne. Nun standen jene beide an der Tür des Hauses, und Peretti fügte den großen Schlüssel ein, um zu öffnen. Auf tat sich leise und langsam die Tür, und Farnese schlüpfte auf die Gasse, im selben Moment aber blies Bracciano, der jetzt dicht hinter Peretti stand, die Kerze aus, gab diesem einen kleinen Stoß und sprang aus dem Hause, sich nach der entgegengesetzten Seite wendend, als wo er den Verhüllten im aufdämmernden Dunkel wandeln sah. Peretti wußte nicht, wie ihm geschehn war, zitternd und halb ohnmächtig verschloß er die Tür, begab sich in sein Gemach und konnte sich lange von seinem Schreck und Grauen nicht erholen.


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