Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Hausladen ging mit Franz in die Stammkneipe des Herrn Globerger, und er traf dort zu seiner Freude einen alten Regimentskameraden, einen pensionierten Major Prechtl, der ihm und seinem jungen Begleiter Plätze anbot.

Am Tisch saßen noch ein Rechtsrat und ein Herr, der ohne nähere Angabe als Doktor vorgestellt wurde.

Er war, wie sich im Laufe der Unterhaltung herausstellte, ein reicher Hamburger, dessen Name immer genannt wurde, wenn in München ein Kunstverlag gegründet, ein Theater gebaut oder die längst ersehnte große Tageszeitung herausgebracht werden sollte.

Herr Dr. Walter Kresin hatte sich dadurch einen angesehenen, ja berühmten Namen gemacht, obwohl es immer nur beim Plänemachen geblieben war. Aber gerade, weil er nie zur Ausführung kam, tauchte jeder Plan immer wieder von neuem auf und beschäftigte die Gemüter lebhafter als ein fertiges Werk.

Major Prechtl, der als knorriger Soldat bei den bedeutenden Männern – denn auch Rechtsrat Vogel galt dafür – wohl gelitten war, nahm Hausladen in Beschlag mit der Frage, was eine solche ländliche Schermaus in der Stadt zu suchen habe.

Der Gutsherr setzte ihm auseinander, daß ihn Vaterpflichten hergeführt hätten.

»Übrigens«, sagte er, »als Großstädter hab ich dich auch net immer in Erinnerung. Du warst doch längere Zeit in Burghausen oder da rum?«

»Tittmonning, jawoll. Leider hab ich mich verführen lassen und bin hieher...«

»Na, in München läßt sich's doch leben, Herr Major«, fiel Kresin ein.

»Mir war's in dem kleinen Nest lieber...«

»Nanu...«

»Ich will Ihnen was sagen. Man braucht net mehr wie drei Mitmenschen. Die langen zu einem gemütlichen Schaffkopf. Und viertausend drum rum is netter wie viermalhunderttausend. Oder gar fünf... Der Herr Rechtsrat is sonst beleidigt, wenn ich von der Großstadtzahl was abzwick'.«

»Wärst halt drunt blieb'n an deiner Salzach«, sagte Hausladen.

»Wärst halt... freilich! Wenn mit der Pensionierung net die Unruh angehet... 's Nixtun is die größte Kunst, ich hab's net z'sammbracht. So lang ich Rekruten zwiefelt hab, hab ich meine seelische Ruhe und 's Gleichgewicht g'habt. Ich hab net denken müssen: Was tu ich heut? Was tu ich um zwölf Uhr, was tu ich um drei? Ich hab's einfach g'wußt. Und das schöne Müssen! Etwas tun müssen, das is der Idealzustand. Nachdenken, was ma tun will oder soll, das is eine Krankheit... Da geht das miserable Zweifeln an. Vorher zweifeln, ob was anders net besser wär, nachher zweifeln, ob's richtig war... Himmel... Herrgott!«

»Man kann's auch so ansehen«, sagte der Rechtsrat.

»Kann! Wissen Sie, Ihre Seufzer über'n Dienst sind genau so unehrlich, wie die meinigen waren. Ma kokettiert bloß damit...«

»Verehrter Herr Major, ich lasset Ihnen gern von meiner Arbeit die Hälft nüber...«

»Nicht ein Itüpferl laßt'n Sie her... glauben S' die G'schicht'n net...«

»No... Maxl... i erinner mi net g'rad an dein fürchterlichen Diensteifer, wie mir Leutnant waren. Da verknüpft sich der Name Prechtl mit ganz andern Episoden...«

Der Major lachte.

»Varus... Varus! Gib mir meine Episoden wieder! Aber da hat's was. Ja, mei lieber Nikodemus, so lang's Episoden geb'n hat, hab i freili kein Stecken braucht zum Zeitvertreib'n.«

»Du bist ein Nörgler wor'n...«

»Und du hast di mit'n Leb'n ausg'söhnt, net wahr? In Winhöring draußen, wo's d' mitten im Schmalzhaf'n sitzt.«

»Es is net alles so einfach, mei Lieber...«

»Is 's wahr? Laufen dir die Spanfackl allaweil noch net brat'n ins Maul? Dauerst mich schon recht... Das wär was für Sie, Herr Rechtsrat, da könnten S' Ihnen jetzt gegenseitig was vorjammern über die Härten des Berufs... Mein Freund, denken S' Ihnen nur, hat in der Blüte seiner Jugend ein Rittergut erben müssen. Wie er den Schicksalsschlag ertragen hat, sehen S' ihm ja an...«

Hausladen lachte mit den andern.

»Mit'n Erben war's net g'schehen«, sagte er... »ich hab's auch erhalt'n müssen, verbessern, i hab manches durchkämpfen müss'n...«

»Dös Wort mag i«, rief der Major. »Es is so schön g'schwollen. Kämpfen! Rastlos... net wahr? Berliner Schloßgewächs...«

»Heut sind S' wieder amal g'lad'n, Herr Major!« sagte der Rechtsrat.

»Gegen Redensarten... jawoll...« Er wandte sich wieder zu Hausladen.

»Nikodemus, ich war net g'scheiter wie du, und du warst jedenfalls net viel g'scheiter wie ich. Mir wer'n damals 's Leben ungefähr gleich dumm ang'schaut haben. Aber heut weiß ich, was es wert wär: draußen leben, auf eignem Grund und Boden sitzen; da mußt du am End wissen, was es wert is...«

»Ja, das leug'n ich net...«

»Schön. Und wenn dir die rastlose Tätigkeit schmerzhaft vorkommt, nacha schaust dich amal hier um, wie s' uns das alte München verschandeln...«

»Gar so arg, Herr Major...«

»Verschandeln, hab ich g'sagt, Herr Rechtsrat... gehen S' a paar Schritt naus und schauen S' rum... aber keine Rosabrillen aufsetzen und die amtliche Unfehlbarkeit weglassen.«

»Da muß ich als Hamburger eine Lanze für München brechen«, rief Herr Kresin. »Sehen Sie, ich kenne doch Deutschland, nich wahr? Und ich versichere Sie, auch als Mann, der sich am Ende für die künstlerische Seite der Sache interessiert, ich habe nirgends den Eindruck einer so eigenartigen, sofort auf den Beschauer wirkenden Schönheit gehabt wie hier... Was haben Sie hier immer noch für gute Architektur, was haben Sie für reizvolle Städtebilder! Nee, Herr Major, Sie gehen in Ihrer Abneigung gegen Neuerungen, die ja ihre gewisse Berechtigung haben mag, entschieden zu weit...«

»Ich dank Ihnen schön für die mildernden Umständ, die Sie mir lassen, Herr Doktor; ich kann mich aber leider net revanchieren. Ich red' von dem, was München war; und wenn Sie's net g'sehen haben, hat Ihr geschätztes Urteil nicht das große G'wicht...«

»Ich sehe aber das, was noch da ist...«

»Und ich seh', was nicht mehr da is, und seh, wie man den Charakter der Stadt versaubeutelt hat...«

»Nanu...« rief Kresin.

»Jetzt erlauben Sie mir ein paar Fragen...«

»Darnach, Herr Rechtsrat. Ich muß zuerst das Hamburger Entsetzen beschwichtigen... Die Bauten, die Ihnen g'fallen, Herr Doktor, die vom ersten Ludwig herstammen, was sind denn die? Universität, Bibliothek, für Kunstsammlungen die Glyptothek, die Pinakotheken, net wahr, die haben unserm München den bestimmten Charakter geben sollen: Kunststadt. Aber wirkliche, net Plakatschwindel für Fremdenindustrie. Von früher her hamm Sie die schönen Palais, die der Landesadel auf Wunsch, manchmal auf Befehl der Churfürsten hat bauen müssen. Da war auch ein bestimmter Willen ausgesprochen. München als Residenzstadt ausschmücken. Und wie wir noch frömmer waren und der Hort der Gegenreformation, haben wir zum Beispiel die Michelskirche baut. Das alles hat höhere Zwecke verfolgt, is ins Große gangen. Was baut ma denn jetzt? Kaffeetempel, Bierpaläste... Is München wirklich aus der churbayrischen Residenz, aus dem bayrischen Rom, aus der königlichen Kunststadt ein Gaudiplatz oder – wie sagt ma in Berlin? – ein Rummelplatz worn, von dem ma nix mehr anders weiß, als daß des ganze Jahr ein Freß- und Saufkarneval is?«

»Aber erlauben Sie mir, Herr Major, des is denn doch...«

»Wenn Sie mir nur ein paar Worte gestatten, Herr Rechtsrat!« bat Kresin beinahe flehend. »Ich glaube, ich kann mit der Konstatierung einer einzigen Tatsache das, ich will sagen, sehr harte Urteil unseres allverehrten Herrn Majors widerlegen. Was, glauben Sie, hat mich veranlaßt, hieher zu ziehen?«

»Aufrichtig gestanden, darüber hab ich noch nie nachdenkt.«

»Ich stelle es nicht als wichtig hin, nur als typisches Beispiel. Ich bin Privatgelehrter, widme mich kunstgeschichtlichen Studien, ich kann leben, wo ich will... warum bin ich nu gerade nach München? Ich muß doch irgend ein Motiv gehabt haben. Und das, sehen Sie, Herr Major, war meine Überzeugung, daß meine Bestrebungen, meine Studien in dem künstlerischen Milieu, das ich hier fand – es lassen sich ja die einzelnen Komponenten dieser Stimmung nicht so im kurzen klarlegen –, daß mir meine Studien hier ungleich mehr Erfolg versprachen als irgendwo anders.«

»Schön«, sagte der Major trocken... »Also jetzt is das Rätsel Ihrer Anwesenheit gelöst...«

»Ich führte sie als typisches Beispiel an«, sagte Kresin etwas gereizt. »Das Materielle, das Sie erwähnt haben, hat mich so wenig wie verschiedene andere hierher gelockt. Um gut zu essen, fährt man wahrhaftig nich von Hamburg nach München. Sehr im Gegenteil. Und bayrisch Bier bekomme ich überall...«

»Ich möchte den Ton noch auf etwas anderes legen«, fiel der Rechtsrat ein. »Wer gerecht sein will, muß doch zugeben, daß wir zum Beispiel vorbildliche Schulhäuser gebaut haben...«

»Ich will ja gar net gerecht sein.«

»Ach so!...«

»Jawoll, mit der verdammten Gerechtigkeit kommt man zu gar nix. Einerseits is was zu beklagen, andrerseits muß man bedenken... Net wahr? Und dann is man mit sein Zustand zufrieden... Nix da! Ich sag, da liegt der Hund begraben, und fertig...«

»Schön, aber das kann doch nicht der Standpunkt der städtischen Verwaltung sein, die gerecht abwägen muß...«

»Wär die nur amal auf dem Standpunkt, daß die Stadt für sich und durch sich was sein muß! Daß es auf die Leistung ankommt. Daß uns Gewerbefleiß, Kunst, Wissenschaft vorwärtsbringen. Daß ma net allaweil von dem red't und an dös denkt, was ma dem nächstbesten Bummler zu bieten hat. Is denn das noch g'sund?«

»Du hast dir ein nettes Mundwerk ang'schafft«, sagte Hausladen kopfschüttelnd. »Ich kenn dich nimmer. Woher du das alles hast?«

»Das kann ich dir schon erklären, mein guter Nikodemus. Jeder Mensch muß sein Quantum reden. Ich hab dreiß'g Jahr lang 's Maul halten müssen und muß jetzt schau'n, daß i mein Quantum noch erledig...«

»Aber was kümmert an alt'n Kürassier's Häuserbau'n?«

»Den Kürassier nix, aber den nachdenklichen Pensionisten sehr viel...«

»Wir kennen unsern Herrn Major«, sagte der Rechtsrat. »Wir wissen schon, daß er es nicht so schlimm meint...«

»Nur net eia-popeia! Ich mein's noch viel schlimmer, wenn ich net beim Frühschoppen sitz... Sternsakrament! Ich bin kein Privatgelehrter, und zu dem bissel Pension verzehren brauch i kein Milieu... aber seine Erinnerungen hat ma. Wie ich Junker war, ein blutjunger Kerl – nix verstanden, aber doch voller Stolz auf das alte, schöne München und seinen Ruhm. Man hat gwußt, da unter uns leben und schaffen die Männer; es war, als wenn ma ein Recht drauf ghabt hätt, und als hätt jeder sein Teil von der Bewunderung, die ihnen die ganze Welt zeigt hat. – Die Stadt, in der sie so gern waren, hamm sie mit ihren Werken g'schmückt, sie hamm zu uns g'hört, mir zu ihnen. Hat ma sich kümmert um Fremde? Wenn einer kommen is, um was zu lernen, um was Schön's zu sehen, hat er dafür dankbar sein müssen. Und jetzt? Jedem amerikanischen Proleten lauft ma bis zum Bahnhof entgegen und bitt't 'n, daß er uns sein protziges Wohlwollen schenkt... Pfui Teufel!«

»Ich bin auch nicht dafür, daß man die Sache übertreibt, aber den Forderungen der Zeit kann man sich hier so wenig wie anderswo verschließen...«

»Das war das rechte Wort, Herr Rechtsrat. Nur sich net verschließen, nur keine Eigenart haben! Alles muß plattgewalzt werden. Vulgär sein is die Losung... Aber jetzt entschuldigen die Herren, ich bin etwas stark in 'n Eifer kommen... Babettl, zahlen...«

Der Major verabschiedete sich kurz und stülpte seinen Schlapphut auf.

»Sieht ma dich noch amal?« fragte Hausladen.

»In der Woch nimmer. Ich hab mein Quantum g'redt, aber wenn du so lang da bleibst, am nächsten Montag oder Dienstag trink ich da wieder ein paar Schoppen... guten Morgen, meine Herren!«

»Ein prächtiger alter Soldat«, sagte Kresin. »Ein Feuerkopf. Es ist mir immer ein Genuß, ihn reden zu hören. Ich teile natürlich seine Ansichten nicht, aber die Art, wie er sie vorbringt, wie er alles kurz und klein schlägt, das hat Stil...«

»Ja... ja... ich will Ihnen was sagen, Herr Doktor...« Der Rechtsrat lehnte sich zurück und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, »diese Art Kritik is vielleicht amüsant oder kann einem so vorkommen, aber nützlich, Herr Doktor, nützlich is sie nicht. Sehen Sie, dieses Absprechen, dieses in Bausch und Bogen verurteilen, dieses – wie soll ich sagen? – Perhorreszieren der gegebenen Faktoren, der Notwendigkeiten, der Möglichkeiten... ich kann Ihnen nur sagen, das erschwert die Verwaltungstätigkeit mehr, als Sie glauben...«

»Ich bin mit meinem guten Prechtl acht Jahre lang bei den schweren Reitern oder damals noch Kürassieren in Landshut g'standen...« Hausladen wollte sich dem Vergnügen hingeben, das einem die Erzählung alter Erinnerungen bereitet, als vom Nebentische ein Mann aufstand und mit dem Schoppenglase in der Hand eine Verbeugung vor dem Rechtsrate und dann vor den andern machte.


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