Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Auf dem Hauptwege begegneten ihnen viele Leute, die der schöne Abend zu einem Spaziergange verlockt hatte, und Franz schlug deswegen einen Umweg über Tivoli vor, wo es stiller war.

Es gab da ein paar versteckte Fußsteige, über denen dichtbelaubte Zweige ein schützendes Dach bildeten.

Und mit einem Mal, ohne daß Franz es sich vorgenommen, und ohne daß es Paula recht gewollt hatte, küßten sich die beiden, erst schüchtern und dann immer stürmischer.

»Jessas... wenn jetzt wer kommen wär!« rief die gutmütige Frau Globerger und setzte sich den Hut zurecht.

»Es is niemand kommen... und wenn? Das wird da herin schon oft passiert sein«, sagte Franz, den ein ungewohntes Siegergefühl verwegen machte.

»No... i dank schön! Ich tät mich ja in 'n Erdbod'n verkriechen...«

»Komm! Noch ein Bussel! Das aller-allerletzte!«

»N... nein!«

Aber sie gab's ihm doch. Und darnach sagte sie:

»Eigentlich is 's ja unrecht. Mir hamm doch g'sagt, daß mir nur eine Seelenfreundschaft schließen...«

»Das g'hört mit dazu...«

»Du! Das glaub ich net. Aber jetzt is 's amal g'schehn...« Sie lachte fröhlich.

So leicht und heiter war ihr zumut wie schon lange nicht mehr. »Da sin mir als Kinder oft runter kommen«, erzählte sie, als sie am Tivoligarten vorbeikamen. »Da waren alleweil Karussell, und i bin für mein Leben gern g'fahr'n. Weißt was, wenns Oktoberfest is, geh'n mir mitanand auf d' Wiesen zum Schottenhammel oder in d' Hendlbraterei. Da sitzen net so viel Leut, und i nimm mir scho an Ausred daheim, na können mir lang sitz'n bleib'n... i freu mi scho drauf... Und an Ausflug könnt'n mir auch amal mach'n... nach Gauting oder nach Starnberg... Radelst du?«

»Freilich... du auch?«

»Und wie gern! Früher hab ich oft kleine Touren gemacht, aber in die letzten Jahr bin ich nie mehr dazukommen...«

»Wenn du magst, am nächsten Sonntag...«

»Ja! Ja!« Sie patschte lustig in die Hände. »Jessas, da muß i glei mein Rock zu der Schneiderin trag'n... und mei Blusn muß i mir a bissel z'sammricht'n, und, weißt was, ich sag daheim, ich fahr wieder amal mit der Stufer Annie, das is a Freundin von mir, und der schreib ich an Brief, daß s' mir zu dem Schwindel hilft...« Sie hielt plötzlich inne und sah ihn ernsthaft an. »Gelt, du denkst dir am End was Schlechts von mir?«

»Nein! Ich denk mir halt, du hast schon lang keine Freud mehr g'habt...«

»Und dös is auch wahr. I hab nix g'habt wie Langweil und grantige Stund'n... Jetzt bin i so froh, weil mir gute Freund sein wollen... net, Franz!«

»Einen Abschiedskuß!«

»Na... heut nimmer! Schau, es kommen auch Leut da vorn... und in der Lerchenfeldstraß mußt d' mich allein gehen lassen, sonst könnt uns wer seh'n...«

»Aber beim Wiederseh'n krieg ich dafür das allerbeste Bussel...«

»Eins... vielleicht... und du wartst am Sonntag früh mit 'n Radl auf mich. Wo treffen mir uns?«

Franz überlegte, doch Paula kam schneller zu einem Entschlusse.

»Am Sendlingertorplatz beim Brunnen... um acht Uhr... Is dir recht?«

»Ich bin pünktlich da; dösmal komm ich schon früher, daß du net warten mußt...«

»Und jetzt laß mich allein gehen! Adjö... adjö...«

*

Der Ausflug nach Planegg verlief hübsch und ließ die Seelenfreundschaft sich vertiefen. Paula hätte sich dem beglückenden Gefühle der Freiheit noch viel mehr hingegeben, wenn nicht eine rechte Schulmädelangst in ihr gesteckt hätte.

Jeder Blick, der ihr folgte, erregte Bedenken in ihr. Was sich der gedacht hatte? Ob er sie vielleicht gekannt hatte? Er hatte sich doch so g'spaßig umgedreht.

Wenn ihnen größere Scharen von Radlern und Radlerinnen entgegenkamen, überfiel sie ein Schrecken, der ihr Herzklopfen verursachte. Einmal sprang sie hastig ab und wollte sich im Walde verstecken, weil sie einen Bekannten von weitem zu sehen glaubte, und als sich das als Irrtum herausstellte, konnte sie sich doch noch lange nicht beruhigen. Wenn es der gewesen wäre! Und es war doch so leicht möglich, daß der oder ein anderer auf der belebten Straße daher kam!

Franz gab sich Mühe, ihr die Angst auszureden.

Erstens – dozierte er –, erstens könne in der bloßen Tatsache, daß sie einen Ausflug mache, gar nichts Sonderbares oder Verdächtiges erblickt werden, und zweitens würde es um so weniger auffallen, je gleichgültiger sie dabei bliebe. Natürlich, wenn sie selber eine solche Überraschung oder einen solchen Schrecken zeige...

»Weißt, Franz, ich bin halt so was gar net g'wöhnt. D' Resi fahret lachend an die Leut vorbei oder machet ihna no wo mögli a lange Nas'n... Aber ich zitter förmlich, wenn wer daherkommt...«

Indessen war alles gut vorübergegangen. Weder auf dem Wege noch im planegger Wirtsgarten waren ihnen Bekannte untergekommen, und der kleine Gott, der für Liebende so trefflich sorgt, schien auch das ihm weniger vertraute Gebiet der Seelenfreundschaft zu überwachen.

Diese Freundschaft aber verlangte, daß man sich einmal gründlich aussprach, an einem Orte, wo jede Störung ausgeschlossen war.

Franz schlug es vor, und Paula stimmte ein.

Aber wo ließ sich diese Sicherheit finden? Man dachte an kleine, versteckte Lokale, an Ausflugsorte, kam davon ab und nannte wieder andere, bis Franz ein bißchen zögernd die Meinung äußerte, ganz und absolut ungestört sei man am Ende nur in seiner Wohnung.

Paula widersprach, aber sie widersprach nicht so, daß man den Gedanken sogleich fallen lassen mußte.

Es gab Wenn und Aber, und mit ihnen gab es eben doch die Möglichkeit, und wo erst eine Möglichkeit ist, siegt die Liebe, und wo diese siegt, kann auch eine tiefe Seelenfreundschaft auf Erfolg rechnen.

Es wurde ausgemacht, daß Paula an einem Mittwochnachmittag in Franzens Wohnung kommen sollte. Die Türe würde offen stehen, so daß sie nicht erst läuten und warten müßte, alle Maßregeln sollten getroffen sein, daß ihr niemand im Gang begegnen könnte.

Wieder war das Glück hold, und zur bestimmten Stunde stand Paula, vor Aufregung und Verlegenheit hochrot, in dem kleinen Zimmer, das Franz bewohnte.

Nachdem sie hastig hineingeschlüpft war und noch eine Weile gehorcht hatte, ob sich keine Neugierde bemerkbar machte, blieb sie mitten im Zimmer stehen und sagte:

»Bleiben tu ich fei net. Ich geh gleich wieder...«

»Aber mir haben doch ausg'macht, daß mir uns endlich richtig aussprechen wollen...«

»Nein, Franz, das darfst net verlangen. Was mußt du dir überhaupts von mir denken? Daß ich als verheiratete Frau... Jessas! Es war scho zu leichtsinnig, daß ich da raufgangen bin...«

»Du zeigst mir damit Vertrauen«, sagte Franz, »und du darfst von mir glauben, daß ich das zu würdigen weiß...«

»Schon, aber ich bin halt doch in dei'm Zimmer... na, ich geh glei wieder... weißt was, gehn wir mitanand in englischen Gart'n...«

»Wenn du absolut willst... aber dann haben wir unsere Absicht nicht erreicht...«

»Was für a Absicht?«

»No, daß wir uns ungestört aussprechen; das haben wir doch neulich ausgemacht...«

»Da hab i net g'wußt, daß 's mi so hart ankommt. Du glaubst gar net, was ich für a sonderbare G'fühl hab...«

»Ach geh... du Gute... setz dich her und nimm dein Hut ab...«

»Na, dös tu i net... an Hut tu ich net runter...«

Sie setzte sich ganz vorne an die Ecke des Diwans, und Franz saß ihr gegenüber auf einem Stuhle.

Sie fächelte sich mit ihrem Taschentuche Kühlung zu, er hatte die Hände auf die Knie gelegt, und eine Befangenheit war zwischen ihnen, größer wie beim ersten Stelldichein. Manchmal griff Paula nach ihrem Hute, wie um sich zu vergewissern, daß er noch oben sitze, und es schien, als betrachte sie ihn als einen Talisman in dieser Gefahr.

Allmählich gewann sie ihre Sicherheit, und nun schaute sie neugierig im Zimmer herum.

Zwei gekreuzte Schläger hingen an der Wand, darunter einige Photographien, gegenüber war eine Bücherstellage, in der ein paar dicke Folianten nach schwerer Gelehrsamkeit aussahen, und Paula war gleich bereit, sie mit Respekt zu betrachten.

Es entging ihr auch nicht, daß obenauf ziemlich viele Hefte lagen, die, ebenso wie einige Tintenflecke auf dem Tische, den Fleiß des Herrn Studenten verrieten.

Die bescheidenen Möbel, das Bett, einige Stühle und eine polierte Kommode waren sehr sauber gehalten; neben dem Spiegel hingen etliche bunte Mützen und wieder einige Bilder; in der Ecke neben dem Ofen stand ein breiter, behäbiger Kleiderschrank.

Also hier hauste er.

Der Raum kam ihr recht behaglich vor, und sie dachte, wenn an den langen Winterabenden die Petroleumlampe brenne und das kleine Zimmer mit ihrem Lichte erfülle, müsse es sich darin sehr gemütlich arbeiten lassen.

Sie strich über die Plüschdecke, die über den Diwan gebreitet war. Und plötzlich kam ihr der Gedanke an die andere, die wohl oft hier gewesen war. Mit einer raschen Kopfbewegung gegen Franz sagte sie:

»Geh, zeig mir ihr Bild!«

Er verstand sie nicht gleich; erst ihr Lächeln verriet ihm ihren Wunsch.

»Du meinst von... ihr... das hab ich doch nicht mehr...«

»Das sagst d' halt...«

»Nein, wirklich net; damals hab ich's verbrannt mit ihren Briefen...«

»War sie oft da?«

»Ach komm, wir wollen doch net davon reden...«

»Nein, das mußt d' mir sagen... Hat sie dich oft b'sucht... da?«

»Erstens hab ich damals gar net hier g'wohnt, sondern in der Galeriestraß', und zweitens war sie überhaupt nicht so oft bei mir, wie du glaubst...«

»Also da herin war s' nie?«

»Nein!«

Paula rückte vergnügt weiter auf dem Diwan zurück.

»Du...« sagte sie, »jetzt bin ich lieber da. Weißt, es war mir doch so g'spaßig, daß ich gewissermaßen... no... du weißt schon...«

»Nein... bitte, sag's...«

»No... halt... so gewissermaßen...« Sie wurde rot und lachte.

»Du meinst?« fragte er.

»Wie die Nachfolgerin«, sagte sie resolut.

»Aber Paula, unsere Freundschaft hat doch damit...«

»J... ja, aber schau, ma denkt halt doch dran. Net? Wie ich jetzt da so auf dem Diwan gsessen bin, hab ich mir vorgestellt, genau so is amal die andere auch da g'sessen, und was ma sich halt so denkt, und das schiniert ein so, weißt.«

»Solche Gedanken mußt du dir nicht machen. Das is wie eine Entweihung.«

Sie schaute ihn an.

Er hatte wieder den netten, ernsten Zug um den Mund.

»Ja, wie eine Entweihung. Schau, ich vergleich dich doch nie mit ihr, ich meine, es is gar nichts in dem Gefühl, das ich dir entgegenbringe was man mit dem früheren vergleichen kann. Du bist für mich doch etwas ganz anderes, viel Höheres...«

»Is das wahr? Hast du net denkt, die is jetzt auch kommen, und so... du verstehst schon?«

»Nein, mit keinem Gedanken. Ich schwör dir... das liegt mir so fern; es tut mir weh, daß du dich in Beziehung bringst zu der...«

Sein Gesicht drückte wirklich Schmerz aus, und Paula sprang auf, nahm seinen Kopf in beide Hände und gab ihm rasch einen Kuß.

Dabei war ihr der Hut hinderlich, und ohne ein Wort darüber zu verlieren, zog sie die Nadeln heraus und legte ihren Talisman auf die Kommode.

Franz stand hinter ihr; da beugte sie den Kopf zurück, und sie küßten sich wieder.

»Du, jetz is 's aber g'nug«, sagte sie.

»Wer is das?« Sie deutete auf eine Photographie.

»Meine Eltern.«

»Ah, deine Eltern...« Sie nahm das Bild von der Wand und betrachtete es.

»Du siehst dei'm Papa aber sehr ähnlich, und die Mama sieht noch jung aus. Wann is denn das Bild gmacht?«

»Erst vorigs Jahr...«

»Geh, das möcht ma net glauben... eine Frau, die so an großen Buben hat... Du, komm, setz dich zu mir und erzähl mir was von deine Leut. I hör dir so gern zu, und, weißt, dös is mir auch so was Ungewohnt's und so was Liebs, wenn du was für mich verzählst. I bin von daheim bloß a paar Brummer gwöhnt...«

Sie saßen auf dem Diwan, und Franz erzählte. Die Eltern hatten ein Gut, nicht weit von Landshut entfernt; der Papa war früher Offizier gewesen, Leutnant bei den Chevauxlegers. Das merke man immer noch. Er sei streng und leide keine Unordnung.

»Du hast das von ihm«, unterbrach ihn Paula, und sie zog eine Linie vom Mundwinkel abwärts. »Du kannst auch so streng ausschauen.«

»Ich soll mehr meiner Mama nachg'raten sein. Wenigstens daheim behaupten sie's...«

»'s Mutterbuberl!«

Sie schmiegte sich an ihn.

»Bist du der einzige?«

»Nein, wir sind drei Geschwister; einen Bruder hab ich, der soll einmal das Gut übernehmen; vorläufig ist er Leutnant in Landshut, und eine Schwester, die ist erst aus 'n Institut kommen...«

»Ihr müßts vornehme Leut sei...«

»Wie kommst d' auf so was?«

»Ja, weißt, dös sieht man gleich... dös hab i beim ersten Mal g'sehn, schon in der Eisenbahn... Hast du mi eigentli damals auch bemerkt?«

»Freilich, und auch dein...«

»Mein Mann, meinst d'... Was hast d' dir eigentlich denkt, was das für a Gsellschaft is?«

»Ich hab scho kennt, daß ihr Münchner seid, und...«

»Du, hast du gleich das Gfühl g'habt, als obs d' mi kenna lerna möchtst?«

»Ja, du hast mir gleich g'fall'n.«

»Besser wie die Resi? Die hat nämlich allaweil auf dich nüberg'schaut...«

»Die Resi gfallt mir überhaupt nicht so b'sonders...«

»Gel, weil s' so herausfordernd is?«

»Aufrichtig g'stand'n, ich hab mich wenig drum kümmert.«

»Jessas, wenn ich denk, dös is bloß a paar Wochen her; da warn mir anander noch ganz fremd, und jetz sitz i neben dir in dein Zimmer...«

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter; er zog sie näher an sich und küßte sie...

»Du lieber, lieber Bub!«

»Paula...«

»I hab glei g'wußt, daß i di gern hamm könnt...«

»Hast du mich gern? Richtig gern?«

»Wie kannst noch frag'n... du!... Aber Franz! Was tust d' denn?... Franz!...«


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