Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Es handelt sich nämlich um ein äußerst fruktifizierliches Projekt«, sagte der Privatier Schmidramsl zu Benno, der mit einem unbehaglichen Gefühle in seinem Kontor den Besuch des Herrn Schmidramsl und des Herrn Rabl empfing.

Die beiden beleibten Männer, die ihn mit ihren Bäuchen an das Stehpult hinpreßten, sahen in dieser Vormittagstunde so feierlich aus, daß er sogleich wußte, sie wünschten von ihm Geld zu erhalten.

Und er suchte im Geiste sofort nach Ausreden, die schmerzlos und dennoch stichhaltig wären.

»Wenn ich bitten darf, Platz zu nehmen«, sagte er sehr höflich und wies auf das Kanapee.

Schmidramsl keilte sich zwischen die Lehne und Herrn Rabl ein, die Federn knackten unter der Last, und Benno war nun eigentlich in der besseren Situation.

Er stand frei und sah auf sie herunter; die zwei Eindringlinge aber saßen in tiefen Mulden und teilten einander sehr viel animalische Wärme mit.

Trotzdem war Schmidramsl viel unbefangener und sicherer wie der Chef der Firma Globergers selige Erben.

»Es handelt sich nämlich um ein äußerst fruktifizierliches Projekt mit absoluter Garantie«, wiederholte er. »Der Herr Rabl, der wo ja, wie er mir sagt, ein Intimus von Ihnen ist...«

»Dös hoaßt...« wollte Rabl einfallen.

»No ja, den wo Sie also doch seit längerer Zeit kennen, hat ein Projekt ins Auge gefaßt... Also, nämlich in der Arnulfstraße könnte man durch einen günstigen Zufall einen Bauplatz erlangen...«

»Entschuldigen die Herren, aber...«

»Herr Globerger, wenn Sie mir gestatten würden, daß ich mich zuerst über die Sache verbreite. Nämlich, Sie haben doch g'hört, ich sag: Arnulfstraße...«

Er blinzelte bedeutsam.

Es lief da etwas Geheimes mit unter, was ein kluger, seinen Vorteil verstehender Mann sogleich erfassen mußte.

Der Appell an seinen Weitblick wirkte auf Benno...

»M... hm... ja... ja...«

»Hamm S' mi?« Schmidramsl lächelte, fuhr aber, wie es sich bei solchen Dingen ziemte, in gebildetem Hochdeutsch weiter.

»Also, es handelt sich da nicht um ein gewöhnliches Spekulationsobjekt, wie man es jeden Tag sozusagen aufgedrängt erhalten bekommt, sondern in diesem speziellen Fall handelt es sich um eine großzügige Konjunktur...«

»Du woaßt do, weg'n an Bahnhof...«

»Herr Rabl, jetzt müssen Sie mich die Situation klären lassen. Also, net wahr, Herr Globerger, wie mir jetzt da beinand sind, mir drei, mir san doch lauter alte Münchner, und mir hamm mit einiger... Einsicht, will i sagn, in die Verhältnisse die rapide Entwicklung verfolgt, die wo sich seit einigen Jahrzehnten vollzieht. Dieses Wachstum is unleugbar vorhanden, und dös is, net wahr, als wenn i an junga Menschen in a G'wand einnah... einnähe... net?... und er werd größer... er werd dicker... er werd mächtiger...«

Schmidramsl machte Bewegungen, die seine Fleischmassen in engste Berührung mit Rabl brachten.

»Er wachst... er dehnt sich aus... aber er steckt noch in dem G'wand... Was ist die Folge? Hört sein Wachstum auf, oder sprengt er das G'wand? Ich meine doch, letzteres. Ich meine doch, für einen klaren Kopf dürfte es betreff dieser Frage kaum einen Zweifel geben.«

»M... hm. Das is alles sehr recht, aber...«

»Na na! Genga mir erst amal an Schritt weiter. Is dieser Bahnhof net wie a Sack, in den der wachsende Verkehr hineingezwängt is? Muß er nicht diese Fesseln sprengen? Und bald er sie sprengt... Was is nacha?«

Schmidramsl machte eine Pause und sah Benno forschend an.

»Was is alsdann? Nacha sind diese betreffenden Bauplätze mitten in dem erforderlichen Rayon... nacha muß sie der Staat, ich möchte sagen, zu jedem Preise erwerben...«

Rabl war zufrieden mit dem Vortrage seines Begleiters und blickte lächelnd ins Weite, wo ungeheure Gewinne für ihn bereitlagen.

Aber Benno fühlte sich immer unbehaglicher.

Nun war es offenbar auf größere Beträge abgesehen, und er hätte den Angriff auf sehr kleine abweisen müssen.

»Ihre Ausführungen sind durchaus richtig«, sagte er, »aber man hat in einem Geschäft nicht immer die nötigen Summen disponibel...«

»Naturgemäß«, pflichtete Schmidramsl bei.

Und Benno fuhr etwas erleichtert fort:

»Ihr Plan fußt auf Berechnungen, die ich immer vertreten habe. Wenn ich nicht gerade jetzt ein größeres Kapital in Waren festgelegt hätte, würde ich sofort diese Idee aufgreifen. Aber ich habe eben meine flüssigen Gelder gerade in diesem Moment fest engagiert.«

»Naturgemäß«, sagte Schmidramsl.

Benno sah ihn unsicher an.

Wollte er am Ende gar nichts?

Nein, er wollte nichts.

Er sah Herrn Globerger an, fast als weide er sich an seiner Angst, und erst nach einer kleinen Pause befreite er ihn davon.

»Sie gehn vielleicht von der Ansicht aus, daß Ihnen Ihr Freund zu diesem Behufe bei Ihnen ein Kapital aufnehmen will. Darum handelt es sich durchaus nicht...«

Benno fiel ein Stein vom Herzen.

Es war ihm zumute wie einem Sünder, der mit einer Verwarnung durchkommt, und er wurde in fröhlichem Dankgefühle sogleich mitteilsamer.

»Ich wiederhole, daß ich jedes Wort unterschreibe, was Sie über die Entwicklung der Stadt angeführt haben, jedes einzelne Wort. Man kann nicht anders kalkulieren, wenn man einen Blick hat für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten...«

»Also paß auf, Beni«, fiel nun Rabl ein. »Der Geldgeber is nämlich der Herr Schmidramsl selber...«

»Ah so. Ja, wie gesagt, ich bedaure nur, daß ich mich an dieser Spekulation nicht beteiligen kann...«

»Du ko'st scho... Nämli, du woaßt ja selber, wia dös is, i bin ja an Herrn Schmidramsl guat, und das Objekt is eahm aa guat, aber er suacht eben do a dritte Sicherheit...«

»Du sagst die Hauptsach net«, unterbrach ihn Schmidramsl. »Nämlich, Herr Globerger, wenn es sich um mein Geld handeln würde, brauchat's gar nix. Ich kenne das Projekt, ich befinde es ausgezeichnet, da is die Summe... allein mir geht's wie Ihnen, ich habe auch in diesem gegebenen Moment kein flüssiges Kapital nicht auf der Hand, und dasjenige, wo ich Ihrem Freunde verschaffen will, entspringt einem Konsortium, und dieses Konsortium... net?... dessen Mitglieder sich sozusagen im Hintergrunde halten, verlangt statutengemäß eine Bürgschaft...«

»Und da hab i gemoant, den G'fall'n kunntst du mir erweis'n... i tat's ja aa für di...«

»Es is pro forma«, sagte Schmidramsl. »In diesem gegebenen Fall wär's ja absolut nicht notwendig, weil das fragliche Objekt alle Sicherheiten bietet, aber Sie wissen ja, Herr Globerger, daß bei einem Konsortium sich keine Ausnahmen nicht durchsetzen lassen zwegen die Statuten, die festgehalten werden müssen...«

»No ja...«

»I woaß ja, daß du in dera Beziehung die Noblesse selber bist... allerdings, es kost di bloß an Unterschrift, und i hab an sichern Profit... aber...«

»Na... na... das darf nicht so behandelt werden«, fiel Schmidramsl ein. »Freundschaft in Ehren, aber in Geschäftssachen muß das geschäftliche Prinzip vorherrschen. Ich verlange direkt von Ihnen, daß Herr Globerger mit einem gewissen Prozentsatz am Reingewinn beteiligt wird.«

»Da steht von meiner Seite nix entgeg'n... Was sagst, Beni? Zehn Prozent Beteiligung, bals dir recht is... mi freut's ja bloß, wann du aa'r an schön Brock'n abaschneidst.«

Die verlockende Aussicht reizte Benno nicht; er fühlte wohl, daß er nicht zusagen sollte, aber diese Weigerung hätte er mit Festigkeit vertreten müssen, Ausflüchte gab es nicht, wo es sich doch nur um die Unterschrift handelte.

Festigkeit lag aber nicht in Bennos Charakter, und wenn er innerlich auch widerstrebte, so willigte er doch ein.

»Es handelt si grad um zwölftausend Mark... a Bagatell im Verhältnis zum Profit, und auf alle Fäll bleibt da Bauplatz da, und sein Wert verliert er gar nia...«

Rabl stand bei diesen Worten auf und schlug seinem Freunde jovial auf die Schulter.

»Siehgst, Beni, i ko's braucha, wenn i an Vater Staat a bissel rüberziag, und schwitz'n muaß a, dös versprich i dir, aber no mehra freut's mi, du derfst ma's glaab'n, wenn der Tag kimmt, wo i dir a Packl Banknot'n einatrag... Denn du hast mir Freundschaft bewies'n...«

Schmidramsl holte aus seinem Notizbuche ein Blatt Papier hervor.

»Ich habe da für den eventuellen Fall bereits eine kleine Urkunde aufgesetzt...«

Es zeigte sich, daß er Herrn Globerger schon als Bürgen eingeschrieben hatte.

Eine innere Stimme warnte Benno noch einmal, als er das Papier vor sich auf dem Pulte liegen hatte.

Es fiel ihm ein, daß er doch eine Ausrede vorbringen konnte: er wolle die Sache, wie sich's unter Eheleuten zieme, mit seiner Frau besprechen. Hatte er die zwei den Raum so ungebührlich ausfüllenden Kerle nur erst zur Türe gebracht, dann war es leicht, ihnen eine Absage zu schreiben.

»Eigentlich muß ich doch meine Frau...« wollte er eben sagen, aber ein Blick auf den jovialen Schmidramsl verschloß ihm den Mund. Der klopfte ihm lächelnd auf die Achsel: »Also... erledigen mir diese Formalität...!«

Da nahm Benno immer noch zögernd die Feder und schrieb seinen Namen unter das Schriftstück.

»Gratulier allerseits«, sagte Schmidramsl.

Und Rabl hielt seinem Freunde mit überströmender Biederkeit die Hand hin.

»Schlag ei, alter Spezi! Red'n tean mir da nix mehr drüber, aber du verstehst mi scho... Balst du amal an G'fall'n brauchst... vastehst mi scho... und, paß auf, wia mir an Vater Staat büchseln lassen. Deine zwanz'g Prozent...«

»Zehni«, korrigierte Schmidramsl.

»Oder zehni«, sagte Rabl, dem es bei seiner Herzlichkeit auf Geld nicht ankam... »Deine zehn Prozent trag i dir da eina... grad schebern müassen die Goldfuchs'n...«

Sie verabschiedeten sich mit sehr kräftigem, sehr ausdrucksvollem Händeschütteln und schritten wuchtig und breit aus dem Kontor.

Benno sah vor sich hin. Sein Blick fiel auf die tiefen Mulden im Kanapee, und er schob die Unterlippe nachdenklich vor.

Er hatte das Bedürfnis, mit irgend jemand zu reden, und er trat in den Laden hinaus.

Ein frisches Dienstmädchen stand vor Rubatscher, der ein Gespräch mitten im Satze abbrach, als er den Chef kommen sah. Das Mädchen wurde rot und kramte in einem Handkorbe herum; Rubatscher sagte: »Seller Ceylon ischt leider nit vorrätig, aber Santosch' und Menado kinnen Sie woll hoben...«

»Da muß ich erst fragen«, sagte das Mädchen und eilte weg; unter der Türe warf sie noch einen verliebten Blick auf den Sohn der Berge.

»Wieso haben wir keinen Ceylon?« fragte Benno. »Ich wünsche nicht, daß beliebte Sorten ausgehen. Da fehlt es eben am Disponieren.«

»Seller Ceylon war von der Firma Dudenbostel...«

»Ach so... m... hm...«

Es war eine unangenehme Erinnerung an präsentierte Wechsel, Anwaltsbriefe oder dergleichen.

Benno legte die Hände auf den Rücken und marschierte durch den Laden.

»Ich werde hauptsächlich mit der Firma Maibaum und Söhne arbeiten und die besten Javasorten hier einbürgern. Ich muß einmal... halt! notieren Sie... Schreiben an Kaffeehäuser, Hotels, hierorts, ditto in der Provinz vorbereiten... betreff Javasorten... Wir müssen die Kundschaft zu gewinnen suchen, indem wir uns spezialisieren... ich werde als Javahaus Globerger ein Inserat erlassen... das is eine Idee...« Benno patschte sich in die Hände und drehte sich nach Rubatscher um, der sein respektloses Lächeln sogleich in ein beifälliges umwandelte.

»Rubatscher, das ist eine Idee. Javahaus Globerger... Das inserieren mir... auf die Briefbögen kommt's groß gedruckt... ich werd's noch heut vormittag bestellen... und... natürlich!... einen Schild hängen wir über das Fenster... ich muß mit dem Maler Weiß reden... recht auffällig... Javahaus Globerger... Setzen Sie gleich ein Inserat auf. Empfehlen dringend unsere großbohnigen Javasorten, garantiert rein, von Kennern über Mokka gestellt... und... so weiter... Recht eindringlich machen... Zum Beispiel: Überschrift: Kaffeetrinker, wahrt Eure heiligsten Rechte! Oder Javas Zaubertrank... oder so... Und drunter kommt in sehr großer Schrift: Haben uns als erstes Javahaus Münchens etabliert. Setzen Sie das Inserat sofort auf... oder nein, ich mach's selber... Es ist zu wichtig...«

Er eilte, angeregt und froh über seine Tüchtigkeit, ins Kontor zurück, indes Rubatscher wieder sein beifälliges Lächeln in ein hämisches umstellte, bei dem seine geschwärzten Zähne zum Vorschein kamen.

Benno schrieb eifrig, die unwichtigen Sätze mit schwarzer, die wichtigen mit roter Tinte, er unterstrich sie sorgfältig, die einen zwei- und dreimal, die wichtigsten vier- und fünfmal.

Als er fertig war, betrachtete er das Inserat mit liebevollen Blicken wie ein wohlgelungenes Kunstwerk.

»Man soll sich bloß aufs Geschäftliche werfen«, sagte er zu sich selber und stellte sich ans Pult in nachlässiger Stellung; dabei faßte er wieder die Mulden im Kanapee ins Auge und blickte ernst und sehr gefaßt in die Richtung.

»Herr Schmidramsl«, sagte er... »ich bin Geschäftsmann. Zuerst und zuletzt Geschäftsmann. Alles, was Spekulation ist und was außerhalb meiner Geschäftssphäre liegt, existiert nicht für mich... und was Sie da sagen von Bürgschaft, das muß ich schon gleich von der Hand weisen. Sehen Sie, Herr Schmidramsl... und du mußt mir recht geben, mein lieber Rabl, was heißt denn Bürgschaft? Wenn ich weiß, daß mein Freund zahlt und zahlen kann, gebe ich ihm selber das Geld, wenn ich es habe. Weiß ich das nicht, oder fehlt mir das Geld, dann kann ich auch kein Versprechen für die Zukunft geben. Das Unsolideste und das Gefährlichste, was es gibt, ist dieses Bürgschaftleisten. Das tun bloß Leute, die nicht von heut auf morgen denken und die zu feig sind, Nein zu sagen. Man muß auch Nein sagen können, Herr Schmidramsl. Und du mußt verstehen, mein lieber Rabl, daß es die ehrliche Bestätigung der Unmöglichkeit ist. Es ist mein Prinzip, nur das zu tun, was ich bestimmt tun kann, und nicht Versprechungen auf die Zukunft zu machen. Ich muß als Geschäftsmann mein Prinzip hochhalten, und Sie müssen mich eben verstehen. Es tut mir leid, meine Herren, ich habe die Ehre, adjö!«

Benno verbeugte sich gemessen gegen das Kanapee.

Er sah sie im Geiste aufstehen, zur Türe gehen und verbeugte sich nochmal.

»Wie gesagt, meine Herren, ich bedaure. Spekulation ist heißes Eisen, Bürgschaft erst recht. Ich bedauere, aber...«

Benno zog die Achseln sehr hoch, und die beiden verschwanden.

Ja, so hätte man reden müssen... Aber das mit dem Inserat war doch wieder ausgezeichnet.

Da lag geschäftliche Routine drin.

Und die besten Aussichten eröffneten sich damit, Massenabsatz, Vertretung der ganz großen Firmen, Alleinvertretung in München, in Oberbayern...

Er blickte auf das Papier und las die mit roter Tinte geschriebene Zeile:

Javahaus Globerger...

Er faltete den Briefbogen sorgfältig zusammen, steckte ihn in sein Portefeuille und nahm den Hut vom Nagel.

»Rubatscher, ich gehe in die Zeitungsexpedition, dann zum Maler Weiß... fragt jemand nach mir, ab drei Uhr bin ich im Kontor... Gut' Morgen!«

Und Benno eilte in die Weinstube, wo er den Stammgästen seine Ansichten über Bürgschaft und über die Möglichkeit und Notwendigkeit, Javakaffee in ganz großem Stil zu vertreiben, mitteilte.


 << zurück weiter >>