Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vom Portier des Hotels Leinfelder erhielt Franz die Auskunft, daß ihn Herr von Hausladen in seinem Zimmer erwarte.

Er wurde von dem Gutsbesitzer aus Winhöring und seiner Frau, die mit seiner Familie eng befreundet, auch entfernt verwandt waren, herzlich begrüßt.

»Der Papa glaubt net recht an die Abhaltung. So viel Eifer hat ma früher net g'habt, daß ma vor lauter Studieren net amal in d' Vakanz gangen is... und die Treibjagden auslaßt... Is 's denn wirkli so grimmig mit'n Studieren?«

Herr von Hausladen zwinkerte dabei ein wenig ungläubig mit den Augen. Er war der echte niederbayrische Gutsherr, mehr breit wie hoch, das runde, stark gerötete Gesicht zeigte die Spuren des Aufenthalts im Freien wie die eines gesegneten, mit guten Dingen gestillten Appetites.

Ein martialischer Schnurrbart wies auf militärische Vergangenheit hin; ein Monokel, das er selten, aber doch zuweilen einklemmte, enthob einen der Möglichkeit, in Herrn von Hausladen einen Gutsverwalter, Bräumeister oder sonst was Ländlich-Bürgerliches zu vermuten.

»Vor dem Examen war man früher auch fleißig«, sagte Franz.

»Wann geht's denn scho los?«

»Im Juli...«

»No, jetzt hör amal – noch a ganzes Jahr! So eifrig war ma früher net...«

»Du tust so, als wenn das was Schlimmes wär«, sagte seine Frau. »Das ist doch sehr anerkennenswert, wenn er an sein Examen denkt...«

»Wenn... m... hm... jawohl... wenn so a Kalfakter net andere Gründ hat, daß er sich net trennen kann vom sogenannten Studium... ahan... jetzt wer'n ma ja rot...«

»Wär ein Wunder, wenn du ihn so in Verlegenheit bringst... Franz, deine Mama hat mirs auf die Seele gebunden, ich soll Umschau halten, wie du wohnst, ob es nicht zu feucht ist an der Isar unten. Wir haben immer noch die altmodische Angst vor der Gegend um den Englischen Garten herum. Das kommt von Typhus- und Cholerazeiten, aber ich habs einmal der Mama versprechen müssen, und wenn's dir paßt, komm ich in den nächsten Tagen... wie wär's eigentlich morgen?«

»Morgen?...« Franz überlegte, daß Paula ihren Besuch angesagt hatte. »Morgen? Ich hab allerdings von drei bis fünf ein Kolleg, das ich nicht versäumen darf, aber...«

»Nein... mach keine Umstände; dann übermorgen?«

»Ja, übermorgen. Vielleicht hol ich dich im Hotel ab...«

»Wenn du Zeit hast...«

»Gern...«

»No... hör amal... gern...« fiel Hausladen ein. »Ich muß sagen, der Besuch von Damen der Verwandtschaft oder Bekanntschaft wär mir seinerzeit, wie ich Leutnant bei die Kürassier war, in Landshut, net grad hoch erfreulich gwes'n... Die Damen haben verdammt feine Nas'n, schnüffeln was aus, an was ma in seiner Unschuld gar net denkt...«

»Du immer mit deinen Späßen!«

»Ich kann dir bloß sagen, so eine sturmfreie Studentenbude untersuchen, ob sie trocken genug is, ob sie g'sund is, das is ein bissel komisch...«

»Es wird mich sehr freuen...« wiederholte Franz.

»Aber räum gut auf... das sag ich dir! Wenn eine Haarnadel im Zimmer is, find't s' mei Frau...«

»Aber Wucki.«

»Lisel, ich kenn dich... Ich muß den arma Menschen warnen... jetzt wird er scho wieder rot...«

»Bei deiner Unterhaltung wird er's noch öfter werden...«

»Wollt ihr länger in München bleiben?« fragte Franz.

Hausladen lachte.

»Ahan... hast d' schon Angst? Braucht's net. Ich bring mei Frau bald wieder ab von deiner Fährten... öfter wie einmal derf s'net in dein Fuchsbau, außerdem kann i's daheim net entbehrn, und i bleib höchstens drei Tag. I halts net aus auf'n Pflaster...«

»Wir haben nur unser Fannerl begleitet«, sagte seine Frau, deren Wesen Güte und Klugheit verriet. Aber ein paar flinke Augen und ein energischer Zug um den Mund ließen erkennen, daß sie als Leiterin eines großen Haushalts die Zügel straff führte.

»Fannerl soll ein paar Monat bei der Tante Wolffsegg bleiben. Sie muß ein bissel in die Stadt und in die Gesellschaft...«

»Denn sonst...« fiel Herr von Hausladen ein... »hätt ich am End auch was von mein Kind, wenn d' Fanny daheim bleibet...«

»Über das Thema streiten wir jetzt nicht. Ich bin froh, daß sie hier sein kann, und du hast ja selber zugeben, daß sie nicht den ganzen Winter in Winhöring sitzen kann...«

»Zugeben! Nachgeben hab i... ja... leider, weil die Bengserei net aufg'hört hat. Wär's dem Madel net g'sünder in der frischen Luft...?«

»Darüber haben wir uns verständigt und fangen nicht wieder an... Wie lang hast du eigentlich unser Fannerl nimmer g'sehn?« wandte sie sich an Franz.

Wie lang?

Ja, das war eine geraume Zeit her, seit Herr von Riggauer dem dicken, lebhaften Backfisch die Würde eines Primaners entgegengestellt hatte. Dann war das Abiturium gekommen, die akademische Freiheit, die erzieherische Wirkung des Korpslebens, das den gedankenlosen Jüngling zu einem bedeutenden Mitglied der besseren Gesellschaft machte; und während allem Reifen und Erleben hatte er doch wirklich nicht an das unbedeutende Mädel gedacht, das wenig Sinn für seine Ideen gezeigt hatte.

Wenn er in den Ferien heimgekommen war, hatte er beiläufig gehört, daß die Kleine irgendwohin zur Ausbildung geschickt worden war. In die Schweiz... oder... er mußte sich ehrlich gestehen, daß er es nicht genau gewußt hatte.

Ja, wie lang?

»Es muß über vier Jahr sein...« sagte er zögernd.

Frau von Hausladen rechnete.

»Das letzte Jahr im Institut, dann zwei Jahre in Lausanne...«

»Zum Französischparlieren und Überspanntwer'n...« ergänzte ihr Mann.

»Das kannst du nicht behaupten... dann in der Haushaltungsschule...«

»Weil ma im Haushalt daheim an Haushalt nimmer lerna kann... Da braucht ma jetzt Schulen und Professer und Schmarrn und Blech...-

»Ich hätt auch manches recht gut brauchen können, hätt mir in vielem leichter getan...«

»Nur ja net rechtgeb'n... und ich halt amal nix von dem ganzen neumodischen Getu...«

»Ich hab's auch aufgegeben, dich zu übazeugen...«

»Hast's leicht aufgeb'n können, weil ma sich ja doch allaweil umstimmen laßt...«

»Also, es wird sicher über vier Jahr sein, Franz... Du wirst sie kaum mehr kennen...«

»So vornehm is s' worn, aber ein bissel Winhöring hängt ihr Gott sei Dank noch an. Da kannst dich übrigens selber überzeugen...«

Eine hochgewachsene junge Dame trat ins Zimmer; ihr Gesicht war nicht regelmäßig schön, Mund und Nase konnten die Kritik herausfordern, aber prachtvolle Zähne, blanke, fröhliche Augen und ein Hauch von Frische und Gesundheit ließen gar nicht an Mängel denken, ja wirkten so anmutend, daß man sich keine Linie in dem frohen Mädchengesichte anders gewünscht hätte.

Ihre Bewegungen zeigten Kraft und Geschmeidigkeit, und ihr Benehmen war frei von zur Schau getragener Unnahbarkeit.

»Also...« fragte der Papa... »kenna mir uns noch?«

Franz verbeugte sich wie in der Tanzstunde und war befangen; Fanny ging auf ihn zu und schüttelte ihm herzhaft die Hand.

»Warum soll ich ihn nicht kennen? Er hat sich fast gar nicht verändert...«

»Aber umkehrt... was?«

»Allerdings... ich glaube, auf der Straße wär ich an ihr vorbeigegangen...«

Franz sagte es zur Mama; er wußte nicht recht, ob er das vertrauliche Du gebrauchen dürfe, und das verwirrte ihn.

Fanny half ihm aus der Verlegenheit. »Ich hätte dich schon nicht übersehen«, sagte sie, »ich muß dir ja einen Gruß ausrichten vom Flori, ich hab's ihm eigens versprochen. Der Bock lebt heut noch, läßt er dir sagen, der wartet auf dich. Und warum du nicht gekommen bist?«

Er sagte etwas von einem Ferienkurse, vom Studieren, der Papa gab wieder seine Zweifel zu erkennen, und Fanny stimmte in den neckenden Ton ein.

Allmählich legte der junge Herr sein steifes Wesen ab, hinter dem nichts anderes steckte als Scheu vor edler Weiblichkeit.

Wenn er sich darüber Rechenschaft abgelegt hätte, wäre er vielleicht zu der Erkenntnis gekommen, wie ihn und andere gerade die gerühmte Erziehung von wirklichen Lebenswerten ab zu läppischen Dingen geführt hatte; allein der Korporationsgeist erzieht seine Leute dazu, Nichtigkeiten zu verehren, nicht aber dazu, über sie nachzudenken. Und so schnell stieg Franz von der eingebildeten Höhe nicht herunter. Es war schon etwas, daß er vor diesem hübschen, natürlichen Mädel nicht mehr recht an die Überlegenheit glaubte, die er vor etlichen Jahren betont hatte, und die ihm jetzt als Jugendeselei erscheinen wollte.

Allerlei Erinnerungen drängten sich ihm auf.

Seine Schwester Tilde hatte ihn stets bewundert und war immer glücklich gewesen, wenn ihr der Gymnasiast Einblick in seine Erlebnisse gewährt hatte. Fanny hatte einige Male daran teilnehmen dürfen, und manches war darauf berechnet gewesen, auch diesem unerfahrenen Backfische Verehrung einzuflößen. Aber sie hatte nie Verständnis dafür gezeigt, im Gegenteil, sie hatte durch manche vorlaute Frage Erklärungen verlangt über Unterschiede und Vorzüge, die man fühlen, aber nicht erklären kann.

Es fiel ihm ein, daß er zuweilen dadurch verletzt worden war, und daß es ihn gegen das törichte, respektlose Mädel eingenommen hatte.

Nun war er ärgerlich über seine Schüchternheit, die das Gespräch nicht in Fluß kommen ließ. Oder was hinderte ihn sonst, harmlos und anregend zu plaudern?

Die anerzogene Meinung von der geistigen Überlegenheit des Mannes, diese Verbildung des Empfindens, die bei uns aus Jünglingen schon Junggesellen macht?

Jedenfalls, es waren Hindernisse da.

Ein paarmal war er geneigt, mißtrauisch zu sein, als Fanny ihrer Mama beiläufig erzählte, daß sie moderne Zimmereinrichtungen gesehen habe, gegen die sie dann allerlei vorbrachte.

Im Vorrat männlicher Begriffe gibt es einige recht gangbare über weibliche Wesen, die sich um solche Dinge kümmern oder darüber sprechen.

Aber er kam doch nicht dazu, seine despektierliche Meinung abzurunden, denn Fanny sprach mit einer Sicherheit, die so weit ab war von gesuchter Klugheit, daß sich der junge Herr eingestehen mußte, dieses Mädchen scheine durchdachte Ansichten über Dinge zu haben, die ihm fremd geblieben waren. Er fühlte sich unsicher und darum unbehaglich, und doch mutete ihn der Unterton von Jugendfreundschaft, der sich immer wieder geltend machte, wohltuend an.

Halb war er froh, halb tat es ihm leid, als ihn Hausladen durch den Wunsch nach einem soliden Frühschoppen zum Abschied nötigte.

Die Einladung für den Nachmittag nahm er sehr rasch an, ohne Bedenken über versäumte Kollegien.

Die Damen wollten Einkäufe machen und dann mit Papa und ihm in einer neuen Teestube zusammentreffen.

»Tee... brr... auch was Neumodisches... Teestube... hat's früher net geben«, sagte Herr von Hausladen, als er mit Franz das Hotel verließ.

»No«, fragte er dann und nickte zurück, »was sagst d' zu unserm Fannerl?«

»Sie... ist... ich meine, sie hat sich ganz...«

»Nett ausg'wachsen... jawohl. Eigentlich ein bissel aus dem winhöringer Schlag naus. Aber, ich muß sagen, wie s' daheim war, jetzt im Sommer, war s' doch wieder die alte. Jedenfalls, überspannt is sie nicht worden, obwohl... no ja... an der Möglichkeit dazu hätt's nicht g'fehlt. Das Experiment is gut ausg'fallen, aber ich bleib dabei. Mädel sollen im Haus aufwachsen... Jetzt eine Frage: Wo gehen wir hin? Nur kein Bier, ich mag's net am Vormittag...«

»Ratskeller?«

»Natürlich, wo mer alle Provinzler hinschleppt. Nein, mein Lieber, jetzt führ ich dich. Ich hab an Ostern, wie ich's letztemal da war, ein Weinbeisel entdeckt. Gutes Gabelfrühstück und einen trinkbaren Schoppen. Beim Marienplatz.«


 << zurück weiter >>