Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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»Aber na! I scham mi...!«

Paula hielt die Hände vors Gesicht und guckte ein bißchen durch die Finger auf Franz, der ein netter Bursche war und keine Siegermiene aufsetzte. Er lächelte glücklich und zog ihr langsam die Hände weg.

»Jetzt wirst dir ganz gwiß denken, die is wie alle andern?«

»Ich denk überhaupt nix, ich möcht nur ein Busserl...«

»O du lieber, lieber Bub!«

Sie war ganz zärtliche Hingebung, er war heiter und viel gesprächiger wie bisher; auf ihre liebkosenden Worte, die nicht immer tiefen Sinn hatten, antwortete er auch mit einem lustigen Lachen.

Sie sah ihm mit glückstrahlenden Augen zu und rief: »Was du für schöne Zähne hast! Ein am andern und schneeweiß... Überhaupt bist du so reinlich...«

»Das muß man doch sein.«

»M... hm... ma müßts allerdings sein...«

Irgend etwas fiel ihr ein, und eine Falte zeigte sich auf ihrer Stirne. Sie seufzte.

»Jessas! du, wenn mei Mann wärst!... Aber das is Unsinn... gel? Du bist ja viel z' jung... eigentlich bist d' noch a Bub... wenn d' mi so anschaust, hast noch ganze Kinderaugen...«

Sie fuhr mit der Hand in sein dichtes Haar und zog seinen Kopf an sich.

»Schlaf, Bubi, schlaf!... Und dabei hat er an Schatz, und i bin net amal sei erster... Du, hamm dich die andern auch so gern g'habt? Keine Falten ziehen, kein böses G'sichtl machen! Braves Bubi sein! Ich frag bloß, weil i's wissen möcht...«

Er lachte.

»Das glaub ich dir...«

»Gel, ich bin recht dumm? Am End is dir mei Unterhaltung fad?«

»Nein... aber nach der andern mußt mich net frag'n...«

»Nach die andern...«

»Jetzt soll ich dir ein ganzes Register aufzähl'n...«

»Na, i will's net wiss'n... aber der andern, weißt, wo du so unglückli warst, der tät ichs net gönnen, daß sie dei erste Liebe war...«

»Ich war gar net so unglücklich...«

»Ooh! Denk nur dran, was d' mir in Schliersee erzählt hast. Und so traurige Aug'n hast d' gemacht...«

»Ich glaub, ich hab ein bissel Eindruck schinden wollen.«

»Was is dös?«

»No, weißt, ich war gleich in dich verliebt... oder jedenfalls hast du mir gleich g'fallen, und da hab ich auf dei gut's Herz spekuliert...«

»O du! Und ich hab glaubt, du kannst net bis fünfi zähln! Da sieht ma die Männer... Ihr seids alle falsch... Ganz g'wiß hast d' scho was vorg'habt, wie du mich bitt' hast, ich soll da raufkommen...«

»Nein. Paula...«

»Wirklich net?«

»Mein Ehrenwort... ich hab nicht daran gedacht... das is so von selber kommen, so unwillkürlich, nein, so was darf doch keine Berechnung sein...«

»Ich glaub dirs auch, du lieber Bub...«

»Und du, Paula? Reut's dich?«

Sie schlang den Arm um seinen Hals. »Gar net... im Gegenteil... So glücklich bin i... Und warum soll's mich denn reu'n? Weißt, wenn alles so wär, wie's sein könnt, oder wie's eigentlich sein müßt... Du verstehst mi schon... nachher könnt ich mir ja Gedanken machen... aber so! Na... gar net im mindesten reut's mi...«

Es klang trotzig, und wieder so, als wollte sie sich selbst einreden, daß sie im Recht gewesen sei.

Sie erzählte ihm von ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Glück, doch umschrieb sie alles und sagte nichts mit deutlich hinweisenden Worten.

Indes sie davon sprach, traten ihr die vielen bitteren Enttäuschungen und ihre trüben Stimmungen deutlich vor Augen, und sie begann plötzlich zu weinen.

»Du darfst net schlecht von mir denken...«

»Aber liebe, gute Paula... du... ich bin dir doch so dankbar... ich verehr dich doch so...«

»Das mußt d' mir versprechen, daß d' mi net für so was...« sie schluchzte stärker... »für so was haltst... Nie! Nie!«

»Ich versprech dirs... ich verehr dich doch so... ich weiß ja jetzt erst, wie lieb ich dich hab...«

Sie trocknete ihre Tränen.

»So Heimweh hab i oft g'habt... so Zeitlang... für jedes gute Wort wär ich dankbar g'wes'n... aber...«

Sie fing wieder zu weinen an.

Er hatte tiefes Mitleid mit ihr und versuchte sie zu trösten. »Bin ich schuld, du Liebe? Verzeih mir's doch...«

»Nein, du bist net schuld... es is bloß, weil mir allerhand ei'fallt...«

»Ich mach mir aber doch Vorwürfe...«

Sie sah ihn zärtlich an.

»Du brauchst dir kei' mach'n. Da kannst du nix dafür und kann ich nix dafür... Es war ja wirklich kei Berechnung dabei, aber gut sein mußt d' zu mir, und zeig'n sollst d' mir's net, wenn... wenn...«

»Was meinst du?«

»Zeigen sollst d' mirs net, wenn ich dir vielleicht amal gleichgültiger wer...«

»Das wirst du nie!«

»Da is ja auch kei Absicht dabei...«

»Nein – nie! Das ist so ausgeschlossen. Das ist so unmöglich!... Schau, lieber, guter Schatz...«

»Ach geh! Wie er das sagt!«

»Ich schwör dir's...«

»Sag nochmal Schatz... dös hör ich so gern von dir...«

»Schatz! Lieber Schatz!«

»Du!«

Es dämmerte schon, als Paula vor dem schmalen Spiegel stand und ihren Hut aufsetzte. Sie wehrte Franz ab, der sie immer wieder küssen wollte.

»Net... net... du! Ich muß jetzt machen, daß ich heimkomm. Du darfst mir mei Frisur net in Unordnung bringen... eins noch... aber ganz zart... so...«

Sie trat näher an den Spiegel und prüfte ihr Aussehen.

Ihr Teint war frischer, ihre Augen blickten lebhafter wie sonst, und ein Gefühl von Gesundheit und Jugend durchströmte sie. Sie legte die Hände an die Hüften und straffte sich, drehte sich blitzschnell um und umarmte Franz.

»Da! No a Bussel... und noch eins! Aber jetzt muß ich geh'n. Jessas! Es is scho acht Uhr vorbei... Was sag i denn daheim?«

»Hast du Unannehmlichkeiten?«

»N... na! Höchstens ärgert sich die Alte, daß i net pünktlich beim Essen da war... sonst wer i net so schwer vermißt... Ich glaub, daß ma scho lang ausgangen is.... Freili! Heut is ja Kegelabend...«

Sie sagte nicht »er«, und noch weniger brachte sie es über sich, seinen Namen zu nennen, sie sagte »man«.

»Ich glaub, daß ma heut nachmittag überhaupts net heimkomma is... sondern gleich vom Kaffeehaus weg ins Wirtshaus... i bin froh, na begegend ma sich heut nimmer... ach ja... Bubi...«

Sie seufzte.

»Wie komm i jetzt raus? Meinst d', es sieht mich niemand im Gang?«

Sie stellte sich an die Türe, öffnete sie sehr leise und horchte.

Wie sie so spähend dastand, huschte ihm blitzschnell die Erinnerung an eine andere durch den Sinn; es war etwas Unangenehmes, Störendes, über das er sich keine Rechenschaft gab. Sie flüsterte:

»Adjö... Bubi... ich geh jetzt...«

»Soll ich mit?...«

»Nein... du mußt dableib'n... Am Samstag... gel? Adjö... Bubi...«

Sie schlich auf den Zehenspitzen durch den Gang. Die Wohnungstüre knarrte ein bißchen, dann klappte das Schloß zu. Noch einmal dachte er an eine fatale Ähnlichkeit, aber er wehrte sich fast unwillig dagegen.

War es nicht häßlich und undankbar, an so was auch nur zu denken? Mit solchen Gedanken eine Frau zu beleidigen, die so reizend, so hingebend, so natürlich war?

Er blickte im Zimmer herum, in dem sich dieses Große, Merkwürdige begeben hatte, und es schien ihm, als könne er nicht recht daran glauben. Aber da lag etwas auf dem Boden, dicht neben dem Diwan.

Ein brauner Glacéhandschuh. Er hob ihn auf und legte ihn in die Kommode; dabei sah er sein Bild im Spiegel, und er lächelte sich an.

Wer hätte das gedacht? Eine ehrbare, nette Bürgersfrau, und so verliebt und so stürmisch! Man hat doch immer falsche Vorstellungen...

Er nahm eine bunte Mütze vom Nagel herunter, setzte sie sehr schief auf und betrachtete lachend sein Bild.

So tritt man aus der naiven Jugendzeit in die reifen Jahre und in die Abenteuer.

*

»Was de hat?« brummte die alte Frau Globerger vor sich hin und blieb horchend auf der Treppe stehen. Im Wohnzimmer machte sich Paula etwas zu schaffen und trällerte ein Lied.

»Dös is was Neu's bei ihr... sonst hat ma s' das ganz Jahr net g'hört.« Sie ließ es sich nicht nehmen: mit der Schwiegertochter war irgend was passiert; ohne Grund verändert man sich nicht so völlig in ein paar Wochen. Sonst war Bennos Frau still, so ein bißchen gedrückt und wehleidig; zanken hörte man sie selten, aber beleidigt war sie gleich, und dann saß sie schweigend bei Tisch und schmollte.

Jetzt war sie ausfällig und gab so scharfe Antworten, wie man sie nie von ihr erwartet hatte.

Neulich... ja, wie war das gleich? – Da fing sie selber an und hielt sich darüber auf, daß Benno schmatzte beim Suppenessen... Frau Sophie erinnerte sich jetzt genau... es war eine Nudelsuppe... und da sagte Paula auf einmal ganz heftig, wenn er nicht anders esse, müsse sie vom Tisch aufstehen.

Sie kannten sich zuerst gar nicht aus, sie und Benno, was Paula hatte, ob das Spaß war oder Ernst, denn so was war man von ihr nicht gewohnt. Aber sie war richtig zornig, ganz mächtig, und wie Benno vielleicht mit Fleiß oder aus Spaß die Nudeln erst recht laut hineinschlürfte, warf sie den Löffel auf den Tisch und lief hinaus und schmiß die Tür zu.

Nachher, wie Benno ins Kaffeehaus gegangen war, fragte sie die Schwiegertochter, gut und sanft, wie es überhaupt ihre Art war, was sie denn gehabt habe. Wenn ein Mann so eine Gewohnheit habe, in Gottes Namen, die müsse man halt nicht beachten; wenn man verheiratet sei, gäbe es allerhand, was man nicht so kritisch anschauen dürfe... aber – gute Nacht!

Wie die sich brauchte!

Das hätte sie jetzt oft genug gehört, daß man das ertragen müsse und das leiden müsse und das hinnehmen müsse, und die ganze Ehe sei für gewisse Leute überhaupt nichts wie ein Recht für den Mann und ein Zwang für die Frau. Vom ersten Tag an habe man ihr das gepredigt, und sie hätte nur gesehen, daß eine Frau schlechter daran sei wie eine Magd. Vor der nehme man sich immer noch mehr zusammen.

Und da fragte sie, die Frau Sophie, und zwar in aller Güte, wie sie es nur einmal gewohnt war, was sie, die Paula, denn habe. Was ihr auf einmal eingeschossen sei... der Benno sei doch weiß Gott der gutmütigste Mensch, den man sich denken könne.

»So? Gutmütig?« fragte sie, die Paula, zurück. Und ob das alles sei, und auch das sei erst noch die Frage, denn wenn einer letschig sei – letschig sagte sie, wortwörtlich –! deswegen sei er noch lang nicht gutmütig, und sie verlange einmal, daß er auf sie Rücksicht nehme. Wenn Gäste da seien, warum könne er sich da zusammennehmen? Aber natürlich bloß für die Frau und bloß wegen der Frau, da sei es nicht der Mühe wert. Das seien so die richtigen Spießeransichten. Woher sie bloß die Ausdrücke hatte? Spießeransichten, sagte sie, und von münchner Bierphilistern sagte sie auch was. Die keine Manieren hätten und die noch damit protzten, daß sie rüpelhaft seien. Nein, rüpelhaft sagte sie nicht... rauhbeinig, so sagte sie... Lauter Ausdrücke, die man im Hause noch nie gehört hatte. Die Paula hatte eine andere Sprache und andere Manieren und einen andern Humor, ganz plötzlich – und das sah sie deutlich, und blind war die alte Globergerin Gott sei Dank nicht. Es gab noch allerlei, was ihr auffiel.

Allerlei.

Zum Beispiel: daß man sich in den letzten vierzehn Tagen zwei neue Blusen angeschafft hatte.

Und daß man es verheimlichen oder gar abstreiten wollte.

Denn wie sie die Paula ganz zufällig fragte, woher die neue Bluse wäre, wurde sie gleich ausfällig. Das sei keine neue, und sie verbitte sich die Schnüffeleien.

Keine neue!

So was mußte man ihr, der alten Globergerin, weismachen wollen, die jedes Abwischtuch im Hause kannte, jeden Putzhadern, und der kein neuer Rocksaum entgehen konnte.

Keine neue!

Mit der gestreiften, vom Hirschberg, über die sie sich damals schon genug geärgert hatte, weil das nicht der Brauch gewesen war, wenigstens früher nicht, daß sich Bürgersfrauen so modische Sachen aus den Läden holten, mit der gestreiften war sie nach Schliersee gefahren.

Und die weiße mit dem Muster war danach gekauft, und die andere weiße auch.

Nur nicht glauben, daß man sie anblümeln könnte.

Und zu was mußte man denn heftig werden? Und warum ging man jeden Nachmittag aus dem Haus? Das waren lauter Dinge, über die man sich seine Gedanken machen konnte.

Dem Benno natürlich fiel nichts auf, der wollte nur seine Ruhe haben.

Wie sie mit ihm diese Sache besprechen wollte, wegen der Blusen und wegen dem vielen Spazierenlaufen, da sagte er, die Paula habe halt eine neue Freundin, die Frau Schegerer, und das wisse man doch, wie die Weiber seien, daß sie sich zuerst vor Lieb und Freundschaft beinah auffräßen, und hintendrein lasse es nach, und meistens ende es mit Geratsch und Feindschaft.

In so was müsse ein Mann sich nicht mischen, und er kümmere sich prinzipiell nicht darum; mit solchen Läppereien gebe er sich nicht ab.

No ja, die Männer!

Er merkte gar nicht, daß die Paula anders war, daß sie ihm schnippische, boshafte Antworten gab; nicht einmal der Spektakel damals, wegen der Nudelsuppe, war ihm richtig aufgefallen.

Wann hat auch ein Mann Zeit für solche Geschichten?

Vor er ins Wirtshaus oder ins Kaffeehaus ging, gewiß nicht. Da pressierte es, und da wollte man sich nicht aufhalten lassen.

Und wenn er aus dem Wirtshaus kam, war er schon gar nicht für diesen Pfifferling und Papperlapapp zu haben. Da hatte er Schlaf. No ja... man werde schon sehen.

Jedenfalls ein Paar Augen gab es im Hause, die waren scharf und sahen alles und ließen sich nichts vormachen.

Frau Sophie Globerger schlich sich von der Treppe zurück und ging in ihr Zimmer. Die Türe ließ sie nur angelehnt. Man hörte dann besser, was im Hause vorging.

Eine halbe Stunde später trällerte Paula im Gange. Die alte Globergerin horchte. Jetzt sang sie sogar.

»Nun leb wohl, du kleine Gasse...
Nun leb wohl, du stilles Haus!...«

Das war auch ein Lied, das die Alte noch nie gehört hatte.

Paula summte und schritt die Treppe hinunter.

Da schlich die Alte vorsichtig zum Geländer vor und sah sie gerade noch auf dem untersten Absatze.

Das war ja ein neuer Hut?

Sie eilte in das nächste Zimmer und stellte sich an ein Fenster.

Es dauerte nicht lange, da schritt Paula in federleichtem Gange die Gasse hinauf, wiegte sich wohlig in den Hüften und hatte wirklich einen neuen Strohhut mit dunkelroten Blumen auf dem Kopfe.

So... so?


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