Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Laubmann mochte glauben, daß er Glück und Behagen um sich verbreitet habe, und lächelte gütig mit, wonach er den Taschenspiegel herauszog und sein Antlitz untersuchte, ob es nicht etwa durch die Anstrengungen Schaden gelitten habe.

Es war auch nötig, den Schnurrbart aufwärts zu bürsten und einige Haare aus der Stirne zu streichen.

Er lächelte wieder, um Verzeihung für die längere Pause zu erbitten, und stieß mit geschlossenen Augen einen tiefen Seufzer aus.

»Ja... ja... die Damen haben es schön.«

»Hm?«

»Ich meine, Sie reisen so frohgemut an der Seite ihrer Gatten durch diese herrliche Gegend und genießen gemeinsam alles Schöne. Ich fahre einsam durch die Welt.«

Laubmann war auch ein guter Darsteller; er verstand es, wirkliche Sehnsucht nach einem entbehrten Glücke zur Schau zu bringen.

»Aber warum...?« fragte Paula.

»Sie meinen, warum ich allein in der Fremde umherirre? Tja... das Geschäft...«

Er zog ein dickes Notizbuch aus der Innentasche, blätterte darin und überreichte der Frau Resi eine Photographie.

»Meine Gattin und meine zwei Kinder. Ein Bub und ein Mäderl...«

Paula beugte sich über ihre Freundin weg und betrachtete neugierig das Bild.

Eine magere Frau mit ziemlich gewöhnlichen Zügen saß auf einem Lehnstuhle und hielt ein Kind auf dem Schoße, über dessen Aussehen man sich keine Rechenschaft geben konnte.

Ein anderes, etwa dreijähriges Kind, das Bubi, saß daneben auf einem Hottegaul, hatte einen Helm auf dem Kopfe und blickte mit kreisrunden Augen den Beschauer an.

»Ach, wie lieb!« rief Frau Resi aus. »Das glaub ich schon, daß Sie da Zeitlang haben...«

»Tja... das Geschäft... darf ich den Herren zeigen?«

Er bot die Photographie Herrn Schegerer an, der sie, ohne nur einen Blick darauf zu werfen, an Benno weiter gab. Herr Globerger nickte zustimmend. »M... hm... ja... ja... sehr nett...«

»Da glaub ich freilich, daß Sie nicht gern reisen«, sagte Frau Resi wieder. »Und Ihre Frau? Für die is es natürlich auch schrecklich, wenn sie ihren Mann immer unter fremden Menschen weiß. Unter so viel Verführungen!« rief sie aus und streckte das Züngelchen vor.

»Darin ist sie durchaus ruhig...«

»O diese Männer! Ich trauet kei'm einzigen...«

»Darin ist sie durchaus ruhig. Sie weiß, daß sie auf meine Treue bauen kann.«

»Ja. Sind Sie so...?«

»Ich kenne meine Pflicht, und wenn ich mich unbedingt auf meine Frau verlasse...« Herr Laubmann blickte die magere Dame zärtlich an und steckte sie wieder ins Notizbuch, »... und wenn ich felsenfest auf meine Frau baue, dann weiß ich, daß ich meinerseits Gleiches mit Gleichem vergelten muß. Dieses Prinzip halte ich hoch...«

»Jetzt ich lasset mein Mann nicht allein in der Welt herumkutschieren. Nein! Ich tät ihn nicht so der Verführung aussetzen. In den Hotels, in den Kurorten! Unter den vielen Frauenzimmern!«

Frau Resi stieß bei jeder von diesen Gefahren einen leichten Schrei aus und zwickte die Augen zu, als wehrte sie sich gegen die Bilder, die vor ihr auftauchten.

Herr Laubmann lächelte milde.

Gewiß! Diese Gefahren existierten, sie lauerten überall auf einen gut aussehenden Mann, aber ein geläuterter, fester Charakter konnte ihnen mutig entgegensehen.

Er steckte das Notizbuch ein und fuhr sich mit einem Taschenkamme durch den Schnurrbart.

»Ich habe auf meinen ersten Reisen, als ganz junger Mensch, dieses oberste Prinzip anerkannt. Pfui Has! Wer sich in diesen Dingen nicht an eine eiserne Strenge...«

»O die Männer!«

»Nein, wirklich, wer sich gerade in der Entwicklungsperiode nicht eine eiserne Strenge angewöhnt, der wird auch in anderer Beziehung seinen Charakter nicht bewahren.«

Schegerer sah schläfrig zum Fenster hinaus.

»San ma scho in Agatharied«, sagte er; »hamm ma nimma weit.«

»Was werden die Herrschaften heute beginnen?« fragte Laubmann, und in Ton und Miene lag seine Bereitwilligkeit ausgedrückt, bei den Ausflüglern treu auszuharren.

»Dös wiss'n ma selm net«, erwiderte Schegerer barsch.

»Ich hätte Ihnen selbstverständlich gerne...«

»Nein, danke...« unterbrach ihn Frau Resi... »wir woll'n bloß ein bissel rum bummeln und haben gar keinen Plan. Wir haben unter uns so eine private Namenstagsfeier...«

»Ich verstehe... en famille... da möchte ich keineswegs stören... ich wünsche den Herrschaften einen vergnügten Nachmittag.«

Der Zug hielt in Schliersee.

Beim Aussteigen sah Frau Resi den hübschen Studenten wieder.

Er wurde an der Sperre von einem jungen Manne erwartet, der einige Jahre älter war und gewandter zu sein schien.

Wenigstens fing er gleich einen von den Blicken auf, die Frau Schegerer freigebig austeilte; ein verstehendes Lächeln huschte über sein gebräuntes Gesicht, und er schaute der beweglichen, üppigen Frau wohlgefällig nach. »Sakerament, die hat was!« sagte er zu dem Studenten. »Hast dich an die nicht ein bissel anpürscht?«

»Ich kenn sie ja nicht.«

»Ja so, verzeih! Du unschuldiger Joseph redest bloß mit Damen, die dir vorgestellt wer'n. Und nachher lauter Tanzstundendiskurs. So was laßt man nicht aus, wenn man damit von München bis Schliersee fahrt. Das is dreimal mehr Zeit, als notwendig is...«

Der Kandidat der Rechte Franz von Riggauer errötete wieder in der Erinnerung an die verlockenden Blicke, machte sich aber keine Gedanken mehr darüber und wollte ausschreiten, als ihn sein Gefährte zurückhielt.

»Ich will dir was sagen, Franzl, ich geh heut nicht nach Bayrischzell, ich bleib da...«

»Mach kein Unsinn, Otto!«

»Eben, weil ich keinen mach; das wär heller Blödsinn, so eine nette Gelegenheit schwimmen lassen. Ich bleib da...«

»Was willst d' denn? Es sind scheinbar verheirate Frauen, und ihre Männer sin dabei...«

»So? Das ändert die Sache – meinst du? Die zwei münchner Weißwurstarchitekten gehen mir nicht im Weg um; laß mich nur machen, gib gut acht...«

»Herrgott, morgen früh wären wir auf dem Wendelstein...«

»Der lauft dir net davon. Gib gut acht, sag ich, dann lernst was fürs Leben. Wir essen jetzt Mittag, danach bummeln wir in Schliersee herum, das andere gibt der Zufall...«

Franz mußte wie immer seinem Vetter nachgeben. Der hatte als angehender Ingenieur und gedienter Soldat ein sehr bestimmtes Auftreten und dadurch starken Einfluß auf den schüchternen Studenten.

Und im Umgang mit Frauen hatte er den Schmiß, der diesem noch fehlte.

*

Benno stocherte nach dem Essen in seinen Zähnen herum und gab sich Mühe, die Augen, die ihm zufielen, offen zu halten.

Manchmal sank ihm der Kopf nach vorne, dann gab er sich krampfhaft einen Ruck, schaute mit erstaunten Blicken seine Umgebung an und nahm einen neuen Zahnstocher aus dem Behälter.

Schegerer hatte den Kampf mit dem Schlafe längst aufgegeben und schnarchte.

»Der fidele Ausflug!« sagte Frau Resi, und obwohl sie dazu lachte, klang doch ein gründlicher Unmut aus ihren Worten.

»Mucki!«

Paula rüttelte ihren Mann, dem der Kopf eben wieder nach vorne fiel, an der Schulter...

»Weißt was, legt euch doch ein Stündl nieder und schlaft aus... Das hat doch keinen Sinn, im Gastzimmer und auf die Stühl eindudeln...«

»Han?«

»Schlafen gehts alle zwei; d' Frau Schegerer und ich gehen ein bissel an den See hinunter; in einer Stund kommen wir wieder... derweil habts ihr ausg'schlafen...«

Benno war gleich einverstanden und stand schwerfällig auf; nach einigen Anstrengungen hatte man auch Schegerer soweit, daß er mit seinem Freunde ein Zimmer aufsuchen konnte.

»Ah... ja... die Ehe und die Liebe...« seufzte Frau Resi, als sie mit Paula zum Seeufer hinunterging. »Ich glaub, es is bei alle Leut gleich... In München wenigstens scho... was ich g'sehn hab', war überall das nämliche... Meinst d' net?«

»No ja, dös is natürlich, daß...«

»... d' Liab ei'schlaft. Gel?«

»Am End kann's auch net allaweil so bleib'n«, wandte Paula wieder gutmütig ein.

»Net so...« machte Frau Resi nach.

»Was heißt denn ›net so‹? So braucht's ja net bleiben, dös bild't ma si ja net amal als Backfisch ei, aber, weißt, daß hinterm ›so‹ gar nix mehr so is, das is scho a bissel a Zumutung für unserein. Net halbet so, net a viertel so, bloß a bissel so... dös könnt ma verlanga.«

Paula lachte.

»Mir kommen heut oft auf des Thema«, sagte sie.

»Kunststück! Wenn ma'r an ganz'n Tag den Herrn Gemahl vor seiner hat. Wer is denn schuld, wenn ma allaweil an sei langweiligs Leb'n erinnert werd?«

»Ja... ja...«

Der tiefe Seufzer, den Paula ausstieß, gab der Frau Resi ihre Fröhlichkeit zurück.

»Mir brauchst d' nix sag'n«, rief sie lachend. »Dein Benno kenn ich in- und auswendig... die gleiche Ausgab wie der Meinige... vielleicht noch net ganz so, weil der Mei' fünf Jahr länger im Gebrauch is, aber sonst, mein ich, wär der Unterschied net groß... brauchst net rot wern, Paulilutscherl... Weißt«, fuhr sie, wieder ernster, fort, »ärgern kann ich mich doch, was sich die Männer immer noch für ein Ding geben, für ein Ansehn gegen uns. Immer sind s' noch die Überlegenen, die Herrn der Schöpfung, und mir sin die Schwächern, die Dümmern, die Halbfertigen. Wenn der Meinige so erhaben dahockt und mir kaum a Wörtel gunnt, und wenn er scho allergnädigst amal was sagt, mir nacha ganz kalt merken laßt, daß er mei Meinung gar net beacht, da kann i mi scho wirklich gift'n. Mit was für an Recht tun s' denn gar so dick? I möcht wirkli frag'n. Von ihre G'wohnheit'n könna s' net lass'n, ob s' damit ihrer G'sundheit schad'n, oder an G'schäft schad'n oder uns schad'n, das is alles ganz gleich, es is einfach a G'wohnheit, und von der bringt ma s' net weg... Wirtshauslauf'n, Kaffeehaushock'n, Kart'nspiel'n, Kegelscheib'n, Vereinssimpeln... D' Häuslichkeit geht flöt'n, oder, eigentlich, hast du amal eine g'habt? I net. Net a Woch lang. Der Meinige hat si weiß Gott wie prahlt, weil er am Tag nach der Hochzeitsreis' mit'n Hausschlüssel zu seine Spezi kommen is und an Rausch heimtrag'n hat... Daß er net an Preis dafür kriegt hat und in der Zeitung öffentlich dafür belobt worn is, war no alles mögliche...«

»Geh, werst di do net ärgern, Resi?«

»O ja, i ärger mi; heut is ma allerhand ei'g'fall'n, wie i di und dein Beni mitanand g'seh'gn hab. Eine solche Ungerechtigkeit is dös... Mir wenn ins G'schäft was drei'red'n wollt'n, du lieber Gott! Was dös für an Anmaßung wär... aber dem nächstbest'n herg'laufna Ladenschwengel überlaßt ma 's ganze G'schäft und de ganze Verantwortung und lauft ins Wirtshaus. Natürlich! Was versteht denn unsereins? Aber der Herr der Schöpfung versteht all's und ko net amal so viel z'sammrechna, daß Null von Null aufgeht. Und daß ma 's Geld im Wirtshaus zweimal verliert: was ma verbraucht und was ma vasäumt. Aber diese Wichtigkeit! Hast d' net Obacht geb'n, wie die Herrn der Schöpfung heut von dem faden Tarock g'redt hamm? Daß s' mit uns reden, ko ma doch gar net verlanga... mir sin ihnen doch z' wenig; was uns interessiert, über dös sind s' doch erhaben... Was dös scho braucht hat, daß s' uns gütigst mitg'nomma hamm, na reden s' drei Stund vom Kartenspiel'n, und jetzt schlafen s'...«

»I hätt gar net glaubt, daß du so...«

»Was?«

»Ich mein, daß du so energisch sei könntst...«

»Bösartig, willst d' sag'n... o mei Paulilutscherl... war i aa net... und bin's eigentlich no net, aber heut war amal so a Tag... weißt d', gegen uns laßt si auch allerhand sag'n, wenigstens gegen mi, da mach ich mir nix vor, aber wenn i so nachdenke und i denk öfter drüber nach, als d' mir vielleicht zutraust, weißt, so kindisch sin mir net, und so ordinär sin mir net wie unserne Herrn Gebieter und Erzieher. Denn ordinär könna s' sei, wenn s' mög'n. Aber es ist g'scheiter, mir red'n nimma davo... Wo hast'n du de hübsche Blusen her?«

»Vom Hirschberg.«

»So? De is geschmackvoll... De mei hat mir a kleine Schneiderin g'macht in der Rosengass'... i kann dir d' Adress' geb'n, wenn's d' amal was arbeit'n lassen willst... Du, da schau hi... De wink'n uns ja...«


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