Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweimal war Benno schon im Café Gröber bei dem Organisationskomitee, das München zur großen Fremdenzentrale umgestalten wollte, zu Gast gewesen, und die kühle, fast abweisende Behandlung, die er bei den Leuten gefunden hatte, war nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben. Man hatte in seiner Gegenwart ganz allgemein und etwas verschleiert von den ungeheuren Projekten gesprochen, die teils begonnen waren, teils in Vorbereitung standen, aber die Sicherheit, ja die Gleichgültigkeit, mit der über große Summen verfügt zu werden schien, überzeugte Benno davon, daß nun wirklich im großen Stile an die Hebung seiner Vaterstadt herangegangen werde. Ein Architekt Firnkäs, der jahrelang in New York Bedeutendes geleistet haben sollte, war, wie er sagte, nur durch diese glänzenden Aussichten auf dem Kontinente festgehalten worden. Er war eigentlich nur auf Urlaub nach Deutschland gekommen und hatte die Absicht gehabt, sehr bald wieder nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren, als er bei einem vorübergehenden Aufenthalte in dieser heiteren Kunststadt urplötzlich auf die Idee gekommen war, sie zur Zentrale der Europäer, die sich amüsieren wollen, zu machen.

In echt amerikanischer Weise hatte er den Gedanken sogleich verwirklicht, oder wenigstens die einleitenden Schritte dazu getan.

Norddeutsches Kapital und amerikanisches Kapital, wie es hieß, waren sogleich flüssig gemacht oder fest gezeichnet worden.

Es handelte sich für Herrn Firnkäs nur darum, geeignete Leute zu finden, die seine Ideen im Detail ausarbeiten und die notwendige Grunderwerbung mit Klugheit in die Wege leiten konnten.

Wie Benno unter der Hand erfuhr, war die regsame Baufirma Pflamminger & Kotzbauer sofort auf den Plan getreten.

Man wußte, das heißt, man konnte erfahren, wenn man Beziehungen zu eingeweihten Persönlichkeiten wie Schmidramsl, Rabl und ähnlichen Herren hatte, man konnte unter dem Siegel der Verschwiegenheit in Erfahrung bringen, daß Pflamminger & Kotzbauer drei ungeheure Projekte ausgearbeitet und schon seit Jahren fix und fertig in feuersichern Schränken liegen hatten.

München als Kunststadt, München als Fremdenstadt, München als Gartenstadt. Dann gab es noch eine aufsehenerregende Broschüre von einem Dr. Petuchowski, betitelt »München als Mittelpunkt des Kontinents«, in welcher der geradezu schwindelerregende Aufstieg der heitersten Stadt der Welt geschildert war.

Firnkäs hatte in richtiger Abschätzung des ungeheuren Wertes einer regelmäßigen, klug geleiteten Propaganda sofort die Gründung einer periodischen Zeitschrift ins Auge gefaßt.

Sie sollte »Isar-Athen« heißen und in riesigen Auflagen gedruckt werden.

Um den durchaus reellen Charakter des Unternehmens für alle Welt darzutun, wollte man Beratungskomitees konstituieren, denen die geistigen Führer im Lande ebenso angehören sollten wie die geschäftlichen Koryphäen.

Und zwar ging die Absicht dahin, die einzelnen in Betracht kommenden Interessen verschiedenen Komitees zu überweisen.

Die künstlerische Ausgestaltung hatten die bekanntesten Maler, Bildhauer und Architekten zu überwachen, die Finanzierung sollte durch die größten Unternehmer, Industriellen und Handelsherren klar gehalten werden, die Anlage neuer Straßen und Plätze unterlag ja ohnehin der städtischen Kontrolle, aber es war nur billig, daß auch die staatlichen Behörden zu Worte kamen, da man durch die neu erstehenden Stadtteile zur Belebung des landschaftlichen Bildes einen Fluß durchleiten wollte, der wieder Teichanlagen zu speisen hatte.

Außerdem mußte man endlich daran gehen, den Norden der Stadt an die Bahnlinien anzuschließen.

Der umfassende Weitblick des Architekten Firnkäs, seine Gabe, das Größte wie das Kleinste zu berücksichtigen, konnte nicht deutlicher dokumentiert werden, als durch seinen Vorschlag, auch die Geistlichen der verschiedenen Konfessionen heranzuziehen. Er dachte daran, aus dem Erzbischof, dem Konsistorialpräsidenten und dem Oberrabbiner ein Trifolium, wie er sagte, zu bilden, das über den Ausbau neuer Tempel, die bei dem zu erwartenden kolossalen Verkehr notwendig wurden, zu entscheiden hätte.

Allerdings kam man davon zurück, diesen Vorschlag zu Protokoll zu nehmen und den Akten der Münchner Bodenverwertungsgesellschaft einzuverleiben, da sich über die religiösen Bedürfnisse noch nicht existierender Stadtteile keine feste Meinung bilden ließ, und da man doch in erster Linie daran gehen wollte, durch ausgesprochen weltliche Reizmittel kapitalkräftige Leute anzulocken. Und kapitalkräftige Leute, wurde gesagt, seien doch nur in Ausnahmefällen religiös.

Ging man also darüber hinweg, so wurde die Errichtung modernster Kulturstätten als der Trägerinnen der Entwicklung um so eingehender erwogen.

Es sollte womöglich in einem zusammenhängenden Komplex von Palästen alles geboten werden, was dem deutschen wie dem internationalen Publikum zum Bedürfnisse geworden war.

Theater, und zwar mit besonderer Berücksichtigung der Operette, Lichtspiele, Konzerte, Varietékunst, Kabarett, Tänze.

Die Lebewelt, die bis jetzt immer noch gezwungen war, die einzelnen Arten des Amüsements mit erheblichem Zeitverlust und mit Aufwand von Mühe aufzusuchen, sollte endlich in der Lage sein, von Saal zu Saal ein ganzes Stadtviertel der Freude und der Kunst bequem zu durchwandern. Um sicher zu sein, daß in jedem Genre das Beste geboten werde, sollte ein ganzes Konsortium von bewährten Direktoren angeworben, und die Oberleitung sollte einem durch seine großartigen Darbietungen berühmten Berliner Direktor übertragen werden.

Das war es ungefähr, was Benno nach zwei Besuchen im Café Gröber erfahren hatte.

Man darf aber nicht glauben, daß Firnkäs oder Heigelmoser, der Vertreter der Firma Pflamminger & Kotzbauer, sich dazu verstanden hätten, ihr Vorhaben dem kleinen münchner Kaufmann auseinanderzusetzen.

Er konnte wohl einiges aus ihren kurzen Bemerkungen und Gesprächen heraushören, aber den Einblick in diese Welt von Ideen und kühnen Plänen verdankte er ausschließlich seinem Freunde Rabl, der, wie er selbst bescheiden sagte, nur als kleiner Agent in der Abteilung für Terrainankauf beschäftigt wurde.

Benno war berauscht von der ungeheuerlichen Größe der Projekte; alles, was er da zu hören bekam, war auf den Gipfel getriebene Steigerung alles dessen, was er in bescheidenen Maßen gedacht, geträumt, geplant hatte.

Als münchner Bürgerssohn war er natürlich aufgewachsen mit Vorstellungen von Reichtum, der sich mit Grundstücksspekulationen schnell erwerben ließ. Vielleicht träumt der Rheinländer von der Entdeckung reicher Kohlenflöze, der Hamburger von Konjunkturen in Kaffee, der Sachse von der Erfindung praktischer Gebrauchsgegenstände, der Münchner sieht in holden Träumen das Glück stets im Hinaufschnellen der Preise von Quadratschuhen, in der Umwandlung von Wiesen zu Bauplätzen.

Benno war, wie die meisten seiner engeren Landsleute, vollgepfropft mit Geschichten von ausgenutzten und von versäumten Gelegenheiten; er konnte Leute nennen, auf deren Kartoffeläckern ganze Reihen von Mietkasernen erbaut worden waren, und wieder andere, die wertlose Flächen um ein Spottgeld erwerben und Millionen verdienen hätten können, er kannte Abfallplätze und Kiesgruben, die später ein Sündengeld kosteten, und er beklagte Dutzende von Gelegenheiten, die sein Vater gehabt und nicht erkannt hatte.

Aber was war das alles gegen den verwirrenden Glanz, der da mit einem Male seine Augen blendete?

Er machte beim Frühschoppen Andeutungen, daß München vor einer Umwälzung stehe, daß es in kurzem die Stadt des Luxus und der Lebensfreude sein werde, und den Zweifeln seiner Tischgenossen setzte er ein siegesgewisses Lächeln entgegen.

Wenn sie wüßten!

Allerdings, manchmal wunderte er sich selbst, daß die Kunde von diesen kolossalen Gründungen nicht in die Öffentlichkeit gedrungen war; man hätte glauben sollen, daß sie wie fressendes Feuer um sich greifen werde. Aber es setzten sich darum keine Zweifel in ihm fest.

War er doch unbeteiligt, hatte doch niemand das geringste Interesse daran, ihn zu täuschen; und die Männer, die er von dieser fertigen, vollendeten Tatsache hatte sprechen hören, waren weltgewandte Geschäftsleute. Daß sie das Geheimnis so strenge gewahrt hatten, bewies nur ihre Tüchtigkeit, und daß er, Benno Globerger, als einer der ganz wenigen, ins Vertrauen gezogen worden war, zeigte, daß er etwas galt.

Es gab ihm Selbstgefühl und Würde, und davon bekamen seine Leute zu Hause einiges zu kosten.

Er kehrte die Herrennatur stark heraus und sprach bei unbedeutenden und bei unpassenden Gelegenheiten von Rücksichten, die er verlangen könne und verlangen müsse. Schon der Ton seiner Stimme war verändert, sie klang voller und kräftiger, und er vermied es offensichtlich, im Dialekte zu sprechen.

Er konnte mit der Uhr in der Hand und einen sehr strafenden Blick aussendend mit scharfem Tonfalle fragen:

»Warum ruft man mich zu Tisch, wenn die Suppe noch nicht dasteht? Ich habe gestern gesagt...«

»No, auf de paar Minuten geht's aa nimmer z'samm«, erwiderte seine Mutter.

»Nicht? Weißt du das besser wie ich? Wenn ich im Kontor stehe und fieberhaft arbeite... Glaubst du, es ist mir angenehm, wenn ich da herausgerissen werde? Und dann muß ich hier die kostbare Zeit versetzen...«

»Jetzt hör auf! Du kummst halt vom Frühschoppen... net?«

»Kontor, habe ich gesagt. Ich komme eben aus dem Kontor...«

»Na... bist halt vor fünf Minuten hoamkumma...«

»Ich bitte, mir nicht fortwährend solche Sottisen zu sagen... ich glaube, daß ich gewisse Rücksichten verlangen kann, wenn ich nervös und abgespannt von der Arbeit heraufkomme...«

»Was hast denn eigentli, Beni?«

»Ich glaube, daß ich in meinem Hause, an meinem Tisch wenigstens das bißchen Anerkennung beanspruchen darf...«

»Seit acht Tag kenn i di nimmer...«

»Möglich.«

»Mir ham dir doch nix in Weg g'legt. Woaßt du eigentli, was er hat, Paula?«

»Nein.«

Paula sagte es sehr ruhig, sie hätte hinzusetzen können, daß es sie nicht im mindesten interessiere.

Sie beachtete die Wichtigkeit und das aufgeblasene Wesen ihres Mannes nicht. Das Zusammensein mit ihm wurde ihr stets unerträglicher; zuerst hatte sie sich ihm gegenüber schuldbewußt gefühlt, und sie war geneigt gewesen, durch Güte ihr Unrecht auszugleichen. Sie hatte sich gegen die Erkenntnis von seinem Unwert und seinen Schwächen gewehrt, aber aus jedem Worte hatte sie die Verlogenheit seines Wesens herausgehört.

Nichts war an ihm, gar nichts.

Es war zwischen ihnen nie zu einer Szene oder auch nur zu einem erregten Streite gekommen, seit sie Franz liebte.

Ganz so wie früher lebten sie nebeneinander; es fielen sogar die verdrießlichen Stimmungen weg, die ehedem durch ihr Schmollen über seine Gleichgültigkeit entstanden waren.

Aber viele Kleinigkeiten, die sie früher nicht beachtet hatte, sah sie jetzt mit grausamer Deutlichkeit, und jede zeigte ihr, wie der Mensch für nichts als schale Vergnügungen Sinn hatte, wie ihm jede ernste Auffassung vom Leben, jeder Mut zur Arbeit fehlte, wie er sich selber mit Redensarten belog, wie unfertig er war. Sie gab sich über die Einzelheiten keine Rechenschaft, sein ganzes Wesen stieß sie ab, reizte sie zum Zorne, ekelte sie.

Ob sie wußte, was er hatte?

Irgendeine dumme Laune, die ihn hoffärtig stimmte, ihn an seine Bedeutung glauben ließ, nachdem er vielleicht den Tag zuvor von seiner Schwäche überzeugt gewesen war und die Eltern einer verfehlten Erziehung, das Schicksal der größten Ungerechtigkeit beschuldigt hatte.

Sie wußte ja, irgendein eingebildeter oder auch wirklicher Fortschritt im Geschäft machte, daß er ein paar Tage auf Stelzen ging; kamen erst wieder Mahnbriefe und Wechsel, so wurde er kleinmütig und trank im Weinhaus aus Kummer, wie er zuvor aus selbstgefälliger Freude getrunken hatte.

Nein, sie wußte nicht, was mit ihm war. Früher hatte sie es zuweilen gewußt; das war vorbei.

Sie sah ihn nicht einmal an. Sie kannte die Miene schon, die er jedesmal aufsetzte, wenn die Bedeutsamkeit über ihn kam.

»Is denn was B'sonders im Geschäft?« fragte die Mutter.

»Was? Geschäft?«

»No, weil d' sagst, daß d' so arbeit'n muaßt?«

»Das muß ich vielleicht immer. Aber man denkt net bloß an sich und seine Interessen. Man sieht vielleicht hie und da weiter...«

Das kannte die alte Globergerin nun auch zur Genüge, das Weitersehen, die G'schaftlhuberei. Von der wollte sie nichts hören, und sie stellte das Fragen ein.

Der Gleichmut dieser zwei Frauenzimmer reizte Benno. Indes er in den Zähnen stocherte, nahm er sich vor, sie aufzustacheln.

»Hat niemand von einem Komitee nach mir gefragt?«

»Woaß nix von an Komitee...«

»Oder vom Magistrat? Hat überhaupt niemand nach mir gefragt?«

»Na...«

Die Unterhaltung stockte wieder. Paula stand auf und räumte das Geschirr ab; die alte Globergerin gähnte; sie hatte Schlaf. Es war für Benno wenig Aussicht vorhanden, noch etwas Geheimnisvolles anzubringen. Aber ohne den Versuch dazu wollte er nicht abgehen. Er zog seine Uhr heraus, denn das tat er immer, wenn er ganz Herr der Situation und ganz Geschäftsmann war.

»Sollte... ah... für den Fall, daß jemand nach mir fragen sollte, so bin ich bis halb drei Uhr im Café Probst anzurufen...«

»Was gibt's denn so Pressant's?« fragte nun doch die Mutter. »Oder Wichtig's?«

»Jedenfalls etwas so Wichtiges, daß ich sofort angerufen werden muß.«

»Is 's weg'n a Lieferung?«

»Nein.«

»Oder wieder amal weg'n der Straßenverbreiterung?«

»Verbreiterung?« Benno lachte überlegen. »An unser Winkelwerk da herin denkt zurzeit niemand. Vielleicht handelt es sich um neue Straßen, um Straßenzüge, um Stadtviertel...«

»Was geht denn dös uns o?«

»Das heißt, was es mich angeht? Sehr viel, kann ich dir sagen. Mehr, als du denkst...«

»Straßenzüg?«

»Ja... Stadtviertel, neue Zentren... aber ich habe nicht das Recht, darüber zu reden... wie gesagt, bis halb drei Uhr Café Probst«

»Du... paß auf... Beni...«

»Adjö einstweilen!«

»Beni...«

Er hatte schon die Türe hinter sich geschlossen. Die Alte war aber unruhig geworden.

»Er werd do net wieder a Spekulation im Kopf haben? Woaßt du was davon?«

»Nein«, sagte Paula gleichmütig.

»Hat er nix g'red't mit dir?«

»Nein.«

»Na... sagst d' allaweil. Und g'rad so, als wenn's di nix o'gang. Werst scho sehg'n, was 's is, wenn er de Dummheit wieder o'fängt! Hamm ma no net g'nua Hypothek'n auf'n Haus?«

»Ich bin doch net schuld...«

»Soll'n d' Schuld'n allaweil no mehra wer'n? Und wer zahlt denn die Zinsen? Und wenn oan de amal über'n Kopf wachsen, was is denn nacha?«

»No ja.« Paula zuckte die Achseln.

»I versteh di net. ›No ja‹, sagt s', ›i bin net schuld‹, sagt s'... als wenn's gar nix waar, als wenn ma net von Haus und Hof kumma kunnt! Als wenn net anderne auf de Weis' scho ihr ganz' Sach' verlor'n hätt'n... ›No... ja... Wer'n ma halt bankrott‹, net? ›Lass' ma halt 's Haus versteigern‹, net? ›Find'n ma scho wieder an anders... Was liegt denn dro?‹«

»Kann ich was machen?«

»O ja... red'n ko ma... moanst du, mir hätt'n no an Ziegel auf'n Dach, wenn i mein Mann selig alloa wursteln hätt lass'n? In die siebaz'ger Jahr, wia der groß' Schwindel war? Da hab i mi aa auf's Red'n verleg'n müass'n und auf's Bitt'n... bloß auf de Weis' hab i 's Ärgste verhüat. Alles net, aber do wenigstens 's Ärgste. Wie oft hab i g'sagt: ›Denk an dein Buam!‹«

»I weiß ja gar net, ob er was vorhat...«

»Da fragt ma halt! Da red't ma, und red't und fragt... amal ruckt er scho raus... Di schauet's scho anderst o, wenn's d' a Kind hätt'st... aber freili, wenn's ös Kinder hätt's, waar' alles anders...«

Paula ging schweigend hinaus.

Wenn die Alte davon anfing, war kein Ende abzusehen.


 << zurück weiter >>