Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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»Holiä... holiä... juhu!«

Frau Resi juchzte aus einiger Entfernung herüber; sie kam Arm in Arm mit Herrn Jüngst, lachend und zuweilen einen Schrei ausstoßend, heran.

»Mir sin um die ganze Insel rumgangen... war'n mir lang aus?« rief sie.

»Net so arg«, erwiderte Paula, »aber es is doch Zeit, daß mir heimtracht'n...«

»Ah, papperlapapp! Mein Alt'n bringt d' Sehnsucht net um...«

Resi war merklich ausgelassener und fröhlicher wie vor dem Spaziergange.

Als sie sich anschickte, in den Kahn zu steigen, raffte sie den Rock kokett bis zum Knie und stützte sich sehr fest auf ihren Begleiter.

»Net auslassen... Ottibubi«, rief sie, »sonst fall ich... so... no, Paulilutscherl... wie hast dich unterhalten mit dein schweigsamen Kavalier?«

»Danke schön, ganz gut. Mir war'n gar net so schweigsam, gelten S'.«

»Schad, daß ihr net mitgangen seid's... die Insel is nett«, sagte Resi mit einem entzückten Augenaufschlag. »Die alten Bäum'... und diese Ruhe! Ganz romantisch... Jessas... Ottibubi, jetzt wärst mir beinah auf d' Hand nauftreten...«

Herr Jüngst, der sich in der kurzen Zeit unter den romantischen Bäumen den zärtlichen Namen erworben hatte, schob den Kahn vom Ufer ab, und bald fuhren sie rasch über den See.

»Am Steg steht wer«, sagte Paula. »Ich glaub, das is mein Mann...«

Resi sah scharf hin.

»Der mei is g'wiß net... So besorgt is der net«, meinte sie.

Paula wurde ängstlich.

»Was sag'n mir denn, wo mir die Herren kennen g'lernt haben?«

»Wo? Ganz einfach, das Schifferl war das einzige, das frei war, und...«

»Na, der Benno nimmt mir's übel, wenn ich mich von Fremde einladen laß...«

»Ich sag ganz einfach, der Ottibubi is der Bruder von einer Freundin von mir. Mir hamm uns zufällig am Steg troffen... Übrigens, dös is ja gar net dein Mann...«

Paula atmete auf.

»Na... er is net... Gott sei Dank!...«

»Dös is ja der fade Mensch, der in der Eisenbahn so viel g'red't hat...«

Sie waren nahe genug ans Ufer gekommen, um Herrn Laubmann zu erkennen, der, auf seinen Regenschirm gestützt, in den See hinausspähte.

Als er die Bootsinsassen ins Auge gefaßt hatte, schwenkte er lebhaft seinen Hut.

»Der will was«, sagte Jüngst.

»Wahrscheinlich uns wieder ansoßen... Der gräusliche Mensch...« Frau Resi schüttelte sich. »Aber dösmal laß ich ihn g'hörig abfahr'n...«

»Lieber net«, bat Paula. »Ma weiß net, ob er net recht dumm daherred't, wenn er beleidigt is...«

Herr Laubmann hielt die Hände vor den Mund und schrie herüber:

»Die Damen werden von ihren Gatten erwartet...«

»M-hm... ja... Da braucht ma di dazu...« brummte Resi. Paula nickte anscheinend freundlich mit dem Kopfe und winkte dem besorgten Herrn beschwichtigend mit der Hand.

»Die Damen werden von ihren Gatten ungeduldig erwartet...« wiederholte Laubmann, als der Kahn anlegte.

Resi sprang zuerst heraus und glättete ihren Rock.

»Die Ungeduld wird net so groß sei«, sagte sie etwas schnippisch.

»Doch! Ich nehme an, daß Ihr Mann sehr besorgt ist, weil er öfters nach Ihnen gefragt hat... die Herren machen ein Spielchen und wollten dem Kellner den Auftrag geben, nach den Damen zu forschen... ich habe mich selbstverständlich dazu erboten...«

»Gestatten... Otto Jüngst...«

»Sehr angenehm... mein Name ist Laubmann, Vertreter der Firma Probst in Hof...«

Franz murmelte seinen Namen und verhehlte kaum seinen Mißmut darüber, daß ihn der Mensch so verwundert anstarrte. Herr Laubmann war aber etwas erstaunt, den jungen Studenten in Gesellschaft der Damen wiederzufinden.

Resi machte der langweiligen Szene ein Ende.

»Wir müssen jetzt zu unsern Strohwitwern zurück... Dank schön für die Fahrt... und auf Wiedersehen...« In dem Blick, den sie mit Herrn Jüngst wechselte, lag ein Versprechen.

Paula schüttelte Franz die Hand.

»Adjö.«

»Ich würde mich freuen, wenn ich wieder einmal die Ehre hätte«, sagte er.

»Vielleicht in der Stadt... adjö!« wiederholte sie.

Herr Laubmann ging neben ihnen her.

»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, daß die Damen Verehrerinnen des Wassersports sind, hätte ich Ihnen meine Dienste zur Verfügung gestellt...«

»Es is so auch gangen«, erwiderte Resi.

»Gewiß... aber wir hätten im Einverständnis mit Ihren Gatten das Vergnügen ausdehnen können...«

»Ja, wir müssen uns jetzt trennen«, sagte Paula.

Laubmann lächelte.

»Wenn Sie gestatten, möchte ich Sie doch Ihren Gatten in die Arme führen...«

»Na, dank schö... dös schaut gar so arretiert aus...« rief Resi sehr energisch. »Adjö... Herr... Herr...«

»Laubmann«, ergänzte der Reisende mit einer ritterlichen Verbeugung.

Er sah hinter ihnen drein und bürstete seinen Schnurrbart in eine herausfordernde Lage, und in seinen Augen lag so etwas wie ernste Mißbilligung des weiblichen Leichtsinns.

*

Schegerer lag auf dem Kanapee eines kleinen Hotelzimmers und schnarchte. Benno lag auf dem Bette daneben und wachte soeben auf; er schaute wild um sich und erinnerte sich allmählich, daß er auf einer Landpartie in Schliersee war.

»Glasl!... Glasl!... He... Du! Herrgottsakra... Glasl!... wach amal auf!«

Schlaftrunken hob der andere den Kopf vom Kissen.

»Was is? Was gibt's?«

»Aufsteh tean ma... mir hamm lang g'nua duselt...«

»Was tean ma nacha in dem Höft, wenn ma auf san?« Schegerer brummte es und blieb auf dem Kanapee sitzen; dabei schaute er unverwandt vor sich hin auf den Boden.

»Jetzt mach amal!« drängte Benno, der die Schuhe einschnürte. »Sonst kriagn mir wieder die Lamentationen der verehrten Damenwelt.«

»Von mir aus. Überhaupts, mei Liaba, mi stimmst so glei nimmer raus in dei schöne Bergwelt. In da Stadt drin gang i halt jetzt zu an vernünftigen Tertl ins Kaffee Perzl, und da heraus kon i d' Natur o'schaug'n mit die Aug'n. So schnell nimma, dös sag i dir...«

»Du bist granti wia die kloan Kinda nach'n Schlaf'n...«

»I bi scho z'erscht belzi g'wen, mei Liaba; weil i dös so gern hab, Familienausflug mit traulichen Gesprächen...« Schegerer sagte es hochdeutsch, um seinen Abscheu deutlich zu machen.

»Jetzt san mir amal da und müass'n do a kloans bissel dergleichen toa... Freuen tuat mi de Aufgab ja ungefähr so wia di...« beschwichtigte Benno.

Schegerer hatte sich fertig gemacht, blieb aber noch am Fenster stehen und sah in den Hof hinunter.

»Hier ist zu sehen eine ländliche Idylle«, sagte er. »A Misthaufen nebst einigen Mistkratzern und dem dazugehörigen Gockel... Ja, krah no, dummer Teufl! Wenn's d' amal g'scheiter werst, treibst di nimma mit die Henna umanand! Na schaugst aa, daß d' dein Grüabig'n hast...«

Benno lachte.

»Jetzt wenn di dei Alte höret!«

»Was waar's nacha? Glaabst d' vielleicht, de erfahret was Neu's?«

»Aber vielleicht saget s', daß s' di aa wieder amal gern krah'n höret...«

»M-hm... I glaab allaweil, mit dein Stimmstock is aa nimma weit her...« Das Gespräch hatte Schegerer in bessere Laune versetzt, und er ging nun lachend mit seinem Freunde ins Gastzimmer hinunter.

An einem Tische saß ein Mann hinter einer Zeitung versteckt. Als er die lärmenden Stimmen hörte, ließ er das Blatt sinken, und in diesem Augenblicke rief Schegerer:

»Jessas... da Rabl! Ja... Schorschi, wia kimmst denn du da außa?«

»G'schäftshalber, aba was teat's denn ös da?«

»Familiensimpeleihalber... Er, woaßt d'...« dabei deutete Schegerer auf Benno... »Aba jetza, Schorschi, kimmst d' uns nimmer aus, jetzt geht a Tarock z'samm, sag i...«

»Warum net?«

»Also... Wirtschaft! He da! A neue Kart'n... ...Blöck'... Jetza bin i a bissel versöhnt mit dera Idylle und der schönen Bergwelt... Kreuzsakra, dös hätt i mir heut nimmer g'hofft...«

»I will g'schwind schaug'n, wo unsere Weiber san«, sagte Benno.

»Dableib'n!« kommandierte Schegerer, den die gute Laune sehr laut werden ließ. »Kreuz Birnbaam und Hollerstaud'n, dös waar mir dös Wahre! Da Bubi möcht d' Mama holn... gehst ma net weg mit dem Schmarrn!«

»Aba mir müass'n...«

»Nix müass' ma, tarock'n müass' ma, verstand'n... Da san d' Kart'n scho... hock di hi auf deine fünf Buchstab'n und woan net nach der Mammi... Du gibst, Schorschi.«

Benno ließ sich gerne überreden, und bald hatte er seine Frau genau so vergessen wie Herr Schegerer.

Er wurde an Paula erinnert, als Herr Laubmann ins Gastzimmer kam und an den Tisch hertrat.

»Die Herren machen ein Spielchen? Darf ich mich erkundigen, was die Damen unternommen haben?«

»I glaab, daß s' beim Konditor hocka und Zeitlang hamm nach Eahna«, antwortete Schegerer, der aus seiner Abneigung gegen den imposanten Reisenden kein Hehl machte.

»Sehr schmeichelhaft«, sagte Laubmann, der einen Scherz nie übelnahm.

»Ich nehme an, daß die Damen eine Kahnpartie machen; wenigstens hat mir der Bootverleiher erzählt, daß zwei Frauen und zwei Herren nach der Insel gefahren sind. Die Beschreibung läßt mich vermuten, daß es sich um Ihre Damen handelt.« Schegerer zeigte keine Überraschung; auch Benno blieb ruhig.

»I schick von der Wirtschaft wen nunter an See, daß d' Paula woaß, wo i bin, wenn s' z'ruck kommt...« sagte er.

»Wenn Sie mir die Ermächtigung geben, will ich die Botschaft gerne bestellen.«

»Gib s' eahm!« sagte Schegerer trocken. »Vielleicht kriag'n ma nacha unser Ruah beim Tarock'n...«

»Sie entschuldigen, wenn ich gestört haben sollte...«

»I entschuldig gar nix, Sie hamm die Ermächtigung, Sie bestellen die Botschaft, Sie gengan am See abi, Sie lass'n uns in Ruah... und jetzt spiel i a Graßsolo... Du kimmst raus, Beni... i bin in da Mittelhand...«

Der Vertreter der Firma Probst entfernte sich mit verzeihendem Verständnisse für süddeutsche Derbheit und wurde am Seeufer Zeuge dessen, was die Damen unternommen hatten.

Durch Resis schroffe Ablehnung wurde er um die Möglichkeit gebracht, der Rückkehr der schuldbewußten Frauen beizuwohnen.

Sie vollzog sich einfach und herzlich.

Schegerer machte eine halbe Wendung gegen seine Frau Gemahlin und fragte: »Bist da? Warum seid's denn net länger am See blieben?«

Benno lächelte freundlich.

»Grüß di Gott, Muckerl! Setz di her und schaug zu, daß d' was lernst.«

Diese Einladung nahm Paula nicht an; sie setzte sich mit ihrer Freundin an einen Nebentisch.

»Da hast dei G'wissenhaftigkeit«, murrte Resi. »I hab's ja g'wußt, bei dir is genau wie bei mir, und i komm mei'm Mann allaweil no z' früh. Eigentli hätt i gute Lust und gehat nomal nunter am See.«

»Dös geht net«, flüsterte Paula.

»Geht net... m... hm... aber dös geht, daß mir a paar Stunden dasitz'n wie ang'malte Affen... Na... einen Zorn hab i, daß i 's Kaffeeg'schirr an d' Wand schmeißen möcht.«

»Laß dir's doch net so ankennen...«

»Warum net? Schau do hin... strapaziern sich vielleicht die edlen Herrn und verstellen sich vor uns? Mit der größten Offenheit zeigen s' uns, daß ihna alls lieber is als wie unser G'sellschaft. Weißt, Paula, uns Frauenzimmer g'schieht's eigentli recht, mir sin alle feig. Warum stehn mir net auf und sag'n zu dena Bierdimpfl...«

»Bst... aber geh... Resi...«

»Ja, Bierdimpfl... sind s' vielleicht was andres?... warum sagn mir ihna net, daß s' uns eckelhaft sin?«

»Weil ma sein Frieden haben möcht, und weil mit der Schimpferei nix besser werd...«

»I will gar kein Frieden haben... na! An solchen net, wo er alles tut, was er mag, und i alles leid, was i net mag«

»Heut machst d' 's auch nimmer anders, Resi... jetzt geh doch zu... was woll'n ma denn mach'n?«

Es gelang Paula allmählich, ihre Freundin zu beruhigen. Ein Ärger hielt bei Frau Resi nicht lange an, und ihr Mißmut schlug bald wieder in Fröhlichkeit über. Sie tätschelte Paula auf die Backen.

»Du bist a gute Haut... viel z' gut für an g'wissen Jemand... aber eigentlich hast d' recht, ma soll sich net ärgern. Und jetzt freut mich was! Jetzt freut's mich erst!«

Sie patschte lustig in die Hände.

»Siehgst, wenn ma sich Gedank'n machet – aber ich mach mir scho keine –, aber wenn ich mir ei' machet, na brauch i bloß da nüber schau'n, und i bin gründlich kuriert... Die da drüben meinen, weiß Gott wie untertänig mir sin – Schnecken!...«

»Du, Manni!« rief sie übermütig zum Spieltisch hinüber. »Auf der Insel war's heut lieb! Da möcht i no öfter nüber fahrn...«

Herr Schegerer stach gerade mit dem letzten Trumpf und ließ sich nicht stören.

»Vo mir aus«, brummte er.

»Vo dir aus? Gibst mir du die Erlaubnis dazu?« Sie lachte ausgelassen.

»Ja... achtavierz'g... neunafufz'g... was gengan mi deine Inseln o?... Jetzt laß mir mei Ruah!...«

»De lass' ich dir...« Frau Resi lachte sehr laut. »Hast d' ghört, Paulilutscherl, er erteilt mir seine Genehmigung...«

Benno sah herüber.

Es war etwas in der lauten Lustigkeit, was ihm auffiel, aber wie er die Frau ansah, die sich so kindisch über nichts und gar nichts freuen konnte, fand er seine Meinung von der weiblichen Minderwertigkeit wieder einmal bestätigt.

Der Nachmittag verging, die Sonne neigte sich zu den Hügeln im Westen hinunter, und es wurde ein stiller, feierlicher Abend.

Auf den Spieltisch klatschten die Karten eintönig weiter; nach dem Herzsolo kam ein Schellnsolo, Assen wurden verschunden, und Zehner wurden hineingetrieben. Es blieb noch eine Viertelstunde bis zum Abgang des letzten Zuges.

»Oans geht no«, rief Schegerer übermütig... »gib aus, Schorschi, und tua net so langsam!«

Und das Glück war mit Schegerer. Er konnte noch einen Rufer spielen und den Aufenthalt in der herrlichen Bergwelt auf das schönste abschließen. Dann mußte man aber hastig die Wirtsrechnung zahlen und in scharfer Gangart zum Stationsgebäude eilen.

Kaum hatte die Gesellschaft ihre Sitze im Kupee eingenommen, setzte sich der Zug in Bewegung und fuhr an grünen Hügeln vorbei ins flache Land hinaus. Kräftiger Duft von frisch gemähtem Heu drang zum Fenster herein, und Paula schaute träumend zu den Bauernhäusern hinauf, die sich breit und behaglich die Abendsonne auf die Schindeldächer scheinen ließen.

Frau Resi blinzelte zur Brecherspitze hinüber, die auf den See hinuntersah, und sie dachte an eine Insel, die darinlag.


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