Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Wie es der Zufall wollte, kam aber wirklich der beste Freund Bennos – der war Rabl geworden – und fragte hastig und geheimnistuerisch nach ihm. Er hielt der alten Globergerin, die ihn ausfragen wollte, nicht stand, sondern eilte in das Kaffeehaus, wo er Benno auf die Seite zog, um ihm mitzuteilen, daß man seine Anwesenheit bei einer Beratung in der Kanzlei des Justizrats Hiergeist wünsche. »Man«, nämlich ein Ausschuß der Bodenverwertungsgesellschaft.

Benno war sehr überrascht. Was konnte man denn von ihm wollen?

»Dös kann i dir leider net sag'n... Es muaß was Wichtig's sei, weil mir der Firnkäs selber den Auftrag geben hat. Beni, laß dir de Gelegenheit net auskemma! Wenn du mit de Leut amal in Beziehungen treten bist... verstehst?... wenn du mit dena amal z' toa kemma bist, nacha bist drin in dem Kreis... verstehst?... und dös will was hoaßen. De Leut' nutzen oan net aus, sie verlangen allerdings streng reelles Vorgehen, zum Beispiel, wenn s' von dir an Auskunft hamm wollen, wia g'sagt, i woaß ja net, warum dein Erscheinen gewünscht wird, aber wenn s' an Auskunft wollen, schneid net um, bleib bei der Wahrheit, kurz und guat, reell, du vastehst mi scho. Und daß i's nomal sag, bist d' oamal drin, nacha bleibst d' aa drin, und dös waar dir g'schäftlich da größte Nutzen. Zum Beispiel de ausschließliche Lieferung für de Etablissements kunnt dir übertragn wern... Was moanst denn, daß dös hoaßet? Beni! Die ausschließliche Lieferung, die aus...schließ...liche... also konkurrenzlos... verstehst?... für die sämtlichen Objekte? Hast d' an Idee? Was moanst denn, daß da amal Kaffee g'suffa werd? Thee? Schokoladi? Oder was d' Zigarren ausmacha? Und d' Zigarett'n? Oder d' Sardell'n? Mei Liaba... Und dös andere was de feine Welt frißt und sauft? Mensch, da liegen ja Vermög'n für di auf da Straß'n!«

Benno zwang sich zur Ruhe.

»Das liegt im weiten Feld«, sagte er. »Ich weiß ja noch net, ob und wie und mit was ich den Leuten dienlich sein kann...«

»Zum o'schaug'n lassen di de Herrn net komma. Dös ko'st da denk'n. Irgend was muaß da im Werk sei... Und bal's dös Geringste is, so hast du jedenfalls die G'legenheit, daß du vorläufi amal Fuaß fassen ko'st... Haut scho... Beni! I hab an Ahnung, daß du heut an Glückstag hast...«

»Abwart'n«, antwortete Benno mit Würde. »Um wieviel Uhr soll ich bei dem Justizrat sein?«

»Punkt vieri... verspät di net! Es machat an schlecht'n Eindruck...«

»In Geschäftssachen gibt's bei mir nur Pünktlichkeit; Justizrat Hiergeist, nicht wahr?«

»Ja... der bekannte Vertrauensmann bei alle Unternehmungen... Du woaßt scho... Kaufingerstraße...«

Um vier Uhr stand Benno vor der Türe der Anwaltskanzlei.

»Nicht anklopfen!« war angeschrieben. Er trat in ein geräumiges Zimmer ein, in dem vier Schreiber an Pulten saßen; einer davon wandte sich halb gegen Benno hin.

»Sie wünschen?«

»Mein Name ist Globerger...«

»Globerger... mit G? Fischer... hamm mir an Akt Globerger?«

Ein junger blasser Mensch, der an einem Stück Brot kaute, murmelte mit vollem Mund:

»Globerger... Globerger... contra... hab i no nia was g'hört...«

»Ich bin nämlich eingeladen zu einer Sitzung der Bodenverwertungsgesellschaft.«

»Boten...verwertungsgesöllschaft... bei ins da?« fragte der Buchhalter.

Der blasse Mensch ging zu ihm hin und flüsterte ihm etwas zu.

Benno fühlte sich unbehaglich. Er hatte sich einen Saal vorgestellt, einen langen, grünen Tisch, um ihn herum feierlich blickende Männer, und jetzt stand er vor einem kauenden Schreiber.

»Botenverwertungsgesöllschaft?« fragte der Buchhalter noch einmal. »Hamm mir an Akt Botenver...«

Der junge Mann flüsterte ihm wieder was zu; diesmal deutlicher, weil er sein Brot hinunter geschluckt hatte.

Nun schien ihn der andere zu verstehen.

»Ah so... da Firnkaas... so... soo... ja...« fragte er Benno... »san Sie b'stellt?«

»Man hat mich ersucht, mich hier einzufinden...«

»Fischer... fragen S' amal beim Chef o...«

Der Blasse ging langsam zur Türe, die in das Zimmer nebenan führte, da wurde diese rasch geöffnet, und ein dicker, mit etwas auffälliger Eleganz gekleideter Herr kam in die Schreiberstube.

Justizrat Hiergeist, der Sachwalter der Spekulanten.

Es war ein Hauch von Unsolidität um den Mann, und der ließ sich nicht an Einzelheiten feststellen, er war undefinierbar und machte sich doch geltend.

Kam es davon, daß sich seinem Äußern die Absicht, als etwas anderes zu erscheinen, anmerken ließ?

Der Stehkragen mit den umgebogenen Ecken, der den Adamsapfel frei ließ, die nachlässig geschlungene Krawatte konnten auf einen Sänger raten lassen.

Auch den karierten, gut gearbeiteten Anzug hätte man nicht bei einem Aktenmenschen gesucht.

Das Auffälligste waren Ringe mit großen Brillanten, die er an zwei Fingern der linken Hand trug. Der Zipfel eines sehr merkbar parfümierten Sacktuches sah aus der Seitentasche heraus, und der Geruch vermengte sich mit einem leisen Duft von Wein.

In seinen Bewegungen zeigte der Justizrat die Eleganz eines Ballettmeisters, eines Zirkusdirektors, eines Mannes, der das Auftreten einer Diva verkündet. Er verbeugte sich mit einem fragenden Blicke leicht gegen Benno.

»Mit wem habe ich die Ehre?«

»Globerger ist mein Name...«

»Ah! Scharmant! Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Firnkäs sagte mir schon... Bitte, wollen Sie eintreten? Die andern Herren werden im Moment kommen.« Er verbeugte sich kavaliermäßig, er schlurfte mit dem Fuße und ließ Benno den Vortritt.

Das war doch etwas anderes wie der erste Empfang, das hatte Ähnlichkeit mit dem, was man sich beim Herweg vorgestellt hatte.

Der Raum, in den Benno eintrat, war durch schwere Plüschvorhänge verdunkelt; die Einrichtung war altdeutsch, wie es der Münchner nannte.

Auf einem der hochlehnigen Stühle saß Herr Firnkäs, der sich nachlässig erhob und den Eintretenden mit dem durchdringenden amerikanischen Blicke musterte.

»A-ch! Ich kenne Sie. Ich habe Sie gesehen in das Kaffeehaus am Gemüsemarkt...«

Herr Firnkäs hatte viele Jahre bloß englisch gesprochen und beherrschte das Deutsche nicht mehr völlig korrekt. In seiner Aussprache machten sich auch die angelsächsischen Gaumenlaute sehr bemerkbar.

»Ich hab schon die Ehre gehabt... Globerger ist mein Name...«

»Yes... ja wohl... Sie haben das große Geschäft beim Felber... beim Färbergraben... sehn Sie... ich weiß es...«

»So groß, möcht ich nicht g'rad behaupten...«

»Es ist mir gesagt worden, Sie sind ein tüchtiger Mann... ein moderner Geschäftsmann... ich weiß es... ein Mann hat es gesagt, auf den Vertrauen ist...« Herr Firnkäs sah Benno noch einmal durchdringend an. Wenn Amerikaner einen Mann so anschauen, geht der Blick durch Herz und Nieren; sie prüfen den Mann; und schütteln sie ihm dann die Hand, fest, beinahe schmerzend, dann haben sie ihn für gut befunden und halten zu ihm. For ever. Und Herr Firnkäs schüttelte Benno die Hand ruckweise, sehr fest, und nochmal mit einem Ruck.

Das Vertrauen war da.

Der Justizrat bot den zwei Männern, die gegenseitig ihren Wert erkannt hatten, Zigaretten an. Aus einem goldenen Etui, das er nachlässig wieder in die Westentasche steckte.

Er wandte sich an Benno.

»Ich nehme an, daß Sie über den Gegenstand unserer Beratung ausreichend informiert sind. Wenn Sie 's aber wünschen, lege ich Ihnen den Akt vor mit den Protokollen der vorausgehenden Sitzungen.«

»Entschuldigen, Herr Justizrat, aber ich muß aufrichtig gestehen, daß ich inbetreff dieses keine Ahnung habe, was eigentlich die Einladung bezweckt... beziehungsweise... also... womit ich sozusagen dienen kann.«

»Ach so... Sie sind nicht eigentlich eingeweiht...?« Hiergeist warf einen fragenden Blick auf den Amerikaner, der heimlich die Augenbrauen hoch zog.

Der Justizrat verstand, daß er Zurückhaltung üben sollte.

»So... so... übrigens fällt mir jetzt ein... ja... ja... ganz richtig. Was wollten Sie sagen, Herr Ingenieur?«

Firnkäs blies Rauch durch die Nase.

»Oh... eigentlich wollte ich nichts bemerken...... ich will nur meinen, vielleicht abwarten wir, bis die ganze society... bis alle gekommen sind, sonst wird es zweimal gesagt, und ich finde, Wiederholung ist immer Zeitverlust.«

Er wandte sich an Benno.

»Wir wollen guten Nutzen ziehen aus Ihrer großen Kenntnis von München... Ihr Einblick in das Leben hier ist sehr wertvoll. Überhaupt ist notwendig die Mitarbeit von mehreren. Ich sage immer, man muß Verteilung der Kraft suchen. Ich nehme ein Rad; für ein Rad allein ist zu viel Anstrengung geboten, ich nehme zwei Räder, ich nehme drei Räder und übertrage und habe sofort die power, die Kraft, and velocity kolossal vermehrt. Understand? So muß man es auch machen in unser Bodenverwertungsassoziation, damit die größte power gehabt wird. Wir wollen, daß Sie ein Rad sind... Agreeing?«

Benno lächelte zufrieden und glücklich. Er sah, daß man ihm hier gerecht wurde.

Der Justizrat fragte ihn:

»Finden Sie nicht auch, daß der Herr Ingenieur jeden Begriff außerordentlich scharf umrissen, ich will sagen, plastisch gibt?«

»Jawoll«, erwiderte Benno, »bin in dieser Beziehung durchaus Ihrer Meinung.«

»Ich habe meine Begriffe aus dem Praktischen«, sagte Firnkäs, »und ich bringe sie wieder ins Praktische. Ich sage, der Staat, die human society, die Gemeinde, das ist alles eine Maschine. Wenn man sie kennt, wenn man weiß, wie sie in Bewegung ist, wenn man ihre Leistung kennt, kann man sie benützen...«

»Und Sie kennen sie«, sagte der Justizrat voll Anerkennung.

»I mean so or ich hoffe, sie zu kennen...«

Es klopfte, und gleich darauf traten zwei Männer ins Zimmer, die von Hiergeist freundlich begrüßt wurden. Er stellte vor:

»Herr Architekt Frühbeis, Herr Hofrat Almus... Herr Kaufmann Globerger.«

Frühbeis, den Samtjakett und Lavallièrekrawatte als Künstler kennzeichneten, war ein sogenannter Urmünchner, ein Mann von erfrischender Derbheit und zupackender Treuherzigkeit, ein Mann, dessen Benehmen jedem sagte, daß er nie eine Schmeichelei und immer nur die Wahrheit sprechen könne, die Wahrheit auf Kosten seines Nutzens, seines Wohlergehens, die Wahrheit unter allen Umständen, aus innerer Notwendigkeit.

Hofrat Almus war sichtlich Schauspieler, oder war es gewesen. Wenn er guten Tag sagte, wußte man es, wenn er sich verbeugte oder die Hand zum Gruße bot, fand man es bestätigt.

Seine tiefe Stimme und seine Art, willkürlich Vokale ein- und umzuschalten, um die Bedeutung wie die Schönheit eines Wortes zu heben, verrieten ihn als Heldenvater.

Seine königliche Würde machte auf Benno einen so tiefen Eindruck, daß er sich jedesmal verbeugte, wenn er dem Mimen antwortete.

»Herr Globerger«, sagte Almus, »es freut mich, einen Vertreter des intelligenten Bürgertums zu sehen... Sähr angenähm... Nein, wiraklich, es tut wohl, einen Mann zu sehan, der als einar der erstan dem Panier des Foratschrittes folgt...«

Man wartete noch auf Schmidramsl, der als Vertreter einer Kapitalistengruppe eingeladen worden war.

Endlich kam er, und der Justizrat übernahm gewandt die Leitung der Versammlung.

»Die Herren gestatten... es ist notwendig, ein kurzes Resumé zu geben, um Herrn Globerger, dem ich für sein Erscheinen den Dank der Bodenverwertungsgesellschaft, insbesondere den Dank der heute hier vertretenen Abteilung für künstlerische Ausgestaltung, darbringen möchte, es ist notwendig, sage ich, ganz kurz auszuführen, was der Zweck unserer heutigen Versammlung ist, was wir wollen, was uns veranlaßt hat, Herrn Globerger zu bemühen. Ich nehme an, daß unserem verehrten Gast das große Projekt der Gesellschaft bekannt ist...« Eine Verbeugung und ein fragender Blick heischten Antwort von Benno.

»Ja, im allgemeinen, das heißt beziehungsweise...«

»Nun«, fuhr Hiergeist fort und nahm sich eine Zigarette, »es ist mit einem Satze zu sagen. Die Bodenverwertungsgesellschaft will auf Anregung und in Verfolg der gigantischen Pläne unseres Herrn Firnkäs München zur Zentrale des europäischen Fremdenverkehrs machen. Dazu ist es« – der Justizrat lächelte ironisch – »in seinem jetzigen Zustande nicht geeignet – ich bin sehr für Originalität, ich verkenne durchaus nicht den ethischen und künstlerischen Wert der Originalität, aber bloß Hofbräuhaus, Sommerkeller und Prinzregententheater, meine Herren! Das allein genügt nicht auf die Dauer. Damit machen wir 's nicht... Vergessen wir nicht: das europäische Publikum, auf das wir rechnen, kommt aus Großstädten mit hervorragender Kultur und will wieder Großstadt und Kultur, denn sonst geht es eben in die Schweiz, nach Tirol. Also Umgestaltung, Neugestaltung...«

»Hörat!« rief Almus.

Hiergeist verbeugte sich.

»Über Neugestaltung des Hotelwesens, des Verkehrs, des Wohnungswesens habe ich mich heute nicht zu verbreiten. Ich will nur kurz sagen: die Reform nach dieser Richtung hin ist nicht weniger großzügig geplant und ausgearbeitet als die Reform in der Sparte, die wir heute behandeln. In der künstlerischen Ausgestaltung des Vergnügens, des Amüsements...«

»In den Darabietungen der Kunst«, warf Almus ein.

»Gewiß, auch die höhere Kunst soll die würdigste Stätte finden. Ich kann unserm Gaste die bündige Versicherung geben, daß der bis ins kleinste ausgearbeitete Plan unserm München das geben wird, was ihm bisher gefehlt hat, einen Sammelplatz der eleganten Welt, die auf einem Punkte vereinigt alle feineren Vergnügen findet...-

»Und die Darabietungen...«

Hiergeist nickte dem Hofrate lächelnd zu.

»Und alles, was gewählte, auserlesene Schauspielkunst an Befriedigung des verwöhntesten Geschmackes zu bieten vermag. Was ist?«

Der Justizrat sah den eintretenden Schreiber ungeduldig an.

»Da Herr Grünbaum fragt, ob er nicht eintreten derf...«

»Natürlich... Grünbaum! Wollen die Herren...?«

»Lassen Sie ihn kommen... er ist sehr lively... ich will sagen, smart... er lauft sehr heftig hinter einer Sache nach...«

Firnkäs sagte es gelassen, und der Justizrat nickte dem Schreiber zu.


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