Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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In einiger Entfernung blieb sie vor einer Menageriebude stehen und sah sich wie zufällig um. Rubatscher war nicht mehr zu sehen, und sie atmete auf.

»Was war denn?« fragte Franz.

»Unser Kommis... i hab glaubt, i gib kein Tropfen Blut mehr. Wenn mich der beobacht' hätt mit dir! I kann den Kerl a so net aussteh'n...«

»Was hätt er denn beobacht'n können? Daß du zufällig mit an Herrn g'sproch'n hast? No, was is dabei?«

»I hab doch g'weint, und du hast in mich nei'g'red't...«

»Ah! So genau hat der das net g'sehn...«

Paula war gleich wieder beruhigt und ging nun, glücklich über die Versöhnung mit Franz, zum Schottenhammel. Ab und zu machte sie halt und spähte vorsichtig umher, ob der ekelhafte Kerl nicht auftauchte.

Aber der war ja nach der entgegengesetzten Richtung gegangen.

Rubatscher hatte mehr gesehen, als die Frau seines Chefs ahnte; jedenfalls so viel, daß er von der Begegnung für sich keine schlimmen Folgen befürchtete.

Er hätte eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil er den Lehrling allein im Laden zurückgelassen hatte, angeblich um einen notwendigen Gang nach dem Zollamt zu machen.

Statt dessen bummelte er mit einem Dienstmädchen auf der Wiese herum.

»Dös war die Frau Globerger?« fragte das Mädel.

»Sell woll...«

»Herrschaft na! De sagts am End?«

»Wos sagt sie?«

»Daß s' di auf der Wies'n g'sehgn hat mit mir...«

»Beileib net. De werd niacht sog'n... sinst sog i eppan aa wos... sell braucht di gar nix bekimmern...«

»Was sagetst du?«

»Allerhand um an Kreizer...«

Rubatscher war nicht mitteilsam. Er brummte vor sich hin:

»So... so? Hiatzt geht mir a bengalisch Liacht auf. Hab mir schun alm denkt, warum sie gar nimmer dahoambleibt. Sell isch er g'wösen, der Fack. Wie er in sie einig'redt hot, aft hot sie trenzt... sell isch er g'wösen...«

»Lassen Sie sich aufnehmen, schöner Herr!« rief der Photograph. »Ein reizendes Familienbild für die lieben Angehörigen... Arm in Arm mit der lieblichen Braut. In drei Minuten ist das Bild fertig... Kommen Sie herein, mein Herr!«

Rubatscher ging an ihm vorbei. Er überlegte sich, ob er Paula nicht von weitem beobachten könnte. Aber wenn sie es merkte, konnte sie leicht eine Geschichte erfinden und ihn beim Globerger verklagen. »Sell war niacht ratsam...« Er ging lieber mit seinem Mädel in eine Wirtsbude und trank Märzenbier zu sehr viel Schweinswürsteln.

Erst nach etlichen Stunden brach er auf und schimpfte daheim über das schlamperte Zollamt.

Franz und Paula fanden Gesellschaft in der großen Halle von Schottenhammel: Herrn Otto Jüngst und Frau Resi Schegerer. Etwas später kam ein Freund von Jüngst dazu, ein Maler Nottebohm aus Hamburg. Er stellte die junge Dame, die bei ihm war, als Fräulein Merry vor, ohne einen Familiennamen anzugeben.

Vielleicht war er ihm entfallen; ein Mann von der Waterkant wird sich den Namen Stingelwagner nicht leicht merken. Wozu dann freilich Merry oder Mary nicht wohl paßte, und eigentlich hieß sie auch Zenta, und der Name lag ihr.

Zenta Stingelwagner, dem Äußern und etlichen in unbewachten Momenten sich verratenden Manieren nach aus dem östlichen München, aus dem Viertel der ruhmreichen Erinnerungen – Weißenburg, Wörth, Orleans.

Sie hatte ein keckes Gesicht, das man hübsch nennen konnte, und das ansprechender gewesen wäre, wenn es nicht Versuche zur Vornehmheit entstellt hätten; sie zog dabei die Brauen hoch und blickte unter halbgeschlossenen Lidern blasiert über die Menschheit weg.

»Das ist Geschmackssache«, sagte sie, als Nottebohm die münchner Fröhlichkeit rühmte, die sich schon ringsum in der Halle bemerkbar machte. »Man fühlt sich doch nicht recht wohl dabei.«

»Sie müssen sich halt bei uns einleben, gnä Frau...« erwiderte Jüngst. »Sie wern sehen, es g'fallt Ihnen großartig...«

»Das glaube ich nicht. Es sind doch meistens Leute, die nicht zu einem passen...«

»Aber das is ja grad nett... Gibt's denn was Faderes als eine G'sellschaft, in der alle z'sammpass'n?«

Zenta zuckte die Achseln; sie war nicht zu überzeugen.

»Das ist Ansichtssache. Manchen gefällt der Ton, manchen nicht.«

Sie musterte mit einem sehr vornehmen Blick den nächsten Tisch, an dem eben ein Herr, der gebratene Hühner brachte, mit überlauter Fröhlichkeit begrüßt wurde.

Eine junge Dame sprang auf und umarmte ihn stürmisch, eine andere kreischte vor Entzücken und warf ihm Kußhände zu.

Es waren Leute vom Theater, die sich redliche Mühe gaben, erkannt zu werden; als es ihnen gelungen war, spielten sie dem Publikum eine sich ganz vergessende Ausgelassenheit vor.

Die Herren lachten in dröhnendem Basse, die Damen in wohlklingendem Sopran; alle beanspruchten Aufmerksamkeit für ihre selige Stimmung und erwiderten sie.

»Kinder! Ist das nicht herrlich?« rief der Älteste in der Schar, dessen Augen hinter starken Fettpolstern vergnügt funkelten. Er gab wie ein Chorführer immer wieder das Zeichen zu neuen Ausbrüchen, wenn Pausen eingetreten waren.

»Was sagt ihr zu dem Göttermahl? Nüsse, Würste und Huhn am Spieß gebraten, und dieses Bier! Und wären wir hier, wenn Maxe nicht auf die großartige Idee gekommen wäre? Kinder! Wir müssen auf sein Wohl trinken...« Maxe wurde wieder umarmt. Die lebhafte Blondine neben ihm zog seinen Kopf an sich und küßte ihn schallend auf die Glatze.

Der dicke, recht gewöhnlich aussehende Herr hatte ein stilles Lächeln für all das Übermaß von Freude, das er um sich verbreitete. Er besaß irgendwo im Rheinischen eine gut gehende Fabrik und reiste mehrmals im Jahre nach München, wo er Gott und Protektor der Kunst, und wo er Maxe bei allen Tinis und Lillys war.

Zur andern Seite der Blondine saß ein jüngerer Mann von gutem Aussehen; seine dunkeln Augen und das wenige, braune Haar konnten sicherlich Eindruck auf empfindsam Frauen machen; er war der einzige, der nicht von der allgemeinen Heiterkeit mitgerissen wurde. Nur zuweilen raffte er sich mit Gewalt zusammen und stimmte ein Lachen an, aber es klang höhnisch und schneidend. Dann stützte er den Kopf wieder mit der Hand und blickte finster, beinahe drohend in die Ferne.

Sein deutlich zur Schau getragener Schmerz fiel Paula auf, die nach Zwist und Versöhnung in sehr weicher Stimmung war, und sie fragte sich mitleidsvoll, was der arme, hübsche Mann wohl für einen geheimen Kummer haben müsse.

Manchmal fuhr er auf und preßte die Lippen zusammen, oder er fuhr sich mit der Handfläche über die Stirne, als wolle er einen bösen Traum verscheuchen.

Er bemerkte bald den Eindruck, den er auf die gutmütige Frau gemacht zu haben glaubte, und seine tieftraurigen Augen suchten die ihrigen.

»Kinder! Das geht nicht!« rief der Chorführer. »Seht mal Rolf an! Was ist dir denn passiert, Junge?«

Rolf antwortete nur mit einem sehr bitteren Lächeln, und er zog die Achseln hoch.

»Na also, sprich dich aus! Du bist doch unter Freunden!«

Die Blondine winkte ab. Man sollte nicht darüber reden, nicht in dem Schmerze wühlen, nicht Wunden aufreißen. Sie beugte sich über den Tisch und flüsterte dem Chorführer so laut, daß es alle hörten, zu:

»Man hat ihm eine Rolle genommen.«

»Tini!« Der junge Schauspieler rief es sehr eindringlich und sehr wohllautend.

»Man hat sie dir ja genommen, und es ist und bleibt eine unsägliche Gemeinheit.« Der Chorführer streckte mit einer herzlichen Gebärde seinen Krug vor.

»Stoß an, alter Freund! Trink ihn aus, den Trank der Labe, und vergiß den großen Schmerz!«

»Schmerz! Ihr werdet doch nicht glauben, daß mir der Alte Schmerz zufügen kann...«

Rolf lachte sehr höhnisch auf.

»Na also, dann nicht Schmerz, aber Entrüstung oder Indignation, und nun trink mal und sei fröhlich. Was soll denn Maxe denken?«

Alle wollten mit Rolf anstoßen und ihm Teilnahme und treue Freundschaft zeigen.

Vielleicht hätte er sich umstimmen lassen, wenn nicht gerade Maxe, dem zu Liebe ungetrübte Heiterkeit herrschen sollte, die unvorsichtige Frage gestellt hätte: »Was für eine Rolle hat man dir genommen?«

Da brach der Gekränkte los.

Genommen war kein Wort für dieses Vorgehen. Hinterlistig entwendet hatte man ihm die Rolle; mit gemeinen, niedrigen Lügen hatte man ihn in Sicherheit gewiegt, um den Arglosen dann um so schmählicher zu betrügen.

Man neidete ihm den jungen Ruhm, man wollte seine Existenz untergraben. Hätte man wenigstens einem Würdigen die Rolle gegeben! Aber so einem... man werde ja sehen... diesen Vormittag, bei der Generalprobe hatte es sich schon gezeigt, was für eine haarsträubende Fehlbesetzung das war. Es kam da eine Stelle vor... der beleidigte Graf mußte aufspringen und seinen Gegner niederdonnern... »Und das... das sagen Sie mir?...« In diesem wiederholten »Das« lag die Steigerung, lag eigentlich die Wirkung der ganzen Szene.

Rolf beugte den Oberkörper langsam zurück, ruckweise, sah Maxe mit starren Augen an, sprang auf und brüllte die gewichtigen Worte in die Halle. »Und das... das sagen Sie mir?« So mußte es gemacht werden. Der Graf mußte aufspringen wie ein Löwe, wie ein verwundeter Löwe. Aber dieser impotente Kerl war aufgestanden, wie ein krankes Pferd. Man würde ja sehen. Wenn der traurige Lump von einem Kritiker nicht einmal das sah.

»Bst!« mahnte der Chorführer.

»Ein bestochener trauriger Lump sage ich... meinetwegen kann ihm das jeder erzählen...«

»Bst! Er sitzt doch selber da.«

»Wo?«

»Am zweiten Tisch hinter dir...«

Rolf wandte langsam den Kopf nach der Richtung.

Ein pausbäckiger Mensch aß dort gebratene Würstchen und gab sich Mühe, bedeutend auszusehen, als er sich von den Schauspielern entdeckt sah.

»Doktor!« rief der Chorführer und schwenkte seinen Krug. Die Blondine stand auf und jubelte ihm zu, andere winkten ihm, so daß er nicht anders konnte, als herüber kommen und seine Schlachtopfer begrüßen. Man schüttelte ihm bieder die Hand, sah ihm liebeheischend ins Auge, und lud ihn ein, Platz zu nehmen. Das lehnte er ab, denn irgendwelche umgeschriebene Gesetze verboten es Richtern, mit Delinquenten, und Kritikern, mit Schauspielern zusammen zu sitzen.

Als er sich wieder verabschiedet hatte, sagte Rolf, man hätte eigentlich den Schurken erdolchen müssen; er warf ihm finstere Blicke nach und versank in seinen Schmerz zurück.

Aber Paula beachtete seine tieftraurigen Blicke nicht mehr; sie war näher an Franz gerückt und tauschte heimliche Zärtlichkeiten mit ihm aus.

Frau Resi schwieg, und es war deutlich genug zu merken, daß sie ihrem Ottibubi zürnte.

Wie hatte er nur dieses Weibsbild einladen können! Das war doch eine unverzeihliche Rücksichtslosigkeit, Paula und sie als verheiratete, angesehene Bürgersfrauen mit einer solchen zusammenzubringen.

Sie wollte ihm aber sagen, daß sie sich derartige Dinge schönstens verbitte.

Und wie ekelhaft war es, daß er die Person als gnädige Frau titulierte!

So eine, der man es auf hundert Schritte ansah, daß sie vor ein paar Wochen noch Wassermädel in einem Kaffeehause gewesen war.

Zenta, die merkte, daß man ihr einige Abneigung entgegenbrachte, war nun erst recht entschlossen, ihre Bedeutung hervorzuheben.

Als ein italienischer Händler an den Tisch kam und gebratene Kastanien zum Kaufe anbot, wechselte sie mit ihm etliche Worte.

»Quanti costa?« und »Grazie tanto...«

Otto tat ihr den Gefallen, zu fragen, ob die gnädige Frau italienisch spräche. Sie hätte, was ihm schon gleich aufgefallen wäre, einen südländischen Typus.

Das gab Zenta Gelegenheit, den Roman ihres Lebens zum besten zu geben.

Es schien nicht das erstemal zu sein, denn Nottebohm hustete, rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her und wollte ein anderes Gespräch anschlagen.

Aber nach einem strafenden Blicke auf ihn erzählte die gnädige Frau dennoch die Geschichte einer Verlassenen.

Natürlich hatte sie südländisches Blut in den Adern. Ihre Mama war nämlich mit einem italienischen Grafen verlobt gewesen. Das Paar liebte sich innig, und alle Bedingungen zum Glücke waren vorhanden, wenn sich nur die Eltern des Conte nicht so erbittert und hartnäckig seiner Verbindung mit einem bürgerlichen Mädchen widersetzt hätten.

Lange Zeit schien er im Kampfe gegen die Seinen stark bleiben zu wollen; aber eines Tages war er verschwunden. Die Unglückliche hörte nie mehr von ihm; sie gab einem Mädchen das Leben, kränkelte und starb.

Das Mädchen war Zenta, das heißt Merry, die dann von Verwandten an Kindes Statt angenommen und erzogen wurde.

»Du, ich geh jetzt...« sagte Resi zu Otto.

»Warum denn? Mitten am Nachmittag?«

»Weil i Kopfweh hab... i kann den Spektaktel nimmer vertrag'n...«

»Jetzt bild dir doch keine Schwachheit'n ei... i hol dir nachher was z' ess'n, da wird's dir scho wieder besser...«

»Nein, danke. Du kannst a bleib'n, wenn du so rücksichtsvoll bist...«

»Alles, was recht is, aber i lauf do net um sechs Uhr von der Wies'n heim...«

»Ich will ja gar net, daß du das herrliche Vergnüg'n aufgibst... adjö!« Resi stand auf.

»Gehst du mit?« fragte sie Paula. Diese zögerte, aber als ihre Freundin beleidigt den Kopf zurückwarf und durch die Tischreihen schritt, sagte sie zu Franz:

»Ich komm dann wieder; wir gehen bloß ein bissel ins Freie, und wenn Resi eine Tablette nimmt, ich hab was bei mir, dann wird's ihr schon wieder gut.«

Sie eilte Resi nach.


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